Eine Partisanen-Unterkunft im Ural (Symboldbild)

Lernen aus der Geschichte: Können Partisanen kriegsentscheidend sein?

Jenseits jeglicher Romantik, sondern der Not gehorchend, entstand in der Sowjetunion in der zweiten Jahreshälfte 1941 eine Partisanenbewegung, die vorerst ums eigene Überleben kämpfte, aber bis 1943 eine gewisse militärische Bedeutung zu erlangen vermochte. Nachdem die Rote Armee sich von den schweren Schlägen der Jahre 1941 und 1942 erholt und als fähig erwiesen hatte, Offensivoperationen gemäß der Vorkriegsdoktrin der „Tiefen Operation“ zu führen, bekam die Zusammenarbeit zwischen der Roten Armee und den Partisanen operative Bedeutung. Gegen Ende des Krieges avancierte die Partisanenbewegung gar zu einem Werkzeug der Kräfteprojektion nach Mitteleuropa hinein.

Wenn die damals gemachten Erfahrungen quasi als „Best Practice“ zu einem Einsatzverfahren gemacht werden, dann erhält die Geschichte der sowjetischen Partisanen auch im heutigen Umfeld Relevanz. Es könnte in einem modernen Konflikt von hoher Bedeutung werden, die Kontrolle über eine Bewegung von Unzufriedenen zu erlangen. 

Relevanz für die Nachkriegszeit

Im Mai 1944 fasste das Oberkommando der deutschen Wehrmacht OKW die auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen gemachten Erfahrungen im Kampf gegen Partisanen im Merkblatt 69/2 „Bandenbekämpfung“ (1) zusammen, welches auch nach dem Krieg von Interesse blieb, waren doch die europäischen Kolonialmächte in Afrika und Südostasien in Kriege mit Aufstandsbewegungen verwickelt, von denen zahlreiche kommunistisch inspiriert waren und von der Sowjetunion unterstützt wurden. Bezeichnend ist, dass ein deutsches Taktik-Handbuch von 1957, versehen mit einem Vorwort des damaligen Generalinspekteurs der Bundeswehr, Generalleutnant Hans Röttiger, dem „Kampf gegen Banden“ ein eigenes Unterkapitel widmete (2).

In jüngster Zeit fanden die Erfahrungen der Wehrmacht im Osten erneut Beachtung, was sich namentlich darin zeigt, dass der ehemalige Chefhistoriker des United States Marine Corps, Charles D. Melson, das erwähnte Merkblatt des OKW ins Englische übersetzte und neu herausgab (3). Offenbar war er zur Erkenntnis gekommen, die Counterinsurgency-Konzeption der US Armee und des Marine Corps bedürfe einer Überarbeitung (4). Dem gegenüber fand die Konzeption des sowjetischen Partisanenkriegs, die bis heute für die Einsatzverfahren der Sonderoperationskräfte Spetsnaz in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion ihre Bedeutung hat, weniger Beachtung (5).

Ursprünge

Im Zentrum der Doktrin der Roten Armee stand in den Jahren vor dem deutsch-sowjetischen Krieg bzw. dem Großen Vaterländischen Krieg das operative Konzept der „Tiefen Operation“, das von seinem Wesen her ein offensives war. Es war in den Schlachten am Khalkin-Gol bzw. bei Nomonhan in der Mongolei erfolgreich angewendet worden (6). Verteidigung nahm im militärischen Denken der Sowjets damals wenig Raum ein. 

Die Säuberungen der späten Dreißigerjahre hatten verheerende Auswirkungen auf die Rote Armee. Hier wirkten sich Stalins Fehler und Verbrechen unmittelbar negativ aus. Insbesondere die Führung eines Partisanenkriegs war nicht vorbereitet, aber einige erfahrene Kader waren noch verfügbar, wie zum Beispiel der Eisenbahnfachmann und Parteisekretär Panteleimon Ponomarenko (7). Nach dem deutschen Überfall am 22. Juni 1941 besann sich die Sowjetführung rasch eines Besseren: Bereits am 27. Juni 1941, noch bevor Stalin in seiner berühmten Radioansprache vom 3. Juli 1941 zum Partisanenkampf aufrief, begann das sowjetische Staatssicherheitsministerium NKWD mit der Bildung von Sondereinheiten. In Moskau entstand unter der Bezeichnung OMSBON ein Ausbildungszentrum für Sonderoperationskräfte, das auch auf Personal der inneren Sicherheitskräfte zugreifen konnte (8).

