Libanon im Visier – Zuckerbrot und Peitsche für den Zedernstaat
(Red.) Katrin Leukefeld, die deutsche Journalistin, die viele Jahre in Damaskus gelebt hat und von dort aus auch das Geschehen im angrenzenden Libanon aus nächster Nähe beobachtet und durch zahlreiche auch längere Aufenthalte miterlebt hat, beschreibt hier, wie die neuste Politik der USA darauf abzielt, den Libanon zu einem willfährigen Vasallen-Staat zu machen. Es ist die erklärte Absicht der USA unter Präsident Donald Trump, den Nahen Osten nach eigenen Vorstellungen – und natürlich im Einverständnis mit Israel – neu zu „ordnen“. (cm)
Die Regierung des Libanon hat die libanesische Armee angewiesen, bis Ende des Jahres 2025 die Hisbollah zu entwaffnen. Nach einer kontroversen Debatte stimmte die Regierung von Ministerpräsident Nawaf Salam für einen von Tom Barrack, dem US-Sonderbeauftragten für Libanon, vorgelegten vier Stufenplan. Die Entscheidung ignoriert eine Reihe von Regeln und Gesetzen, die seit dem Ende des Bürgerkriegs (1975-1990) dem politischen System des Landes einen Rahmen gegeben hatten. Nachzulesen ist das im Taif-Abkommen aus dem Jahr 1989. Dazu gehört auch, dass Entscheidungen von nationaler Reichweite im Konsens mit allen religiösen Gruppen im Land, d.h. mit Christen und Muslimen und jeweiligen Strömungen getroffen werden müssen. Konkret ist die politische Macht im Libanon unter (maronitischen) Christen, sunnitischen Muslimen und schiitischen Muslimen aufgeteilt. Die Hisbollah, die nun entwaffnet werden soll, ist eine Organisation der schiitischen Muslime, erhält aber weit über das Lager hinaus Unterstützung. Sie ist in der Regierung und im Parlament vertreten.
Die Minister der Hisbollah und der schiitischen muslimischen Amal Bewegung hatten vergeblich gegen die Befassung des US-Plans protestiert und verließen schließlich vor der Abstimmung am Donnerstag (8.8.2025) den Raum. Sie warfen Ministerpräsident Salam vor, eine Vereinbarung, die Präsident Joseph Aoun und Parlamentssprecher Nabih Berri mit Hisbollah und Amal gefunden hatten, zu torpedieren. Salam erklärte, es gebe keine Alternative zu dem US-Plan, er werde aus dem Ausland enorm unter Druck gesetzt. Wenn man den Forderungen der USA nicht nachkomme, sei der Libanon in Gefahr.
Die Hisbollah, die sich – entsprechend der UNSR 1701 – aus dem Gebiet südlich des Litani weitgehend zurückgezogen hat, betonte, sie werde ihre Waffen und damit ihre Option, Libanon gegen Israel zu verteidigen, nicht abgeben. Das gelte so lange, wie Israel weiter angreife und zerstöre, libanesische Bürger töte und libanesisches Territorium besetzt halte. Man sei mit Präsident Joseph Aoun in Verhandlung, um eine Konsenslösung zu finden. Mit der libanesischen Armee werde man zusammenarbeiten, einen Zeitplan lehnt die Hisbollah aber ab.
Kritiker verweisen darauf, dass der Libanon mit dieser Entscheidung de facto seine Souveränität verloren habe. Die USA und Israel hätten mit einem Gemisch aus politischen, finanziellen und militärischen Druckmitteln die Kontrolle über das Land übernommen. Saudi-Arabien habe vor der Entscheidung in zahlreichen Gesprächen mit Parteien direkten Druck auf die Politiker ausgeübt. Nach dem Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“ sollten diejenigen belohnt werden, die dem US-Plan folgten. Dieser Plan sieht vor, die Länder der Region politisch zu entmachten, militärisch zu entwaffnen und sie zu zwingen, ihre Beziehungen mit Israel zu „normalisieren“.
Wer sich nicht beugt, wird militärisch und wirtschaftlich mit Sanktionen zerstört.
