Von 2000 bis 2005 war Andrey Illarionov wirtschaftlicher Chefberater von Präsident Putin, heute ist er einer seiner kompromisslos bellizistischen Widersacher.

«Kriege, für die wir nicht bereit sind»

(Red.) Am 15. Oktober 2025 fand am Europainstitut der Universität Zürich ein öffentlicher Vortrag von Andrey Illarionov statt. Der Schweizer Wirtschaftswissenschafter Dr.rer.pol. Heinrich Anker hat sich die Zeit genommen, den Vortrag des ehemaligen Wirtschaftsberaters von Wladimir Putin und heutigen Mitgliedes der Mont Pèlerin Society genau anzuhören und für Globalbridge kritisch zu kommentieren. (cm)

Dr. Andrey Illarionov ist ein russisch-amerikanischer Ökonom und ehemaliger wirtschaftspolitischer Berater von Präsident Wladimir Putin (2000-2005), gilt jedoch heute als einer seiner vehementen Kritiker. Er ist Mitglied der Mont Pèlerin Society, aus deren Schoss der heutige Neoliberalismus bzw. Marktliberalismus hervorging. Illarionov hatte verschiedene akademische und wissenschaftliche Positionen in den USA inne, darunter eine Stelle als Senior Fellow am Cato Institute, einem Thinktank der Mont Pèlerin Society, und als Senior Analyst für russische und europäische Angelegenheiten am Center for Security Policy (Washington DC). Illarionov hält es für einen unvermeidlichen natürlichen Prozess, dass multinationale Reiche zerfallen. Er meint damit Russland, nicht jedoch die ebenfalls multinationale Ukraine.[i]
 
Illarionov knüpft in seinem Referat in Zürich einleitend an die Frage von Churchill an, welche dieser am 19. September 1946 an der Uni Zürich nachging: Wie kann verhindert werden, dass es in Europe erneut Krieg gibt? Churchill schlug die Schaffung der Vereinigten Staaten vor. Illarionovs Vortrag lief hingegen – wie eingedenk seiner Vita wenig überraschend – auf einen propagandistischen Aufruf zum totalen, sprich militärischen, wirtschaftlichen, industriellen, technologischen, organisatorischen und psychologischen Krieg gegen Russland hinaus – dies in den folgenden 14 Punkten:

1. Der Krieg wird nach Illarionov fälschlicherweise als ukrainischer Krieg bezeichnet, korrekterweise müsste von einem russisch-ukrainischen Krieg gesprochen werden, bei dem es sich um einen russischen Aggressionskrieg handelt.

2. Der Krieg dauert nicht erst seit dreieinhalb Jahren, sondern schon seit 2014 bzw. seit dem 17. September 2013, als Russland beim sog. Kertsch-Zwischenfall die Souveränität der Ukraine verletzt haben soll.

3. Putin habe mehrmals angedroht, die Ukraine als Land insgesamt zu zerstören; Illarionov behauptet, Putin ziele auf einen «genocidal war».

4. Im Gegensatz zur im Westen weit verbreiteten Ansicht handle es sich bei diesem Krieg nicht um einen begrenzten, sondern um einen großen Krieg: Nordkorea liefere Russland (Illarionov beruft sich auf Angaben des militärischen Geheimdienstes Südkoreas) weit mehr Artillerie-Granaten als die USA der Ukraine. Dies interpretiert er als Herausforderung der USA durch Nordkorea. Illarionov sinngemäß: Das Arsenal der Autokraten (gemeint sind Russland und Nordkorea) ist produktiver als dasjenige der Verteidiger von Freiheit und Demokratie, womit er den Westen meint.

5. Gemäss Illarionov ist der russische Kriegsetat dreimal höher als das, was an Waffen tatsächlich in der Ukraine ankommt. Unter diesen Bedingungen kann nach Illarionov der Krieg nicht gewonnen werden: «God loves big military expenditures!»
Um die Daumenschrauben des Publikums noch etwas härter anzuziehen: Alle großen Kriege, so Illarionov, seien von denjenigen gewonnen worden, welche mehr Mittel zur Verfügung gehabt hätten. Dass die letzten großen Kriege der USA – Vietnam und Afghanistan – trotz erdrückender technologischer und materieller Überlegenheit verloren gingen, erwähnte Illarionov nicht: Dies würde die von den NATO-Staaten angepeilten Rüstungsaufwendungen von 5% des BIP nachhaltig in Frage stellen.

