Romeo und Julia in Izmir – oder: Wenn die russisch-deutschen „Winds of Peace“ wehen
Die deutsch-russische Jugendinitiative „Musik für den Frieden – Mузыка ради Mира“ hat unter dem Titel „Romeo und Julia – Frieden ist möglich“ im Spätherbst letzten Jahres eine west-östliche Liebesgeschichte verfilmt. Im türkischen Izmir.
Romeo heißt Michail Kirejew und Julia Anthea Sudhoff. Und Verona liegt nicht in Oberitalien, sondern in der Türkei. Genauer: in Izmir an der Ägäisküste. Es handelt sich, wir ahnen es schon dunkel, um eine zarte russisch-deutsche Liebesgeschichte in den Zeiten des Krieges. Dieses Krieges, der seit Februar 2022 im Osten Europas tobt.
Aber warum die Türkei? – Ganz einfach, weil sie in der heutigen Zeit von Krieg, Entfremdung, Visabeschränkungen, neuen Mauern und Stacheldraht einer der wenigen Orte ist, wo Russen und Deutsche sich noch vergleichsweise leicht und ungehindert treffen können! – Und was wurde dort genau veranstaltet? – Dahinter verbirgt sich eine etwas längere Geschichte …
„Besser ein Licht entzünden, als die Dunkelheit verfluchen!“
Vor fünf Jahren hatten sich Jugendliche aus Deutschland und Russland – das „Ensemble MIR“ („Mir“ bzw. Мир heißt „Frieden“) aus Südbaden und das „Jugendtheater PREMIER“ aus dem russischen Twer – zum Projekt „Musik für den Frieden – Mузыка ради Mира“ zusammengeschlossen. Bereits im Herbst 2019 konzertierten sie gemeinsam und live in Russland (Twer, Moskau) und Deutschland (Rheinfelden, Basel, Badenweiler, Freiburg). Russische und deutsche Medien berichteten begeistert. Auch während der Coronazeit ließ man sich von gemeinsamen Projekten nicht abbringen: Drei Musikvideos – u.a. unter dem Titel „Heal the World“ – wurden online über die Grenzen hinweg produziert und auf dem eigenen YouTube-Kanal veröffentlicht. Und am 11. September 2022, wurde der Initiative in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche der „Göttinger Friedenspreis“ verliehen.
Getreu dem Motto des Konfuzius: „Es ist besser, ein einziges kleines Licht zu entzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen“ macht das Ensemble auch, besser: gerade jetzt, zu Kriegszeiten trotzig weiter. Wenn auch unter erheblich erschwerteren Bedingungen. Die Jugendlichen weigern sich – exemplarisch für ihre beiden Länder –, sich gegenseitig als Feinde zu betrachten.
„Im Osten Europas und im Nahen Osten steht die Welt in Flammen. Leid und Elend bestimmen das tägliche Leben von vielen Millionen Menschen. Kann man als einfacher Bürger, als kleiner Verein diesem monströsen Geschehen etwas entgegensetzen? Oder ist das sinnlos?“ Das war die Ausgangsfrage von „Musik für den Frieden – Mузыка ради Mира“. Ihre Antwort: Ein gemeinsamer Musikfilm, eine ost-westliche Liebesromanze, die Assoziationen an Romeo und Julia anklingen lässt, gedreht in Izmir, an der türkischen Ägäisküste.
The making of …
Am Samstagabend, den 28. Oktober vergangenen Jahres, trafen sich zwölf Deutsche und fünfzehn Russen – das Ensemble MIR nach einem Flug aus Basel und das Jugendtheater PREMIER nach einem Flug aus Moskau – in Izmir, um für die folgenden zehn Tage an ihrem Musikfilmprojekt zusammenzuarbeiten. Bereits im Vorfeld waren die Organisatoren auf überwältigende Unterstützung auf lokaler türkischer Seite gestoßen, nicht zuletzt durch Rotary Clubs aus Izmir und das Peace Commitee des rotarischen Distriktes 2440. Ortskundige und gut vernetzte Rotary Mitglieder schlugen die schönsten und geeignetsten Drehorte vor und sorgten für die privaten und behördlichen Drehgenehmigungen. Durch diese Hilfe konnten Szenen des Filmes in einer historischen Karawanserei, im quirligen Bazar, an einem traumhaften Felsenort am Meer, im zentralen Bahnhof und auf dem Gelände einer alten Gasfabrik gedreht werden.