Das NKWD rekrutierte Personal mit besonderen Qualifikationen. Für die OMSBON wurden 800 Spitzensportler rekrutiert, dazu Funker, Linguisten, Sprengmeister, Fallschirmspringer und auch Emigranten, die aus dem Machtbereich der Nazis geflohen waren. Als Befehlshaber und Polit-Offiziere wurden verlässliche Kommunisten ausgewählt. Im Herbst 1941 hatte die OMSBON eine Gesamtstärke von 10’500 Mann erreicht, die in zwei Regimentern organisiert waren. Nach Abschluss der grundlegenden Ausbildung wurden individuelle Angehörige der OMSBON vorläufig in die Aufklärungseinheiten von Divisionen oder Regimentern entsandt, wo sie Erfahrung sammeln sollten, bevor sie in Sondereinsätze gingen (9).

Unfreiwillige Anfänge

Die ersten, die in den frühen Morgenstunden des 22. Juni 1941 von der deutschen Wehrmacht und ihren osteuropäischen Verbündeten überrannt wurden, waren die Grenztruppen des NKWD (10). Diese Einheiten wiesen einen hohen Anteil an Mitgliedern der Kommunistischen Partei und des Komsomol auf (11). In den ersten Wochen des Kriegs stürmte die Wehrmacht mit hohem Tempo nach Osten und kesselte in mehreren Kesselschlachten hunderttausende von Rotarmisten ein. Viele der unfreiwillig zu „Stay-Behind“ Kräften gewordenen Grenzsoldaten und Rotarmisten hielten Funkkontakt mit Kommandostellen der Roten Armee. Ihnen wurde befohlen, die Politik der „verbrannten Erde“ umzusetzen. Als „Zerstörungsbataillone“ sollten sie auf dem Rückzug alles, was dem Feind in irgendeiner Art nützlich sein konnte, zerstören. Diese Vorgehensweise brachte sie in Konflikt mit der zurückgebliebenen Zivilbevölkerung, der mehrheitlich die Flucht vor den Deutschen nicht mehr gelang und die an Ort und Stelle verbleiben musste. Diese Menschen blieben auf intakten Wohnraum und Infrastruktur angewiesen (12). 

Der rasche Vorstoß der Wehrmacht im Westen der Sowjetunion führte dazu, dass große Räume nicht oder nur spärlich besetzt werden konnten. Die deutschen Truppen hielten sich primär entlang der wichtigen Verkehrsträger – Straßen und Eisenbahnlinien – auf und interessierten sich wenig für die Nebenabschnitte. Dort konnten sich versprengte Rotarmisten lange verstecken. Ihr primäres Verlangen dürfte es gewesen sein, sich zurück in Gebiete unter sowjetischer Kontrolle zu schlagen oder in besetztem Gebiet unterzutauchen (13). Diese Soldaten standen quasi zwischen Skylla und Charybdis: In deutscher Kriegsgefangenschaft erwartete sie der beinahe sichere Tod, denn die Deutschen hatten keinerlei Vorkehrungen getroffen, um sowjetische Kriegsgefangene unterzubringen, zu verpflegen oder gar zu schützen, wozu sie eigentlich gemäß Kriegsvölkerrecht verpflichtet gewesen wären. Jene, die es aber zurück zu den eigenen Linien schafften, kamen sofort in Verdacht, Verräter oder Deserteure zu sein.

Da den Truppen der Wehrmacht rasch die sogenannten „Einsatzgruppen“ der SS folgten, welche die in den besetzten Gebieten ansässigen Juden ermorden sollten, bildeten sich in den Wäldern bald viele kleinere jüdische Partisanengruppen, deren Ziel es war, ihr eigenes Überleben sicherzustellen. Diese Gruppen konnten kein Interesse daran haben, durch Kampfaktionen die Aufmerksamkeit der deutschen Besatzer auf sich zu lenken und beschränkten sich wohl auf die Selbstverteidigung. 

