Nicht zuletzt kommerzielle Interessen waren am Import von Halloween nach Russland beteiligt – mit mäßigem Erfolg. (Symbolbild)

Bericht | Halloween in Russland

(Red.) Während auch in der Schweiz aktiv der Russenhass betrieben und gefördert wird – das Schweizer Radio zum Beispiel mit einem Tagesgespräch mit der deutschen Russenhasserin Katja Gloger, die NZZ mit einem weiteren Gastbeitrag von Andrew Chakhoyan oder die Universität Zürich mit einem Vortrag des Putinhassers Andrey Illarionov, um nur drei Beispiele zu erwähnen – versucht Globalbridge als der Unabhängigkeit und der Ehrlichkeit verpflichtetes Medium sowohl auf kulturelle Gemeinsamkeiten als auch auf kulturelle Unterschiede zwischen uns Westlern und Russland hinzuweisen. Unser Vertrauensmann in Russland, Stefano di Lorenzo, hat als Beispiel den Umgang mit Halloween genauer angeschaut. (cm)

Halloween mag vielen als Triviales und Infantiles erscheinen. Aber als kultureller Import und Symbol der von Amerika vorangetriebenen Globalisierung kann Halloween auch ein paar interessante Dinge über eine Gesellschaft erzählen. In der kollektiven Vorstellung ist Halloween ein unverkennbar amerikanisiertes Ritual: Plastikkürbisse auf Veranden, schwarze Kostüme, Kinder, die Süßigkeiten sammeln, Horrorfilme und ein saisonaler Handel, der den Oktober bestimmt. Während sich Halloween langsam in vielen europäischen Ländern fest etabliert hat, ist es kein Fest, das man in Russland erwarten würde. Vor allem nicht in Zeiten des Krieges. Das heutige Russland wird oft als kulturell geschlossenes, national autarkes, ja sogar nationalistisches Staatswesen dargestellt — misstrauisch gegenüber der Soft Power des Westens und bestrebt, seine einzigartigen, traditionellen Werte zu verteidigen. Es ist ein Bild, das viel patriotische Rhetorik in Russland widerspiegelt und verstärkt, insbesondere in den letzten vier Jahren.

Doch in den meisten der drei Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion träumten viele Russen von einer kulturellen Integration mit dem Westen. Russland war einer der Orte, an denen die westliche Popkultur schnell und tiefgreifend Einzug hielt. Halloween wurde in Russland auch zu einem dieser sichtbaren Zeichen. In den letzten Jahren stieß diese Übernahme auf Widerstand von religiösen und politischen Akteuren, die Vorschläge zur Einschränkung oder sogar zum Verbot der Feierlichkeiten vorbrachten. Dieser Kontrast verdeutlicht die Spannungen zwischen Offenheit und Verschlossenheit im postsowjetischen Russland und zwischen Kultur als gelebter Praxis.

Wie Halloween nach Russland kam

Halloween kam nicht als Export von oben nach unten nach Russland, sondern als Konsumphänomen. In den 1990er und frühen 2000er Jahren, als westliche Fernsehsendungen, Filme, Musik und Konsumgüter den russischen Markt überschwemmten, wurden die üblichen Symbole und Rituale westlicher Feiertage in den städtischen Zentren sichtbar: Kostümpartys in Clubs, Themenabende in Bars, Dekorationen in Ladenketten. Diese Verbreitung war Teil einer umfassenderen kulturellen Integration — das russische Publikum konsumierte eifrig Hollywood-Horrorfilme, amerikanische Fernsehserien, Popmusik und westliche Kinderprogramme —, sodass die Bilder und Bräuche von Halloween leicht verständlich und übertragbar waren. Die Motive des Feiertags waren besonders attraktiv für die städtische Jugend und das Nachtleben. 

Auch der Einzelhandel spielte eine wichtige Rolle. Kostümgeschäfte, Partyplaner und später auch Online-Marktplätze lieferten günstige Masken, Schminke und Party-Requisiten. Für Geschäfte in Einkaufszentren und Veranstalter wurde Halloween zu einer weiteren saisonalen Gelegenheit, Tickets, Süßigkeiten und Dekorationen zu verkaufen; für Bars und Clubs war es ein praktischer Themenabend. Wie viele kulturelle Transfers des späten 20. Jahrhunderts wurde Halloween in Russland von Kommerzialisierung und visuellen Medien getragen.

