Gabriele Krone-Schmalz anläßlich ihres Vortrages in Berlin (Photo Eva Péli)

«Funktionierender Interessenausgleich ist Politik für den Frieden»

Analysieren, verstehen, begreifen, erklären – das ist die Aufgabe der Journalisten laut der ehemaligen ARD-Korrespondentin in Moskau Gabriele Krone-Schmalz. Sie wird für ihre sachliche Analyse in Deutschland diffamiert. Bei ihrem Vortrag kürzlich in Berlin wies sie auf mehrere tragischen Fehler hin, die zu dem Krieg in der Ukraine führten und die es verhindern, den Krieg zu beenden. Sie stellte klar: Resignieren ist das Letzte! Ein Bericht von Éva Péli. 

„Diejenigen, die sich dafür einsetzen, dass Kriege beendet werden beziehungsweise künftige nicht mehr ausbrechen, müssten jetzt dringend Mittel und Wege finden, wieder als gestalterische Kraft dieser Gesellschaft zu wirken.“ Das sagte Gabriele Krone-Schmalz bei einem Vortrag Anfang Oktober in der deutschen Hauptstadt, und fügte hinzu, das werde ohne junge Menschen nicht funktionieren. 

Die Journalistin und frühere Moskau-Korrespondentin der ARD widmete sich im Berliner „Sprechsaal“ dem Thema „Verstehen heißt nicht Verständnis haben – Frieden mit Russland & der Welt“. Eingeladen zu der Veranstaltung hatte sie die Rechtsanwältin Karolin Ahrens. Damit brach Krone-Schmalz eine Lanze für Menschen, die, wie sie selbst, ihrem Bedürfnis nach differenzierten Informationen und Sichten nachgehen und sich nicht verblenden lassen. 

Neben einer Bestandsaufnahme der Situation ging die als Russland-Expertin bekannte Journalistin auf die Vorgeschichte des Krieges in der Ukraine ein, was die Geschichte des Landes beinhaltet; auf die Chronologie der Ereignisse; die Erfahrungsgrundlagen der jeweiligen Akteure; auf die Medien und die Sprache, mit Fokus auf Umwidmung der Begriffe wie Querdenker und Russlandversteher. Sie analysierte ausführlich die Interessen der beteiligten Parteien im Konflikt, aus ihrer Sicht ein zentraler Faktor für das Verstehen der Ursachen und ein Grundstein für die Suche nach Lösungen, um den Krieg zu beenden und die Sicherheit wiederherzustellen.

Ihre Rede war ein Plädoyer für eine intelligentere Politik, die die Interessen der jeweiligen Akteure berücksichtigt. Dafür verwies sie auf mehrere Fehlstellen der deutschen und westlichen Politik von heute und früher, wobei sie mehrmals das Wort Tragik benutzte. Sie kritisierte vorwiegend das Verhalten des Westens – was in den sogenannten Leitmedien eher nicht kritisch betrachtet wird. Das bedeute im Umkehrschluss nicht, dass Russland alles richtig gemacht habe und lediglich das arme Opfer sei, sagte sie, um Missverständnisse zu vermeiden. „An kritischer Berichterstattung mit Bezug auf Russland mangelt es ja wirklich nicht.“ Sie versuche, dies ein bisschen auszugleichen. 

Die Tragödie der Ukraine

Den grundlegenden Fehler in Kiews Politik sieht sie darin, der Ukraine, der eine staatliche Kontinuität fehle, keine föderale Struktur gegeben zu haben und auch künftig nicht geben zu wollen. Das hätten einige ukrainische Präsidenten versucht, seien aber immer von nationalistischen Kräften im Westen des Landes gebremst worden, so die ehemalige Russland-Korrespondentin. 

Im Zusammenhang mit der Ukraine und deren Geschichte verwies die Journalistin auf die Aussagen des Politikwissenschaftlers Nikolai Petro, der in seinem Buch „The Tragedy of Ukraine“ auf die Wurzeln des aktuellen Konflikts eingeht. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen um die ukrainische Identität reichen demnach mindestens 150 Jahre zurück. 

„Auf die fehlende staatliche Kontinuität der Ukraine hinzuweisen, hat überhaupt nichts damit zu tun, der Ukraine ihr Existenzrecht abzusprechen“, sagte Krone-Schmalz. „Es hat allerdings eine Menge damit zu tun, tragfähige politische Lösungen zu finden.“ Dazu müsse die Geschichte berücksichtigt werden. Denn es brauche eine stabile Basis, um etwas Neues aufbauen zu können. 