Die Vorgeschichte (2006 ff)
Die Forderung nach der Entwaffnung der libanesischen Hisbollah geht zurück auf die UN-Sicherheitsratsresolution 1701, mit der im August 2006 der Krieg zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah beendet wurde. Die Resolution sieht die Stationierung der libanesischen Armee (LAF) und der UN-Friedensmission im Libanon (UNIFIL) südlich des Flusses Litani vor. Die israelische Armee (IDF) und die (bewaffneten Kräfte der) Hisbollah müssen sich zurückziehen. Die Resolution wurde 2006 einstimmig von allen UN-Sicherheitsratsmitgliedern angenommen.
Die Resolution stellt fest, dass im Libanon sämtliche Waffen ausschließlich unter der staatlichen Kontrolle der libanesischen Armee sein müssen. Mit anderen Worten: nichtstaatliche Akteure wie die Hisbollah müssen die Waffen abgeben. Das geschah nach 2006 nicht. Dennoch wird die Zeit zwischen 2006 und Oktober 2023 von UNIFIL-Sprecher Andrea Tenenti (im Gespräch mit der Autorin, Juni 2025 in Naqoura) als die ruhigste Zeit entlang der „Blauen Linie“ beschrieben. Als wesentliches Instrument der Deeskalation beschrieb Tenenti die Einrichtung eines Dreiparteien-Gesprächsmechanismus zwischen Libanon, Israel und UNIFIL, bei dem unmittelbar alle Konflikte und Unstimmigkeiten behandelt werden konnten.
Die Lage änderte sich mit dem Angriff palästinensischer Organisationen aus dem Gaza-Streifen auf Israel und Beginn eines weiteren Krieges von Israel gegen den palästinensischen Gaza-Streifen am 7. Oktober 2023. Die Hisbollah schaltete sich in den Konflikt gegen die israelische Armee ein, um einen Waffenstillstand im Gaza-Streifen zu erreichen. Die israelische Armee wiederum griff den Libanon an. Von September 2024 bis Ende November 2024 entbrannte ein vollständiger Krieg zwischen Hisbollah und Israel, der am 26. November 2024 mit einer von den USA und Frankreich vermittelten Waffenruhe endete. Grundlage dieser Waffenruhe ist erneut die UNSR 1701, allerdings ist die Rolle von UNIFIL zurückgestuft, wie UNIFIL-Sprecher Tenenti gegenüber der Autorin erklärte. Die Waffenruhe werde nun von einem Militärrat überwacht, dem Libanon, Israel, Frankreich und USA angehörten, die USA habe den Vorsitz. UNIFIL habe lediglich eine Art Beobachterstatus, so Tenenti.
Entsprechend der UNSR 1701 ist ausschließlich die libanesische Armee autorisiert, die Waffen der Hisbollah südlich des Litani sicherzustellen. Während die Hisbollah bis auf wenige Male zu Beginn der Waffenruhe im Dezember 2024 keinerlei militärische Aktivitäten gegen Israel durchführt, hält Israel die Waffenruhe von Anfang an nicht ein. Mehr als 4000 Mal hat die israelische Armee überall im Libanon, auch wieder in Beirut, angegriffen, die Zahl der von Israel getöteten Libanesen beträgt unterschiedlichen Nachrechnungen zufolge bis zu 280 Personen. Israel hält fünf strategische Hügel im Südlibanon besetzt und hat diese Positionen jeweils mit einer Pufferzone umgeben, in die weder die libanesische Armee noch Libanesen kommen können, die in ihre Dörfer zurückkehren wollen. Israel gibt an, von den USA „grünes Licht“ zu haben, jede Gefahr für die eigene, israelische Bevölkerung im Libanon ausschalten zu können. Die mehr als 4000 Angriffe werden von Israel damit begründet, man habe Hisbollah Abschussrampen, Waffenlager, Waffentransporte und/oder Produktionsstätten für Drohnen oder andere Waffen zerstört. Beweise werden nicht vorgelegt. Die Zerstörungen von mehr als 800 Häusern in den südlibanesischen Dörfern – nach Beginn der Waffenruhe – werden mit „der Sicherheit Israels“ begründet.
