
Kommentar | Hallo Putin! Ich bin’s, Trump
(Red.) Niemand hat von einem Telefongespräch zwischen US-Präsident Donald Trump und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eine sofortige Beendigung des Krieges in der Ukraine erwartet. Aber kann es negativ sein, wenn zwei wichtige Entscheidungsträger beginnen, wieder miteinander zu reden? Stefano di Lorenzo beleuchtet aus russischer Sicht das in diesem Punkt problematische Verhalten Europas. (cm)
Am 16. Mai 2025 trafen sich zum ersten Mal seit März 2022 offizielle Vertreter der Russischen Föderation und der Ukraine zu Verhandlungen im Dolmabahçe-Palast in Istanbul. Damit wurde ein diplomatischer Kanal, der über drei Jahre lang unterbrochen war, offiziell wieder eröffnet. Das Istanbuler Treffen zwischen Russland und der Ukraine war nur von kurzer Dauer. Es war jedoch ein Anfang. Am nächsten Tag wurde bekannt gegeben, dass der russische Präsident Putin am Montag, dem 19. Mai, mit Donald Trump telefonieren werde.
Das Telefongespräch zwischen dem amerikanischen und dem russischen Präsidenten fand wie geplant tatsächlich statt und dauerte gut zwei Stunden. In einem Post, der im sozialen Netzwerk „Truth Social“ veröffentlicht wurde, schrieb der amerikanische Präsident, das Gespräch sei ein Erfolg gewesen. „Die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine werden sofort beginnen“, schrieb Trump. Eine Aussage, die, wie so vieles, was Trump zu sagen pflegt, vor Optimismus strotzt. Der Realitätstest wird in den kommenden Tagen und Wochen stattfinden.
Auch der russische Präsident sprach von konstruktiven und sehr offenen Gesprächen. Dabei wirkte er ruhig und friedlich gesinnt.
Trump hatte während des Wahlkampfs für seine zweite Amtszeit wiederholt erklärt, er könne den Ukraine-Krieg „in 24 Stunden“ beenden. Mehr als 100 Tage nach seiner zweiten Amtseinführung dauert der Konflikt jedoch immer noch an. Trumps Kritiker haben keine Gelegenheit ausgelassen, auf die Kluft zwischen Wahlversprechen und Realität hinzuweisen, viele machten das mit einer sichtlich sarkastischen Selbstgefälligkeit. Aber es dürfte klar gewesen sein, dass die „24-Stunden“-Formel mehr politische Rhetorik als alles andere war. Immerhin signalisierte Trumps 24-Stunden-Versprechen ein klares Ziel. Die Bereitschaft der Trump-Administration, eine Verhandlungslösung für den Ukraine-Konflikt zu finden, scheint echt zu sein, auch wenn sie auf interne und externe Hindernisse stößt – darunter auch auf den Widerstand eines großen Teils Europas.
Die plötzliche Rückkehr der Diplomatie
Die Ereignisse, die zu den Istanbuler Gesprächen in der vergangenen Woche führten, schienen zunächst nicht vielversprechend.
Nur wenige Tage zuvor hatten Friedrich Merz, Emmanuel Macron und Keir Starmer, die Führer der drei größten europäischen Wirtschafts- und Militärmächte, nach einer Reise nach Kiew in einer vermeintlichen Machtdemonstration ein Ultimatum an Russland gestellt: Entweder akzeptiere man einen 30-tägigen Waffenstillstand ohne jegliche Bedingungen, oder Europa werde neue Sanktionen verhängen. Als Russland zunächst die Einstellung der Waffenlieferungen aus dem Westen an die Ukraine zur Bedingung für eine Waffenruhe machte, antwortete der britische Premierminister Keir Starmer entschieden: „Keine Bedingungen heißt keine Bedingungen“. Die eigentliche Überraschung war jedoch die Reaktion Putins in einer Rede in der folgenden Nacht: Russland schlug der Ukraine vor, Verhandlungen in der Türkei aufzunehmen, einem symbolträchtigen Ort, da, wo im März 2022 die Verhandlungen stattfanden.