„Die türkische Bevölkerung“, berichtet der Leiter von ‚Ensemble MIR‘, Thomas Vogt, „sah neugierig und staunend den Filmaufnahmen zu. Häufig ergaben sich Gespräche mit durchweg positiven und zustimmenden Rückmeldungen über das Friedensprojekt. Mitarbeiter einer Veteranenorganisation zum Beispiel waren so begeistert von dem Projekt, dass sie Getränke und Süßigkeiten an das Filmensemble verteilten und sich mit allen Akteuren fotografieren lassen wollten. Bei der Aufnahme der Abschiedsszene von Romeo und Julia im Bahnhof weinten auf den Zug wartende Unbeteiligte aus Ergriffenheit mit.“
… „Romeo und Julia – Frieden ist möglich“
Ausgerechnet mit dieser Abschiedsszene beginnt der Musikfilm: Auf dem Bahnsteig läuft uns eine verzweifelt weinende junge Frau entgegen. Schnitt. Und in der nächsten Szene rennt ein junger Mann, ebenfalls auf einem Bahnsteig, hektisch suchend einen Zug entlang. Die zarte Romanze, die sich zwischen dem russischen Mann und der deutschen Frau im Laufe ihres zehntägigen Aufenthaltes jenseits des Kriegsgeschehens zwischen Chorproben und Tanzübungen für einen gemeinsamen Auftritt vor Ort, Basarbesuchen und abendlichen Strandspaziergängen in der neutralen Türkei entfaltet, wird im Film nur angedeutet. Immerhin schimmert durch, dass auf einmal nicht mehr nur die Romanze, sondern das gesamte Projekt auf Messersschneide steht, weil sich indessen über beiden Ländern etwas Dunkles zusammenbraut …
Im Laufe des Filmes verfließen die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion immer mehr. Spielen die beiden russisch-deutschen Protagonisten ihre traurig-schöne ‚Love Affair‘ nur oder findet sie realiter statt? Oder stimmt vielleicht beides?
All dies gruppiert sich um vier Songs, die bereits zuvor von Russen und von Deutschen für den Film geschrieben und komponiert wurden und von den Projektteilnehmern gesungen und an den ausgesuchten Orten tänzerisch inszeniert werden.
Vom „Wind of Change“ zu den „Winds of Peace“?
„Wir können uns die Zeiten nicht aussuchen“, heißt es im Abspann. „Wir leben hier und jetzt. Und wir haben keine Zeit für Hass und Streit. Nur für Liebe, Freundschaft und Frieden. Um der Welt davon zu erzählen, müssen wir mutig und stark sein. Wir müssen gehört, verstanden und unterstützt werden. Und wir wollen der Welt zurufen: Wir sind hier! Wir sind zusammen. Wir lassen uns nicht unterkriegen und lassen unsere Musik immer erklingen. Musik für den Frieden!“
Der Film endet mit einem hinreißenden selbstkomponierten Song in Endlosschleife, der das Zeug hat, zur Hymne einer neuen und jungen internationalen Friedensbewegung zu werden:
Winds of peace
We are ready
to set sail
to create a future
where the children of tomorrow
dream away
in the winds of peace
Wer hier spontan an eine gewisse Hymne aus Perestroika-Zeiten denken muss, könnte durchaus richtig liegen.
Die Filmpremiere mit kleinem Konzert, Projektvorstellung und Filmaufführung fand am 17. März 2024 um 19.00 Uhr in der Martinskirche Müllheim statt. Informationen zum Projekt auf der Homepage von „Musik für den Frieden“. Youtube: https://www.youtube.com/@musikfurdenfrieden-m8333
Dieser Artikel erschien erstmalig in der «Berliner Zeitung»
Siehe dazu auch «Musik für den Frieden – Mузыка ради Mира – ja, Frieden ist möglich – mit einem Brief an unsere Kinder!» (auf Globalbridge.ch)