Bis zum 4. August 2025 wurden nach Auskunft von UNIFIL–Sprecher Tenenti (gegenüber einem libanesischen Fernsehsender) 302 Lager der Hisbollah mit Waffen, Munition, Anti-Panzerminen, Raketen und Raketenabschussrampen und anderem militärischen Material im Südlibanon sichergestellt. Auch ein Tunnelnetzwerk sei gefunden worden. Bereits im Juni hatte der libanesische Ministerpräsident Nawaf Salam dagegen erklärt, die libanesische Armee habe mehr als 500 Waffen- und Munitionslager im Südlibanon sichergestellt.
Die neue Regierung
Seit den letzten Parlamentswahlen 2022 war Libanon ohne Präsident. Ministerpräsident Najib Mikati war geschäftsführend im Amt. Alle Entscheidungen musste Mikati mit der Regierung treffen, ein langwieriger Prozess, der Reformen nicht zuließ.
Nach zahlreichen politischen und regionalen Veränderungen – Krieg gegen Gaza seit Oktober 2023, zeitgleich Krieg Israels gegen die Hisbollah im Libanon, gezielte Tötung der führenden Verantwortlichen der Hisbollah, einschließlich Generalsekretär Hassan Nasrallah (September 2024), Waffenruhe unter Vermittlung der USA und Frankreichs zwischen Libanon und Israel und nahezu zeitgleich der Umbruch in Syrien Ende November/Anfang Dezember 2024 – konnten Israel und die USA ihren Einfluss im Libanon ausweiten. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu kündigte „Krieg an sieben Fronten an“ und sprach von der „Neuordnung des Mittleren Ostens“.
Erstmals hatte die frühere US-Außenministerin Condoleezza Rice darüber gesprochen. Als sie 2006 während des Libanonkrieges den israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert aufforderte, sich nicht auf eine Waffenruhe einzulassen, bezeichnete sie den Krieg als Teil der „Geburtswehen eines neuen Mittleren Ostens“.
Im Januar 2025 einigten sich die Abgeordneten im libanesischen Parlament, Joseph Aoun zum neuen Präsidenten des Libanon zu wählen. Im Februar wurde der langjährige libanesische UN-Botschafter (2007/17) und Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag (2017/24), Nawaf Salam, zum neuen Ministerpräsidenten gekürt.
Die drei wichtigsten politischen Ämter im Libanon stehen entsprechend dem Taif-Abkommen Vertretern der Christen und Muslime zu: maronitische Christen (Präsident), sunnitische Muslime (Ministerpräsident) und schiitische Muslime (Parlamentssprecher) zu. Dieses politische System geht auf die französische Kolonialzeit (1920/44) zurück.
Salam war Wunschkandidat von USA, europäischen und Staaten am arabischen Golf, die ihm Unterstützung zusagten. Ende März machte Salam seinen Antrittsbesuch beim saudischen Kronprinz Mohamed Bin Salam (MBS), Mitte April folgte ein Besuch in Damaskus bei dem langjährigen Dschihadistenführer „Al Jolani“, der seit Dezember 2024 „Interimspräsident“ in Syrien ist und sich seitdem Ahmed al-Sharaa nennt. Ab Mai erhielt der Libanon zahlreiche Besuche von Tom Barrack, dem neu ernannten US-Sonderbeauftragten für Libanon, der auch US-Botschafter in der Türkei und US-Sonderbeauftragter für Syrien ist.
Washington kündigte finanzielle Unterstützung und neue IWF-Kredite für den wirtschaftlich am Boden liegenden Libanon an, sofern Reformen im Finanz- und Bankensektor, vor allem aber die Entwaffnung nichtstaatlicher Akteure im Libanon umgesetzt würden. Die Entwaffnung von Hisbollah und den palästinensischen Organisationen – die innerhalb der palästinensischen Lager das Recht haben, zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung Waffen zu tragen – rückten auf der „Aufgabenliste“ der neuen Regierung ganz nach oben.
Im Juni d.J. legte Tom Barrack, der US-Sonderbeauftragte für Libanon, seinen Plan für die Entwaffnung vor. Mitte Juli folgte die Drohung, der Libanon müsse die Hisbollah nun zügig entwaffnen oder die Geschichte werde über das Land hinwegziehen. In einem Interview mit der Tageszeitung The National sagte er: „Es gibt Israel auf der einen Seite, es gibt den Iran auf der anderen Seite und Syrien stellt sich sehr schnell wieder auf. Wenn Libanon sich nicht bewegt, wird es wieder Teil von Bilad al Sham sein.“ Für die Syrer sei Libanon ihr „Badestrand“, so Barrack weiter. Also müsse sich Libanon bewegen. Bilad al Sham hieß die Region vor dem ersten Weltkrieg und vor den Zerteilungen der Region durch Sykes-Picot (1916) und die Balfour Erklärung (1917).