6. Um den Krieg zu gewinnen, so Illarionov, müsste das Verhältnis der Kriegsetats Russlands zur Ukraine nicht wie heute bei 3:1 stehen, sondern mindestens bei 1:1. Das würde bedingen, dass pro Jahr für die Ukraine 120 Mrd. US-Dollar aufgebracht werden müssten – vorausgesetzt, Russland wende, so Illarionov, seinerseits nicht noch mehr Mittel auf.
Es berührt in diesem Zusammenhang seltsam, dass Illarionov als Senior Analyst for Russian and European Affairs am Center for Security Policy (Washington D.C.) wirkt: Dieser Thinktank – er wird als «far-right»[ii] und «anti-Muslim»[iii] bezeichnet -, bezog zumindest 2013 Spenden in vierstelliger Höhe vom Militärisch-Industriellen Komplex der USA, d.h. von Boeing, General Dynamics, Lockheed Martin, Nothrop Grumman, Raytheon und General Electric.[iv]
Auf Illarionovs far-right-Gesinnung deutet auch seine Mitgliedschaft bei der Mont Pèlerin-Society, dem Schoß des Neoliberalismus und Marktradikalismus schlechthin, sowie seine Mitwirkung im berühmtesten Ableger der Mont Pèlerin Society, dem Cato-Institute, hin. Das Kapitel Cato-Institute ging jedoch zu Ende, nachdem Illarionov in Bezug auf die Attacke auf das Capitol vom 6. Januar 2021 in einem Blog die Besetzer verteidigte.[v] Nachdem Illarionov von 2000 bis 2005 als Putins Chefberater Wirtschaft gedient hatte, trennten sich ihre Wege vermutlich nicht zuletzt aufgrund von Illarionovs neoliberaler Gesinnung: Derweil Putin die in der Ära Jelzins unter fragwürdigen Bedingungen und unter US-amerikanischer Anleitung reich gewordenen Oligarchen in ihre Schranken zu weisen versuchte und deshalb auch Khodorkovskis Yukos zerschlug, wehrte sich Illarionov dagegen: Dies sei der «Schwindel des Jahres», Yukos sei «das beste Unternehmen Russlands» und das Investitionsklima des Landes werde dadurch schwer geschädigt.[vi] Dieser Vorfall führt vordergründig an die Bruchstelle von sog. «gelenkter Marktwirtschaft» (Russland) einerseits und «freiheitlicher Marktwirtschaft» (USA) andererseits. Genau genommen handelt es sich jedoch sowohl bei der russischen wie der US-amerikanischen Marktwirtschaft um solche des gelenkten Typs: Im Falle Russlands ist es die Regierung, die lenkt, im Falle der USA dasjenige 1% der Bevölkerung, welches 40% des Vermögens besitzt. Es kontrolliert zugleich die großen Medien – von demokratisch freier Information und Meinungsbildung kann nicht mehr die Rede sein – und bestimmt mittels einflussreicher Thinktanks (unter ihnen das Cato Institute) und erdrückendem Lobbying die Politik in Washington D.C.
Ist der Westen i.A. und sind die USA i.B. der Hort der Freiheit und Demokratie, um welche in der Ukraine gerungen wird? Das Weltbild der Neoliberalen bzw. Marktradikalen ist ein sozialdarwinistisches: «Alle Macht dem Starken! The winner takes it all!» – Frieden als Form des Zusammenlebens kennt der Marktradikalismus nicht: Erst wenn der Kampf bis zum bitteren Ende geführt wird, d.h. bis der Stärkste alle andern besiegt hat, ist Frieden denkbar. Dieses Credo kommt in Illarionovs Ausführungen deutlich zum Ausdruck. Wie Freiheit für alle und Demokratie in einem neoliberalen Regime möglich sein sollen, bleibt das Geheimnis der Marktradikalen. Die Frage lautet deshalb: Wofür genau wird in der Ukraine gekämpft, gelitten und gestorben? Illarionov vermag dies letztlich nur mit einem drohenden Genozid Putins an den Ukrainerinnen und Ukrainern zu begründen. Es wäre Pflicht eines Wissenschafters gewesen darauf hinzuweisen, dass die Ukraine die Auslöschung der russischen Kultur (und derjenigen ungarischer Minderheiten) betreibt und nicht umgekehrt.

