Screenshot aus dem Propaganda-Video der «Hoover Institution» in den USA mit dem Titel «Why Russia Fights», einem der neusten und übelsten PR-Produkte der letzten Wochen.

Politik als «Puppentheater» und «nachgestellte Szene» 

Wir sind Zeitzeugen einer Entwicklung, in der die Medien nicht mehr berichten, was sich ereignet hat, sondern zunehmend selbst die Ereignisse produzieren, über die sie berichten.

In Bergamo sah man einen Konvoi von Militärlastwagen in der Dunkelheit. Nicht mehr und nicht weniger war auf dem Handy-Foto vom 18. April 2020 zu sehen. Und gerade, weil man nichts sah als Lastwagen, eignete sich dieses Foto als willkommene Projektionsfläche für Einbildungen und Horrorvisionen im Netz und in den Leitmedien. Unverzüglich entstand die Erzählung, in Bergamo gäbe es solche Berge von Corona-Leichen, dass man Militär für den Abtransport aufbieten müsse. In der verbreiteten Angst vor einem «Killervirus» wirkte das Bild wie eine starke Dosis Crack auf die Hirne der Süchtigen, und ein entfesselter Medienzirkus funktionierte als Brandbeschleuniger. 

Bald wurden Lockdowns, Ausgangsverbote, Schulschließungen und Maskenpflicht mit dem Satz begründet, den jeder Politiker und jede Politikerin zu rezitierten wusste: «Wollt ihr Zustände wie in Bergamo?» Der Anblick einer Beulenpest-Leiche im Venedig des 14. Jahrhunderts hätte keine grössere Massenpanik entfachen können als dieses Foto von ein paar Lastwagen. 

Julie Metzdorf, einer Journalistin des Bayrischen Rundfunks, ist die sorgfältige Recherche zu den Hintergründen des Phänomens Bergamo zu verdanken. Sie hat herausgefunden, dass die millionenfach kolportierte Story nicht stimmte: «Die Anzahl der Verstorbenen war damals nicht höher als bei manchen Grippewellen in Italien (Stand April 2020). (…) Um Fakten zu schaffen, beschloss man die sofortige Einäscherung der an COVID Verstorbenen. Normalerweise werden in Italien aber nur die Hälfte aller Verstorbenen eingeäschert. Deshalb reichten die Kapazitäten des Krematoriums in Bergamo nicht aus, und die Leichen mussten in umliegende Orte transportiert werden.»

«Sorgen Sie für die Bilder, ich sorge für den Krieg».

«Sorgen Sie für die Bilder, ich sorge für den Krieg», soll William Randolph Hearst seinem Reporter in Havanna telegrafiert haben. Der Zeitungs-Zar benutzte ab 1895 seine Yellow Press, um die USA auf Seiten Kubas in den Befreiungskrieg gegen Spanien zu treiben. Wobei «Befreiung vom spanischen Kolonialismus» bedeutete, dass die USA nach dem Abzug der Spanier die Wirtschaft der Insel weitgehend unter ihre Kontrolle brachten. 

Hearsts «New York Journal» sorgte für Horrormeldungen, die frappierend den Propaganda-Bildern ähneln, die in der Folge als symbolische Gemeinplätze in allen Kriegen des 20. Jahrhunderts verbreitet wurden und in unserem kulturellen Gedächtnis abrufbar sind. 

Die «vom Blutrausch befallenen» spanischen Soldaten erschlugen mit Vorliebe Babies, die sie ihrer Mutter entrissen hatten, – eine Propaganda-Fabel, die in folgenden Kriegen mit erzählerischen Varianten immer wieder zur Anwendung kam, um dem Feind seine Menschlichkeit abzusprechen. 

In der Ukraine sind es russische Soldaten, die «Kleinkinder vergewaltigen». Diese und andere Phantasien verbreitete Ljudmilla Denissowa, Menschenrechtsbeauftragte der Regierung in Kiew, als Tatsachen. 

