Gleich nochmals Dmitri Trenin: „Trumps Amtsantritt wird die US-Außenpolitik nicht grundlegend verändern“
(Red.) Bis vor dem Amtseintritt von Donald Trump hat die westliche Welt den Atem angehalten. Was erwarten Moskau und die russische Gesellschaft von dem neuen Präsidenten der USA? Wie sieht Russland auf Berlins Handlungen und wann ist eine gesamteuropäische Sicherheitsordnung einschließlich Russlands vorstellbar? Dazu haben wir den führenden russischen Politikwissenschaftler und Militärexperten Dmitri Trenin zusätzlich befragt. Das Interview führte Éva Péli – in russischer Sprache, und sie übersetzte es dann auch gleich für Global Bridge in die deutsche Sprache. (cm)
Éva Péli: Der französische Historiker Emmanuel Todd sagt in einem Interview über den wiedergewählten US-Präsidenten Donald Trump: „Trumps Aufgabe wird es sein, die Niederlage der Vereinigten Staaten gegen Russland zu verwalten.“ Wie beurteilen Sie Trumps Rolle in den Beziehungen zu Russland?
Dmitri Trenin: Ich glaube, dass Trump sich unmissverständlich für die Stärkung der USA einsetzt. Im Gegensatz zu den globalistischen Demokraten, die den Schwerpunkt auf die Ausweitung und Stärkung des liberalen Imperiums legten, konzentrieren sich Trump und seine Anhänger auf die Stärkung der Metropole, das heißt der USA. Meiner Einschätzung nach verliert der Westen den Krieg in der Ukraine. Nach Trumps Ansicht ist die Ukraine jedoch nicht lebenswichtig für die USA. Außerdem hält er den Ukraine-Krieg für einen „Biden-Krieg“.
Meine Erwartungen sind eher konservativ. Ich erwarte, dass Trump Putin vorschlagen wird, den Krieg an der Front zu beenden, aber Putins Antwort wird vorhersehbar sein: Russland wird verlangen, dass die Ursachen, die zum Krieg geführt haben, beseitigt werden. An Trumps Reaktion auf eine solche Wendung wird sich zeigen, ob er zu einem ernsthaften Dialog mit dem Kreml fähig ist. Ich würde mich freuen, wenn ein solcher Dialog zustande käme, aber ich mache mir keine besonderen Illusionen über eine schnelle Normalisierung der amerikanisch-russischen Beziehungen auf der Grundlage von Gleichheit und gegenseitigem Respekt.
Éva Péli: Deutschland und Westeuropa warten gespannt darauf, was Trump in Bezug auf den Krieg in der Ukraine unternehmen wird …
Dmitri Trenin: Meine Erwartungen sind bescheiden. Ich denke, dass Trump einen halben Schritt in die richtige Richtung machen wird, indem er vorschlägt, den Krieg zu beenden, aber das wird nicht ausreichen. Die Frage ist, ob Trump in der Lage ist, ein ernsthaftes Abkommen zu schließen, das Europa Frieden, wenn auch einen sehr kalten Frieden, bringen würde. Ich wiederhole noch einmal: Ein dauerhafter Frieden ist hier nur möglich, wenn die Interessen Russlands voll berücksichtigt werden. Die Ukraine kann als Staat überleben, wenn sie die neuen territorialen Gegebenheiten anerkennt, einen neutralen und entmilitarisierten Status annimmt und ein loyales Verhältnis zu Russland aufrechterhält.
Éva Péli: Emmanuel Todd sagt in einem Interview mit der Zeitung „Le Figaro“, dass viele Länder außerhalb des Einflussbereichs der USA Russland bewundern, weil es dem Westen die Stirn bietet. Der Rest der Welt, der bisher vom Westen ausgebeutet wurde, erwarte von Russlands Sieg eine Befreiung. Was denken Sie darüber? Ist das ein Thema für Russland?
Dmitri Trenin: Es ist eine sehr schwierige, gefährliche und kostspielige Rolle, sich den USA zu widersetzen, geschweige denn sich dauerhaft in einer Auseinandersetzung mit Washington zu befinden.Russland tut dies, weil es organisch keine Hegemonie akzeptiert, von niemandem.
Es gibt nicht viele besonders mutige Führerpersönlichkeiten in unserer Welt. Es ist klar, dass die Ablösung der US-Hegemonie durch eine polyzentrische Weltordnung für viele Länder mehr Entwicklungschancen bedeuten würde. Es stimmt aber auch, dass der „Knüppel“ der sekundären US-Sanktionen vielen Menschen Angst macht, auch Russlands offiziellen Partnern und sogar einigen seiner Verbündeten. Viele feuern wohl Russland an, aber nicht jeder drückt offen seine Sympathie für Russland aus und hilft ihm mit Taten.
Éva Péli: Was Deutschland betrifft, so sagt Todd, dass eine nukleare Katastrophe droht, wenn die neue deutsche Regierung die Ukraine mit Taurus-Raketen beliefert und damit in den Krieg eintritt. Wie nah sind wir an einer solchen Situation?
