Hunderte von israelischen Frauen protestieren gegen die Diskriminierung der Frauen. Ultraorthodoxe schauen zu. (Bild Rheinische Post)

Heuchelei? Fehlinformation? Bei den Medien kann man’s lernen.

Die Medien vertrauen auf das kurze Gedächtnis ihrer Leserinnen und Leser. Wie könnten sie sonst andere Medien kritisieren für «Schnellschüsse, die sie vor kurzer Zeit selber machten? Und wie ausgewogen berichten sie aktuell? Eine Medienkritik.

Man erinnert sich: Am 6. September 2023 gingen in Konstantinowka in der Ostukraine Bomben nieder, 16 Menschen wurden getötet. Am gleichen Abend berichteten Radio und Fernsehen darüber – «einer der folgenschwersten Angriffe auf ein ziviles Ziel» – und die gedruckten Zeitungen tags darauf. In den Zeitungen des Schweizer CH-Medien-Konzerns zum Beispiel war es ein Seitenaufmacher, mehr als eine halbe Seite groß. Und das, obwohl Russland sich bereits wehrte, für diese Katastrophe verantwortlich zu sein.

So berichteten die CH-Media-Zeitungen am 7. September 2023 – eine Falschinformation, wie sich herausstellte.

Einige Tage später wusste sogar die «New York Times», dass es eine Bombe der ukrainischen Armee war. Strittig blieb nur, ob es ein Versehen war, wie die NYT vermutete, oder ob es sogar ein bewusst erzeugtes Blutbad war, um dem US-Außenminister Antony Blinken, der an diesem Tag in Kiev weilte, zu zeigen, wie brutal die Russen seien.

Am 19. Oktober 2023 wurde in Gaza ein Krankenhaus bombardiert. Die meisten Medien meldeten als Verantwortliche die israelische Armee. Israel bestritt aber, dafür verantwortlich zu sein. Später kam die Vermutung auf, dass es der Islamische Dschihad sein könnte, der für diese Bombardierung verantwortlich war. Und was schrieb Joëlle Weil auf der Frontseite der CH-Media-Zeitungen dazu? “Ein Krankenhaus in Gaza wurde von einer Bombe getroffen. Ohne Zeit für zwei Atemzüge wurde angeklagt: Israel. Mit Video- und Audio-Material versucht Israel, seine Unschuld zu beweisen und zu erklären, dass es sich beim Täter um den Islamischen Dschihad gehandelt hat. Zu spät. Die erste Version war draussen, geteilt von Millionen.»

Aha, die Medien hätten warten sollen, bis mehr klar war, denn «dabei wäre ein Zögern in diesem Fall das gewesen, was mehr Gewalt verhindert hätte.» «Hetze ist Teil dieses Krieges. Und Hetze ist nur einen Klick weit weg», schrieb Joëlle Weil in ihrem Kommentar. Und «wer seinen Finger nicht kontrollieren kann oder will, sollte offline bleiben.»

Ja, genau so ist es. Damals, als es in Konstantinowka 16 Tote gab, war es mehr als eine halbe Zeitungsseite wert, am folgenden Tag darüber zu berichten. Zwar eine überschnelle Falschmeldung, aber schließlich ist ja alles gut, um zu zeigen, wie brutal die Russen sind. Aber jetzt, wo es Israel ist, sollte man zuwarten, vielleicht war es ja nicht Israel, sondern der Dschihad, der die Bomben abgeschossen hat …

Tempi passati. 

Mittlerweile sind es über 10’000 Bombenopfer in Gaza. Im Vergleich zum „Fall Konstaninowka“ müssten bereits Hunderte von Zeitungsseiten gefüllt werden. Wo ist da der angemessene Kommentar?

Aber nein, zwei Wochen später, in der Regionen-übergreifenden Samstagsausgabe der Schweizer CH-Medien, kommentiert jetzt Patrik Müller, seines Zeichens CH-Media-Chefredakteur, dies ebenfalls auf der Frontseite und diesmal als Aufmacher. Seine Empfehlung: So wie damals beim Angriff Russlands auf die Ukraine ukrainische Fahnen aufgehängt wurden, so sollte man in der Schweiz jetzt «Israel-Flaggen hissen». Aus seiner Begründung wörtlich: «Ein demokratischer, fortschrittlicher Rechtsstaat (gemeint ist Israel, Red.) wird von Mördern und Vergewaltigern angegriffen, die dort, wo sie regieren, Frauen unterdrücken und Nicht-Heterosexuelle töten. Wenn Minderheiten gepeinigt werden, formieren sich bei uns schnell Proteste; warum aber nicht, wenn es die Hamas tut?» 

Aha – auch hier: In Israel – nicht im Gaza-Streifen – haben sich im Jahr 2019 nur 47 Prozent der Bevölkerung für die Akzeptanz der Homosexualität durch die Bevölkerung ausgesprochen, 45 Prozent waren dagegen. Die Ultraorthodoxen in Israel betrachten die Frauen ausschließlich als Gebärmaschinen, die Frauen in dieser Bevölkerungsgruppe haben denn auch im Durchschnitt 6,7 Kinder und selbst die Masturbation ist verboten, weil das ein Verlust an Spermien bedeutet. Und der Bevölkerungsanteil der Ultraorthodoxen in Israel ist nicht etwa rückläufig, er ist seit 1980 von 4 auf 12 Prozent angewachsen und wird, so die Prognose, bis 2040 auf 20 Prozent ansteigen. Homosexuelle haben es in Jerusalem nach wie vor schwer. Ein «fortschrittlicher Staat» also, wie Patrik Müller schreibt? (Als der Autor dieser Medienkritik auf einer Recherchereise in Ushgorod in der Westukraine den dortigen orthodoxen Rabbi Menachem Mendel Wilhelm besuchte, um sich über die heutige Situation der Juden in der Ukraine direkt zu informieren, verweigerte dieser seiner als Übersetzerin mitreisenden Frau die Hand zum Gruss, das sei ihm als orthodoxer Jude nicht erlaubt. Keine Frauendiskriminierung, wenn man ihnen nicht einmal die Hand geben darf? Und Frauendiskriminierung nur in Gaza?)

Nein, wenn selbst der Chefredakteur der meistgelesenen Schweizer Zeitung, die zu sein sie sich brüstet, von verschiedenen Kulturen absolut keine Ahnung hat, dann sollte er sich zu solchen Themen auf seinen Frontseite-Leitartikeln wohl doch lieber nicht äussern. Aber eben: Wenn in der Ukraine bei einem Bombenangriff 16 Menschen zu Tode kommen, dann ist das mehr als eine halbe Zeitungsseite wert, und erst noch eine Falschmeldung. Wenn aber Israel – notabene der Staat Israel, nicht die Juden! – im Gaza-Streifen über 10’000 Menschen tötet, die meisten davon Frauen und Kinder, dann sollten wir die Israel-Flagge hissen. 

Es ist nur noch traurig.

(Red.) Zur Frauendiskriminierung in Israel – als Beispiele nur – ein paar weitere Artikel:
Rheinische Post. Frankfurter Allgemeine. Tiroler Tageszeitung. Aber auch für den Chefredakteur der CH-Media-Zeitungen gilt wohl der alte Spruch der Journalistenschule München: «Das wenige, das ich lese, schreib ich mir selbst.»

Siehe dazu auch: «So verlogen informieren unsere Medien (auf Globalbridge.ch)
Und siehe dazu auch: «Israel darf und muss kritisiert werden – sagt Moshe Zuckermann» (von Christian Müller)
und «Israel wollte nie Frieden» (von Moshe Zuckermann).