«Hat Stauffenberg die Demokratie verteidigt? Sicher nicht!»
(Red.) Wer an historische Ereignisse erinnert, um die eigene Politik zu rechtfertigen oder zu beschönigen, sollte vorsichtig sein. Graf Claus von Stauffenbergs Attentatsversuch gegen Hitler fand am 20. Juli 1944 statt. Ob es Stauffenberg wirklich darum ging, Hitler wegen seiner Politik gegen die Juden umzubringen, ist mehr als fraglich. Wahrscheinlich ist, dass Stauffenberg am 20. Juli 1944 – ein halbes Jahr nach der Befreiung Leningrads durch die Rote Armee, deren weiterem Vorrücken Richtung Berlin und sechs Wochen nach der Landung der westlichen Alliierten in der Normandie! – schon klar erkannt hatte, dass der Krieg für Deutschland verloren war und eine Annäherung an die westlichen Alliierten hätte vorteilhaft sein können. So sieht es zum Beispiel auch Jana Putzlacher aus Tschechien. (Dieser Vorspann wurde wegen eines inhaltlichen Fehlers neu formuliert – mit der Bitte um Entschuldigung. cm)
Das Attentat auf Hitler durch Claus von Stauffenberg und seine Gefolgsleute am 20. Juli 1944 erinnere daran, dass „die Verteidigung unserer Freiheit und Demokratie eine wichtige Aufgabe ist und bleiben wird“. Das sagte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz am Donnerstag auf Twitter (siehe Screenshot oben, Red.). Diese Aussage ist jedoch sehr weit von der Realität entfernt, wenn sie überhaupt etwas mit der Realität zu tun hat. Mit dieser Einschätzung beleuchtet der Bundeskanzler nämlich nur ein Gesicht Stauffenbergs – ein vorteilhaftes für die deutsche Nachkriegszeit. Ein anderes Bild ergibt sich aus den Worten eines Briefes an seine Frau nach dem deutschen Angriff auf Polen, an dem er teilnahm und bei dem er unter anderem direkt für den völkermörderischen und barbarischen Angriff auf Wieluń am 1. September 1939 verantwortlich war.
„Die einheimische Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, viele Juden und Mischlinge. Ein Volk, das eine Peitsche braucht, um sich wohl zu fühlen. Tausende von Gefangenen werden sicherlich zur Entwicklung unserer Landwirtschaft beitragen. Die Deutschen können davon profitieren, denn diese Leute dort sind arbeitsame, fleißige und genügsame Menschen„, schrieb Stauffenberg 1939 nach Deutschland.
Nach Ansicht vieler Historiker war Stauffenberg ein Verteidiger dessen, was die Deutschen im Osten gewonnen hatten. Die Verschwörer, zumeist Wehrmachtsoffiziere, wollten Hitler töten, um einen Deal mit dem Westen zu machen. Das änderte nichts an der Politik gegenüber anderen Nationen, sie unterschied sich nicht von der Politik Hitlers, es war eine Politik des Völkermords. Nichts hätte etwas an der fortgesetzten Besetzung Böhmens und Mährens geändert, so die Verschwörer.
In der Nachkriegszeit begann man, die Aktion als Manifestation des deutschen Widerstands gegen das Nazi-Regime darzustellen. Sie wurde Teil des Versuchs, die Schuld an den Verbrechen des Zweiten Weltkriegs von Deutschland und den Deutschen wegzuwaschen und die Verantwortung allein auf Adolf Hitler und die Nazis zu schieben. Claus von Stauffenberg selbst war jedoch ohne Zweifel und in nicht unerheblichem Maße einer von diesen, bis sich die Kriegslage wendete.
Scholz hat Recht, dass die Verteidigung von Freiheit und Demokratie eine wichtige Aufgabe ist, aber es müsste hinzugefügt werden, dass sie sich auch gegen Leute wie Claus von Stauffenberg richtet.
Dieser Kommentar von Jana Putzlacher erschien auf «vasevec», der Online-Plattform des ehemaligen tschechischen Ministerpräsidenten Jiří Paroubek.
PS: Ausnahmsweise sei hier die Zuschrift eines Lesers wiedergegeben, der Stauffenberg ganz anders beurteilt:
Sehr geehrte Redaktion,
Ich finde es enorm wichtig, in Zeiten freiwilliger medialer Gleischschaltung das Sprachrohr anderer Meinungen zu sein, deshalb lese ich globalbridge immer wieder gern. Was allerdings Frau Putzlacher heute schreibt, kann ich nicht nur nicht bestätigen, sondern ich muss ihr, nach meinen eigenen, eingehenden Recherchen, heftig widersprechen. Ich habe 2004 über Graf Stauffenberg einen Fernsehfilm mit dem einfachen Titel STAUFFENBERG gedreht und dafür monatelang und eingehend recherchiert, mit Zeitzeugen und Historikern gesprochen. Das Zitat von Stauffenbergs Brief an seine Frau habe ich auch in meinem Film verwendet, ich wollte Stauffenberg nicht glorifizieren. Aber er hat sich tatsächlich vom anfänglichen Hitler-Bewunderer (der er in der Tat war) zu einem absoluten Gegner entwickelt; nicht nur nach der katastrophalen Niederlage vor Stalingrad (die sicher auch eine Rolle spielte), sondern vor allem auch, als er erfahren hatte, was die mörderischen Einsatzgruppen HINTER der Front für Ungeheuerlichkeiten verüben. Das war für ihn hauptsächlich ausschlaggebend. Nachdem Henning von Treckow ihm darüber berichtet hat, war er absolut empört und sagte: Der Mann (Hitler) muss weg. Dass ausgerechnet er, ein Kriegsinvalide (er wurde in Afrika schwerst verwundet bei einem Fliegerangriff) der einzige war, der nicht nur die Gelegenheit, sondern auch den Mut hatte, dieses Attentat (noch dazu gegen seinen militärischen Eid!) zu verüben, unter Einsatz seines Lebens, kann man ihm nicht hoch genug anrechnen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Jo Baier