«Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin – eine Erfrischung in dunklen Tagen»
(Red.) Aus gutem Grund wird in Deutschland und auch in den umliegenden Ländern jetzt, im Vorfeld der Bundestagswahlen am 23. Februar, vor allem über die mittlerweile zweitstärkste Partei in Deutschland, die AfD berichtet. Aber gibt es neben der AfD, die im politischen Spektrum klar auf der rechten Seite positioniert ist und die in den Voraussagen über 20% Zustimmung verfügt, auch noch eine erwähnenswerte linke Kraft, nachdem die Partei Die Linke gemäß den gleichen Voraussagen gerade noch über 3,4 % Zustimmung verfügt? – Der in Moskau lebende deutsche Journalist Ulrich Heyden hat in Sympathie am neusten von der Zeitung «Junge Welt» organisierten Rosa-Luxemberg-Kongress teilgenommen und berichtet aktuell. Die obenstehende Headline hat Ulrich Heyden selbst formuliert. (cm)
Unter dem Titel „Das letzte Gefecht. Wie gefährlich ist der Imperialismus im Niedergang“ tagte am Sonnabend in den Wilhelm-Studios in Berlin-Wihelmsruh die 30. Rosa-Luxemburg-Konferenz. Veranstalter war die marxistische Tageszeitung „Junge Welt“.
Die radikale Linke in Deutschland – zu der auch die Junge Welt zählt – ist heute ohne spürbaren politischen Einfluss. 35 Jahre nach dem Fall der Mauer und dem medialen Dauerbombardement gegen alles „Sozialistische“ hat sie sich immer noch nicht erholt. Zwar sind seit dem Beginn des Bürgerkrieges in der Ukraine und der Corona-Pandemie in Deutschland neue politischen Bewegungen und alternative Medien entstanden, aber die Systemfrage stellen sie nicht. Sie konzentrieren ihre Kritik auf die brutalsten Auswüchse des neoliberalen westlichen Kapitalismus und auf namhafte Vertreter dieses Systems. Die Frage, welche politischen, ökonomischen und historischen Wurzeln dieses System hat, wird von den neuen Oppositionsbewegungen zu wenig gestellt. Der Anspruch der Jungen Welt ist es, grundsätzlicher zu analysieren und Widerstand unter Einschluss der Arbeiterklasse zu organisieren.
Kein Parlaments-Geplapper
Ende der 2000er Jahre begann ich die Junge Welt zu abonnieren. Sie war mir zum Teil zu wortradikal, aber nach dem Angriff der Nato auf Jugoslawien und dem Abschied der Grünen vom Anti-Militarismus war die Junge Welt für mich in vielen Fragen eine der wenigen vertrauenswürdigen Quellen für systemkritische und anti-militaristische Informationen und Analysen.
Die Junge Welt, die in der DDR gegründet wurde, und bei vielen in Deutschland immer noch im Verdacht steht, wieder DDR-Verhältnisse einführen zu wollen, zeigte auf der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz, dass man den Weg vieler linker Organisationen in Deutschland, die im Sektendasein verkümmerten, nicht gehen will. Die Zeitung präsentierte sich in Berlin als Forum für Anti-Militaristen und Friedensfreunde. Die Sprache war direkt und frisch und nicht vernebelt durch „woke“ Phrasen oder Parlaments-Geplapper. Die Zeitung hat erkannt, dass ein Erfolg gegen den Kriegskurs der Bundesregierung nur möglich ist, wenn alle Friedensfreunde und Antimilitaristen an einem Tisch sitzen und rechthaberische Abgrenzungsdebatten unterbleiben.
Das Ja zu den US-Mittelstreckenraketen rückgängig machen!
Die abschließende Podiumsdiskussion am Samstagabend, moderiert von Junge-Welt-Redakteur Nick Brauns, zeigte, dass es zwischen den linken Strömungen und Organisationen in der Friedensfrage Bündnismöglichkeiten gibt. Auf der Rednerliste für die Podiumsdiskussion standen die Namen von zwei gestandenen Sozialdemokraten Petra Erler und Günter Verheugen. Der ehemalige EU-Kommissar Verheugen sagte allerdings aus Krankheitsgründen ab.
Die Abwesenheit von Verheugen machte Petra Erler – in der letzten DDR-Regierung 1990 unter Maizière Staatssekretärin für Europafragen – mit einer erfrischenden klaren Sprache wett. Die Formel vom „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg von russischer Seite“ konnte sie sich zwar nicht verkneifen, aber Erler sagte auch, „der Westen hat den Frieden nicht gewollt“. Für eine Verhandlungslösung sei es noch zu früh. Die werde vor allem von Großbritannien blockiert. „Im Ukraine-Krieg geht es nicht um die Ukraine, sondern um die Schwächung Russlands“. Wer bei diesem Krieg mitmache „riskiert den Atomkrieg“. Scholz sei gegen die Taurus-Lieferung an die Ukraine, weil deutsche Generäle diese Waffe als Angriffswaffe deklariert haben. Und das wäre dann „eine deutsche Kriegsbeteiligung“.
