Auf dem in der Schweiz gekauften iPhone Yandex im Mietwagen auf der Krim ausführlich getestet: der Yandex Navigator. (cm)

Russland auf der Suche nach der IT-Unabhängigkeit – mit Erfolg

Die ganze Welt nutzt heute Google, Facebook und ähnliche weitere Produkte der amerikanischen Tech-Riesen. Und es gibt Länder, die ihre eigenen Entsprechungen haben. Russland ist eines dieser Länder. 

Yandex wird oft als das russische Google bezeichnet und ist nach Google und Bing die drittgrößte Suchmaschine der Welt. Yandex liegt weltweit weit hinter dem amerikanischen Riesen, Google hat eben 80% des Weltmarktes. In Russland jedoch dominiert Yandex mit einem Marktanteil von fast 70%, Google hat nur 29%.

Yandex ist Russlands größtes IT-Unternehmen und bietet neben der Suchmaschine auch Online-Werbung, Datenmanagement sowie die Dienste Yandex Taxi und Yandex Market an. Auf Yandex Market kann man alle Arten von Artikeln online kaufen, etwa wie bei Amazon. Yandex Market ist übrigens nicht das einzige russische Pendant zu Amazon, Ozon und Wildberries sind zwei weitere große Onlineversandhändler.

Bis vor kurzem wurde Yandex von einer Holdinggesellschaft mit Sitz in Amsterdam kontrolliert – es handelte sich jedoch um ein virtuelles Büro, der wahre Hauptsitz der Firma befand sich sowieso in Moskau. Vor ein paar Monaten wurde Yandex vollständig „nationalisiert“, indem die Firma von einer Gruppe von russischen Unternehmen und Unternehmern gekauft wurde.

Yandex ist nur einer der Giganten der IT-Branche in Russland. Der Name Kaspersky Lab ist sicherlich vielen bekannt, auch in Europa, vor allem wegen seiner Antiviren-Software und umfassender IT-Sicherheitslösungen. In Amerika wurde Kaspersky beschuldigt, mit dem FSB, dem russischen Geheimdienst, zusammenzuarbeiten. Es handelt sich dabei um einen Vorwurf, den Kaspersky jedoch entschieden zurückgewiesen hat. Einige Länder haben die Verwendung von Kaspersky-Software durch Regierungsbehörden verboten. Heute ist Kaspersky nach wie vor einer der Weltmarktführer im Bereich der Computersicherheit. 

Russland hat auch sein eigenes Facebook-Pendant, VKontakte nennt sich das, einfach als VK bekannt. VKontakte wurde 2006, zwei Jahre nach Facebook, von den Brüdern Pawel und Nikolai Durow in St. Petersburg gegründet und entwickelte sich im Laufe der Jahre zum beliebtesten sozialen Netzwerk in Russland und in Nachbarländern Russlands wie der Ukraine und Belarus. Im Jahr 2017 verbot die neue post-Maidan Ukraine VKontakte, die Ukraine wollte sich so weit wie möglich von Russland distanzieren. 

Die Popularität von VK in Russland hingegen ist nur gewachsen. Es ist ein Phänomen, das sich in den letzten Jahren verstärkt hat, nachdem Russland den Zugang zu Facebook, Twitter und Instagram sperrte. 

VK gehört heute nicht mehr den Brüdern Durow. 2014 wurde der damalige CEO Pawel Durow aus dem Vorstand entlassen und lebt seither im Ausland. Durow widmete sich in der Folge der Entwicklung der in Russland beliebten und auch im Westen zunehmend beliebten Messaging-App Telegram. Bei seiner Abreise aus Russland sagte Durow: „Leider ist das Land im Moment für das Internetgeschäft nicht geeignet.“

In dieser Hinsicht könnte sich der sehr talentierte ehemalige VK-Chef doch geirrt haben.

Digitalisierung in Russland

Dies ist etwas, was viele Russen, die Europa besuchen, in den letzten Jahren systematisch beobachten: Die Digitalisierung in Europa scheint weit hinter Russland zurückzubleiben. Diese Beobachtung erstaunt viele Europäer, die jahrzehntelang daran gewöhnt waren, zu glauben, dass sie an der Spitze der technologischen Welt stehen und Russland stattdessen ein unheilbares technologisches Schlusslicht ist. „Europa ist das Mittelalter“, schrieben einige russische Nutzer vor einiger Zeit in einem sozialen Netzwerk, nachdem sie Frankreich und Deutschland besucht hatten. Eine Formulierung, die vielleicht ein wenig übertrieben ist, aber sicherlich eine Vorstellung davon vermittelt, welchen Eindruck viele junge Russen haben, wenn sie heutzutage nach Europa kommen.

„Die europäischen Länder brauchen keine neuen Lösungen zu schaffen und um ihre Kunden zu kämpfen: Aufgrund von Bräuchen, Traditionen und Gesetzen sind viele Lösungen, die es in Russland bereits gibt, in Europa nicht erforderlich oder werden gerade erst entwickelt. Zum Beispiel die Bezahlung von Fahrkarten mit einer Bankkarte, Banküberweisungen per Telefonnummer über das SBP (ein schnelles Zahlungssystem) und vieles mehr“, sagt Elena B., IT-Spezialistin bei einem Unternehmen in Moskau.

In Russland ist es zum Beispiel sehr üblich, Echtzeit-Überweisungen ohne oder mit sehr geringen Gebühren zu tätigen. Das staatliche Portal Gosuslugi, wörtlich „Staatliche Dienste“, ist ebenfalls sehr beliebt.