Libanon werde nur im Fall der Entwaffnung der Hisbollah finanzielle und politische Unterstützung erhalten, so Barrack. Die USA, Saudi-Arabien, Katar und weitere Staaten seien bereit, eine Geberkonferenz für das hochverschuldete Land zu organisieren, wenn die Entwaffnung der Hisbollah und ökonomische Reformen umgesetzt seien.
Der Plan des Tom Barrack
Der 78jährige US-Amerikaner Thomas J. Barrack, Enkel libanesischer Einwanderer, ist Immobilienunternehmer und Vorstandsvorsitzender des Finanzinvestors Colony NorthStar. Er gilt als Freund von Donald Trump, den er bereits im Wahlkampf 2016 unterstützte. Sein Aufgabenbereich als US-Botschafter in der Türkei und zusätzlicher US-Sonderbeauftragter für Syrien und Libanon macht deutlich, in welche Richtung sein Engagement führt. Als treuer Gefolgsmann von US-Präsident Donald Trump mit guten Beziehungen in Israel, nach Saudi-Arabien und in die Vereinigten Arabischen Emirate sorgt Barrack dafür, dass Israel in seinem sieben Fronten Krieg bekommt, was es will. Und dass die anderen Akteure – wie die Türkei oder europäische Staaten – die sich auf die eine oder andere Art an der Zerstörung der „alten regionalen Ordnung“ beteiligen, auch noch etwas abbekommen.
Im Auftrag Washingtons bietet Barrack den Staaten der Region Geschäfte an und verbindet das jeweils mit der Forderung, Widerstand gegen Israel und die Rückforderung von besetzten Gebieten (Golan, Sheeba) aufzugeben, das eigene Land weitgehend zu entwaffnen bzw. die Waffen direkt oder indirekt unter israelisch-US-amerikanische Kontrolle zu stellen. Übergeordnetes Ziel ist die „Normalisierung“ der politischen Beziehungen der Länder der Region mit Israel. Und zwar ungeachtet dessen, was Israel in den benachbarten arabischen Ländern zerstört, was seine andauernden Kriege den Menschen der Region antun. Tom Barrack engagiert sich für die Unterwerfung der Staaten der Region unter die „gewaltsame amerikanisch-israelische Neuordnung des Vorderen Orients“, wie es der schweizerische Diplomat Kurt O. Wyss in seinem gleichnamigen Buch schon 2022 beschrieben hat. Im Gegenzug wird den Ländern die Aufnahme in die US-amerikanische Interessenssphäre in Aussicht gestellt.
Barrack vermittelte Gespräche zwischen Israel und Syrien in Aserbeidschan, einen Waffenstillstand zwischen Damaskus und Israel in Sweida, er brachte Syrien und Israel in Paris zusammen und organisierte mit Frankreich, Israel und Syrien Gespräche, um eine „föderale Ordnung“ für Syrien vorzubereiten. Der US-Plan, die libanesische Hisbollah zu entwaffnen, ist mit der Drohung verbunden, dass Libanon in große Gefahr gerate, erklärte der neue libanesische Ministerpräsident Nawaf Salam dem Präsidenten Libanons, Joseph Aoun. Daher gäbe es keine Alternative, als dass das Kabinett nur über diesen Plan abstimmen müsse, andere intern vereinbarte Konsenslösungen werde es nicht geben. Der US-amerikanische Plan soll vom Libanon in vier Phasen ab September bis Ende des Jahres 2025, in 120 Tagen, umgesetzt werden.
Die erste Phase (Tag 1-15 Tage) soll die Waffenruhe stabilisieren, alle militärischen Aktivitäten von Israel und Hisbollah sollen eingefroren werden. Die Regierung soll den Plan genehmigen und die libanesische Armee beauftragen, den Plan zu spezifizieren und dann umzusetzen. Der Auftrag an die Armee umfasst explizit die Verpflichtung zur Entwaffnung.