Wer feiert — und wer nicht

Halloween hat sich in Russland doch nicht zur Massenpraxis entwickelt. Umfragen aus dem letzten Jahrzehnt zeigen, dass der Bekanntheitsgrad des Feiertags hoch ist — die meisten Russen haben schon von Halloween gehört —, aber die Teilnahmequote ist nach wie vor gering und konzentriert sich stark auf junge Stadtbewohner. So ergab beispielsweise eine Umfrage des unabhängigen russischen Meinungsforschungsinstituts VTsIOM, dass zwar über 90 % der Befragten Halloween kannten, aber nur ein kleiner Teil vorhatte, es zu feiern, wobei das Interesse bei den 18- bis 24-Jährigen und den Bewohnern größerer Städte am höchsten war. „Ich stelle fest, dass Halloween immer beliebter wird, ich sehe viele Anzeigen für Halloween-Partys“, sagt Lisa, eine junge Übersetzerin aus Moskau. Ihr Freund Roman ist anderer Meinung: „Ich kenne niemanden, der Halloween feiert. Halloween hat nichts mit russischen Traditionen zu tun.“ Eine andere junge Frau, Elena, organisiert hingegen mit ihren Freunden eine Halloween-Party. „Letztes Jahr hatten wir viel Spaß“, sagt sie. Die meisten Russen stehen Halloween jedoch entweder gleichgültig gegenüber oder betrachten es als eine fremde Kuriosität, die für die russische Kultur unpassend ist. 

Die Alters- und geografische Kluft ist wichtig. In einem Moskauer Club kann man aufwendige Kostüme und Themenabende erleben. In regionalen Städten wird der Feiertag eher als Marketingaktion in einem Supermarkt wahrgenommen. Für viele Familien mit kleinen Kindern hat sich die westliche „Süßes oder Saures“-Kultur nie so etabliert wie in einigen europäischen Hauptstädten; die Unterhaltungskalender russischer Kinder sind nach wie vor dicht mit lokalen und christlichen Anlässen gefüllt.

Kirche und Staat

Halloween wird dort politisch, wo Religion, nationale Identität und die jüngste Rhetorik über „traditionelle Werte“ aufeinandertreffen. Die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) äußert seit langem Bedenken, dass die Symbolik von Halloween — Hexen, satanische Motive und okkulte Ästhetik — im Widerspruch zur christlichen Lehre steht. Verschiedene orthodoxe Geistliche und Medien haben Alternativen gefordert: Gemeindeveranstaltungen, bei denen Kinder eingeladen werden, sich als Heilige zu verkleiden, oder lokale Aufklärungskampagnen, die Eltern vor den angeblichen spirituellen Gefahren des Feiertags warnen. In religiösen Kommentaren wird Halloween als spirituell zerstörerisch und kulturell „fremd“ dargestellt, eine Sichtweise, die bei sozial konservativen Teilen der Bevölkerung Anklang findet.

In den letzten Jahren haben regionale Abgeordnete, konservative Aktivisten und sogar einige Mitglieder der Staatsduma Vorschläge unterbreitet, Halloween einzuschränken oder es mit „satanistischer Propaganda“ gleichzusetzen, mit der Begründung, dass Maßnahmen zum Schutz der Kinder und der öffentlichen Moral erforderlich seien. Die Medienberichterstattung zeigte erneute Vorschläge und Erklärungen in diesem Sinne — darauf ausgerichtet, kulturelle Souveränität und moralische Wachsamkeit zu signalisieren. Diese Erklärungen sorgen für Schlagzeilen, mobilisieren konservative Anhänger und verstärken eine kulturelle Sicherheitsrhetorik, haben bis jetzt jedoch nicht zu einheitlichen landesweiten Verboten geführt.

Wenn russische Politiker Widerstand gegen den Westen signalisieren wollen, wählen sie häufig kulturell sichtbare und emotional resonante Ziele. Die praktische Durchsetzung eines pauschalen Verbots von Halloween wäre jedoch schwierig. Schulen, Unternehmen und Eltern würden unterschiedlich reagieren; die Durchsetzung würde eine Überwachung des täglichen sozialen Lebens erfordern, die zu Reibungen führen würde. Wenn Abgeordnete ein Verbot fordern, klingt das daher oft eher nach kultureller Selbstdarstellung als nach dem Beginn einer kohärenten landesweiten Gesetzgebung.

„Importsubstitution“ für Kultur: slawophile Alternativen

Sollte der Druck wachsen, Halloween einzudämmen, würde ein Teil der kulturellen Reaktion darin bestehen, „einheimische” Ersatzangebote vorzuschlagen. Die Regierung und patriotisch gesinnte Kommentatoren haben alte slawische Erntefeste und Rituale gefördert — neu verpackt als gesunde, patriotische Alternativen zum „westlichen“ Halloween. Seit mindestens Anfang der 2020er Jahre fördern einige Kommunen und Kulturinstitutionen Herbstveranstaltungen mit slawischem Thema: Volksfeste, historische Nachstellungen, sogar Kinderprogramme, die die vorchristliche Mythologie in den Vordergrund stellen. Diese Bemühungen werden als „kulturelle Importsubstitution“ bezeichnet: ausländische saisonale Vergnügungen werden durch kuratierte lokale Programme ersetzt, die sowohl die Menschen unterhalten als auch eine bevorzugte nationale Erzählung verstärken.