Dann entschied sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, den Einsatz zu erhöhen. Er nahm Putins Einladung an und erklärte seine Bereitschaft, persönlich nach Istanbul zu reisen, um den russischen Präsidenten zu treffen. Putin sei, so Selenskyj, der einzige, der in Russland etwas entscheiden könnte. Dieser Schritt war unerwartet, denn bis dahin hatten Kiew und auch Europa an der „Vorbedingung“ festgehalten: keine Verhandlungen mit Russland ohne vorherigen Waffenstillstand. Wie jedoch leicht vorhersehbar war, ging Putin nicht auf Selenskyjs Herausforderung ein. Selenskyj hätte in Istanbul nur eine Show veranstalten wollen, und Putin würde sich zu so etwas nicht herablassen, so die Erklärung vieler russischer Kommentatoren.
Die Nichtteilnahme Putins an dem Treffen führte im Westen zu Spekulationen, dass es seitens des Kremls keine wirkliche Verhandlungsbereitschaft gebe. Diese Beurteilung ließ jedoch ein Grundprinzip der internationalen Diplomatie außer Acht: Ein Treffen zwischen Staatschefs findet normalerweise erst am Ende eines bereits fortgeschrittenen Verhandlungsprozesses statt, wenn die zu unterzeichnenden Abkommen fertig sind, nicht am Anfang einer Verhandlung. Dies wurde auch von Kreml-Sprecher Dmitri Peskow unterstrichen. Er erklärte, dass ein Putin-Selenskyj-Gipfel nur als Ergebnis der Vorbereitungsarbeiten der Delegationen „möglich“ sei und nicht als Ausgangspunkt. Andererseits zeigte sich Russland, das in der Vergangenheit Zweifel an der Legitimität und der Befugnis der ukrainischen Verhandlungsführer zur Unterzeichnung von Vereinbarungen geäußert hatte, bereit, auf Kompromisse einzugehen.
Die USA von der Venus, Europa vom Mars
Das erste Telefongespräch zwischen Trump und Putin fand im Februar 2025 statt, etwa zwei Wochen nach dem Amtsantritt des US-Präsidenten. Dieses Telefongespräch zwischen Donald Trump und Wladimir Putin löste in Europa damals heftige Reaktionen der Besorgnis aus. Viele europäische Staats- und Regierungschefs äußerten damals die Befürchtung, dass der Ausschluss der EU und der Ukraine von den Gesprächen zu einem für Kiew und die Sicherheit des Kontinents ungünstigen Abkommen führen könnte. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas erklärte, dass „jede Vereinbarung, die ohne die Ukraine und Europa getroffen wird, nicht funktionieren wird“. Auch der ehemalige deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz gab sich kämpferisch und erklärte, dass „ein aufgezwungener Frieden von Europa niemals akzeptiert werden wird“. Die europäischen Staats- und Regierungschefs sprachen jetzt im Einklang von einem gerechten Frieden, ohne zu sehr zu hinterfragen, wie dieser überhaupt möglich sein sollte.
Drei Monate später scheint sich die europäische Position nicht geändert zu haben. Vor dem Telefongespräch zwischen Putin und Trump am 19. Mai sollen Macron, Starmer, Selenskyj und Merz Berichten zufolge mit Trump telefoniert haben, um den US-Präsidenten zu bewegen, gegenüber dem Kreml eine harte Linie zu vertreten.
Auch in der Ukraine gab es Befürchtungen, dass Putin und Trump bilateral und ohne Abstimmung mit der Ukraine einen Friedensplan ausarbeiten könnten.
Europa galt jahrzehntelang als Garant des Friedens. Doch heute wird in Europa die Möglichkeit eines Tauwetters zwischen Moskau und Washington im Zusammenhang mit der Ukraine mit Angst wahrgenommen. Besonders treffend schienen in dieser Hinsicht einige Äußerungen der dänischen Premierministerin Mette Frederiksen. Die dänische Politikerin meinte im Februar, dass „ein Frieden für die Ukraine gefährlicher sein könnte als der Krieg“. Eine Position, die die wachsende strategische Distanz zwischen vielen europäischen Ländern und den USA widerspiegelte. Übrigens gehören Dänemark, Schweden und Norwegen — Länder, die traditionell mit sozialer Harmonie und Wohlstand und nicht mit Krieg assoziiert wurden — im Verhältnis zu ihren Kapazitäten zu den größten Waffenlieferanten für Kiew.