Vier Phasen
Die zweite Phase (Tag 15-60) beginnt mit der Entwicklung des Plans und ersten Einsätzen der libanesischen Armee, die von den USA „technisch unterstützt“ werden soll. Israel würde gegen Ende der zweiten Phase mit dem Abzug seiner Truppen beginnen und – in Kooperation mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz – libanesische Gefangene freilassen.
Die dritte Phase (Tag 60-90) sieht den vollständigen Abzug der Hisbollah aus dem Süden des Libanon, die Verstärkung der Armeepräsenz in der Bekaa-Ebene und im Norden vor. Es soll mit dem Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur begonnen werden.
Die vierte Phase (Tag 90-120) sieht vor, nichtstaatliche Waffenarsenale „vollständig zu zerschlagen“, die komplette Sicherheitskontrolle der libanesischen Armee über das gesamte Staatsgebiet auszudehnen. Sämtliche Grenzverläufe sollen festgelegt werden. Dann werden die USA, Frankreich, Saudi-Arabien und Katar eine Geberkonferenz zur Wiederbelebung der libanesischen Ökonomie organisieren.
Elf Klauseln
Darüber hinaus wird dem Libanon in 11 Klauseln vorgeschrieben, wie und mit welchen Zielen der US-Plan umgesetzt werden soll. Das wiederum geht weit über die Entwaffnung der Hisbollah und alle bisherigen UN-Resolutionen hinaus. So soll Libanon (1) sein Hoheitsgebiet komplett sichern und kontrollieren, staatliche Institutionen stärken und alle Entscheidungsgewalt über Krieg und Frieden behaupten. Alle Kämpfe (2) zu Land, in der Luft und auf See sollen eingestellt und dauerhaft gelöst werden. Die Entwaffnung soll nördlich und südlich des Litani-Flusses erfolgen (3), dabei soll die libanesische Armee „international angemessen unterstützt“ werden. Die libanesische Armee soll (4) entlang der Grenzen und im Landesinneren „mit internationaler Unterstützung“ stationiert werden. Israels Rückzug aus fünf strategischen Punkten aus dem Südlibanon (5) muss aus der „Sicherheitszone“ beginnen. (6) Die Bewohner sollen in ihre Häuser und ihre Dörfer zurückkehren. (7) Kompletter Rückzug der israelischen Armee und Einstellung aller Angriffe zu Land, Wasser und Luft. (8, 9) Libanon soll seine internationalen Grenzen mit Israel und mit Syrien „dauerhaft, klar definiert“ markieren. Klausel 10 schlägt einen Wirtschaftsgipfel vor, um die Wirtschaft und den Wiederaufbau des Libanon zu unterstützen. (11) Internationale Unterstützung für die libanesische Armee und Sicherheitskräfte „durch militärische Hilfe“ wird zugesichert, um das Abkommen umzusetzen und das Land zu schützen.
Die Übernahme eines Landes
Die gesamte Planung – der Zeitplan und die Anforderungen in den 11 Klauseln – ist unrealistisch und sorgt vor allem dafür, dass der Druck auf die libanesische Regierung und auf das Land erhöht wird. Die libanesische Armeeführung hat bereits vorab erklärt, weder personell noch technisch den Plan entwickeln zu können, geschweige denn unter Zeitdruck eine umfassende Entwaffnung durchführen zu können. Die Hisbollah, die nicht grundsätzlich ablehnt, in Sachen Bewaffnung mit der libanesischen Armee zu kooperieren, hat ebenfalls vorab erklärt, dem Plan nicht zuzustimmen, solange Israel seine Angriffe und Morde nicht eingestellt und seine Soldaten nicht vollständig von libanesischem Territorium abgezogen hat. Zudem ist völlig unklar, welche Haltung Israel zu dem US-Plan einnimmt. Es gibt weder eine Zustimmung noch eine Ablehnung dazu aus Tel Aviv. Unklar ist die Rolle von den Vereinten Nationen und der UNIFIL-Mission. Das Parlament, die Parteien, die Bevölkerung des Libanon darin kommen nicht vor.