Erler betonte, dass die Mehrheit der Menschheit nach Verständigung und Frieden suche – der deutsche Medien-Mainstream dagegen stehe für eine Minderheit. Diplomatie und Verständigung würden kriminalisiert. Es sei aber nötig und möglich, zur Entspannungspolitik von Willy Brandt zurückzukehren. Die 2017 von den USA initiierte und im Juli 2024 von Olaf Scholz durchgewinkte Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in Deutschland müsse rückgängig gemacht werden. Diese Raketen seien Angriffswaffen, mit denen die USA „die territoriale Verteidigung von Russland und China knacken wollen.“ Deutschland riskiere russische Vergeltungsschläge.
„Zögerliche Haltung der Partei Die Linke“
Bevor der Moderator Nick Brauns der Podiumsdiskussion einer Vertreterin der Partei Die Linke das Wort gab, erwähnte er, dass von drei Abgeordneten der Linkspartei im EU-Parlament nur einer gegen die Lieferung von Taurus-Lenkwaffe an die Ukraine gestimmt habe. Brauns fragte, „will die Partei Die Linke dem Bündnis Sarah Wagenknecht die Stimmen überlassen?“
Es antwortet Ulrike Eifler, Mitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Gewerkschaften in der Partei „Die Linke“. Eifler ist auch Mitglied der IG Metall. Die Gewerkschafterin kritisierte die „zögerliche Haltung“ ihrer Partei beim Anti-Militarismus. Im Bundestagswahlkampf spreche die Partei Die Linke vor allem über Butter, aber kaum über Kanonen. Eigentlich müsse die Linkspartei die Friedensbewegung mit ihrer Infrastruktur unterstützen. Die Gewerkschafterin erinnerte daran, dass 1918 mehrere Hunderttausend Frauen in den Berliner Rüstungsbetrieben gestreikt und damit die Novemberrevolution unterstützt hätten.
Blockaden vor Rüstungsbetrieben
Zu den Sprechern auf der Podiumsdiskussion gehörte auch ein Vertreter der Organisation „Rheinmetall entwaffnen“. Er berichtete von Blockaden vor deutschen Rüstungsbetrieben. Man müsse verhindern, dass es Konzernen wie Rheinmetall gelinge, sich in der „politischen Mitte“ der deutschen Gesellschaft einzurichten. Man müsse ein Bewusstsein dafür schaffen, dass in Deutschland die Waffen hergestellt werden, mit denen in anderen Ländern getötet wird. Der Antimilitarist sagte weiter, seine Organisation sei politisch breit aufgestellt. Als gemeinsame Grundlage gelte die Devise des SPD-Reichstagsabgeordneten Wilhelm Liebknecht, „der Feind steht im eigenen Land“. Damit grenzte sich der Aktivist von den Strömungen in der radikalen Linken ab, die „Waffen für die Ukraine“ fordern, wie etwa die Hamburger Zeitung „Analyse und Kritik“.
Ein weiterer Teilnehmer der Podiumsdiskussion war Mark Ellmann, Mitglied in DKP und GEW. Er berichtete über erfolgreiche gewerkschaftliche Initiativen in Bayern zur Friedenspolitik. Zur AfD sagte Ellmann, viele Menschen hätten Illusionen über diese „völkische Partei mit einem faschistischen Flügel“. Die Friedenspolitik der AfD sei Demagogie. Demagogie habe „immer schon zur DNA von Faschisten“ gehört. Ein Zusammengehen mit der AfD in der Friedensfrage sei nicht möglich. Die AfD sei eine Alternative für das herrschende Monopolkapital.
Beifall für den Brief einer Inhaftierten
Ausdruck politischen Reife war, dass man sich auf dieser Konferenz auf die von Mainstream-Medien geforderten Abgrenzungsschwüre gegen radikale Linke verzichtete. Der Schauspieler Rolf Becker verlas einen Brief der inhaftierten Daniela Klette. Sie wird der Mitgliedschat der RAF verdächtigt und sitzt seit 2024 in Haft. Derzeit bereitet die Justiz einen Prozess vor. In dem Brief von Klette heißt es, der Prozess gegen sie sei ein Prozess gegen eine antikapitalistische, linksradikale, emanzipatorische Opposition, »gegen alle, die sich mit der Frage der Überwindung des Kapitalismus auseinandersetzen«. Sie freue sich über jegliche Solidarität und über jeden, der zu ihrem demnächst beginnenden Prozess komme. Während der Verlesung des Briefes gab es mehrmals Beifall.