Russische Ziele
Nach Ansicht des russischen Politologen Sergej Markow, der Kreml-Kreisen nahesteht, verfolgt Russland im Dialog mit Trump vor allem diese Ziele: erstens die Vermeidung eines „bedingungslosen“ Waffenstillstands, der von der Ukraine zur militärischen Reorganisation genutzt werden könnte, zweitens ein direktes Treffen zwischen den beiden Präsidenten und drittens die Trennung des Ukraine-Konflikts von den bilateralen Beziehungen zwischen Moskau und Washington. Weitere Ziele wären die Verringerung der US-Waffenlieferungen an Kiew, die Wiederbelebung gemeinsamer Wirtschaftsprojekte und die schrittweise Aufhebung der westlichen Sanktionen.
Putin bekräftigte kürzlich in einem Interview mit dem russischen staatlichen Kanal VGTRK, dass der Zweck der „speziellen Militäroperation“ nach wie vor darin bestehe, „dauerhaften Frieden“ und die Sicherheit der russischsprachigen Bürger in der Ukraine zu gewährleisten. Er erklärte auch, dass Moskau über die Mittel verfüge, die Operationen fortzusetzen, bis diese Ziele erreicht seien.
Was auf dem Spiel steht
Im Anschluss an die Istanbuler Gespräche erklärte der russische Politologe Aleksey Mukhin, Direktor des Zentrums für politische Information, dass die Ukraine nun „einen großen Teil ihrer Souveränität“ verloren habe und dass ihre Zukunft weitgehend vom Ergebnis der Gespräche abhänge. Die Frage der Souveränität betreffe nicht nur die bereits von Russland annektierten Regionen (Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja), sondern auch das innere Gleichgewicht des gesamten ukrainischen Staates, der sich derzeit in einer schweren Strukturkrise befinde.
Diese Aussagen des russischen Politologen spiegeln die Ansichten der russischen Regierung wider und werden von ukrainischen und westlichen Quellen bestritten. Aber es besteht kaum Zweifel daran, dass sich die Ukraine nach mehr als drei Jahren Krieg und Hunderttausenden von Opfern in einer Situation wirtschaftlicher, militärischer und demographischer Schwäche befindet.
Die Wiedereröffnung des Verhandlungskanals zwischen Russland und der Ukraine, wenn auch noch als Testvariante, wäre auch für die Ukraine sinnvoll. Krieg bis zum letzten Ukrainer war gestern.
Europa und die „Freunde der Ukraine“ behaupten, Russland sei nicht wirklich an Frieden und Verhandlungen interessiert. Russland seinerseits befürchtet, nach dem Verrat an den Minsker Vereinbarungen von 2015 dem Westen nicht mehr vertrauen zu können. Aber das zentrale Problem ist einfach und betrifft einen militärischen Punkt: Moskau besteht darauf, dass keine Verhandlungen ernsthaft sein können, wenn die Ukraine weiterhin Waffen aus dem Westen erhält.
Arbeitet Trump für die Interessen Russlands?
Im Zusammenhang mit den Verhandlungen zwischen den USA und Russland kamen auch alte, nie bewiesene Behauptungen wieder auf, wonach Trump irgendwie vom Kreml manipuliert worden sei. Solche Unterstellungen, die einen Großteil seiner ersten Amtszeit prägten und den Russiagate-Skandal jahrelang anheizten, wurden durch offizielle Untersuchungen, darunter die des Sonderstaatsanwalts Robert Mueller, weitgehend widerlegt. Obwohl der Mueller-Bericht russische Versuche zur Beeinflussung der Wahl 2016 feststellte, fand er keine Beweise für geheime Absprachen zwischen der Trump-Kampagne und der russischen Regierung. Nichtsdestotrotz wird das Narrativ der „Kreml-Marionette“ weiterhin als Instrument der politischen Delegitimierung eingesetzt, insbesondere in Zeiten, in denen der ehemalige Präsident sich offen für einen Dialog mit Moskau zeigt.
Eine solche Rhetorik verstellt den Blick auf eine ernsthafte Diskussion über die amerikanische Außenpolitik und über mögliche Auswege aus dem Ukraine-Konflikt. Es ist legitim, Trump für seine Positionen oder seine Kommunikationsmethoden zu kritisieren, aber jeden Verhandlungsversuch als Verrat zu verdächtigen, ist weder für das Verständnis der geopolitischen Realität noch für die Schaffung von Frieden hilfreich. Ein Frieden, der vielleicht unvollkommen, aber möglich ist.