7. Nach Illarionov will Putin ungeachtet aller Kosten, Zerstörungen und Menschenverluste den Kriegsaufwand erhöhen. Zwar sei es nicht realistisch, wie in den Jahren 1942 bis 1945 53 bis 61% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für den Krieg zu verwenden, aber eine Steigerung des Kriegsaufwands von heute 8% des BIPs auf 15, 20, 30 oder gar 38% (wie heute die Ukraine) sei nicht unrealistisch – dies allerdings, so Illarionov drohend, nicht nur zwecks Krieg gegen die Ukraine: «Wir dürfen nicht blind und taub sein und übersehen, was passieren könnte…»
Hier hätte man ein paar Überlegungen, wie das volkswirtschaftlich zu bewerkstelligen sein sollte, erwartet, zumal vom einstigen Chefökonomen Putins. Dies umso mehr, als er 2018 zu Protokoll gab: «Dr Illarionov said if Western countries ‘would try to implement a real embargo on oil and gas exports from Russia… I would bet that probably within a month or two, Russian military operations in Ukraine, probably will be ceased, will be stopped’“.[vii]

8. Illarionov bezeichnet den Krieg als «großen europäischen Krieg»: Im Dezember 2021 legte Russland den USA und der NATO im Sinne eines neuen Sicherheitspaktes Forderungen zum Ende der NATO-Osterweiterung vor. Illarionov unterstellt in diesem Kontext, Russland wolle zurück zum Eisernen Vorhang; weder sprach er davon, dass es sich um ein Verhandlungsangebot Russlands handelte, noch erwähnte er die Versprechungen des Westens von 1991, die eines ums andere gebrochen wurden. Ebenso unterstellte Illarionov, Russland führe seit zwei Jahren einen hybriden Krieg gegen Europa (Baltikum, Norwegen, Dänemark, Deutschland, Polen), zumal seit September/Oktober diesen Jahres – wobei Illarionov in Bezug auf die Täterschaft ebenso im Obskuren blieb wie der Westen im Falle der Nordstream-Sprengungen.

9. Illarionov sieht den Krieg nicht allein als einen Krieg gegen die Ukraine, nicht gegen Europa, sondern gegen den Westen insgesamt. Illarionov bezieht sich dabei auf eine Aussage Putins, die er im Rahmen seiner Rede am 5. Oktober 2023 im Valdai-Club gemacht haben soll. Sinngemäß solle Putin gesagt haben, die Tage des Westens im Ringen mit der Koalition der Mehrheit der Nationen dieser Welt seien gezählt. Eine Aussage dieser Art lässt sich im englischsprachigen Transkript dieser Rede jedoch nicht finden.[viii] Und ob dies eine offene Kriegserklärung sein soll … die BRICS-Staaten betonen immer wieder, es gehe ihnen nicht um die Konfrontation mit dem Westen, sondern um die Rückbesinnung auf sich selber.
Noch erstaunlicher war Illarionovs Unterstellung, Putin habe in diesem Speech das Hamas-Attentat vom 7. Oktober 2023 offen angekündigt oder zumindest darauf angespielt, dies 36 Std. bevor es stattfand. Auch dafür gibt es im erwähnten Transkript keinen Hinweis.