Ausbau im zweiten Kriegsjahr

Offenbar überstanden die meisten Partisanengruppen den Winter 1941/42 nicht. Es dürfte den Deutschen nicht schwergefallen sein, die isolierten kleinen Gruppen zu vernichten. Aber die deutsche Besatzungspolitik trieb den Partisanen immer neue Sympathisanten zu (14). 

Im Februar 1942 intensivierte sich die Aktivität der Partisanenbewegung, die nun vom Kampf ums eigene Überleben zum Kampf gegen die deutschen Besatzer überging. Dazu dürfte beigetragen haben, dass die Sowjets begonnen hatten, gut ausgebildete Sonderoperationskräfte, sogenannte Diversanten, per Fallschirm im mangelhaft gesicherten deutschen Hinterland abzusetzen, wo sie Sabotage- und Aufklärung betrieben (15).

Am 3. Juni 1942 beschloss das Staatliche Verteidigungskomitee der UdSSR die Schaffung eines Zentralen Stabs der Partisanenbewegung beim Oberkommando der Roten Armee, der sogenannten STAVKA in Moskau. Chef des Stabes wurde der erwähnte Panteleimon Ponomarenko (16). Ferner wurde für eine enge Koordination der Aktionen der Partisanen mit den Operationen der Roten Armee gesorgt, indem Vertreter der Partisanen in die Stäbe von Fronten und Armeen integriert wurden (17). 

Spezielle OMSBON Detachemente sollten die Führung über die Partisanen übernehmen und neue bilden. Letzteres war die Aufgabe von sogenannten „Organisationsgruppen“ von 10 bis 15 Mann Stärke. Offenbar mussten die „Organisationsgruppen“ der OMSBON einige Überzeugungskraft aufbringen – oder auch Zwang anwenden –, um die Selbstüberlebensgruppen in den Wäldern dazu zu bringen, aktiv gegen die Besatzer vorzugehen. Dort, wo sich diese bis zum Eintreffen selbst organisiert hatten, dürften die Neuankömmlinge aus Moskau auch auf Widerstand gestoßen sein (18). Ohne die Herstellung strenger Disziplin war die Unterstützung der lokalen Bevölkerung aber nicht zu erhalten bzw. zurückzugewinnen (19). 

Es gelang dem NKWD auch, die Ausbildungszentren der deutschen „Abwehr“ zu infiltrieren, wo deutsche Nachrichtendienst-Spezialisten kooperationswillige Sowjetbürger, oftmals gefangengenommene Soldaten der Roten Armee, für einen Agenteneinsatz im Innern der Sowjetunion ausbildeten (20). 

Unter der Kontrolle des NKWD

In den Monaten vor der Operation Bagration in Belarus 1944 kam es in den Gebieten Nowogrodek und Baranavichi, welche für Belarussen und Polen wichtige Zentren darstellten, zu Auseinandersetzungen zwischen der polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa, AK) und Sowjetpartisanen (21). Konkurrenzkämpfe zwischen kommunistischen, nationalistischen und anderen Partisanengruppen ereigneten sich auch in Italien, Frankreich, Griechenland und Jugoslawien, aber den Sowjets ging es sicherlich auch darum, den polnischen Widerstand im Westen von Belarus zu entwaffnen. In der Sowjetunion hatten Unzufriedenheit mit der kommunistischen Führung und der Wunsch nach Rache von Opfern der Repression Stalins zur Bildung anti-kommunistischer Partisanengruppen geführt, aber die Kader der OMSBON dürften diese bald unter ihre Kontrolle gebracht haben. Im weiteren Verlauf des Kriegs übernahmen Kader des NKWD auch die Führung über kommunistische Partisanen in der Slowakei, in Polen und Rumänien (22). Damit sicherten sie den sowjetischen Einfluss in diesen Ländern nach Kriegsende und ebneten der Machtübernahme kommunistischer Funktionäre ein Stück weit den Weg. 

