In Europa kennt nur noch Belarus die Todesstrafe. Opfer könnte jetzt der deutsche Staatsbürger Rico Krieger sein, der mit kriegerischem Material einreisen wollte. (Bild RAZAM.de)

Ein nützlicher Naivling auf ‹Mission Impossible›?

Seit Oktober vergangenen Jahres sitzt der deutsche Staatsbürger Rico Krieger in Belarus in Untersuchungshaft und vor knapp einem Monat wurde er schließlich von einem Gericht in Minsk zum Tod verurteilt (1).

Bisher ist es im Blätterwald noch vergleichsweise ruhig, aber die Affäre hat das Potenzial für einen zwischenstaatlichen Skandal. Und bald schon könnte die Bundesregierung in eine schwierige Lage kommen. 

Ein Junger Mann aus Niedersachsen …

Krieger stammt aus Hildesheim in Niedersachsen (Deutschland). Nach seinem Realschul-Abschluss in Petershagen (Nordrhein-Westfalen) absolvierte er eine Berufslehre als Auto-Mechatroniker und war danach als Wachmann für die US-amerikanische Botschaft tätig (2). Als Sicherheitsbeamter der amerikanischen Botschaft in Berlin bewachte er nach eigenen Angaben die Wohnkomplexe der US-Marinesoldaten, die Residenz des Botschafters und die Visa-Abteilung. Dabei habe er Erfahrungen im Bereich bewaffneter Sicherheitseinsätze gesammelt. Von einer entsprechenden Ausbildung ist hingegen nirgends die Sprache. Danach war er drei Jahre lang als Pfleger in einem Seniorenheim tätig, bevor er 2021 beim Roten Kreuz eine Stelle als Rettungssanitäter annahm. In seinem LinkedIn Profil gibt er eine interessante Palette von Kenntnissen an: Häusliche Pflege, Medizinprodukte, Notfallmedizin, Waffengebrauch und Personenschutz. Dort drückt er auch seinen Wunsch aus, in den USA zu arbeiten.

… plötzlich in der Ukraine

Rico Krieger soll zum Kastuś-Kalinoŭski-Regiment gehören, einer Gruppe von belarussischen Freiwilligen, die im Krieg in der Ukraine gegen Russland kämpfen (3). Der nach dem belarussischen Dichter und Revolutionär Kastuś Kalinoŭskibenannte Freiwilligen-Verband nimmt nicht nur oppositionelle Belarussen, sondern auch westliche Ausländer in seine Reihen auf. Dass es sich um keinen gewöhnlichen Kampfverband handelt, zeigt allein schon die Tatsache, dass er dem GUR, dem militärischen Nachrichtendienst des ukrainischen Generalstabs, unterstellt ist. Das Regiment distanzierte sich aber bereits von Krieger.

Anderen, unbestätigten Informationen aus informierten Quellen in Minsk zufolge wurde Rico Krieger während der Kämpfe vom russischen Militär gefangengenommen und anschließend den belarussischen Behörden übergeben. Weshalb das erfolgt sein sollte, bleibt allerdings unklar. 

Vielsagend wäre aber der Ablauf der Ereignisse gemäß der plausibleren Version (4): Am 20. September 2023 habe das Kastuś-Kalinoŭski-Regiment Rico Krieger in seine Reihen aufgenommen. Danach soll sich Krieger bereiterklärt haben, zugunsten des ukrainischen Geheimdiensts SBU zu arbeiten. Schon am 2. Oktober 2023 reiste Krieger angeblich als Tourist nach Belarus ein, mit Telefonen und einer Drohne im Gepäck (5). Er soll den Auftrag gehabt haben, aus Osipovichi Nachrichten zu beschaffen. Osipovichi (belarussisch auch Asipovicy bezeichnet) ist Standort verschiedener Artillerie- und Raketen-Formationen. Lange konnte er seine Tarnung offenbar nicht aufrechterhalten, denn seit dem 13. Oktober soll er in Untersuchungshaft sitzen. 