Zuckerbrot und Peitsche
In den 11 Klauseln offenbart sich der Plan einer Unterwerfung und Übernahme des Libanon. „Internationale Hilfe“ bedeutet, dass die USA mit Partnern der libanesischen Armee und Regierung durch das Scheckbuch sagen werden, wo es langgeht. Marie Nassif-Debs, langjähriges KP Libanon ZK-Mitglied für Internationale Beziehungen sagte im (telefonischen) Gespräch mit der Autorin, Libanon werde unter US-Kontrolle gebracht, Washington agiere mit Zuckerbrot und Peitsche. Der US-Sonderbeauftragte Barrack habe deutlich gemacht, dass die USA Israel „zu nichts zwingen“ könnten. Dem Libanon aber würden Vorschriften gemacht und Zeitpläne vorgegeben, die im Libanon abgelehnt würden und nicht einzuhalten seien.
Libanon sei nicht einbezogen worden bei den Plänen, die Grenzveränderungen auf dem Golan und um den Berg Hermon (Jbeil Sheikh), im Qalamoun Gebirge, im Nordlibanon und selbst im Bereich des nördlichen Mittelmeeres vor der Grenze zu Syrien vorsehen. Der Libanon solle die Sheeba-Farmen und die Kfar Shuba Hügel unterhalb des Berg Hermon an Syrien abgeben. Der gesamte Berg Hermon solle Israel überlassen werden, obwohl das Gebiet seit den frühen 1950iger Jahren nach internationalem Recht libanesisches Territorium sei. Der Libanon werde offen mit dem Vormarsch syrischer Dschihadisten und Islamisten bedroht, sollte er der Gebietsübergabe an Syrien und den von den USA vorgegebenen Grenzveränderungen im Osten und Norden des Landes nicht zustimmen. Das habe Tom Barrack gemeint, als er drohte, die Geschichte werde über Libanon hinwegziehen, wenn es sich nicht bewege. Es könnte sich eines Tages im Bilad al-Sham wiederfinden, unter Kontrolle von Syrien, das heute von Dschihadisten kontrolliert wird. Syrien sei von Tom Barrack dem Libanon als „großes Beispiel“ vorgehalten worden, weil die Dschihadisten, die Damaskus kontrollierten, so „flexibel“ seien und auf alle Forderungen „positiv“ reagierten.
Nassif-Debs bezeichnete die Lage im Libanon als gefährlich. Die politische und mediale Mobilisierung gegen die Hisbollah aus den USA, Israel und aus europäischen Staaten wirke sich auf die Politik und auf die gesellschaftliche Lage im Libanon aus. Die Spaltung werde vertieft, dabei sei Hisbollah eine Partei mit einer großen, nicht nur schiitisch-muslimischen Anhängerschaft. Der US-Plan sehe vor, dass die Hisbollah komplett aus dem Südlibanon verschwinden solle, aber „wie soll das gehen?“ so Marie Nassif-Debs. Es sei die Bevölkerung, die die Hisbollah unterstütze, sie wähle und oft auch persönlich mit der Hisbollah verwoben sei. Diese Menschen lebten im Südlibanon seit Jahrhunderten, „soll etwa die libanesische Armee gegen diese Menschen vorgehen?“
Regierung wirf Feuerball auf die Armee
Sofia Saadeh, emeritierte Professorin für Moderne Geschichte des Mittleren Ostens, bezeichnet die Lage im Libanon als “sehr, sehr schlecht”. Das Kabinett habe unter direkter US-amerikanischem Druck gehandelt, was zeige, wie schwach der Libanon sei, so Saadeh im Telefonat mit der Autorin. Der Präsident des Landes, Joseph Aoun, habe eine Konsenslösung ausgehandelt, sich aber gegenüber dem Regierungschef Nawaf Salam nicht durchsetzen können. Die Entscheidung enthalte Fehler, so Saadeh, die an allen renommierten libanesischen Universitäten gelehrt hat und für ihre klaren Positionen bekannt ist. Die Armee könne nur auf Anordnung der Regierung und des Parlaments handeln, also sei es illegal, sie mit der Planung der Entwaffnung der Hisbollah zu beauftragen. Der Plan müsse von der Regierung ausgearbeitet werden und – so sehe es das Taif-Abkommen vor – im Konsens mit allen Gruppen und Parteien. Salam habe es sich leichtgemacht, und den „Feuerball an die Armee“ weitergegeben, um Druck von der Regierung abzuwenden. Ein durchsichtiges Manöver, das von der Armee bereits abgelehnt worden sei.