„Heute ist das bequeme digitale System Gosuslugi nicht mehr wegzudenken, denn praktisch jeder Bürger des Landes kann dort die notwendigen Dienstleistungen des Staates in Anspruch nehmen: online einen Termin beim Arzt vereinbaren, eine Verlängerung des Reisepasses oder des Führerscheins beantragen oder eine Parkbusse bezahlen“, kommentiert Elena B.. 

Innovation auf die russische Art

Manchmal können Sanktionen wie Glück im Unglück wirken. Nachdem viele ausländische Unternehmen den russischen Markt verlassen haben, ist der russische IT-Sektor in eine Phase intensiver Entwicklung eingetreten. Dabei geht es nicht nur um Importsubstitution, sondern auch um die Integration mit Entwicklern und anderen Unternehmen.

Innovation ist heute sehr wichtig für den russischen IT-Sektor, dank einer ausgeprägten Forschungskultur und erheblicher Investitionen, vor allem seitens der Regierung. Das Skolkowo-Innovationszentrum, das oft als Russlands Silicon Valley bezeichnet wird, ist ein Beispiel dafür. Skolkowo wurde am 12. November 2009 vom damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew angekündigt. Der Komplex wird heute von Viktor Vekselberg, einem der reichsten Männer Russlands, geleitet. Skolkowo beherbergt eine Reihe von Start-ups und etablierten Unternehmen, die an Spitzentechnologien wie zum Beispiel künstlicher Intelligenz (KI) und Robotik arbeiten. 

Die russische Regierung hat mehrere politische Maßnahmen und Initiativen zur Förderung des Wachstums des IT-Sektors ergriffen. Besonders hervorzuheben ist das Programm für die digitale Wirtschaft, das 2017 ins Leben gerufen wurde. Im Rahmen dieses Programms bietet die Regierung verschiedene Anreize für IT-Unternehmen, darunter Steuererleichterungen und Subventionen für Forschung und Entwicklung. Diese Anreize haben das Wachstum von Start-ups gefördert und etablierte Unternehmen ermutigt, in neue Technologien zu investieren.

„Heute stellt Russland seine eigenen Roboter her, baut seine eigene Künstliche Intelligenz, entwickelt soziale Netzwerke und Unterhaltungsplattformen sowie verschiedene Anwendungen und komplexe Lösungen für Unternehmen. Ich glaube, dass die Welt sehr bald von diesen russischen Erfindungen erfahren wird“, sagt Elena B..

Auf der anderen Seite war bis vor kurzem der IT-Bereich eng in das internationale Netzwerk integriert und dadurch abhängig von ausländischen Unternehmen und Akteuren.

„Es besteht immer noch eine große Abhängigkeit von ausländischen Technologien, insbesondere von den USA und China, sowohl bei Software als auch bei Hardware. Aber im Vergleich zu Europa ist Russland weniger abhängig“, sagt Mikhail, ein Programmierer bei Yandex.

„Russland ist bestrebt, im IT-Bereich unabhängig zu werden. Aber es besteht immer noch eine gewisse Abhängigkeit von einigen ausländischen Technologien. Während die vorhandene Software den Bedarf verschiedener Organisationen in allen Branchen problemlos abdecken kann, dauert es einige Zeit, bis einheimische Hardware zur Aufrüstung der IT-Infrastruktur entwickelt wird. Aber auch hier tun die russischen IT-Spezialisten ihr Bestes, um Importe schnell zu ersetzen“, sagt Elena B.

Der russische IT-Sektor ist seit 2014 allmählich und in den Jahren 2020 und 2021 spektakulär gewachsen – die Pandemie war, wie im Rest der Welt, zumindest für Online-Geschäfte von großem Vorteil. In den letzten Jahren wurde das Wachstum jedoch durch internationale Ereignisse gebremst, insbesondere durch Sanktionen und die Abwanderung von Fachkräften. Nach dem Februar 2022 hatten ja Zehntausende von jungen Männern und Frauen, darunter auch IT-Spezialisten, beschlossen, das Land zu verlassen.

„Man kann sagen, dass der IT-Sektor bald wieder das Niveau vom Februar 2022 erreichen wird. Eine so schnelle Anpassung war möglich, weil Russland bereits seine eigene Know-How-Basis hatte. Obwohl in den 1990er Jahren keine dringende Notwendigkeit bestand, eigene Lösungen zu entwickeln, da der Markt mit IT-Produkten aus dem Ausland überschwemmt war, verfügte Russland über einen guten Entwicklungsstand – viele Spezialisten arbeiteten an der Entwicklung eigener Lösungen, die ausländischen Analoga nicht nachstanden, lange bevor der Trend zur Importsubstitution einsetzte“, sagt Elena B..

„Es gibt zweifellos sichtbare Änderungen. Was die Anwerbung von Fachkräften betrifft, so sind die Folgen minimal, denn obwohl viele Fachkräfte abgewandert sind, ist es möglich, vom Ausland aus zu arbeiten. Die Folgen betreffen eher Geschäfte zwischen westlichen Kunden und russischen Unternehmen“, sagt Mikhail von Yandex.Die russische IT-Branche erfreut sich also nach den Befürchtungen von 2022 weiterhin einer robusten Gesundheit. Damals sagten einige ausländische Experten einen Rückgang des russischen IT-Marktes um fast 40 Prozent voraus. In Wirklichkeit ist nichts davon eingetreten. Die Abwendung vieler ausländischer Unternehmen hat nicht den Zusammenbruch der russischen Wirtschaft ausgelöst, sondern im Gegenteil ihre Anpassungsfähigkeit und ihren Erfindungsreichtum gefördert. Es sind Qualitäten, deren Bedeutung in der Welt der Technologie keineswegs überschätzt werden kann