Auuch der Noch-Präsident Wolodymyr Selenskyj hat bestätigt, dass er von Joe Biden die Erlaubnis erhalten hat, ATACMS-Raketen gegen entfernte Ziele in Russland einzusetzen. – Die ATACMS-Rakete (Army Tactical Missile System) ist eine konventionelle Rakete für den Einsatz auf große Distanzen, mit der man aus der Ukraine auch Moskau erreichen kann. (Photo Lockheedmartin)

Einmal mehr lassen wir den US-Beobachter Oliver Boyd-Barrett zu Wort kommen

(Red.) So irrwitzig es klingen mag: Manchmal sind Kommentare aus den USA deutlich realistischer als die Kommentare unserer Schreibtisch-Schreiberlinge in den Mainstream-Medien. Zu den gut informierten Kommentatoren in den USA gehört Oliver Boyd-Barrett. Wer ihn regelmäßig lesen will, muss dafür eine Kleinigkeit bezahlen – Globalbridge.ch tut das –, aber als Ausnahme dürfen wir auch wieder einmal einen Text übernehmen und übersetzen. Auch diesmal ist Oliver Boyd-Barrett durchaus US-selbstkritisch, er macht zum Beispiel deutlich darauf aufmerksam, dass die NATO im Ukraine-Krieg bereits signifikant involviert ist. – Das Original in US-englischer Sprache kann am Ende des Artikels angeklickt werden. (cm)

Der scheidende US-Präsident Biden hat heute (18. November 2024) grünes Licht für den Einsatz westlicher Präzisionslenkflugkörper durch die „Ukraine“ ( = von der NATO geführte Ukraine, mit Waffen, NATO-Personal und NATO-Satellitendaten) auf Ziele tief im Inneren Russlands gegeben.

Die Behauptung, dies sei eine Vergeltungsmaßnahme für den angeblichen, aber noch nicht nachgewiesenen Einsatz nordkoreanischer Truppen in Kursk, ist auf allgemeine Skepsis gestossen. Wie ich gestern bereits angemerkt habe, ist dies ein absurdes Argument, wenn man bedenkt, dass seit Beginn der SMO NATO-Personal in der Ukraine stationiert ist, dass die Ukraine beim Abschuss von Präzisionslenkflugkörpern vollständig von der NATO abhängig ist, dass der gesamte Krieg von Waffenlieferungen der NATO an die Ukraine abhängig ist, und angesichts der Tatsache, dass Russland, selbst wenn es beschließen würde, nordkoreanische Truppen in Kursk zu stationieren, um die ukrainischen Truppen zu vertreiben, die in die russische Oblast Kursk eingedrungen sind, völlig im Recht wäre, dies zu tun. 

Eine überzeugendere Erklärung für Bidens Entscheidung könnte sein, dass Biden angesichts der plötzlichen Eskalation der Angriffe Russlands auf das ukrainische Festland, insbesondere an der Schwelle zum bitteren Winter, und der Angriffe auf ukrainische Energiesysteme der Ansicht war, dass die USA gezwungen waren zu handeln, um die Fassade aufrechtzuerhalten, die USA seien in der Lage, die Ukraine mit der notwendigen Hilfe zu versorgen, um Russland daran zu hindern, den Krieg zu gewinnen – und so den Anschein zu erwecken, ihre unerfüllbaren Versprechen zu erfüllen. Berichten zufolge hat Russland innerhalb der letzten 24 Stunden 120 Raketen aller Art (darunter Kaliber, KH101, strategische Überschallbomber, Iskander Ms und hyperschallschnelle Kinschals) sowie 90 Geran2-Drohnen abgefeuert. Angesichts des schlechten Zustands der ukrainischen Luftabwehr war es unvermeidlich, dass eine große Anzahl dieser Raketen ihre Ziele auch tatsächlich getroffen hat.

Eine weitere Erklärung dafür, dass zielgenaue Lenkwaffen auf Ziele tief in Russland abgefeuert werden dürfen, ist, dass Biden und seine Regierung entschlossen zu sein scheinen, dem designierten Präsidenten Trump und denjenigen, die mit ihm argumentieren, der Krieg sei eine sinnlose und unnötige Belastung für die US-Ressourcen, das Leben so schwer wie möglich zu machen. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Mitglieder der kommenden Trump-Regierung Bidens Entscheidung äußerst kritisch gegenüberstehen, zumal Trump in seiner jüngsten 90-minütigen Sitzung mit Biden im Weißen Haus nicht über diese Entscheidung informiert wurde. 

