Nicht gegen den Westen, aber ohne ihn – der erfolgreiche Abschluss des Eastern Economic Forum EEF
(Red.) Es gibt nicht nur das «World Economic Forum» WEF, das jedes Jahr in Davos in der Schweiz stattfindet, es gibt seit etlichen Jahren auch das «Eastern Economic Forum» EEF, das ebenfalls jedes Jahr in Wladiwostok im äussersten Osten Russlands stattfindet. Dieses Jahr wurden dort mehr wirtschaftliche Verträge abgeschlossen denn je, trotz den stets zahlreicher werdenden Sanktionen des Westens gegen Russland. Die westlichen Medien mögen darüber nicht berichten, wohl aber unser Korrespondent in Russland, Stefano di Lorenzo, der selbst nach Wladiwostok reiste und als Berichterstatter für Globalbridge.ch akkreditiert war. Hier sein (zweiter) Bericht. (cm)
Am 6. September ging das Eastern Economic Forum EEF zu Ende. Dieses fand 2024 zum neunten Mal in Wladiwostok, der Hauptstadt des russischen Fernen Ostens und Endstation der berühmten Transsibirischen Eisenbahn, statt. Im Allgemeinen war es eine Veranstaltung, die wenig Aufmerksamkeit seitens der westlichen Öffentlichkeit und Presse auf sich zog. Das ZDF, vielleicht die einzige Ausnahme in der deutschsprachigen Medienlandschaft, widmete dem Eastern Economic Forum einen kurzen Bericht — ganze 21 Sekunden. Nur sehr wenige westliche Journalisten waren bei der Veranstaltung anwesend; man hätte sie wahrscheinlich an den Fingern einer Hand abzählen können. Das russische Fernsehen hingegen schien tagelang über nichts anderes zu berichten. Aber die Welt dreht sich heute nicht mehr um den Westen.
Eine Veranstaltung dieser Art ist in erster Linie eine Gelegenheit für Regierungen und große Unternehmen aus verschiedenen Ländern, einander zu treffen, wirtschaftliche Vereinbarungen zu verfolgen und Verträge in einem feierlichen Rahmen zu unterzeichnen. Das offizielle Ergebnis des russischen Eastern Economic Forum sind 258 unterzeichnete Verträge im Wert von 5.400 Milliarden Rubel, was nach dem heutigen Wechselkurs etwa 54 Milliarden Euro entspricht. Dies ist der höchste Wert seit der Eröffnung des Eastern Economic Forum im Jahr 2015. Und das, obwohl zwei große Akteure wie Japan und Südkorea, traditionell für die Wirtschaft und Entwicklung des russischen Fernen Ostens sehr wichtige Länder, diesmal gar nicht dabei waren.
Unternehmen und Investitionen
Die unterzeichneten Abkommen betreffen den Bau neuer Großunternehmen in verschiedenen Regionen des Landes, darunter beispielsweise neue Atomkraftwerke und ein großes Holzverarbeitungswerk in der Region Sachalin. Darüber hinaus wurde eine Vorzugsregelung für ausländische Investoren eingeführt. Der russische Präsident Putin forderte die Regierung und die Staatsduma auf, die Verabschiedung des Gesetzes über so genannte „Internationale Fortgeschrittene Entwicklungsgebiete“ (auf Russisch MTOR) zu beschleunigen. Das erste dieser Gebiete soll in dem Primorskij Kraj, dem Gebiet Wladiwostok, eingerichtet werden. Für die hier ansässigen Unternehmen werden besondere Bedingungen gelten: Steuervergünstigungen, keine Beschränkungen für den Kapitalanteil ausländischer Investoren und die Möglichkeit, Informationen über das Unternehmen nicht öffentlich zu machen, um es vor Sanktionen zu schützen. Laut Putin haben insbesondere China und Belarus Interesse an dieser Initiative gezeigt.
In Wladiwostok gab es bereits eine Sonderverwaltungsregion mit günstigen Wirtschaftsbedingungen, und zwar auf der Russki-Insel, wo das Eastern Economic Forum stattfand. Die Insel, die offiziell zur Stadt Wladiwostok gehört, ist nicht sehr dicht besiedelt, nur 10.000 Menschen leben dort, meist Studenten, die auf dem Universitätscampus wohnen. Berichten zufolge hatten bereits mehr als 100 Unternehmen von der Initiative Gebrauch gemacht, darunter auch solche, die ihren Standort aus dem Ausland verlegt haben. Dank dieses Projekts seien mehr als 5,5 Billionen Rubel (55 Milliarden Euro) aus dem Ausland nach Russland zurückgekehrt.