Der amerikanische Journalist John R. MacArthur suchte 1991, wenige Woche nach dem Ende des ersten Golfkriegs, den ehemaligen kuwaitischen Minister und Universitätsprofessor Hassan al-Ibrahim in seinem Büro in Washington auf. Al-Ibrahim war der Sprecher einer vom Emirat Kuwait finanzierten Organisation, die sich «Citizens for a free Kuwait» nannte. Er wollte dem Journalisten Bilder von Gräueln zeigen, die irakische Soldaten in Kuwait begangen hatten. MacArthur berichtet, die Bilder seien «auf den ersten Blick entsetzlich» gewesen: «Zum Teil waren es dilettantische, unscharfe Aufnahmen von menschlichen Gestalten, die mit klaffenden Wunden übersät waren. Einigen dieser Gestalten hatte man metallene Schäfte in den Brustkorn getrieben und einige waren mit Riemen zusammengeschnürt.» 

PR-Agenturen für den Krieg

Aber irgendetwas stimmte nicht an den Fotos. Bei näherem Hinsehen erkannte MacArthur, dass «die menschlichen Gestalten in Wirklichkeit Puppen waren. Jemand hatte die angeblichen Folgen der irakischen Besatzung für Werbezwecke nachgestellt.» (MacArthur: Die Schlacht der Lügen. dtv. S.57)

Die Puppen waren Teil der Kampagne, die die PR-Agentur Hill & Knowlton im Auftrag der kuwaitischen Königsfamilie betrieb, um für ein militärisches Eingreifen der USA zugunsten von Kuwait zu werben, nachdem der Irak in Kuwait Ölfelder besetzt hatte, die er als «irakisches Territorium» reklamierte. 

Hill & Knowlton gelangte zu internationaler Bekanntheit durch die falsche Zeugenaussage der «Stagiaire Nayirah», eines 15-jährigen Mädchens, das im Oktober 1990 vor dem US-Kongress angab, sie habe mit eigenen Augen gesehen, wie irakische Soldaten Brutkasten-Babies die Schläuche herausrissen und sie «auf dem kalten Boden sterben ließen». 

Die hochemotionale Story war das Meisterstück in einer PR-Kampagne, die den US-Kongress veranlasste, grünes Licht für den Kriegseintritt der USA zu geben. Das Führungspersonal von Hill & Knowlton war eng verflochten mit der Regierung in Washington. Die falsche Story fand rasende Verbreitung in Medien rund um den Globus.

Amnesty International bestätigte die Geschichte zwei Monate später in einem 84-Seiten-Report über Menschenrechtsverletzungen der irakischen Besatzer in Kuwait. Amnesty erklärte darin, «300 Frühgeborene» seien auf die genannte Art von irakischen Soldaten getötet worden. Im März 1991 zog Amnesty den Bericht mit der Erklärung zurück, es gebe keine Beweise für die Wahrheit der Story. Aber da hatte der Krieg schon stattgefunden.

Was MacArthur in seiner Studie «Die Schlacht der Lügen» in vielen Details beschreibt, ist das Auseinanderklaffen zwischen den Berichten der lückenlos vom US-Militär kontrollierten «embedded journalists» und der Realität dieses Krieges, wie sie später aus internen Armeeberichten und Untersuchungen militärischer Experten hervorging. So war die neuartige «intelligente Bombe» ein dominierendes Thema, quasi der News-Hit, in den Medien. Wie die US Air Force nach dem Krieg bekanntgab, waren aber nur 7 Prozent aller amerikanischen Sprengsätze, die über dem Irak und Kuwait abgeworfen wurden, laser- und radargesteuerte Bomben. Die übrigen 93 Prozent waren konventionelle «dumme Bomben», die von hochfliegenden B-52-Bombern aus der Vietnam-Zeit abgeworfen wurden, und von denen drei Viertel das Ziel verfehlten.  

«Es darf nicht mehrere Wahrheiten geben»

MacArthurs Studie von 1993 zeigt quasi das Schnittmuster für die Herstellung einer Scheinwirklichkeit, wie sie in den folgenden Kriegen Gewohnheit wurde, – von den Balkankriegen über Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien bis zur Ukraine. Dazu gehört das Prinzip, dass Entstehung und Vorgeschichte eines Krieges in der öffentlichen Wahrnehmung ausgeblendet werden. Dieses Prinzip ist zwangsläufige Folge eines Denkens, welches eindeutige Erklärungen bevorzugt und jede Ambiguität auszuschließen trachtet.