Politische Morde

Es ist sicherlich auch durch die Erfahrungen der Sowjets im russischen Bürgerkrieg bedingt, dass ausgerechnet Pavel Sudoplatov, der als Leiter der Auslandsabteilung des NKWD die Ermordung Leo Trotzkis in seinem mexikanischen Exil organisiert hatte, mit der Führung des Partisanenkriegs gegen die deutschen Besatzer in der Sowjetunion beauftragt wurde (23). Dieser Kampf richtete sich rasch auch gegen die politischen Repräsentanten des nationalsozialistischen Dritten Reichs in den besetzten Gebieten. Im russischen Bürgerkrieg hatten beide Seiten den Partisanenkrieg und den Terror praktiziert. Als 1941 plötzlich die Notwendigkeit eines Partisanenkriegs entstand, besannen sich die Kommunisten auf ihre eigene Vergangenheit. 

Einer der erfolgreichsten Agenten war Nikolai I. Kuznetsov, der so gut Deutsch sprach, dass es ihm gelang, sich fast zwei Jahre lang, von August 1942 bis März 1944, als Leutnant der Wehrmacht getarnt im Raum Rovno and Lvov aufzuhalten. In dieser Zeit tötete er sechs hochrangige Vertreter des nationalsozialistischen Deutschlands, bevor er von ukrainischen Nationalisten enttarnt und ermordet wurde (24). Er gab wichtige Hinweise über den für Mitte 1943 geplanten Angriff bei Kursk (Unternehmen Zitadelle) und den Standort von Hitlers Hauptquartier „Werwolf“ bei Winnyzja.

Dass sich während des Zweiten Weltkriegs auch westliche Geheimdienste mit Attentaten auf hohe Repräsentanten des nationalsozialistischen Dritten Reichs befassten, zeigte das Attentat des britischen Special Operations Executive SOE auf Reinhard Heydrich (25) und der Plan eines Attentats auf Adolf Hitler selbst (26). Angeblich soll auch Sudoplatov im NKWD Anschlagspläne auf Hitler geschmiedet haben (27).

Zusammenarbeit mit der Roten Armee

Die Diskussion um den militärischen Nutzen der Partisanen wurde in der Vergangenheit beinahe leidenschaftlich geführt. Erst die parallele Betrachtung der Operationen der Roten Armee mit den Sabotagekampagnen der Partisanenbewegung erlaubt eine Beurteilung der Wirksamkeit letzterer auf der militärisch-operativen Stufe. 

Als Vorbereitung des „Unternehmens Zitadelle“ war die deutsche Wehrmacht im Frühsommer 1943 gezwungen, in ihrem rückwärtigen Raum nicht weniger als fünf Operationen zur Bekämpfung von Partisanen durchzuführen, an denen neben SS, Polizei und lokalen Kollaborateuren auch Kräfte der Wehrmacht in bedeutendem Umfang teilnahmen. Geführt wurden die Operationen durch das Oberkommando der 4. Armee und durch das LV. Armeekorps, sowie das XXXXVII. Panzerkorps. Eingesetzt wurden gleichzeitig bis zu sechs deutsche und eine ungarische Division. 

Im „Unternehmen Zigeunerbaron“ operierte vom 15. Mai bis 6. Juni 1943 ein ganzes Panzerkorps gegen sowjetische Partisanen im Raum südlich Brjansk. Das XXXXVII. Panzerkorps umfasste zwei Panzer- und vier Infanteriedivisionen der deutschen Wehrmacht, verstärkt durch ein Bataillon Sonderoperationskräfte des Regiments „Brandenburg“, die 102. ungarische Division, je ein Bataillon aus flämischen und französischen Kollaborateuren, sowie durch einheimische russische und belarussische Hilfskräfte. Trotz des Blutbads, welche die Okkupanten und ihre einheimischen Helfer anrichteten, gelang es ihnen nicht, die Partisanen vollständig zu vernichten. Deren konkreter militärischer Nutzen ist heute aber umstritten: Während die traditionelle Geschichtsschreibung davon ausgeht, dass die Partisanen den Aufmarsch der Deutschen zu verzögern vermochten, ihnen erhebliche Verluste zufügten und den Angriffsbeginn hinauszögerten (28), sprechen Forscher in jüngster Zeit den Partisanenaktionen des Frühjahrs 1943 die Wirksamkeit ab. Ihnen zufolge erreichte der Schienenkrieg der Partisanen im Raum Brjansk erst nach Ende Juli 1943 militärische Wirkung, als genügend Personal, wirksames Sabotagematerial und das Know-how über deren effektiven Einsatz zur Verfügung standen (29).