Die ehemalige ARD-Korrespondentin sprach über den Kiewer Putsch 2014, in dessen Folge sich die Ukraine immer mehr von Russland abgewandt hat. Sie kritisierte: Ökonomisch gesehen war das für die Ukraine „ein Wahnsinn, die Verbindung zu Russland zu kappen“. Und: „Es ging immerhin um zwei Drittel aller ukrainischen Exporte.“ Laut Nicolai Petrow eine Selbstmordökonomie, sagte sie. 

Die Kombination der Marktöffnung Richtung Westen und der Trennung von Russland habe der Ukraine nicht gutgetan, weder wirtschaftlich noch finanziell noch demografisch. Aber es war laut Krone-Schmalz aus ideologischen Gründen angesagt. Sachlich betrachtet liege es im Interesse der EU, gute Beziehungen zu Russland zu haben. Genauso wie es im Interesse Russlands liege, gute Beziehungen zu der EU zu haben. 

Ein neutraler Status war lange in der Verfassung der Ukraine festgeschrieben. „Doch im Namen der Demokratie lässt sich heutzutage eine Menge anstellen, was mit demokratischem Denken nicht so wirklich viel zu tun hat.“ Als Beispiel nannte sie die sogenannten Education Programs, also Erziehungsprogramme, um die Ukrainer davon zu überzeugen, dass sie in der NATO besser aufgehoben sind. 

Kritik des Westens

Nach ihrer Einschätzung war einer der größten Fehler der Europäischen Union (EU), den neu hinzugekommenen Mitgliedern wie Polen und den baltischen Staaten immer mehr das Sagen in der EU-Außenpolitik gegenüber Russland überlassen zu haben. 

 „Wie intelligent muss man sein“, so die Journalistin, „die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas, eine gnadenlose Scharfmacherin, zur neuen Außenbeauftragten der EU zu machen, statt nach jemandem Ausschau zu halten, der noch weiß, wie Diplomatie geht?“

Geradezu tragisch ist aus ihrer Sicht, dass das ursprünglich recht gute Verhältnis zu Russland nach der Osterweiterung der EU nicht verbessert, sondern „nachhaltig ruiniert wurde“. Tragisch findet sie ebenso die verlorene Chance nach dem Zerfall der Sowjetunion, eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur aufzubauen. 

Eine andere Tragödie ereignete sich nach ihrer Ansicht nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine. Einige Wochen darauf habe es alle Chancen gegeben, die Krise mit diplomatischen Mitteln zu lösen. Das sei aber vom US-geführten Westen nicht gewollt. Sie betonte, dass das nicht mit Antiamerikanismus zu tun habe. 

Sie wolle den Dingen auf den Grund gehen und dabei die Sicht „von vorgeschobenen humanitären oder moralischen Deckmäntelchen nicht verstellen lassen“. Das tut sie immer wieder sachlich und beharrlich, obwohl der Gegenwind stark ist und sie von den etablierten Medien und Osteuropa-Forschern kaum mehr als Russland-Expertin anerkannt wird, viel mehr als „Putin-Versteherin“ und „Verteidigerin des Putin-Regimes“. 

Appell an die EU

Die Journalistin blieb nicht dabei, auf die Fehler zu zeigen, sondern fragte nach den Ursachen. Sie rief ihre Zuhörer mehrmals zum Perspektivwechsel auf und betonte die Rolle der Interessen der jeweiligen Akteure. „Politik für den Frieden ist im Grunde nichts anderes als funktionierender Interessenausgleich“, erklärte Krone-Schmalz.

Es wäre gut, wenn Deutschland und die EU anfangen würden, ihr strategisches Interesse zu definieren, sagte sie. Das sei für Europa lebensnotwendig. Sie berief sich auf „die ernstzunehmenden Allianzen“, die die transatlantische Bevormundung satthätten und die neben Selbstbewusstsein auch wirtschaftliche Stärke entwickeln würden, und stützte sich dabei auf Zahlen. 