Der Historiker und Arabist Thomas Bauer hat in seiner Studie über die «Vereindeutigung der Welt» ausgeführt, wie ein solches Denken funktioniert: «Wenn es nur eine Wahrheit gibt, dann muss diese überzeitlich gültig sein. Hat man zu bestimmten Zeiten bestimmte Dinge anders gesehen und anders interpretiert, könnten diese Sichtweisen und Interpretationen nur falsch sein, weil es andernfalls ja zwei Wahrheiten geben müsste».  

Somit begann der Krieg für die Medien mit der irakischen Invasion, die Vorgeschichte interessierte kaum. Damit waren Täter und Opfer festgestellt, und man konnte berichten, welcher Flugzeugträger ins Mittelmeer fuhr. Parallelen zum Ukraine-Krieg sind nicht zufällig, sondern Funktionen desselben Systems. 

Hätte man die Vergangenheit nicht ignoriert, wäre die andere Hälfte der Wahrheit sichtbar geworden. Der Irak warf Kuwait vor, irakische Ölquellen anzuzapfen, und es gab in dieser Hinsicht einen historischen Streit zwischen Irak und Kuwait um die Grenzziehung. Ferner warf der Irak Kuwait vor, die von der OPEC vereinbarte Fördermenge zu überschreiten und durch den folgenden Zerfall des Ölpreises dem hochverschuldeten Irak Milliardenschäden zu verursachen. Saddam Hussein fühlte sich stark genug für das Vabanquespiel der Invasion, denn er war ein Verbündeter der USA, und er glaubte, man habe ihm von Seiten Washingtons eine gewisse Duldsamkeit signalisiert. Er war vom Westen im achtjährigen Krieg gegen den Iran mit enormen Waffenlieferungen unterstützt worden, der Westen hatte sich in Öl bezahlen lassen.

Die Iraker unterbreiteten den USA ein Rückzugsangebot, in dem sie sich für die Palästinenser stark machten. PLO-Chef Yassir Arafat hatte in dem Konflikt vermittelt. So forderte Saddam Hussein unter anderem, dass sich israelische Truppen von den völkerrechtwidrig besetzten Gebieten Westbank, Gazastreifen und Golanhöhen zurückziehen sollten. Auch syrische Truppen sollten sich aus dem Libanon zurückziehen. Die USA lehnten dies ab und begannen am 16. Januar 1991 mit Unterstützung von NATO-Verbündeten die «Operation Wüstensturm».

Die permanente Illusion ist Normalität geworden. 

Die Problematik der artifiziellen Herstellung von «Realität» geht weit über «ermordete Puppen» und andere Einzelfälle hinaus. Vielmehr gibt es einen fliessenden Übergang von den Fällen bewusster, intendierter Fälschung hin zu einer Grauzone, in der die permanente Illusion von Realität gesellschaftlicher Konsens geworden ist. Die Medien scheinen das «Puppenspiel» einer Scheinrealität als neue Normalität akzeptiert zu haben.  

Wie anders wäre zu erklären, dass ein Mann, der offensichtlich erste Symptome von Altersdemenz zeigte und den Präsidenten Russlands einen «Killer» nannte, über Jahre hinweg von einer mächtigen PR-Maschinerie als tadellos funktionierendes Regierungsoberhaupt der USA in Szene gesetzt wurde? 

Noch kurz bevor er gezwungen wurde, als Präsidentschaftskandidat das Handtuch zu werfen, schrieb Joe Biden (also seine PR-Schreiber und Schreiberinnen) in den täglichen Spendenaufrufen, niemand werde ihn aus dem Rennen werfen. Er sei der Präsidentschafts-Kandidat bis zum Sieg über Trump.

Wie war es möglich, dass die führenden Medien das Spiel über Jahre mitspielten und erst Zweifel laut wurden, als die Wahrheit nicht mehr zu verbergen war? Von dem Moment an änderte sich schlagartig das Beuteschema der Medien. Die Kameras fokussierten nicht mehr auf den grossen Teufel Trump, sondern auf die zusammenbrechende Fassade des «Joe Biden for President». Vergessen war die tragische First Lady Jill, die in ihrem «Kampagnen-Shop» für ein paar Dollar Kaffeetassen mit dem Konterfei von Joe anbot.

