Mukatschewo in Transkarpatien im Januar 2014 (Foto Christian Müller)

Nicht Putin, «die Russen» sind schuld! Wirklich?

(Red.) Auch das Schweizer Radio findet immer «Experten», die die Thesen vertreten, «Russland», «die Russen» oder «die russische Gesellschaft» seien schuld am Krieg in der Ukraine. Die Vorgeschichte des Krieges wird verschwiegen. Die Rollen der USA und der NATO, etwa das Verlangen Russlands nach einer Sicherheitsgarantie heute vor einem Jahr, werden verschwiegen. Die Rolle «der Ukraine» und «der Ukrainer» aber wird verherrlicht. Und nicht zuletzt die – vermeintliche – Differenz zwischen den obrigkeitsgläubigen Russen und den klugen und selbständig denkenden Ukrainern wird hochgespielt. – Hier ein Beispiel.

Auch ein «Philosoph» kann die Geschichte manipulieren. Das Schweizer Radio, konkret der ehemalige Russland-Korrespondent David Nauer, macht ein Interview mit dem Kiever «Philosophen» Wolodymyr Ermolenko, einem der «wichtigsten Intellektuellen» der Ukraine. Und was ist die Essenz dieses Interviews? Die «russische Gesellschaft» ist schuld am Krieg, weil sie an die Regierung glaubt. Die Ukrainer aber sind keine Russen, sie haben ihre «eigene Identität».

Wirklich?

Warum redet man nicht mit einem Historiker, der die Geschichte der Ukraine kennt und bereit ist, sie ehrlich aufzuzeigen? Dann nämlich müssten folgende Fakten erwähnt werden:

– Stalin war kein Russe, sondern ein Georgier.

– Stalins Nachfolger Chruschtschow war zwar in Russland geboren, aber weil sein Vater in die Ukraine umzog, um dort arbeiten zu können, wuchs er in der Ukraine auf. Seine ganze politische Karriere basierte auf seinem Aufstieg in der Ukraine.

– Chruschtschows Nachfolger Leonid Breschnew, als Generalsekretär der KPdSU und später Präsident des Obersten Sowjets und vierfacher «Held der Sowjetunion» von 1964 bis 1982, 18 Jahre lang, de facto sowjetischer Staatschef, war in der Ukraine geboren und war ukrainischer Nationalität.

– Die Ukraine in den heutigen Grenzen war nie eine «Nation». Die Krim, die von Kiev immer noch als Teil der Ukraine bezeichnet wird, war ein Teil Russlands. Ein großer Teil Galiziens, der Region um Lwow (zu deutsch Lemberg), und ein Großteil Wolhyniens im Nordwesten der heutigen Ukraine, gehörten lange zu Polen. Die Region Transkarpatien, ebenfalls im Westen der Ukraine, aber mehr südlich mit den Städten Uschhorod und Mukatschewo, wollte nie Teil der Ukraine sein.

– Es gibt in der Ukraine mehrere Kirchen mit orthodoxem Ritual, eine mit dem Patriarchen in Moskau, eine mit dem Patriarchen in Kiev, eine mit dem (katholischen) Oberhaupt in Rom, dem Papst. (Jene mit dem Patriarchen in Moskau wurde eben von Selenskyj verboten.)

– Der heutige Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj, der nichts gegen die staatsbeherrschende Korruption unternommen hat, hat aber jede Menge von Institutionen, die ihm nicht wohlgesinnt waren, Parteien und Medien zum Beispiel, schon vor dem Angriff der Russen verboten! Weil man in der Ukraine selber denken darf?

Ein Beispiel nur: Transkarpatien, das nie zur Ukraine gehören wollte

Transkarpatien, die Region um die beiden Städte Uschhorod und Mukatschewo mit immerhin 1,3 Millionen Einwohnern, gehörte bis zum Ende des Ersten Weltkrieges zum Königreich Ungarn. Nach dem Ersten Weltkrieg, 1919, wurde diese Region aber – ungefragt – dem neuen Staat Tschechoslowakei zugeteilt und erlebte danach eine wirtschaftlich recht positive Periode, denn der tschechoslowakische Präsident Masaryk investierte in die Region, baute Schulen, baute Fabriken, baute Brücken.

Als Hitler 1938 Tschechoslowakien vereinnahmte, verschenkte er Transkarpatien wieder an Ungarn, das ja Hitler zur Seite stand.

1945, nach der Niederlage Hitler-Deutschlands und mit ihm Ungarns, fiel Transkarpatien an die Sowjetunion. Das war, wie ältere Einwohner in Transkarpatien sich noch gut erinnern, keine besonders schöne Zeit (notabene auch nicht in der Zeit von 1964 bis 1982, als der Ukrainer Leonid Breschnew die Sowjetunion dirigierte).

1991, anlässlich der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine, kam Transkarpatien zur Ukraine. Eine dabei von Kiev versprochene Autonomie – zum Beispiel die Pflege der dortigen ruthenischen (russinischen) Sprache – wurde von Kiev nie eingehalten.

Die Einwohner Transkarpatiens, also zum Beispiel der Städte Uschhorod und Mukatschewo, erlebten also in weniger als 100 Jahren fünfmal – fünfmal ! – eine Neuzuteilung ihrer Region zu einem anderen Staat – ohne eigene Mitsprache, ohne dazu auch nur befragt zu werden. Als der Autor dieser Zeilen, Christian Müller, im Januar 2014 Transkarpatien bereiste, hörte er zigmal, was da in Kiev auf dem Maidan gegenwärtig ablaufe, interessiere hier nicht, man habe sich nie mit Kiev identifiziert, man würde auch heute noch am liebsten wieder zur Slowakei gehören. Um politisch selbständig zu werden sei Transkarpatien aber leider zu klein.

Aber der Kiever «Philosoph» Wolodymyr Ermolenko weiss, dass «die Ukrainer» eine «eigene Identität» haben. Und natürlich passt seine Ansicht in die Sicht der westeuropäischen und US-amerikanischen Medien: Ukraine – die Ukrainer – gut, Russland – die Russen – böse.

Klara Balog, international bekannte Volkstanz-Spezialistin, geboren 1928, im Jahr 2014 in ihrer Wohnung in Uschhorod: «In der Schule lernte ich damals noch Tschechisch. Es war eine gute Zeit. Als Tomas Masaryk 1937 starb, war hier ein schwarzer Tag. Auch meine Mutter trug damals schwarze Kleider.» Klara Balog erlebte viermal, wie ihre Heimat Transkarpatien von anderen Mächten einem anderen Staat zugeteilt wurde. (Foto Christian Müller)