„Wäre es nicht intelligent, diese anderen Staaten nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch ernst zu nehmen?“, fragte sie mit Blick auf die BRICS-Staaten, bei denen die Bewerber Schlange stünden. Dass Russland nicht isoliert sei, das zeige auch die Tatsache, dass der nächste BRICS-Gipfel vom 22. bis 24. Oktober im russischen Kazan abgehalten werde. „In einer Demokratie, die diesen Namen verdient, müsste darüber offen und angstfrei debattiert werden.“ 

Von Brüssel hätte sie nach der Osterweiterung erwartet, dass es die historisch verständlichen Ängste von Lettland, Litauen und Polen und die historisch verständlichen Ängste Russlands in Bezug auf die Sicherheitsarchitektur austariert, basierend auf politischer Analyse, statt auf Ideologisieren und Moralisieren. 

Russlands Sicherheitsinteressen

Krone-Schmalz bezeichnete die NATO-Osterweiterung als einen der größten Fehler nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Damit werde Russlands legitime Sicherheitsinteressen ignoriert, geografisch und historisch gesehen. Mehr noch, das Sicherheitsbedürfnis Russlands werde durch die politische Agenda des Westens eher lächerlich überzogen. Sie verglich die Sicherheitsinteressen von den USA und Russlands und kam zum Schluss, dass die USA an zwei Ozeane grenzen und zwei Nachbarn haben – Kanada im Norden und Mexiko im Süden –, von denen keine Sicherheitsgefahr ausgehe. Russland dagegen habe eine riesige Landmasse mit 22.125 Kilometer Landgrenze, die über weite Strecken schwer zu verteidigen sei, und zudem 14 Nachbarn, mit denen die Beziehungen teilweise sehr belastet seien. 

Russland hat aber auch historisch gewachsene Ängste, wie sie feststellte, „angefangen von dem Angriff von Napoleon auf das Land 1812 bis hin zum Deutschen Reich 1941 und einigen Attacken, die im westlichen Bewusstsein nicht mehr vorhanden sind“. Als Beispiel für die Letzteren nannte sie Polens Aggression gegen die Sowjetunion nach dem Ersten Weltkrieg. „Russische Ängste und Bedrohungsgefühle haben also einen realen Hintergrund, der das absolute Kontrastprogramm zu den USA darstellt.“

Die neue Angst in Deutschland und der EU vor der „russischen Gefahr“ könne sie nicht nachvollziehen. Sie werde aus ihrer Sicht absichtlich geschürt. Die Verquickung der Stationierung der Mittelstreckenraketen in Deutschland mit dem russischen Angriff auf die Ukraine diene eher dazu, „mit der Angst vor Putin eine öffentliche Diskussion über so wichtige Fragen zu lähmen und zu unterbinden“. Sie wies auf einen Beitrag von Wolfgang Lieb hin, der die Hintergründe der Stationierung analysierte und zeigt, dass diese lange vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine vorbereitet und beschlossen wurde.

Aspekte der Raketenstationierung

Die Stationierung der Raketen hat aus Sicht von Krone-Schmalz mindestens zwei Aspekte: einen sicherheitspolitischen und einen demokratischen. Ihr erschließt sich nicht, wie sich durch diese Aktivitäten „unsere Sicherheit“ erhöhen soll. Sie versteht es auch nicht, dass Menschen in Deutschland nicht massenhaft auf die Straße gehen, um sich dagegen zu wehren, wie das beim NATO-Doppelbeschuss von 1979 geschah. Damals habe es eine intensive parlamentarische und gesellschaftliche Diskussion gegeben und es habe vier Jahre gedauert, bis das Parlament der Aufstellung der US-amerikanischen Pershing II-Raketen zustimmte. 

Mehrmals ging Krone-Schmalz auf die gefährdete Demokratie ein, so bei dem Thema Medien: „Uns RT nicht zuzumuten ist eine Unverschämtheit“, kommentierte sie das Verbot der russischen Medien in der EU. Die Journalistin forderte das Publikum immer wieder auf, die russische Perspektive einzunehmen, um zu verstehen, wie Moskau darauf blickt. Sie erinnerte auch daran, dass Russland elf Militärstützpunkte im Ausland hat, während die USA mehr als 800 in mehr als 70 Ländern haben. 

Für sie ist unverständlich, dass junge Menschen sich für das Klima engagieren, aber nicht für den Frieden: „Wenn das mit dem Frieden nicht funktioniert, schon gar angesichts der Nuklearwaffen, dann ist das mit dem Klima auch schon egal.“ 

Auf eine Frage aus dem Publikum nach dem Licht am Ende des Tunnels sagte die oft diffamierte Journalistin und Russland-Expertin: „Resignieren ist das Letzte!“