Der amerikanische Journalist Patrick Lawrence zeigt am Beispiel des jüngsten NATO-Gipfels in Washington, wie neue Schein-Realitäten sich ausbreiten und wie die Medien die Wellen der Wasseroberfläche thematisieren, statt zu zeigen, wohin unter Wasser die Steine wandern, wie Bert Brecht einmal dichtete. Lawrence zitiert den ehemaligen CIA-Analysten Larry Johnson: 

«Das wichtigste politische Ereignis in diesem Jahr ist der NATO-Gipfel in Washington. Alle Staats- und Regierungschefs der westlichen Welt sind gekommen, aber nicht um über die Zukunft der NATO zu diskutieren, sondern um zu sehen, ob Joe Biden die Sitzungen überlebt, ohne sich in die Hose zu machen oder tot umzufallen. Das ist in etwa derselbe Grund, warum die Leute zu Autorennen gehen – sie warten auf den Crash. Es geht nichts über ein brennendes Autowrack, das den Adrenalinspiegel in die Höhe treibt.» 

Mit Pseudo-Ereignissen werden News gemacht

Gleichzeitig, so Lawrence, habe das mächtigste Militärbündnis der Welt «die westlichen Post-Demokratien soeben eingeschworen auf eine Ära des institutionalisierten Krieges, der globalen Gewalt und der Unordnung, und zwar ohne einen Plan, wie diese Ära beendet werden soll.» 

Von all dem sei in den Medien wenig zu lesen und zu hören gewesen, es sei wohl nichts Neues und daher kein News-Futter. Unsere «Informationsgesellschaft» driftet auf einen dystopischen Modus zu, in dem die News-Macher nicht mehr über die Ereignisse berichten, sondern die Ereignisse von den News-Machern gemacht werden. Das schrieb schon 1961 der amerikanische Historiker Daniel J. Boorstin in seinem Essay «The Image. A Guide to Pseudo-Events in America». 

Boorstin unterscheidet zwischen realen Ereignissen, z.B. einem Zugunglück, einem Erdbeben, und «Pseudo-Ereignissen», z.B. einer Pressekonferenz. Pseudo-Events sind mediale Inszenierungen. Wenn eine Aussenministerin Hillary Clinton vor laufenden Kameras sagt, sie habe «den Beweis, dass Gaddafi systematische Vergewaltigung von Frauen als strategische Waffe» einsetze, dann eröffnet sie damit eine Treibjagd, die Monate lang Futter für die Medien liefert. Diese machen aus einem Nichts ein grosses Thema und tragen damit zur Dämonisierung des libyschen Staatschefs bei, was wiederum dazu dient, den NATO-Bombenkrieg gegen Libyen zu rechtfertigen. Edward S. Herman und Noam Chomsky haben in «Manufactoring Consent» 1988 dargelegt, welche Faktoren wirken, um die herrschende Scheinrealität herzustellen. 

Daniel Boorstin zeigt an Beispielen aus der McCarthy-Ära, wie die morgendlichen Pressekonferenzen des US-Senators und Kämpfers gegen kommunistische Unterwanderung oft keinen anderen Inhalt boten als die Ankündigung wichtiger Informationen in einer späteren Presskonferenz am Abend. Was den Journalisten wiederum genug Stoff bot, um Spekulationen über die angekündigten wichtigen Informationen zu publizieren.    

Diese Art von Puppentheater ist mittlerweile perfektioniert worden. Die Schweizer Regierung organisiert das Pseudo-Event einer «internationalen Friedenskonferenz» auf dem Bürgenstock und die Schweizer Medien machen daraus eine grosse Sache, obwohl sie wissen, dass von Waffenstillstand oder Frieden keine Rede sein kann, weil Russland nicht geladen war und weil die NATO gleichzeitig erneut bekannt gibt, man werde in der Ukraine bis zum Sieg über Russland kämpfen. Aber alle sind auf dem Bürgenstock eifrig dabei und verkünden, es handele sich vielleicht nur um eine «Vorläufer-Friedenskonferenz» auf dem Weg zu einer wirklichen Friedenskonferenz, die vielleicht demnächst stattfinden könnte. Womit sie wiederum Stoff für Spekulationen und ihr eigenes Medienfutter generieren. Siehe McCarthy oben. 