10. Zwar sei das BIP des Westens und damit dessen Wirtschaftsmacht 11mal höher als dasjenige Russlands, weshalb man im Westen fälschlicherweise davon ausgehe, Putin würde es nicht riskieren, den Westen anzugreifen. In Tat und Wahrheit sei jedoch das Kräfteverhältnis ein anderes: In Bezug auf die Produktion von Granaten, Drohnen und Missiles (Cruise-Missiles und Raketen) sei Russland dem Westen deutlich überlegen, sogar NATO-Generalsekretär Rutte habe verschiedentlich öffentlich eingeräumt, der militärische Output Russlands sei viermal höher als derjenige der NATO. Deshalb, so Illarionov, habe Putin kein Interesse, den Krieg gegen die Ukraine, Europa und den Westen zu beenden.
Als gewiefter Ökonom müsste Illarionov auf die Frage eingehen, weshalb der Wehretat der NATO um ein x-Faches höher ist als derjenige Russlands, dieses aber dennoch der NATO hinsichtlich des militärischen Outputs mindestens vierfach überlegen sein soll.[ix] Wohin gehen die Mittel der NATO? Es wäre spannend, der Frage nachzugehen, wie weit es sich – sofern die von Illarionov in den Raum gestellten (aber nicht belegten) Kräfteverhältnisse stimmen – um ein Systemversagen der Volkswirtschaften der westlichen Welt, d.h. der sog. «freien Marktwirtschaften» handelt. Hypothese: Folge dem Geld, will heißen: folge den Profiten! Es ist klar, dass die Neoliberalen bzw. Marktradikalen der Mont Pèlerin Society und ihre verlängerten Arme wie das Cato-Institute dieser Frage aus dem Weg gehen; ihr Credo lautet sinngemäß: Die einzige soziale Aufgabe von Unternehmen ist Gewinn zu machen (Milton Friedman). Der russisch-ukrainische Krieg macht nicht zuletzt einen wirtschaftlichen Systemwettbewerb bzw. -Krieg sichtbar: Nach dem Clash of Cultures ein Clash of Economies and Economics. Der neoliberale Marktradikalismus zeigt dabei Schwächen in Bezug auf Effektivität und Effizienz.

11. Illarionov hält einen Sieg Russlands für «intolerable». Seine Gründe: unermessliches Leiden der ukrainischen Bevölkerung, Zusammenbruch des ukrainischen Staates, Genozid an bestimmten Teilen der Bevölkerung, Crash des internationalen Rechts und der internationalen Beziehungen, und die Schlagkraft der russischen Armee würde sich verdoppeln – Illarionov rechnet mit der Möglichkeit, dass sie vor den Toren Westeuropas steht, eines Westeuropas, das seiner Meinung nach klar zu schwach wäre, der russischen Armee zu widerstehen, zumal unklar sei, ob die USA Europa zur Seite stehen würde.
Dies weckt die Frage, wie es Russland anstellen sollte, das komplexe, politisch, sprachlich-kulturell so vielfältige Westeuropa organisatorisch und militärisch nicht nur zu unterwerfen, sondern dauerhaft unter Kontrolle zu halten. Und welches Land, wenn nicht Russland, wäre nach dem Untergang der UdSSR sensibilisierter für diese Problematik? Dazu von Illarionov, einstiger Chefökonom Putins, kein Wort. Die Unsicherheit, ob die USA zugunsten der europäischen NATO-Staaten intervenieren würden, hat zudem für die europäischen NATO-Mitglieder nicht nur Nachteile: Die Unbestimmtheit der USA sind in den Kalkülen eines Aggressors ein enormer Risikofaktor. Auch diesbezüglich dürfte die Sensibilität in der Führung Russlands sehr hoch sein: Russland hat mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mit einer solch starken Reaktion von NATO und EU gerechnet, wie sie nun Realität geworden ist – dass im Frühling 2022 ein Friedensabkommen auf Druck der USA und Großbritanniens verworfen wurde, war und ist nicht nur für die Ukraine eine Katastrophe, sondern auch für Russland, welches zum Frieden bereit gewesen wäre.

12. Nach Illarionov kann sich die Ukraine nicht alleine verteidigen und den Krieg gewinnen. Dazu wäre allein kein einziges Land Europas in der Lage. Es braucht dazu den Zusammenschluss aller Länder.

