Es gibt sie noch, die guten Nachrichten!
Während bei den großen deutschsprachigen Medien fast durchwegs nur noch Einäuger am Werkeln sind, gibt es – die gute Nachricht! – wenigstens im Buchmarkt noch Verlage, die es wagen, andere Analysen und Meinungen zu Papier zu bringen. Zu diesen gehört einmal mehr der WESTEND-Verlag. Dazu ein exzellentes Beispiel.
«TAM TAM UND TABU. Meinungsmanipulation von der Wendezeit bis zur Zeitenwende», so der Titel des 260 Seiten starken Buches, das man insofern trotz der schwierigen politischen Situation mit Vergnügen liest, als man endlich auch wieder mal sagen kann: «Wie recht doch die beiden Autoren haben!». Oder genauer: die Autorin Daniela Dahn und der Autor Rainer Mausfeld.
Besonders interessant sind natürlich die ersten 38 Seiten des Buches, die erst seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine geschrieben wurden. Darin wird vor allem auch aufgezeigt, wie schnell und wie total anders die Medien heute die Situation in der Ukraine beschreiben, analysieren und kommentieren.
Dazu ein Zitat aus dem Buch: Die Umdeutung von Informationen in Desinformationen durchzieht ja die gesamte Berichterstattung zur Ukraine, seit Februar 2022 in geradezu hyper-orwellschem Ausmaß. Den Medien gelang es, innerhalb weniger Wochen, die Stimmung der Bevölkerung dadurch zu lenken, dass sie die Geschichte der Ukraine vollständig umgeschrieben haben. Sie haben alle Fakten, die ihnen nicht in das gewünschte Narrativ passten, in kürzester Zeit verschwinden lassen und für die Öffentlichkeit nahezu unsichtbar gemacht. Das ist schon deswegen eine besonders bemerkenswerte Leistung, weil sie selbst genau diese Fakten vorher immer wieder berichtet hatten. Von dem Ausmaß dieser Schaffung einer »alternativen Realität« kann man sich leicht durch einen Vergleich mit der dem Februar 2022 vorhergehenden Berichterstattung einen Eindruck gewinnen – so viel »investigativer Journalismus« wäre auch einem Journalisten der sogenannten Qualitätsmedien zuzumuten. Nur ein kurzer Blick auf die Beispiele »Korruption« und »Neonazis«.
Im Jahr 2015 bezeichnete der Guardian die Ukraine als »korrupteste Nation in Europa«, ebenso der Spiegel vom 14.06.2015; die Korruption ziehe sich durch nahezu alle gesellschaftlichen und politischen Instanzen, einschließlich des Parlamentes. Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International für das Jahr 2021 zählte die Ukraine zu den korruptesten Ländern der Welt. Bereits daraus lässt sich unschwer erschließen, wie es mit der Demokratie in der Ukraine bestellt ist. Im internationalen Demokratieindex des Economist stand die Ukraine 2021 auf Platz 86, gefolgt von Senegal, Armenien und Liberia.
Die »wahren europäischen Werte«, die hier, in den Worten des angesehenen US-Diplomaten Chas Freeman, »bis zum letzten Blutstropfen des letzten Ukrainers« verteidigt werden, müssten also zunächst einmal überhaupt erst hergestellt werden – und nicht nur von Medien und Politikern propagandistisch proklamiert werden. Zu diesem orwellschen propagandistischen Umschreiben der Realität in der Ukraine gehören vor allem organisierte Bewegungen des gewaltbereiten Rechtsextremismus und weißen Suprematismus. Für eine Rhetorik »wahrer europäischer Werte« sind solche Bewegungen natürlich besonders verfänglich. Augenfällige Widersprüche lassen sich am einfachsten dadurch bewältigen, dass man derartige Bewegungen schlicht leugnet und für nichtexistent erklärt. In dieser Form der Widerspruchsbewältigung hat es ja die »westliche Wertegemeinschaft« – vom Kolonialismus bis zu gegenwärtigen Formen des Rassismus – zu hoher Virtuosität gebracht. Mit der von den USA beanspruchten »full spectrum dominance« auch über den »information space«, also über die Medien und den gesamten Bereich der öffentlichen Meinung, ist dies im Februar 2022 in atemberaubender Geschwindigkeit gelungen – das wenn schon nicht größte, so doch das schnellste Programm einer »Entnazifizierung durch Unsichtbarmachen« überhaupt, eine Meisterleistung der Narrativkontrolle.