Die Taktik der „einheimischen Alternativen“ veranschaulicht die hybride Logik der Kulturpolitik im heutigen Russland: Die Verantwortlichen versuchen nicht unbedingt, festliche Freuden auszulöschen, sondern sie in politisch sicherere Formen zu lenken. Die Substitution koexistiert oft mit den Marktkräften. Das Ergebnis ist ein pluralistisches Kulturfeld, in dem offizielle Narrative und private Wünsche in einer unbehaglichen, aber stabilen Spannung nebeneinander existieren.

Populärkultur

Auch die russische Popkultur hat die Ästhetik des Horrors aufgenommen und für eigene Zwecke umfunktioniert. Russische Filmemacher, DJs und Modedesigner übernehmen manchmal die visuelle Grammatik von Halloween für lokale Zwecke: Horrorfilmreihen, thematische Fotoshootings und Nachtclubprogramme spiegeln globale Genres wider und enthalten gleichzeitig eindeutig russische Bezüge. In den 1990er und 2000er Jahren prägte der Kontakt mit westlichem Horror und Fantasy den Geschmack einer ganzen Generation für das Unheimliche. Dieses Erbe blieb bestehen: Die Sprache des Schreckens, Monster-Metaphern und makabre Spektakel erwiesen sich als anpassungsfähig an russische Themen, sei es im Genrekino, in Musikvideos oder in der Straßenmode. Selbst wenn Halloween also ein Import blieb, mischte sich sein stilistisches Vokabular leicht in die heimische Kunst ein. 

Die Grenzen der Autarkie

Der jüngste Anstieg konservativer Rhetorik spiegelt echte politische Strömungen wider. Aber die russische Gesellschaft ist alles andere als monolithisch: Großstädte, Kulturindustrien und jüngere Generationen haben weiterhin Appetit auf globale Kulturformen. Zweitens widersetzen sich wirtschaftliche Anreize pauschalen Verboten, die saisonale Einnahmen und die Auswahlmöglichkeiten der Verbraucher einschränken würden. Drittens zieht die symbolische Politik oft dramatische Erklärungen der mühsamen Arbeit der Sozialtechnik vor: Es ist einfacher, einen Gesetzesvorschlag oder eine scharf formulierte Erklärung zu verfassen, als jahrzehntelange kulturelle Verflechtungen aufzubrechen. Trotz aller Abschottungsrhetorik bleibt die Kultur in Russland überraschend durchlässig — insbesondere wenn die visuelle Sprache marktfähig und unterhaltsam ist.

Was Halloween über Russland verrät

Die Geschichte von Halloween in Russland ist eine kleine, aber aufschlussreiche Fallstudie zur postsowjetischen Kulturdynamik. Nach 1991 erlebte das Land eine entscheidende Öffnung gegenüber Kultur und Waren aus dem Westen; diese Öffnung veränderte den Geschmack, schuf neue Märkte und brachte hybride Kulturformen hervor. In den 2010er und 2020er Jahren entstand ein eher introspektiver und defensiver Diskurs — angetrieben von der staatlichen Ideologie, der Russisch-Orthodoxen Kirche und konservativen Gruppen — aber dieser Diskurs hat die früheren Integrationsprozesse nicht vollständig umgekehrt. Stattdessen sehen wir ein gemischtes Muster: selektive Eindämmung, episodische moralische Panik aber auch ein anhaltendes Interesse für Moden aus dem Westen. Halloween ist daher weder ein Symptom der totalen Verwestlichung noch das einzige Opfer kultureller Abschottung; es befindet sich in der Mitte, an einer kulturellen Schnittstelle, an der Marktlogik, Jugendgeschmack und politische Symbolik aufeinandertreffen.

Wenn Gesetzgeber und Geistliche Halloween als fremde Bedrohung anprangern, sagt diese Verurteilung manchmal mehr über die politische Haltung als über die soziale Realität aus. Vorschläge, den Feiertag zu verbieten oder ihn rechtlich mit schädlichen ideologischen Einflüssen gleichzusetzen, sind performative Gesten in einer größeren Erzählung über Identität und Souveränität. Vor Ort überlebt Halloween jedoch in Boutiquen, Clubs, Expat-Gemeinden und unter städtischen Jugendlichen — überarbeitet, domestiziert und oft zu Partys und Selfies trivialisiert. Kultur bewegt sich spontan durch Lieder, Märkte, Witze, Erinnerungen und Improvisationen. Halloween zeigt, wie ein Land, das öffentlich kulturelle Selbstversorgung betont, gleichzeitig mit globalisierten Kulturgütern lebt, sie aufnehmen und transformieren kann. Im heutigen Russland gibt’s eben nicht nur Krieg, sondern auch Feste und einfach Spaß.

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