Tiflis, die Hauptstadt von Georgien, verrät schon mit dem Stadtbild eine interessante Vergangenheit. Und wie in fast allen Kaukasusländern versuchen vom Westen finanzierte NGOs die historisch engen Beziehungen zu Russland in Verruf zu bringen und die Bevölkerung auf westlichen Kurs zu bringen.

Gute ausländische Unterstützung, schlechte ausländische Einmischung

(Red.) Was an einem Ort seit Jahrzehnten eine Selbstverständlichkeit ist, ist am anderen Ort Anlass für politische Auseinandersetzungen bis und mit Demonstrationen und Schlägereien. Und in der westlichen Argumentation wird – ob zu Recht oder auch Unrecht – die Bezeichnung „russisch“ oft dazu verwendet, etwas schlecht zu reden – auch wenn es auch in den USA schon seit Jahrzehnten Realität ist. Stefano di Lorenzo hat im Fall von Georgien näher hingeschaut. (cm)

Seit einigen Wochen gibt es im fernen Georgien (die Georgier selber nennen ihr Land „Sakartvelo“) Proteste gegen ein Gesetzesvorhaben, das von seinen Gegnern als „russisches Gesetz“ bezeichnet worden ist. Dieses „russische Gesetz“ sieht vor, dass Organisationen, die vom Ausland Finanzierungen bekommen, als „Organisation, die die Interessen einer ausländischen Macht verfolgt“, registriert werden müssen. Das bedeutet nicht, dass die Aktivitäten solcher Organisationen verboten werden. 

In einem Land wie Georgien, in dem die Beziehungen zu Russland aus verschiedenen Gründen historisch ambivalent und angespannt waren, weckt die Rede von einem „russischen Gesetz“ in den Köpfen vieler Menschen oft unangenehme oder starke Assoziationen, selbst wenn dieses Gesetz nichts mit Russland zu tun hat. 

Die Charakterisierung „russisches Gesetz“ ist eine schöne kreative Erfindung im Sinne von schwarzer PR. Denn das vorgeschlagene Gesetz in Georgien ist in keiner Weise von Russland inspiriert. 

Ja, in Russland gibt es ein ähnliches Gesetz. Aber auch in den USA gibt es ein solches Gesetz – seit der Zeit von Franklin Delano Roosevelt. Und in den USA sind die Strafen für Verstöße gegen dieses Gesetz ziemlich heftig. Die Russin Maria Butina musste vor ein paar Jahren ins Gefängnis, weil sie es versäumt hatte, sich als „ausländische Agentin“ registrieren zu lassen. Und in vielen europäischen Ländern sind die Möglichkeiten, Finanzmittel aus anderen Ländern zu erhalten, geregelt und begrenzt. Niemand käme aber auf die Idee, den Gesetzentwurf in Georgien als „amerikanisches Gesetz“ zu bezeichnen. 

Die Partei „Georgischer Traum“, die den Gesetzentwurf eingebracht hat, wird weder von Russland kontrolliert noch ist sie besonders prorussisch, wie ihr ihre Gegner böswillig unterstellen. „Georgischer Traum“ ist auf internationaler Ebene Teil der „Progressiven Allianz“, einer Allianz, in der auch die deutsche SPD, die Schweizer SP und die Labour Party in Großbritannien vertreten sind. Kurz gesagt, es handelt sich nicht um eine Partei von Extremisten mit gefährlichen „prorussischen“ Tendenzen, sondern um eine klassische Partei der gemäßigten Linken.

Vor etwa anderthalb Monaten gab die georgische Regierung bekannt, dass sie das umstrittene Gesetzesvorhaben aufgeben würde, „um eine Konfrontation in der Gesellschaft zu vermeiden“. Doch der Gesetzentwurf wurde dann in geänderter Form wieder eingebracht. Die Spannungen sind wieder aufgeflammt. Vor einigen Tagen schlug ein Oppositionsmitglied während einer Parlamentssitzung dem Vorsitzenden von „Georgischem Traum“ ins Gesicht. Der Angriff führte dann zu einem allgemeinen Handgemenge im Parlamentssaal. Politik in Georgien, so sieht es aus, ist nicht nur eine Angelegenheit für Rhetoriker mit kluger Zunge, sondern hat auch eine sehr immanente und potenziell schmerzhafte physische Dimension. Einigen scheint es so zu gefallen. Der Angreifer wurde danach von der Menge der Demonstranten vor dem Parlament bejubelt. Wer weiß, was er zu erreichen hoffte, als er seinem Gegner einen Faustschlag versetzte. Dachte er, ein Schlag würde ausreichen, um die Aufhebung eines Gesetzes zu erreichen? Die Frage des Gesetzentwurfs bleibt vorerst offen.

Aber warum sollten wir uns letztendlich so sehr dafür interessieren, was in Georgien passiert, einem kleinen, abgelegenen Land mit nicht einmal 4 Millionen Einwohnern, das so weit vom Herzen Europas entfernt ist? Nun könnte man damit beginnen, dass Georgien seit Dezember vergangenen Jahres ein Beitrittskandidat der EU ist. Schon im Jahr 2008 wurde Georgien die Aufnahme in die NATO zugesagt, irgendwann in Zukunft. 