Reader’s Digest als vorverdaute Weltanschauung

Im Golfkrieg 1991 verbreiteten die «eingebetteten Journalisten» ein Bild von Realität, welches die US-Armee für das konsumierende Publikum zurechtgeschneidert hatte. Die Medien lieferten weitgehend ein fertiges Take-away-Menü und taten damit nichts anderes als den Trend zur Simulation von Realität nachzuvollziehen, der von vielen Kultursoziologen für die Postmoderne diagnostiziert wurde. Jean Baudrillard wurde heftig kritisiert, als er in Hinsicht auf die Verzerrung der Wirklichkeit sagte: «Der Golfkrieg hat nicht stattgefunden.» Er war laut Baudrillard eine Simulation auf der «strategischen Bühne des Fernsehschirms» gewesen, ein Kampf um die besten Medienbilder und eine Art Videospiel mit komplexen Waffensystemen, wobei die Opfer am Boden aus der Perspektive der Lufthoheit aus dem Blickfeld verschwanden.

«Reader’s Digest» war Mitte des letzten Jahrhunderts das beliebteste Magazin in USA. Es beruhte auf der Ideologie, dass es für die Konsumenten zu mühevoll sei, Bücher oder Zeitungsartikel selbst zu lesen. Man bot ihnen ein «Digest», das heisst eine bereits vorverdaute Kurzfassung, die im Übrigen der pädagogischen Absicht der Verleger William Roy DeWitt Wallace und seiner Frau Lila Bell Wallace entsprach: Es galt, die Menschen vor dem Kommunismus zu schützen sowie die Vorzüge des «american way of life» zu verbreiten. Da wurde den Herzen und Hirnen ein Fertiggericht als Weltanschauung verabreicht, bevor die Leute Gelegenheit hatten, die Welt selber anzuschauen. Reader’s Digest wurde jeden Monat von mehr als 30 Millionen Amerikanerinnen und Amerikanern gelesen und weltweit in 13 Sprachen übersetzt. Es war sicher eine der effizientesten Ideologie-Maschinen des 20. Jahrhunderts

Bewegte Bilder bieten die technischen Möglichkeiten für eine noch konzentriertere Form des «Digest» von Wirklichkeit. Die Unterhaltungsindustrie hat unaufhörlich Spielfilme über historische Ereignisse und Figuren gemacht. In vielen Fällen wird dabei die dokumentarische Substanz auf blutige Schlachtenszenen und Lovestories à la Rosamunde Pilcher verkocht. Die Unterschiede zwischen Historienfilm, Science Fiction und Fantasy sind gleitend. Peter Dinklage, einer der Schauspieler von «Game of Thrones» sagte in einem Interview: «Niemand konnte ahnen, wie sehr die Serie den Zeitgeist treffen würde.»

Dokumentarfilme werden mehr und mehr mit «nachgestellten Szenen» illustriert, eine fragwürdige Technik des Storytelling. Fragwürdig, weil nicht klar ist, wo das Dokumentarische aufhört und wo die Phantasie und Ideologie der Autorin, des Autors die Oberhand gewinnen. Wenn ein Gespräch zwischen Hitler und Chamberlain in einem dokumentarischen Bericht als «nachgestellte Szene» geschauspielert werden kann, warum sollte dann ein Claas Relotius nicht auf die Idee kommen, ein Gespräch mit Jugendlichen in Syrien, das nie stattgefunden hat, als «nachgestellte Szene» für seine Reportage im «Spiegel» zu erfinden? Er müsste nicht einmal nach Syrien reisen, denn «man weiss ja, was in Syrien los ist». 

Die Wirklichkeit kommt uns in dem Mass abhanden, in dem die «nachgestellten Szenen» zunehmen. Man darf sich fragen, wo der Punkt erreicht ist, an dem die ganze Welt und unser Leben aus nachgestellten Szenen bestehen. Beim Anblick von verkabelten Menschen, die allerorten mit Ohrenstöpseln herumlaufen und auf einen Screen starren, könnte einem schwindlig werden bei der Vorstellung, dass eine Scheinwelt uns erfasst wie eine grosse Krake. Daniel Boorstin schrieb schon 1961, dass das «Image» stärker geworden sei als jede Wirklichkeit: 

«Rund um die Welt haben wir in unserem Denken eine Verschiebung vom Ideal zum Image realisiert. Und wir sind überall Opfer dieser Verschiebung geworden (…) Wir Amerikaner riskieren, das erste Volk der Geschichte zu werden, das fähig ist, seine Illusionen so lebhaft, so überzeugend, so ‘realistisch’ zu machen, dass wir in ihnen leben können.»