Abbildung: Vorbereitende Operationen zum Unternehmen „Zitadelle“, Karte und Zeittabelle
Quelle: Verfasser (30) 

Krieg gegen den Nachschub

Nach der erfolgreichen Abwehr der deutschen Offensive „Zitadelle“ im Raum Kursk begann die Rote Armee im Sommer 1943 mit Gegenangriffsoperationen zur Rückeroberung der Städte Smolensk, Orel, Belgorod und Kharkov, in denen erstmals die Methode der „Tiefen Operation“ erfolgreich angewendet wurde. Unterstützt wurden diese Operationen durch die Sabotagekampagne der Partisanen in der Operation „Schienenkrieg“, in welcher die Partisanen in einem Raum von 1’000 km Frontbreite in 750 km Tiefe, das heißt in praktisch ganz Belarus, Eisenbahnsabotage betrieben und damit erstmals eine militärisch relevante Wirkung zu erzielen vermochten (31). 

Die auf die Operation „Schienenkrieg“ folgende Operation „Konzert“ hatte etwas geringere Ausmaße und unterstützte die Operationen der Roten Armee zur Rückgewinnung des Raums Chernigov – Poltava – Kharkov in der Ukraine und zur Überschreitung des Dnepr beidseits von Kiew. Hierbei verzögerten die Aktionen der Partisanen den deutschen Rückzug. 

Karte: Operation „Konzert“, 19. September – Ende Oktober 1943 und die Operationen der Roten Armee
Quelle: Verfasser

Unabhängig von der operativen Bedeutung der Partisanenbewegung erzielte sie auf der strategischen Ebene wichtige Ziele: Sie erschloss den Sowjets die personellen Ressourcen in den von den Deutschen besetzten Gebieten zum Zweck der Kriegführung und verhinderte, dass die Besatzer Verwaltungsstrukturen aufbauen konnten, welche die ungestörte Ausbeutung des personellen und wirtschaftlichen Potenzials der besetzten Gebiete ermöglicht hätten. Irgendwann kamen die Deutschen und ihre Verbündeten an einen Kulminationspunkt, an welchem sie das Wettrennen um Ressourcen verloren, denn der Umfang der ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen stieg langsamer an, als jene der Sowjets. Die politischen und militärischen Strukturen der Partisanenbewegung füllten das Machtvakuum, das aufgrund des schnellen deutschen Vormarschs und des Kräftemangels im rückwärtigen Bereich entstanden war (32). Die Attentate auf die Repräsentanten nationalsozialistischer Macht trugen hierzu bei. Die Partisanenbewegung in der Sowjetunion erlaubte es tausenden von Juden, Sinti, Roma und anderen gefährdeten Menschen, dem deutschem Zugriff und damit dem sicheren Tod zu entgehen und hunderttausenden von Belarussen, Ukrainern und Russen, sich der Zwangsarbeit im Dritten Reich zu entziehen. 

Nützliche Erfahrungen

Die Geschichte der Partisanenbewegung und der Sonderoperationskräfte in der Sowjetunion nach 1941 lässt begründete Vermutungen über den Modus Operandi von Guerilla-Bewegungen in der Zukunft zu, vor allem wenn sie Unterstützung seitens von Russland in Anspruch nehmen können. Zweifellos nutzten die Sowjets ihre im Großen Vaterländischen Krieg gemachten Erfahrungen bereits ab Kriegsende für die Beratung der Guerilleros in den Unabhängigkeitskriegen der Kolonien in Afrika und Asien.

Ob Mordanschläge auf politische Vertreter des gegnerischen Regimes mit dem Völkerrecht vereinbar sind, ist umstritten. Im aktuellen Krieg in der Ukraine praktizieren offenbar beide Seiten solche Strategien, ebenso wie die USA und Israel in Nahost (33). Dass solche Aktionsformen in Zukunft aber integraler Bestandteil der Kriegführung werden könnten, ist absehbar, und auch private militärische Unternehmen könnten hier ihren Platz finden. Man wird um eine völkerrechtliche Diskussion nicht herumkommen.