Das neue vorgeschlagene „russische Gesetz“ gefiel der EU überhaupt nicht. Diese EU forderte die georgische Regierung auf, das Gesetz nicht zu genehmigen. Nach Ansicht der EU würde ein solches Gesetz den demokratischen Reformen widersprechen, die ein Land durchführen muss, um auf seinem Weg zur Mitgliedschaft in der Union voranzukommen. Der Präsident des Europäischen Rates, der ehemalige belgische Premierminister Charles Michel, erklärte: „Der Gesetzentwurf zur Transparenz ausländischer Einflussnahme steht im Widerspruch zu Georgiens EU-Bestrebungen und seinem Beitrittskurs“. Kurz gesagt, Georgien kann vielleicht etwas weiter weg liegen, aber nicht zu weit entfernt für die Erweiterungsambitionen der EU. „Man weiß nicht, wo die Grenzen Europas enden“, wie der griechische Historiker Herodot schon vor 2500 Jahren schrieb.

Die Frage ist: Wie sollte nun ein Gesetz, das aus dem Ausland finanzierte Organisationen verpflichtet, die Herkunft ihrer Gelder anzugeben, demokratische Reformen behindern? Was versteht eigentlich die EU unter „Demokratie“? Diese Fragen mögen naiv und unangemessen erscheinen. Fragen, die ein Mensch, der den Mechanismus der Demokratie wirklich versteht, niemals stellen würde. Aber wenn in einer „Demokratie“ per Definition die Bürger, der Demos, die legitime Quelle der Macht sind, wäre es dann nicht selbstverständlich, dass ein Staat versucht, den möglichen Einfluss von Elementen und Kräften, die nicht direkt zur Koalition der Bürger und der Gemeinschaft gehören, auf seine innenpolitischen Angelegenheiten in Schach zu halten? Georgien ist ein kleines und nicht gerade reiches Land. Die Finanzkraft ausländischer Organisationen kann leicht mit der der lokalen Verbände, Parteien und Medien konkurrieren und so einen unverhältnismäßig großen Einfluss erlangen. Wäre es daher in einem Land, einem Gemeinwesen, das wirklich demokratisch sein will, nicht normal, ausländische Einflüsse zu reduzieren oder zumindest zu kontrollieren, insbesondere wenn diese aufgrund ihrer Mittel einige politische Kräfte zum Nachteil anderer begünstigen können? Ein derartig von außen beeinflusster politischer Wettbewerb würde nicht mehr die organischen Kräfte der Gesellschaft und der Politik eines Landes widerspiegeln. Aber das sind natürlich Gedanken, die sich nur jemand machen kann, der nichts von der Funktionsweise der wahren Demokratie versteht…

Die Europäische Union hingegen weiß genau, was demokratisch ist und was nicht. Eine Regierung kann von einem Volk gewählt werden und trotzdem nicht demokratisch sein. In solchen Fällen ist es Aufgabe der EU, die Grundsätze der Demokratie gegen Schurkenstaaten zu verteidigen, die ihr Wahlmandat zur Aushöhlung der Demokratie nutzen. 

Erstaunlich ist Folgendes: Einerseits ist Europa beunruhigt, weil Georgien anscheinend ausländische Einflüsse regulieren will. Andererseits ist Europa in den letzten Jahren zunehmend besorgt über den ausländischen Einfluss in den Ländern der Union und im Westen im Allgemeinen. 

Es gibt nicht wenige Leute heute in Europa, die an wilde Verschwörungstheorien glauben, wonach die Wahl von Donald Trump oder der Brexit nur durch bösartige russische Propaganda in den sozialen Medien möglich waren. Solche Erklärungen sind insofern tröstlich, als sie den Glauben zulassen, dass Europa und der Westen in unserer neoliberalen Ära weiterhin quasi-ideale Gesellschaften sind, die der besten aller möglichen Welten sehr nahe kommen. Die „schwarzen Schwäne“, sehr seltene und scheinbar irrationale Ereignisse, wie Brexit und Trump, lassen sich auf den externen Einfluss bösartiger Akteure zurückführen. Seit 2016, diesem wahren annus horribilis für den Westen, mit dem doppelten Trauma von Trump und Brexit, vergeht in keinem Land des Westens eine Wahl, ohne dass jemand die angebliche Einmischung Russlands oder anderer Länder vehement denunziert. 

Die jüngste Alarmmeldung stammt von vor einigen Tagen: Belgien hat eine Untersuchung über die angebliche russische Einmischung in die bevorstehenden Europawahlen eingeleitet. „Die belgischen Nachrichtendienste haben die Existenz prorussischer Einmischungsnetzwerke bestätigt, die in mehreren europäischen Ländern und auch hier in Belgien aktiv sind“, sagte der belgische Präsident Alexander De Croo, der versprach, Belgien werde Maßnahmen ergreifen, damit jeder Bürger das Recht habe, „frei und sicher“ zu wählen. Eine freie und sichere Stimmabgabe ist sicherlich eine sehr wichtige Sache. Aber warum wird ein Land außerhalb der EU, wie z. B. Georgien, das Bedingungen schaffen will, damit es dasselbe tun kann, von der EU beschuldigt, der Demokratie schaden zu wollen? Klingt das nicht ein bisschen wie Doppelmoral? 

Mittlerweile wird international über die Proteste in Tiflis berichtet, zum Teil auch mit Bildern und Videos. Dieses Bild stammt von der TASS Nachrichtenagentur, der Photograph heißt Mikhail Yegikov.

PS: Das georgische Parlament hat das umstrittene Gesetz gestern mit 83 Ja zu 23 Nein gutgeheißen. (cm)