In den vergangenen 12 Monaten hat der Föderationskreis Ferner Osten Investitionen in Höhe von 800 Milliarden Rubel (etwa 8 Milliarden Euro) angezogen. In den letzten 10 Jahren flossen insgesamt 4,2 Billionen Rubel oder etwa 42 Milliarden Euro an privaten Investitionen in die fernöstliche Wirtschaft. Die Investitionen sollen jedes Jahr um 10% gewachsen sein und damit doppelt so stark wie im nationalen Durchschnitt.
Auf dem EEF wurden weitere wichtige Projekte angekündigt, darunter die Vereinbarung zwischen der «Far East and Arctic Development Corporation» (FEDC), VEB.RF, einer staatlichen russischen Entwicklungs- und Investitionsgesellschaft, und Azot, einem der größten russischen Hersteller von Stickstoffdünger. Ziel der Vereinbarung ist die Erkundung des Investitionsprojekts „Vorkuta Chemical Complex“ in der russischen Arktis, das Investitionen in Höhe von 200 Milliarden Rubel (rund 2 Milliarden Euro) anziehen soll.
Während der Plenarsitzung nannte der russische Präsident Putin eine Reihe von Entscheidungen, die für die fortgeschrittene sozioökonomische Entwicklung des Fernen Ostens besonders wichtig sein sollen. Dazu gehört die Festsetzung des Zinssatzes für subventionierte Hypothekenkredite für Bewohner des Fernen Ostens und der arktischen Regionen auf 2% bis 2030. Eine weitere wichtige Entscheidung betrifft die Bereitstellung von zusätzlichen 100 Milliarden Rubel für den Zeitraum 2025-2030 für die Entwicklung der Städte im Fernen Osten und in der Arktis. Man will auch die Entwicklung des Energieversorgungsprogramms für den Fernen Osten bis 2030 beschleunigen.
Die Entwicklung des Ostens als patriotische Mission
Auf dem Eastern Economic Forum wurde jedoch nicht nur über die Wirtschaft gesprochen. Eine der Sektionen der geplanten Diskussionen war dem Thema „Menschen, Bildung und Patriotismus“ gewidmet. Ein Titel, der für die Sensibilität vieler Westeuropäer, die sich daran gewöhnt haben, jede Form von Patriotismus, ja schon das Wort „Patriotismus“ mit gefährlichen faschistoiden Tendenzen in Verbindung zu bringen, vielleicht zu „völkisch“ ist. Aber Russland hat heutzutage eindeutig eine ganz andere Sensibilität als Europa, und Patriotismus ist hier keineswegs etwas, wofür man sich schämen muss. In den letzten Jahren sind Gefühle des Patriotismus in Russland – in einer gewissen Hinsicht paradoxerweise – sogar noch gewachsen. Und zwar nicht als Folge von Propaganda, sondern eher als psychologische Reaktion auf das, was viele Russen als mangelnden Respekt seitens des Westens ihnen gegenüber empfanden.
Juri Trutnew, Bevollmächtigter des Präsidenten der Russischen Föderation im Föderationskreis Fernost, betonte in seiner Zusammenfassung der Ergebnisse des Forums die Bedeutung eines Abkommens zwischen dem Bildungsministerium der Russischen Föderation und dem Zentrum für militärische Sportausbildung und patriotische Erziehung WOIN. „WOIN wird sich um die Entwicklung von Lehrmethoden und vor allem um die Ausbildung von Lehrern kümmern, die die militärische Grundausbildung in allen Schulen Russlands unterrichten werden. Auf diese Weise werden wir unser Land insgesamt stärker machen“, sagte der stellvertretende Ministerpräsident.
„Das Forum hat nicht nur stattgefunden, sondern sich als Erfolg erwiesen. Dies zeigt sich an der Zahl der unterzeichneten Verträge, ihrem Umfang und vor allem an der Zahl der vom Präsidenten getroffenen Entscheidungen. Ich möchte noch einmal betonen, dass das EEF für uns nicht nur eine große Veranstaltung ist. Für uns ist das Forum ein Instrument, das Möglichkeiten für die weitere effektive Arbeit an der Entwicklung des Fernen Ostens schafft“, sagte Trutnev.