Ein Paradebeispiel für die propagandistische Effizienz von «Dokumentarfilmen» ist ein  Video der konservativen kalifornischen Denkfabrik Hoover Institution. «Why Russia fights» zeigt dem Betrachter mit animierter Grafik im Galopp und in einer Länge von exakt zwei Minuten die Geschichte Russlands vom Fall des Oströmischen Reiches 1453 bis zum Ukraine-Krieg 2024. Die Zeitraffer-Story ist ein Lehrstück mit der Moral: Der Russe wollte immer schon die Weltherrschaft, und deshalb muss er immerfort Krieg führen. Zweifellos eine hochprofessionelle Manipulation, die Millionen von Rezipienten im Visier hat, die weder die Bildung noch die Zeit haben, solche «Informationen» zu überprüfen. 

Die «User» der Medien: ein grosser Markt für PR.

Der Journalist Patrick Baab, bekannt durch seine Recherchen und Berichte aus Russland und der Ukraine, beschreibt in seinem Buch «Propagandapresse», wie die westlichen Medien seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine zum entscheidenden Eskalationstreiber geworden sind. Eine gigantische Propagandamaschine wurde in Gang gesetzt: 

«Eine ganze Armada von Mitarbeitern von Geheimdiensten, staatlichen Pressestellen, Lobbyorganisationen und Redaktionen waren Tag und Nacht mit der Steuerung der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion beschäftigt.»

Kamen in USA 1990 zwei PR-Mitarbeiter auf einen Journalisten, so waren es 2011 laut Baab schon vier, und derzeit wird das Verhältnis auf sechs zu eins geschätzt. Während in den Zeitungen und Rundfunkanstalten Stellen abgebaut werden, fliesst immer mehr Geld in Public Relations, deren Einfluss auf die Berichterstattung ein schwer vorstellbares Ausmass erreicht hat. Allein für das Pentagon arbeiten 27’000 PR-Spezialisten mit einem Jahresbudget von fünf Milliarden Dollar. Und man kann nur ahnen, welche Informationsmacht andere staatliche Medieneinheiten und staatlich finanzierte Denkfabriken, Geheimdienste oder PR-Stellen der Rüstungsindustrie haben. 

Der Soziologe Vance Packard publizierte 1957 seine legendäre Studie «Die geheimen Verführer». Darin analysiert er den Einfluss der Tiefenpsychologie auf die Werbetechniken und das Verhalten der Verbraucher. Er beobachtete damals, wie erstmals Werbefachleute in die Führungsgremien der beiden grossen politischen Parteien einzogen und Kandidaten für die Präsidentschaft als «Ware» angepriesen wurden, – wie Autoreifen, Deodorant oder Waschmaschinen. Wahlkampagnen wurden eine Sache der «Verkaufsförderung» und die Wählerschaft wurde «ein grosser Markt». 

Packard schrieb 1957 über «human engineering» die prophetischen Sätze: «Am Ende – so um das Jahr 2000 herum – wird vielleicht die ganze Tiefenmanipulation psychologischer Prägung liebenswert altmodisch erscheinen. Dann sind möglicherweise die Biophysiker mit ihrer Biokontrolle am Ruder, was einer bis ins letzte gehenden Tiefensteuerung gleichkommt.»

Dass Packard nicht falsch lag, als er das schrieb, beweist heute die intensive «transhumane» Forschung, die daran ist, einen Maschinenmenschen zu basteln, dessen Gehirn mit dem Computer verbunden ist. Wenn künstliche Intelligenz unsere Realitätswahrnehmung gestaltet und unsere Entscheidungsfindung kontrolliert, werden die Orwellschen «Wahrheitsministerien» Realität geworden sein. Dann wird es nur noch eine Wahrheit geben.