13. Dieser Krieg, so Illarionov, lässt sich alleine mit Wirtschaftssanktionen und finanziellen Maßnahmen nicht stoppen: «Economic measures cannot replace military defeat.»

14. Dieser Krieg ist gemäß Illiarionov nicht durch Maßnahmen im Bereich von Frieden und Waffenstillstand zu beenden, weil Putin Europa dominieren wolle. Europa und die USA inkl. Präsident Trump sind gemäß Illarionov nicht bereit, den Krieg wirtschaftlich, organisatorisch, finanziell, industriell und technologisch zu führen und vor allem auch nicht psychologisch. Gemäss Illarionov sind sie psychologisch abhängig von Putin, dies «in persönlicher als auch institutioneller Hinsicht». Illiarionov hält deshalb einen radikalen psychologischen Wandel gegenüber dem Aggressor Putin und dessen Aggressionen als unabdingbar. In dieser Logik beendet Illarionov seinen Speech: «Do not let Ukraine be defeated, do not let Europe be defeated, do not let the West be defeated!”
 
Unter dem Dach einer renommierten Universität ist zu erwarten, dass Argumente und Gegenargumente präsentiert, gegeneinander abgewogen, verargumentiert und letztlich evaluiert werden. Dies geschah in diesem Falle nicht. Vielmehr bot Illarionov eine Lehrstunde in angewandter (Kriegs-)Propaganda[x]:
Der Referent ruft immer wieder in Erinnerung, er und nur wenige andere sähen die Dinge richtig – er stellt sich und seine Expertise über sein Publikum und immunisiert sich gegen Kritik.
Putin wird als abgrundtief böse und deshalb als höchst gefährlich für die Ukraine, Europa und den Westen schlechthin dargestellt. Eine Folge davon: Als Europäer/Europäerin sieht man sich auch als Schweizerin und Schweizer direkt im Krieg mit Putin und sieht sich von ihm direkt persönlich bedroht.
Die Angstmache mittels einer völlig überzeichneten Überlegenheit der russischen Armee verbreitert und verstärkt die Phalanx gegen Russland und die Zustimmung zu enormer militärischer Aufrüstung.
Aufgrund von Putins absoluter Bosheit ist eine diplomatische Lösung des Konflikts nicht möglich.
Die Schlussfolgerung aus diesen Darlegungen wird dem Publikum überlassen: Krieg bis zur Niederlage Russlands, ergo bis zum Sieg der NATO.[xi] Indem diese dem Publikum überlassen wird, hat es den Eindruck, selber frei zu dieser Erkenntnis gekommen zu sein und betrachtet sie als seine eigene. In diesem Moment beginnt es deshalb auch, sie gegen Kritik zu verteidigen. Der Redner selber ist in dieser Konstellation der Verantwortung für den Krieg entbunden – er selber hat ja nicht expressis verbis dazu aufgerufen – und muss sich deshalb auch nicht mit Nachfragen konfrontieren lassen, so etwa, ob es denn wirklich keine friedliche Lösung gäbe oder ob nicht die Gefahr bestehe, dass dieser Krieg in einen veritablen Nuklearkrieg münden könnte, der zumindest Europa auslöschen würde.[xii]
Genaugenommen hätte das Vortragsthema nicht «Kriege, für die wir nicht bereit sind» lauten müssen, sondern «Kriege, für die wir noch nicht bereit sind».
 
Was das Europainstitut an der Uni Zürich leistete, war ein interessanter Einblick und praktischer Anschauungsunterricht, mit welchen Methoden Thinktanks arbeiten, wie sie ihr Publikum, wie sie die Politikerinnen und Politiker und deren politisches Handeln und via den universitären Tarnanstrich auch die Medien und via diese wiederum die öffentliche Meinung zu steuern versuchen – und so auch auf indirektem medialem Weg zusätzlich den Druck auf die Politik erhöhen.
Fragwürdig ist, dass das Europainstitut als Veranstalterin eines klar einseitigen, ergo propagandistischen Auftritts selber Akteur geworden ist, zumal unter dem Dach einer renommierten Universität, einer öffentlichen Institution, nota bene. Dieses Vorgehen zählt ebenfalls zu den Methoden heutiger Propaganda. Ob die Uni Zürich und das Europainstitut die Kraft haben, auch Veranstaltungen mit Referentinnen und Referenten anderer Ansätze durchzuführen? Sollen Unis der Herd des freien Diskurses und der aufklärerischen Wahrheitssuche bleiben oder ihre Autonomie zugunsten bestimmter Ideologien und Interessen opfern? Der Dienst an partikulären Interessen wäre das Gegenmodell zur aufgeklärten universitas.