Dmitri Trenin: Traurigerweise haben die Handlungen Berlins in den letzten Jahren die einzigartige historische Versöhnung zwischen dem russischen und dem deutschen Volk zerstört. Das Auftauchen deutscher „Leopard“-Panzer auf den Feldern von Noworossija, Donbass und der Region Kursk weckt in Russland unweigerlich Erinnerungen an Hitlers Aggression, Besatzung und Völkermord an unserem Volk. In der russischen Öffentlichkeit sind Stimmen zu hören, die Deutschland für die Bewaffnung und Finanzierung unseres Feindes verantwortlich machen und eine Antwort verlangen. Ein neuer Eskalationsschritt Berlins könnte zu einem Angriff auf Ziele auf deutschem Territorium führen.
Éva Péli: In Deutschland und Westeuropa wird viel über Trumps Amtsantritt und die Zeit danach diskutiert. Welche Rolle spielt dieses Thema für die russische Politik und die russische Gesellschaft?
Dmitri Trenin: Der Kurs der russischen Politik hängt nicht von der Persönlichkeit oder Parteizugehörigkeit des US-Präsidenten ab. Russische Experten sind mehrheitlich der Meinung, dass Trumps Amtsantritt das Wesen der US-Außenpolitik nicht grundlegend verändern wird. Diese Politik, die von beiden großen politischen Parteien unterstützt wird, steht den Interessen Russlands feindlich gegenüber. Gleichzeitig hört Moskau aufmerksam zu, was Trump sagt, und wird nach seinem Amtsantritt die praktischen Handlungen des Herren im Weißen Haus beobachten und ernsthaft analysieren.
Éva Péli: Das Problem der Energieversorgung Europas verschärft sich nun, nachdem die Ukraine den Gastransit gestoppt hat. Der Westen macht Russland dafür verantwortlich. Welche Gründe sehen Sie für diese Krise? Welche Möglichkeiten gibt es, das Problem zu lösen? Was will die Ukraine und was kann sie erreichen?
Dmitri Trenin: Der Westen macht Russland immer für alles verantwortlich. Das ist nicht überraschend: Der Westen, angeführt von den USA, ist Russlands Hauptgegner, und die Ukraine ist ein Instrument der westlichen Politik. Die Ukraine und die USA handeln ganz offen gegen die wirtschaftlichen Interessen Europas. Die Ukrainer haben den Transit gestoppt, und die US-Amerikaner stecken wahrscheinlich hinter der Zerstörung der Nord-Stream-Gaspipeline. Putin hat sich bereit erklärt, wieder Gas durch Nord Stream zu pumpen, so dass Deutschland einen Ausweg aus der Krise finden kann, wenn es das will. Ich rechne aber nicht damit, dass Berlin diesen Schritt gehen wird. Die Parteien der noch regierenden „Ampel“-Koalition sowie die CDU/CSU stellen offensichtlich die Interessen der Auseinandersetzung des Westens mit Russland über die nationalen Interessen Deutschlands.
Éva Péli: Der führende Osteuropa-Experte in Deutschland und Vorsitzende der Eurasien Gesellschaft, Alexander Rahr, sagte in einem Gespräch mit mir, dass es zu einer gesamteuropäischen Sicherheitsordnung, die Russland einschließt, keine Alternative gibt und dass eine solche Ordnung sehr bald notwendig werden wird. Russlands Außenminister Sergej Lawrow sagte wiederum in einem Interview, dass es mehr als eine Generation dauern wird. Wie viel Zeit geben Sie für die Schaffung einer neuen europäischen Weltordnung?
Dmitri Trenin: Ich glaube, dass die Konfrontation zwischen Russland und dem Westen prinzipieller Natur ist. Russland weigert sich, die US-Hegemonie zu akzeptieren und verteidigt seine nationalen Interessen; die USA können nicht zulassen, dass eine Großmacht eine von ihnen unabhängige Verteidigungs- und Sicherheitspolitik verfolgt. Diese Frage ist unmittelbar relevant für die Ukraine, aber nicht nur dort. Ein russischer Sieg in der Ukraine wäre ein schwerer Schlag für die US-Hegemonie und die EU-Ambitionen. Aber auch nach einem solchen Sieg wird die Konfrontation nicht enden. Meiner Meinung nach wird dieser Prozess mindestens eine Generation dauern, eher zwei oder drei Generationen.
Éva Péli: Rahr sagte auch, dass ein solcher Moment bereits 2025 kommen könnte, um einen Atomkrieg zu vermeiden: „Wir werden dieses System sofort und ohne Alternative aufbauen müssen, um noch mehr Schaden zu vermeiden.“ Was meinen Sie dazu?
Dmitri Trenin: Meiner Meinung nach wird das System der eurasischen Sicherheit (die europäische Sicherheit ist ein Teil davon) frühestens in der Mitte des Jahrhunderts Gestalt annehmen. Bis dahin kann in Europa ein System entstehen, das an die Konfrontation des Kalten Krieges erinnert: Trennlinien, Kommunikationsinfrastruktur zwischen den Seiten, einige einzelne Maßstäbe der Berechenbarkeit – ohne jedoch die bestehende faktische Ordnung anzuerkennen.
Siehe dazu auch den gestrigen Beitrag von Dmitri Trenin: So werden die internationalen Beziehungen im Jahr 2025 aussehen