Bisher habe die Regierung “den Widerstand”, d.h. die Hisbollah (und ihre Waffen) als „Teil der politischen, parlamentarischen und Regierungsstruktur des Landes“ einbezogen. Mit der Entscheidung, die Hisbollah zu entwaffnen, werde diese außerhalb von Parlament und Regierung gestellt und damit quasi illegal. Die Regierung folge dem Druck der USA (und Israels), für die die Hisbollah eine „Terrororganisation“ sei. Die Regierung sei nun unter Druck, dieser Einstufung zu folgen und habe bereits in verschiedenen Bereichen Maßnahmen dafür ergriffen. Schulen, Hilfsorganisationen, Einrichtungen für die Jugendarbeit der Hisbollah – die ja auch eine politische Partei ist – seien von den USA unter Sanktionen gestellt worden, womit ihnen ihre ökonomischen Grundlagen entzogen wurden. Aktuell werde von den USA Druck gegen Qard al Hassan gemacht, ein zinsfreies gemeinschaftliches Finanz- und Darlehenssystem, das 1983 während des Bürgerkrieges und der israelischen Besatzung gegründet wurde. Unter dem Druck der USA habe die Zentralbank bereits angekündigt, Qard al Hassan die Zulassung zu entziehen und damit die Rechtmäßigkeit zu entziehen. Saadeh sprach von einer „anderen Art von Krieg gegen den Widerstand“, d.h. die Hisbollah.
Die Arbeitsweise von Qard al Hassan basiert auf dem muslimischen Recht der Scharia, wonach Zinsen nicht zulässig sind. Viele muslimische Familien, vorwiegend Schiiten, die über ein geringes Einkommen verfügen, aber von Angehörigen aus dem Ausland unterstützt werden, nutzen dieses Geldinstitut, das bisher auch von der Zentralbank akzeptiert wurde. Die Autorin traf im Libanon zahlreiche Gesprächspartner, die über Qard al-Hassan zinslose Darlehen erhielten, um Solaranlagen zu installieren oder auch, um im Winter Heizöl kaufen zu können. Kranke konnten zinslose Darlehen für Operationen erhalten, Eltern erhielten zinslose Darlehen für die Ausbildung ihrer Kinder. Die Rückzahlung erfolgte nach den persönlichen Möglichkeiten. Israel hatte zuletzt während des Krieges Niederlassungen von Qard al Hassan systematisch bombardiert.
Sonst bleibt uns nur das Meer
Sofia Saadeh verwies darauf, dass der US-Barrack-Plan der libanesischen Armee die Aufgabe der Entwaffnung zuwies und sie damit direkt auffordere, sich direkt gegen die Bevölkerung zu stellen. Das könne zu einer innerlibanesischen Eskalation führen, die niemand im Libanon wolle. Was immer in Zukunft geschehe, es werde kein Bürgerkrieg, sondern eine Invasion von den USA und Israel sein, so Saadeh. „Man will den Libanon in die gleiche Abhängigkeit wie Syrien bringen und es unterwerfen“. Das sei keine innerlibanesische Angelegenheit, es sei eine kolonialistische Politik von USA und Israel, mit der die gesamte Region unterworfen werden solle.
„Für Israel ist das die Chance, sich alles zu nehmen“, so Sofia Saadeh. Die Verwüstung des Gaza-Streifens, des Westjordanlandes, die Angriffe gegen die Houthis im Jemen, die Angriffe gegen Iran, die Besetzung von Land im Libanon und in Syrien zeigten, in welche Richtung Israel sich bewege. „Sie wollen alles und es gibt keinen Widerspruch gegen die israelischen Verbrechen. Nicht von der EU, nicht von der UN, von nirgends. Wir sind hier allein auf uns gestellt. Wie die Leute in Gaza, es gibt keinen Ausweg. Im Süden Israel, im Osten und im Norden Syrien, das es nicht mehr gibt und das mehr und mehr in kleine ethnische und religiöse Emirate aufgeteilt werden soll. Sonst bleibt uns nur noch das Meer.“