Andererseits kann man argumentieren, dass Trump in zwei Monaten die Möglichkeit haben wird, Bidens Anordnung aufzuheben, und dass sogar das Pentagon Biden darauf hingewiesen hat, dass die Hinzufügung von ATACMS ohnehin keine Auswirkung mehr auf das derzeitige Ungleichgewicht der Kräfte auf dem Schlachtfeld zugunsten Russlands haben wird, schon gar nicht innerhalb von zwei Monaten.

Die Entscheidung von Biden ist eine schlechte Entscheidung. Sie gilt nicht nur für die Lieferung von ATACMS durch die USA, sondern gibt auch Großbritannien und Frankreich grünes Licht, der „Ukraine“ oder besser gesagt den NATO-Mächten zu erlauben, mit Scalps und Storm Shadows direkt Ziele auf dem russischen Festland zu treffen. Darüber hinaus hat der wahrscheinliche neue deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz angekündigt, deutsche Taurus-Raketen in die Ukraine zu liefern, und er ist sehr daran interessiert, die europäische Unterstützung für die Ukraine aufrechtzuerhalten. 

Zusätzlich zur Fortsetzung der US-Hilfe für die Ukraine bis in die letzten Wochen seiner Amtszeit und im Wissen, dass sein Nachfolger eine völlig andere Politik verfolgen wird, hat Biden weitere Maßnahmen ergriffen, um den Krieg zu verlängern und damit noch viel mehr Menschen umzubringen. 

Darüber hinaus gibt es keine Maßnahme, die die NATO in den nächsten zwei Monaten ergreifen kann, um Russland abzuschrecken; im Gegenteil, NATO-Aktionen mit Scalps-, Storm-Shadows-, ATACMS- und Taurus-Raketen werden Russland in Rage versetzen und die ganze Welt ernsthaft gefährden. Wenn der Oberste US-Gerichtshof der Präsidentschaft nicht –dummerweise – bereits eine Art Immunität für im Amt begangene Straftaten gewährt hätte, könnte man hoffen, dass Trump Biden an seinem ersten Tag im Amt einsperren und den Schlüssel wegwerfen würde. Aber natürlich haben US-Präsidenten selten die Deckung des Obersten Gerichtshofs benötigt, um Straftaten zu begehen (z. B. Obamas Drohnenkriegsführung, bei der unbewiesene „Terroristen“ ermordet wurden und bei jedem solchen „Terroristen“ mehrere Zivilisten ums Leben kamen).

Außerdem sehen wir, um die Dinge in die richtige Perspektive zu bringen, dass die Ukraine immer noch irgendwie überlebt, trotz zwei Jahren russischer Raketen- und Drohnenangriffe auf ukrainische Luftverteidigungs-, Militär-, Transport- und Energiesysteme, bei denen Waffen eingesetzt wurden, für die Russland über eine größere Produktionskapazität verfügt als die gesamte westliche Welt zusammen. 

Russland, ein weitaus größeres Land, wird nicht innerhalb von zwei Monaten von einer zusammengewürfelten Gruppe von NATO-Ländern, die Anspruch auf Unterstützung erheben, aber selbst nur über sehr geringe Waffenbestände verfügen – siehe unten –, lahmgelegt werden. 

Das soll nicht heißen, dass ernsthafter Schaden unmöglich ist: Die Ukraine ist wirklich, wirklich, wirklich scharf auf die Idee von Angriffen auf Kernkraftwerke. 7 von 9 ihrer eigenen Kernreaktoren sind derzeit nicht betriebsbereit, sodass Russland in dieser Hinsicht weniger Spielraum für Vergeltungsmaßnahmen hat, aber es besteht kein Zweifel an seiner Fähigkeit, tatsächliche Kernwaffen einzusetzen, die in weitaus größerer Zahl und in einer weitaus kürzeren Zeitspanne eingesetzt werden können, als Selenskyj wie angedroht eine Atombombe im Nagasaki-Stil herstellen kann. 

Und da Russland nun mit der NATO im Krieg stehen wird, sind seine potenziellen Ziele, mit welchen Waffen auch immer, ob direkt abgefeuert oder indirekt über Dritte wie den Iran, die Huthis, Nordkorea oder sogar Kuba oder Venezuela, nun echt über die ganze Welt verteilt. 

In Westasien (hierzulande immer noch als Naher Osten bezeichnet. Red.) berichtet die Financial Times unterdessen, dass die künftige Trump-Regierung der Wiedereinführung maximalistischer Sanktionen gegen den Iran positiv gegenübersteht, was eine erhebliche Eskalation von Trumps Wirtschaftskrieg mit dem Iran darstellt, nachdem er das JCPOA-Abkommen während seiner ersten Amtszeit ohne triftigen Grund mutwillig zerstört hatte. Wenn die Financial Times Recht hat, und wir sollten lieber nicht davon ausgehen, dass dies der Fall ist, dann entlarvt dies die Naivität der pro-westlichen Fraktion in Teheran, die vom neuen Präsidenten Pezeshkian angeführt wird, bei der Suche nach besseren Beziehungen zu Washington (was zweifellos bei einem Treffen zwischen Elon Musk und dem iranischen UN-Botschafter in der vergangenen Woche besprochen wurde). 