Der russische Präsident Putin setzte die geostrategischen Prioritäten in klarer Sprache. „Wir haben die Entwicklung des Fernen Ostens zu einer nationalen Priorität für das 21. Jahrhundert gemacht. Die Wichtigkeit und Richtigkeit dieser Entscheidung wird durch das Leben selbst, durch die Herausforderungen der letzten Zeit bestätigt und durch die objektiven Trends, die sich in der Weltwirtschaft durchsetzen, wenn die wichtigsten Handelsverbindungen, Handelswege und generell der gesamte Entwicklungsvektor zunehmend auf den globalen Osten und Süden ausgerichtet werden. Unsere fernöstlichen Regionen bieten einen direkten Zugang zu diesen vielversprechenden und wachsenden Märkten und ermöglichen es uns, die Barrieren zu überwinden, die einige westliche Eliten der Welt aufzuerlegen versuchen. Und vor allem, wie ich bereits gesagt habe, ist unser Ferner Osten ein riesiger Raum für unternehmerische Initiativen, für die Einleitung komplexer Projekte und die Schaffung ganz neuer Industrien“, sagte Wladimir Putin.
Nicht gegen den Westen, sondern ohne den Westen
Xi Jinping, der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas und Präsident der Volksrepublik, besuchte das Eastern Economic Forum in Wladiwostok nicht. Er überließ diese Aufgabe dem Vizepräsidenten Han Zheng. Zwischen dem 4. und 6. September war Xi in China damit beschäftigt, als Zeremonienmeister des Forums für die Zusammenarbeit zwischen China und Afrika (FOCAC) zu fungieren. An dem Treffen nahmen die Staats- und Regierungschefs von 50 Ländern, nicht nur aus Afrika, teil. China versprach bei dieser Gelegenheit, mehr als 50 Milliarden in Afrika zu investieren, und zeigte seine Absicht, sich als führende Nation des so genannten globalen Südens zu positionieren.
Ein globaler Süden, der zwar noch keine feste Identität hat, dessen Bewusstsein sich aber längst herausgebildet hat. Die informelle Organisation der BRICS hat in dieser Hinsicht sicherlich geholfen. Und natürlich wurde in Wladiwostok auch viel über BRICS gesprochen. Der russische Politikwissenschaftler Dmitri Suslow stellte im Rahmen einer Diskussion über die Erweiterung der BRICS fest, dass diese Erweiterung die Unumkehrbarkeit der multipolaren Entwicklung zeige.
„Es gibt zwei alternative Wege der weiteren Entwicklung. Der erste Weg, den ich für den besseren halte, besteht darin, die Intensität der Zusammenarbeit beizubehalten und sogar noch zu steigern und die BRICS zum wichtigsten Motor und zur wichtigsten Institution der Global Governance und der Reform der Global Governance im Interesse der Weltmehrheit, im Interesse der Entwicklungsländer der Welt, zu machen. Die BRICS müssen die Avantgarde der Weltmehrheit werden“, so der russische Politikwissenschaftler.
Laut dem russischen Politologen seien drei Hauptziele erforderlich. „Das erste ist die Konzentration auf Fragen der Global Governance, insbesondere im Bereich der Finanzen und der Schaffung eines neuen Abrechnungssystems zwischen den Ländern, die Verringerung der Rolle des Dollars und vor allem die Schaffung eines neuen Abrechnungsmechanismus, der von den USA und dem westlichen System im Allgemeinen unabhängig ist“, so der Experte.
„Der zweite Punkt ist die Stärkung der Flexibilität der BRICS in der Agenda und bei den Kooperationsprojekten zwischen den Ländern des Verbandes. Der dritte Punkt ist die Verlangsamung des Expansionsprozesses. Es geht nicht darum, den Expansionsprozess zu stoppen, sondern ihn zu verlangsamen und sich in erster Linie auf die Stärkung der partnerschaftlichen Beziehungen zwischen den BRICS und den anderen Ländern der Weltmehrheit zu konzentrieren.“
„Die BRICS müssen ein neues Ökosystem von Handels-, Wirtschafts- und Finanzbeziehungen in der Welt bilden — nicht gegen den Westen, sondern ohne ihn.“
Zum ersten Bericht von Stefano di Lorenzo über das EEF: «Worüber der Westen nur ungern spricht – das Eastern Economic Forum EEF in Russland»
Zur vollständigen Rede von Präsident Putin am EEF, in englischer Sprache, inkl. gestellte Fragen und Putins Antworten.
Und hier zur deutschen Übersetzung auf Anti-Spiegel (von Globalbridge.ch nicht kontrolliert)