Heute, wo Regimewechsel- und verdeckte Operationen zunehmend konventionelle Kriege ersetzen oder zumindest vorbereiten, sind die Erfahrungen aus dem sowjetischen Partisanenkrieg sicherlich wieder von Interesse. Ob sich hingegen die Erfahrungen der Deutschen in der Bekämpfung von Partisanen als Vorbild für heutige Aufstandsbekämpfung eignen, ist mehr als nur zweifelhaft. 

Und schließlich zeigt das Beispiel der von der Sowjetunion unterstützten Partisanen in anderen Ländern, die eine deutsche oder italienische Okkupation über sich ergehen lassen mussten, dass die Unterstützung von Guerilleros, Partisanen oder Untergrund-Kämpfern eine Methode der Machtprojektion sein kann. 

Zum Autor dieses Artikels: Ralph Bosshard studierte Allgemeine Geschichte, osteuropäische Geschichte und Militärgeschichte, absolvierte die Militärische Führungsschule der ETH Zürich sowie die Generalstabsausbildung der Schweizer Armee und arbeitete 25 Jahre als Berufsoffizier (Instruktor). Er absolvierte eine Sprachausbildung in Russisch an der Staatlichen Universität Moskau sowie eine Ausbildung an der Militärakademie des Generalstabs der russischen Armee. Mit der Lage in Osteuropa und Zentralasien ist er aus seiner sechsjährigen Tätigkeit bei der OSZE vertraut, in der er als Sonderberater des Ständigen Vertreters der Schweiz und Operationsoffizier in der Hochrangigen Planungsgruppe tätig war.

Anmerkungen: 