Andererseits könnte es sich bei dieser Geschichte um eine neokonservative Operation unter falscher Flagge handeln, die darauf abzielt, die Entschlossenheit derjenigen in Teheran zu stärken, die jetzt, sofort, eine iranische Vergeltung gegen Israel für die israelischen Angriffe auf den Iran vom 25. bis 26. Oktober sehen wollen, in der Erwartung, dass Israel und die USA dies als notwendigen Vorwand für einen umfassenden regionalen Krieg nutzen würden, der wahrscheinlich sowohl Russland als auch China zur Verteidigung des Iran mit ins Boot holen würde, ein Krieg, von dem die Neokonservativen entweder glauben, dass die USA ihn gewinnen können – das können sie nicht, siehe unten –, oder weil es den Neokonservativen einfach egal ist, solange sie weiterhin ein wenig von der Beute zehren können, die ihnen der Alptraum des gewinnorientierten US-amerikanischen Nationalen Sicherheitsstaats für ihre Dienste zukommen lässt.

Washingtons neokonservativer Krieg gegen Russland hat eine lange Vorgeschichte. Er beginnt schon mit der Ablehnung der Warnungen Putins durch den Westen im Jahr 2008, dass ein anhaltendes Beharren der NATO auf einer weiteren Ausbreitung nach Osten, entgegen den Vereinbarungen, die zwischen Bush Senior und Gorbatschow zur Zeit des Zusammenbruchs der Sowjetunion getroffen wurden, die geopolitischen Beziehungen destabilisieren werde. 

Die Vorbereitungen für den Krieg wurden durch den von den USA initiierten, finanzierten und gelenkten Staatsstreich in Kiew im Jahr 2014 und die Sabotage der nachfolgenden Minsker Abkommen durch den Westen fortgesetzt, die den östlichen Donbass nur mit größerer Autonomie in der Ukraine gehalten hätten (was Russland indirekt mehr Einfluss in der RADA gegeben hätte, was wahrscheinlich eine sehr gesunde Sache gewesen wäre). 

Sie wurde dann eine Reihe großer, sorgfältig orchestrierter westlicher Propagandaaktionen aufrechterhalten, zu denen erstens die falschen Anschuldigungen gehörten, Russland habe den Abschuss von MH17 über der Ostukraine im Jahr 2014 angeordnet, und zweitens Russland habe den versuchten Mord an den Skripals in Salisbury, Großbritannien, im Jahr 2018 unter Verwendung des lächerlichen „Novitschok“ befohlen und ausgeführt (einen Bericht über die jüngste verpfuschte Untersuchung dieser absurden Fabel finden Sie hier – Kit Klarenbergs The CIA/MI6 Skripal Conspiracy Exposed). Dann gab es drittens Russiagate, worüber ich an dieser Stelle schon viel geschrieben habe. Und eine lange Reihe vergleichbarer offizieller Hirngespinste – erinnern Sie sich zum Beispiel an die Mär von Bucha. 

Kit Klarenberg hat kürzlich eine RAND-Bewertung des Zustands der Nationalen Verteidigungsstrategie (NDS) des Pentagons für 2022 und der aktuellen Einsatzbereitschaft des US-Militärs konsultiert, die zu dem Schluss kommt, dass die USA in keiner nennenswerten Weise auf einen ernsthaften „Wettbewerb“ mit ihren Hauptgegnern vorbereitet sind – und dass sie in jedem Bereich der Kriegsführung verwundbar oder sogar deutlich unterlegen sind. RAND ist der Ansicht, dass der NDS in seiner Einschätzung der Bedrohungen der USA und mit seinen Vorschlägen zu deren Bekämpfung in gefährlicher Weise falsch liegt. Besonders unverantwortlich sei die Einschätzung der Bedrohung durch ein Bündnis zwischen Russland und China – genau die Art von Bündnis, das Trump 2016 mit seinem Wunsch, bessere Beziehungen zu Russland zu pflegen, verhindern wollte, ein Wunsch, der in der Praxis nicht umgesetzt wurde. 