Russland nicht vertreten
Ein Vertreter aus Russland sprach auf dieser Rosa-Luxemburg-Konferenz leider nicht. Das fand ich (Ulrich Heyden, Red.) betrüblich. Hatte dieser Umstand etwas mit den Bestrebungen des deutschen Staatsapparates zu tun, die Junge Welt zu kriminalisieren? Immerhin hatten auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2022 und 2023 noch zwei bekannte russische Kommunisten gesprochen, Dmitri Nowikow vom Zentralkomitee der KPRF und Nikolai Platoschkin von der Bewegung für einen neuen Sozialismus. (Anmerkung der Redaktion: Überraschend ist diese „Abwesenheit“ nicht. Auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist mittlerweile auf den in Deutschland immer schneller fahrenden Zug des Russenhasses aufgesprungen, wie ein auf ihrer Website publizierter Artikel – mit spürbarer Sympathie für Nawalny! – zeigt.)
Die Junge Welt hat eine öffentliche Kampagne gestartet und kämpft vor Gericht gegen ihre Erwähnung im Verfassungsschutzbericht. Angeblich versuche die Zeitung die Bevölkerung zu einem Umsturz a la Lenin aufzuwiegeln und einen „Einparteienstaat“ zu errichten. Junge-Welt-Verlagsleiter Dietmar Koschmieder widersprach auf der Konferenz der Behauptung des Verfassungsschutzes. Er sagte, die Junge Welt setze sich für Alternativen zum Kapitalismus ein. Nur weil die Junge Welt auf einem Kongress einmal eine „Lenin-Bar“ eingerichtet habe, könne man noch nicht schlussfolgern, dass sie einen Einparteienstaat wolle.
Das Gebot der Stunde
Dass eine Alternative zum Kapitalismus nötig ist, liegt meiner Meinung nach auf der Hand. Die Welt droht in ein Chaos zu versinken. Die herrschenden Klassen in den verschiedenen westlichen Ländern beginnen mit egoistischen Plänen, ihre Länder vor der wirtschaftlichen Rezession und Kollaps zu retten.
Viele Menschen haben erkannt, dass der Kapitalismus keine wirksamen Stoppschilder gegen einen Atomkrieg hat und noch nicht mal minimale Menschenrechte für Kinder und Alte während der Corona-Pandemie garantieren konnte. Impfzwang und Isolation hebelten Grundrechte aus. Es ist also nur logisch, dass ein Verfassungsschutz, der seine Hauptaufgabe darin versteht, die Besitzverhältnisse und die Vorherrschaft des Neoliberalismus zu schützen, mit zusammengeklaubten „Fakten“ alle Kapitalismus-Kritiker einzuschüchtern versucht. Gerade jetzt, wo große Teile der Bevölkerung noch für einen Ausgleich mit Russland und noch nicht so nationalistisch aufgeheizt sind, dass sie mit Hurra „für die Ukraine“ in den Krieg zu ziehen bereit sind, möchte man eine marxistische Tageszeitung mit Tradition und Einfluss kaltstellen.
Zum Autor Ulrich Heyden: «Seit 30 Jahren lebt und arbeitet Ulrich Heyden in Russland, einem Land, das sein Vater als Wehrmachtsoffizier überfallen hat. Die gänzlich unterschiedliche Wahrnehmung Russlands, dargestellt in der Familiengeschichte des Autors, zieht sich als roter Faden durch das Buch. Dazu kommt die Frage, wie es passieren konnte, dass ein großer Teil der systemoppositionellen 68er sowie die ehemals pazifistische Partei „Die Grünen“ zu den stärksten Befürwortern eines Kriegsgangs gegen Russland wurden. – Nach jugendlichen Ausbruchsversuchen aus einer konservativen Familie dockt Heyden in einer linken „K-Gruppe“ an, arbeitet in Hamburger Metallbetrieben, erlebt den Abgesang der 68er und entscheidet sich, Deutschland zu verlassen und als Journalist in der Ukraine und Russland zu arbeiten. Bereits seine erste Reise in die Sowjetunion Anfang der 1980er-Jahre fasziniert Heyden. Trotz Schocktherapie unter Boris Jelzin und dem Tschetschenienkrieg bleibt er in Russland … und bewundert, wie die einfachen Menschen ihr Überleben im Alltag selbst organisieren. – Seit 1992 ist Heyden als Journalist in Moskau tätig. 2001 wird er Moskau-Korrespondent der Sächsischen Zeitung, die ihn aber nach zwölf Jahren Zusammenarbeit in der Hochphase des Kiewer Maidan, über den der Autor skeptisch berichtet, kündigt. Nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine, die nach Meinung des Autors durch eine falsche Politik des Westens provoziert wurde, beendet auch der Freitag, für den er 30 Jahre lang tätig war, die Zusammenarbeit.» (Begleittext des Promedia-Verlages zum Buch von Ulrich Heyden «Mein Weg nach Russland».
Zum Bericht über die «Rosa-Luxemburg-Konferenz» auf der Plattform «Junge Welt»