  1. Das Merkblatt ist online verfügbar bei der Deutschen Digitalen Bibliothek, online unter https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/H3Q5ENCSJPHPDPRJ5U5A5ULPSY6QA3SV
  2. Siehe Eike Middeldorf: Handbuch der Taktik für Führer und Unterführer, Berlin/Frankfurt a.m. 1957, S. 445-454. 
  3. Charles D. Melson: The German Army Guerrilla Warfare, Pocket Manual 1939 – 45, Philadelphia/Oxford, 2019, erhältlich bei https://openroadmedia.com/ebook/the-german-army-guerrilla-warfare/9781612007984 und https://www.lehmanns.de/shop/sozialwissenschaften/47030596-9781612007977-the-german-army-guerrilla-warfare-pocket-manual-1939-45, eingeschränkte Vorschau unter https://books.google.ch/books?id=7XvKDwAAQBAJ&pg=PA176&lpg=PA176&dq=Charles+D.+Melson+Fightin+Guerilla+Bands&source=bl&ots=MzYcE9web2&sig=ACfU3U3ajCp0juekznWiq6lCGC9Rz-WSxw&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwicj9K618T-AhUEOewKHTXiA1A4HhDoAXoECAgQAw#v=onepage&q=Charles%20D.%20Melson%20Fightin%20Guerilla%20Bands&f=false
  4. Das Field Manual FM 3-24 bzw. Marine Corps Warfighting Publication MCWP 3-33.5 mit Stand Mai 2014 ist online verfügbar unter https://armypubs.army.mil/epubs/DR_pubs/DR_a/pdf/web/fm3_24.pdf
  5. Siehe James F. Holcomb, Jr.: Soviet Special Operations: The Legacy of the Great Patriotic War, Soviet Army Studies Office, U.S. Army Combined Arms Center, Fort Leavenworth, Kansas, 1987, online unter https://apps.dtic.mil/sti/pdfs/ADA194915.pdf
  6. Vgl. Gerd Brenner: Zweifrontenkrieg um Russlands Ressourcen, bei World Economy, 04 Mai 2020, online unter https://www.world-economy.eu/nachrichten/detail/zweifrontenkrieg-um-russlands-ressourcen/
  7. Siehe Holcomb S. 4 und Alexander Brakel „Das allergefährlichste ist die Wut der Bauern.“ Die Versorgung der Partisanen und ihr Verhältnis zur Zivilbevölkerung Eine Fallstudie zum Gebiet Baranowicze 1941–1944, bei Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang 55, Heft 3/2007, Oldenburg 2007, online unter https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2007_3_2_brakel.pdf, S. 399. Siehe die Biographie von Ponomarenko bei Энциклопедия Всемирная история, online unter https://w.histrf.ru/articles/article/show/ponomarienko_pantielieimon_kondratievich_09_08_1902_18_01_1984_ghgh, in russischer Sprache. 
  8. Die Abkürzung steht für Отдельная мотострелковая бригада особого назначения, übersetzt „selbstständige Motorisierte Schützenbrigade besonderer Bestimmung“. Siehe Александр Израилевич Зевелев , Феликс Львович Курлат , Александр Сергеевич Казицкий: Ненависть, спрессованная в тол (Alexander Israilievich Zeevelev , Felix Lvovich Kurlat , Alexander Sergeevich Kazitsky: Hass zu einer Masse gepresst), bei «Военная литература», online unter http://militera.lib.ru/h/zevelev_ai/index.html, in russischer Sprache. Vgl. Holcomb S. 6. Vgl. auch „OMSBON – Independent Special Purpose Motorized Brigade“, bei battlefield.ru, online unter http://battlefield.ru/content/view/259/124/lang,en/ und „OMSBON (Independent Motorized Brigade for Special Operations)“ bei Global Security, online unter https://www.globalsecurity.org/intell/world/russia/omsbon.htm. Die Abkürzung NKWD steht für Народный комиссариат внутренних дел („Narodny kommissariat vnutrennich del“, übersetzt Volkskommissariat für innere Angelegenheiten), das als Innenministerium auch für die Polizei verantwortlich war, so wie die bewaffnete Polizei der Sowjetunion als Truppen des Innenministeriums bezeichnet wurde.
  9. Siehe Holcomb S. 7f.
  10. Die russischen Grenztruppen sind heute noch ein Teil des Föderalen Sicherheitsdienstes und sind zumindest teilweise ein eher militärisches als polizeiliches oder zollrechtliches Vollzugsorgan. .
  11. Siehe Holcomb S. 5.
  12. Siehe Sebastian Stopper: Das Brjansker Gebiet unter der Besatzungsherrschaft der Wehrmacht 1941 bis 1943, Dissertation Humboldt-Universität Berlin, 2012, online unter https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/17412/stopper.pdf,  S. 123 – 147
  13. Siehe Brakel S. 400f.
  14. Siehe Brakel S. 398 – 403. 
  15. Siehe Holcomb S. 9 und Brakel S. 400, 408. 
  16. Die Bezeichnung steht für „Ставка верховного главнокомандования“, das Hauptquartier der obersten militärischen Führung der Sowjetunion mit den Spitzen von Staat und Streitkräften. Siehe Holcomb S. 10 und Stopper, Brjansker Gebiet, S. 123 – 147.
  17. Siehe Holcomb S. 11.
  18. Siehe Stopper, Brjansker Gebiet, S. 123 – 147 und Brakel S. 409.
  19. Siehe Brakel S. 412.
  20. Siehe Holcomb S. 12.
  21. Siehe Brakel S. 396f.
  22. Siehe Holcomb S. 13.
  23. Siehe die Memoiren Sudoplatows: Судоплатов Павел Анатольевич, Спецоперации. Лубянка и Кремль 1930–1950 годы Глава 4б Ликвидация Троцкого, Замысел операции против «Старика». Встреча со Сталиным, online unter http://militera.lib.ru/memo/russian/sudoplatov_pa/04.html