Daraus von besonderem Interesse im Zusammenhang mit meinem heutigen Beitrag:

„Die RAND-Kommission stellte fest, dass die ‚Verteidigungsindustrie‘ Washingtons völlig ‚unfähig ist, den Bedarf an Ausrüstung, Technologie und Munition‘ der USA zu decken, ganz zu schweigen von dem ihrer Verbündeten. „Ein langwieriger Konflikt, insbesondere an mehreren Schauplätzen, würde eine viel größere Kapazität zur Herstellung, Wartung und Wiederauffüllung von Waffen und Munition erfordern“, als derzeit vorhanden ist, heißt es in dem Bericht. Der Wiederaufbau dieser Kapazitäten „erfordert mehr Dringlichkeit und Ressourcen“ und sollte für das Pentagon weiterhin oberste Priorität haben.

Jahrzehntelang hat das US-Militär „modernste Technologie zu seinem entscheidenden Vorteil eingesetzt“. Diese „Annahme einer unbestrittenen technologischen Überlegenheit“ seitens des Imperiums bedeutete, dass Washington „den Luxus hatte, exquisite Fähigkeiten aufzubauen, mit langen Beschaffungszyklen und wenig Toleranz für Misserfolge oder Risiken.“ Diese Zeiten sind jedoch längst vorbei, da China und Russland „Technologie mit zunehmender Geschwindigkeit integrieren“ und „selbst relativ unausgereifte Akteure“ wie die jemenitische Ansarallah „in der Lage sind, moderne Technologie (z. B. Drohnen) zu beschaffen und strategisch einzusetzen“.

Kit Klarenberg kommt zu dem Schluss:

„Wir sind in eine seltsame Spätphase des Imperiums eingetreten, vergleichbar mit der Glasnost-Ära der Sowjetunion, in der Teile des imperialen Führungsstabs der USA mit blendender Klarheit erkennen können, dass Washingtons gesamtes hegemoniales globales Projekt schnell und unumkehrbar auf seine Auslöschung zusteuert, und dies auch öffentlich verkünden – aber ihre Einsicht führt nicht zu angemessenem Regierungshandeln im eigenen Land.“

Für Mint Press News erörtert Robert Inlakesh (Inlakesh) das damit zusammenhängende Problem der Erschöpfung der westlichen Bestände, während Waffenhersteller davon profitieren: 

„Die amerikanische Militärhilfe für Israel seit Beginn des Krieges hat 17,9 Milliarden US-Dollar überschritten. In dieser Zahl sind die für die Versorgung Israels errichteten Waffenbrücken nicht enthalten. Allein im August genehmigte Präsident Joe Biden ein Waffenpaket im Wert von 20 Milliarden US-Dollar. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine hat Washington 64,1 Milliarden US-Dollar an Militärhilfe genehmigt, von denen ein Großteil noch geheimgehalten wurde …

„Mit Blick auf die Waffenlieferungen der USA an Israel hat sich die Luftverteidigung als ein wichtiges Anliegen für Sicherheitsbeamte herausgestellt. Obwohl die USA über ein Jahresbudget von 500 Millionen US-Dollar für Luftabwehrsysteme verfügten, kam es im vergangenen Jahr zu einem dramatischen Anstieg, wobei die Luftverteidigungshilfe insgesamt 5,7 Milliarden US-Dollar betrug …

„Im April, während der Vergeltungsschläge des Iran gegen Israel im Rahmen der Operation True Promise, gaben Israel und die USA Berichten zufolge mindestens 1 Milliarde US-Dollar aus, um etwa 300 Geschosse abzufangen. Nach einer zweiten Welle iranischer Angriffe am 1. Oktober, denen Israel nicht wirksam entgegentreten konnte, setzten die USA ihr THAAD-Raketensystem ein, um die künftige Verteidigung zu stärken. Die USA besitzen jedoch nur sieben dieser milliardenschweren Systeme, die jeweils mit 48 Abfangraketen ausgestattet sind, die 13 Millionen US-Dollar pro Stück kosten. Wenn Tel Aviv auch nur ein paar Nachschublieferungen erhalten würde, könnte dies bis zu einem Viertel des gesamten Bestands an THAAD-Raketen der USA ausmachen…

„Bei der Operation im Roten Meer erfolgt die Verteidigung Israels zu einem hohen Preis. Die USA haben zwei Millionen Dollar in Abfangraketen investiert, um jemenitische Drohnen abzuschießen, die Berichten zufolge für nur 2.000 Dollar gebaut wurden – ein Ungleichgewicht, das die wachsende wirtschaftliche Belastung einer Marinemission veranschaulicht, die erst noch immer keinen eindeutigen Erfolg vorweisen kann.“

Zum Autor Oliver Boyd-Barret.

Zum Originalartikel von Oliver Boyd-Barrett als PDF.