(Red.) Das in Zürich in englischer Sprache gehaltene Referat von Andrey Illarionov kann hier nachgehört werden.

Fussnoten
[i] Andrey Illarionov – Chat page – Glavred, GlavRed.info (in Russian), 10 November 2019.
[ii] Bertrand, Natasha, “The knives are coming out for H.R. McMaster”, Aug. 4, 2017, http://www.businessinsider.com/hr-mcmaster-steve-bannon-russia-trolls-2017-8, Download 24.10.2025
[iii] O’Donnell, S. Jonathan, “Islamophobic conspiracism and neoliberal subjectivity: the inassimilable society”, pages 1-23 | Published online: 19 Dec 2017, https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/0031322X.2017.1414473, Download 24.10.2025.
[iv] Clifton, Eli, “Exclusive: America’s biggest defense and aerospace contractors are pouring thousands into Frank Gaffney’s „work“, October 1, 2014, https://www.salon.com/2014/10/01/far_right_birthers_secret_funders_look_whos_backing_islamophobe_frank_gaffney/, Download 24.10.2025.
[v] Bertrand, Natasha, “Cato Institute investigating blog post by senior fellow that spread election conspiracy theories”, 01/12/2021, Updated: 01/12/2021, https://www.politico.com/news/2021/01/12/cato-fellow-election-conspiracy-theories-458248, Download 24.10.2025.
[vi] Baev, Pavel K., “What is Wrong with Andrei Illarionov?” in: Eurasia Daily Monitor, Vol. 2 Issue: 5, by:  January 7, 2005, https://jamestown.org/program/what-is-wrong-with-andrei-illarionov/, Download 23.10.2025.
[vii] Full embargo on oil could stop war – ex-Putin aide, 10 April 2022, Jonathan Josephs Business reporter, BBC News, https://www.bbc.com/news/business-61040424, 23.10.2025.
[viii] http://en.kremlin.ru/events/president/news/72444, Download 23.10.2025
[ix] Die USA wenden ca. einen Drittel ihres Wehretats – 2024: 997 Mrd. US-Dollar – für die Nato auf. Dies sind 332 Mia. US-Dollar. Noch nicht eingerechnet sind hier die Wehretats der europäischen Nato-Länder – zusammen liegen ihre Rüstungsausgaben weit über 500 Mrd. US-Dollar. Ebenfalls nach Statista beträgt der Wehretat Russlands 2024 149 Mrd. US-Dollar. 
https://de.statista.com/infografik/34366/laender-mit-den-hoechsten-militaerausgaben/
[x] Die allerdings in der Einladung nicht als solche angekündigt wurde.
[xi] Illarionov argumentierte immer wieder mit Beispielen aus der Geschichte, u.a. mit den vergeblichen Appeasement-Versuchen Daladiers und Chamberlains gegenüber Hitler 1938 – «Putin als der neue Hitler» – , erwähnte jedoch nicht, dass der Siegfrieden der Alliierten im 1. Weltkrieg in den 2. Weltkrieg mündete. Mental und argumentativ schien Illarionov sehr auf die Zeit des 2. Weltkrieges fixiert.
[xii] In der Diskussion ging Illarionov darauf ein und sagte, die Chance für einen Nuklearkrieg sei nicht null, aber verschwindend gering, derweil die Zeiger der Weltuntergangsuhr bei 89 Sek. vor Mitternacht stehen, so nahe vor dem Untergang wie nie zuvor.

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