Bis zum Februar 2022 waren die organisierten gewaltbereiten rechtsextremistischen Bewegungen und ihre Verankerung auf allen politischen Ebenen vielfach im Detail in großen internationalen und auch deutschen Medien beschrieben. Es schien mir lohnend, sich einige dieser Artikel aufzuheben: Foreign Policy schrieb im März 2014: »Die unbequeme Wahrheit ist, dass ein beträchtlicher Teil der derzeitigen Regierung in Kiew – und die Demonstranten, die sie an die Macht gebracht haben – in der Tat Faschisten sind.« Der Beitrag stellte fest: »Die Ukraine ist die Heimat von Svoboda, der derzeit wohl einflussreichsten rechtsextremen Bewegung in Europa. […] Heute hält Svoboda einen größeren Anteil an den Ministerien ihres Landes (fast ein Viertel, einschließlich des begehrten Verteidigungsressorts) als jede andere rechtsextreme Partei auf dem Kontinent. […] Einer der neuen Abgeordneten ist der Gründer des ›Joseph Goebbels Political Research Centre‹ und hat den Holocaust als ›glänzende Periode‹ in der Menschheitsgeschichte bezeichnet.«
Im Januar 2020 sprach die Bundeszentrale für politische Bildung von einer »zunehmenden gesellschaftlichen Verankerung der Ultrarechten.« Die Asow-Bewegung sei »ein sichtbarer Teil internationaler Netzwerke rechter Aktivisten geworden«.
Die ZEIT hatte unter dem Titel »Die braune Internationale« am 11.02.2021 ebenfalls über diese rechtsradikalen Netzwerke in Europa berichtet. Newsweek stellte am 05.01.2022 fest: »Die Ukraine hat sich zu einem Knotenpunkt im breiteren Netzwerk des transnationalen Extremismus des weißen Suprematismus entwickelt und zieht ausländische Rekruten aus der ganzen Welt an.«
Zwei Jahre später haben sich diese »intensiv ausgebauten« ultrarechten Netzwerke – die als größte rechtsextreme Netzwerke in Europa gelten – in einer wundersamen Metamorphose in demokratiebegeisterte Freiheitskämpfer verwandelt, die »unsere Werte« an der Seite des Westens oder stellvertretend für ihn verteidigen – so jedenfalls unisono unsere Medien. So schnell und wirksam lässt sich eine alternative Realität schaffen, wenn man nur über die nötigen Instrumente dazu verfügt.
Ende des Zitats aus TAM TAM UND TABU.
Man kann Daniela Dahn und Rainer Mausfeld und dem WESTEND-Verlag einfach nur DANKE sagen, dass sie dieses Buch geschrieben und gedruckt haben. Eigentlich müssten alle Zeitungsleserinnen und alle Zeitungsleser und natürlich auch alle TV- und Radio-Konsumenten dieses Buch lesen und verinnerlichen. Was heute im deutschsprachigen Raum die Medien leisten, ist deutlich mehr Manipulation als, wie behauptet, Information. Es ist eine Katastrophe.
Kleines PS der Globalbridge-Redaktion: Wer in ein paar wenigen Minuten in einem Video des deutschen Fernsehens «1 Das Erste» bestätigt sehen möchte, dass die deutschen Medien im März 2014 die Neonazis in der Ukraine noch als einflussreiche politische Kraft und also auch als Gefahr erkannt haben, der schaue sich das Video an, aus dem unser Aufmacherbild stammt. Hier anklicken.
Zur gleichen Thematik: «Die Rechtsextremen-Szene in der Ukraine ist auch den USA bestens bekannt» – auf Globalbridge.ch – hier anklicken.