  24. Siehe Holcomb S. 1. Siehe seine Biografie bei Теодор К. Гладков: Легенда советской разведки — Н. Кузнецов (Theodor K. Gladkow: Legende der sowjetischen Aufklärung – N. Kusnezow, bei «Военная литература», online unter http://militera.lib.ru/bio/gladkov/index.html , auf Russisch. 
  25. Siehe Sarah Maria Brech: Der Gestapo-Chef ist tot. Die Rache wird schrecklich, bei Welt Geschichte, 15.04.2021, online unter https://www.welt.de/geschichte/article164947693/Heydrich-Attentat-1942-Der-Gestapo-Chef-war-tot-die-Rache-schrecklich.html.
  26. Siehe Peter Kross: The details of Operation Foxley, a British attempt to assassinate Adolf Hitler, were a closely guarded secret for decades, bei Warfare History Network, März 2014, online unter https://warfarehistorynetwork.com/article/the-details-of-operation-foxley-a-british-attempt-to-assassinate-adolf-hitler-were-a-closely-guarded-secret-for-decades/ und ein Video des Zweiten Deutschen Fernsehens dazu: Attentat am Obersalzberg – Geheimplan „Foxley“, 21.06.2020, online unter https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/attentat-am-obersalzberg-geheimplan-foxley-104.html
  27. Siehe „2 плана разведки СССР по уничтожению Гитлера- почему Сталин запретил его трогать?“, bei Dzen, 18.09.2021, online unter https://dzen.ru/media/two_wars/2-plana-razvedki-sssr-po-unichtojeniiu-gitlera-pochemu-stalin-zapretil-ego-trogat-61410ad6b88394586461118d, und Игорь Атаманенко: Ликвидацию Гитлера готовили и в СССР, bei Zvezda, 26.04.2020, online unter https://zvezdaweekly.ru/news/20204231821-coa6w.html, beide in russischer Sprache. 
  28. Siehe Berthold Seewald: Das Grauen des Partisanenkrieges im Osten, bei Welt/Geschichte, 27.05.2013, online unter https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article116548966/Das-Grauen-des-Partisanenkrieges-im-Osten.html.
  29. Siehe Sebastian Stopper „Die Straße ist deutsch.“ Der sowjetische Partisanenkrieg und seine militärische Effizienz Eine Fallstudie zur Logistik der Wehrmacht im Brjansker Gebiet April bis Juli 1943, bei Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang 59, 2011, Heft 3, S. 385-411, online unter https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2011_3_3_stopper.pdf, S. 404, 409-411
  30. Karte auf der Basis: Партизанское Движение, bei Большая российская энциклопедия 2004–2017, online unter https://old.bigenc.ru/military_science/text/2322156. Vgl. http://ic.pics.livejournal.com/francis_maks/19122129/64019/64019_original.jpg
  31. Siehe Anthony Benway: Der Partisanenkrieg um die Heeresgruppe Mitte, bei Grin, 2003, online unter https://www.grin.com/document/105657. Zur Operation „Schienenkrieg“: Александр Хохлов: «Рельсовая война» белорусскихпартизан сорвала снабжение гитлеровских войск, bei Союзное Государство, 15.07.2022, online unter https://xn--c1anggbdpdf.xn--p1ai/history/232540/ und „Партизанская операция «Рельсовая война»“, bei История РФ, 15.12.2015, online unter https://histrf.ru/read/articles/partizanskaia-opieratsiia-rielsovaia-voina-event. Zur Operation „Konzert“ siehe НиколайАзясский: Партизанская операция «Концерт», bei Ход Войны auf der Homepage des russischen Verteidigungsministeriums, online unter https://mil.ru/winner_may/history/more.htm?id=11840672@cmsArticle, alle in russischer Sprache. Siehe auch И.Г. Старинов: Почему мы победили только в сорок пятом?, журнал «Солдат удачи». №5/95, online unter https://history.wikireading.ru/73821?ysclid=lh7rjazekq167073519
  32. Siehe Stopper, Brjansker Gebiet S. 185f. 
  33. Zum Beispiel der Mord am Stellvertreter von Jassir Arafat, „Abu Dschihad“ 1988 in Tunis, siehe “ Israel gesteht Tötung von Arafats Stellvertreter ein“ bei Welt Online, 01.11.2012, online unter https://www.zeit.de/politik/ausland/2012-11/israel-dschihad-mord?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.at%2F. Zur Drohnen-Kampagne der USA zur Ermordung von „Terror-Führern“ aller Art siehe “ Airstrikes Gone Wrong„, bei New York Times, online unter https://www.nytimes.com/spotlight/2022-pulitzer-airstrikes-gone-wrong. Ein Beispiel aus dem aktuellen Krieg in der Ukraine ist das Attentat auf den politischen Fuehrer der Volksrepublik Donetsk, Alexander Sakharchenko: „Dokumentation: Stimmen zum Attentat auf Alexander Sachartschenko“, bei Bundeszentrale für politische Bildung, 26.09.2018, online unter https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/276577/dokumentation-stimmen-zum-attentat-auf-alexander-sachartschenko/
  34. Titelbild: Partisanenlager. Siehe Efraimstochter, partisan-camp-gf7dcd699e_1920, online unter https://pixabay.com/photos/partisan-camp-world-war-war-huts-4843274/