Wer den Grenzübertritt nach Belarus schon miterlebt hat, kann sich nicht erklären, wie Krieger glauben konnte, eine Drohne und möglicherweise noch weiteres, für Aufklärung und Sabotage geeignetes Gerät über die Grenze schmuggeln zu können. Die Kontrollmaßnahmen an der belarussischen Grenze sind mit jenen an Flughäfen in Westeuropa vergleichbar. Eine Röntgenkontrolle des mitgeführten Gepäcks ist Standard. Und die belarussischen Grenzbeamten sind aufmerksam: Ukrainische Staatsbürger werden routinemäßig nach dem woher und wohin befragt, ihre Reiseaktivitäten gemäß ihrem Pass angeschaut, Kopien des Passes angefertigt. Da stellt sich höchstens die Frage, ob die Ukrainer allenfalls einen naiven jungen Westeuropäer angestellt haben, eine Mission Impossible zu übernehmen, die niemand sonst angehen wollte. 

Happige Vorwürfe

Krieger wurden massive Straftaten vorgeworfen: illegale Handlungen im Zusammenhang mit Schusswaffen und Sprengstoff, Unbrauchbarmachung von Transport- oder Kommunikationsmitteln (d.h. wohl Sabotage), Gründung oder Teilnahme an einer extremistischen Formation, Agentur-Tätigkeit (Spionage), Söldnertum und Terrorismus. Eine derartige Liste von Straftaten, begangen gegen die Interessen seiner Wunsch-Destination USA, brachte andere schon ins Straflager Guantanamo Bay. Das Auswärtige Amt und die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Minsk betreuen den Betroffenen konsularisch (6). 

Die Todesstrafe sei „eine grausame und unmenschliche Form der Bestrafung, die Deutschland unter allen Umständen ablehnt“, ließ das Auswärtige Amt verlauten (7). Dem ist grundsätzlich nicht zu widersprechen, allein es ist bedauerlich, dass sich die deutsche Delegation bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OSZE in den Sitzungen des Ständigen Rats jeweils an den Donnerstagen kaum je zu Wort meldete, wenn in den USA eine Todesstrafe vollstreckt wurde (8). Den Mut dazu brachten aus dem Westen in der Regel nur Norweger und Schweizer auf. 

Die Bundesregierung auf dem Grillrost

Auf welchen Grundlagen Krieger nun verurteilt wurde, ob der Richter in seiner Entscheidung unbeeinflusst war und ob der Prozess ordnungsgemäß ablief, ist natürlich nicht bekannt, was die westliche Presse in den nächsten Wochen aber sicher nicht davon abhalten wird, von einem Geheimprozess und fabrizierten Vorwürfen zu sprechen. Krieger hat jetzt die Möglichkeit, ein Gnadengesuch an den Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko zu richten, und damit wird das weitere Vorgehen eine politische Frage. Das Auswärtige Amt wird dann in die Zwickmühle kommen: Ist Belarus Teilnehmer am Krieg Russlands gegen die Ukraine, dann ist es nach Kriegsvölkerrecht berechtigt, gegen einen Spion der Gegenseite die Todesstrafe auszusprechen. Ist Belarus nach Ansicht des Auswärtigen Amts aber nicht im Krieg mit der Ukraine, dann stellt sich die Frage nach den Sanktionen. Lukaschenko wird sich ein Entgegenkommen an die deutsche Seite aber bestimmt mit politischen Konzessionen honorieren lassen. Deutschland wird sich folglich überlegen müssen, wie viel ihm das Leben Rico Kriegers wirklich wert ist. Rächen sich jetzt die Doppelstandards der letzten Jahre? Wenig helfen wird Rico Krieger aber eine Pressekampagne gegen Lukaschenko und Belarus allgemein. In der aktuellen Atmosphäre kann Belarus durch einen Gnadenerlass zugunsten Kriegers nicht viel gewinnen. Nobel zurückhalten wird sich aber bestimmt die ukrainische Diplomatie. 

Anmerkungen: 

  1. Daniel Bellamy: Todesstrafe? Warum ein deutscher Rotkreuz-Sanitäter in Belarus verurteilt wurde, bei euro news, 20.07.2024, online unter https://de.euronews.com/my-europe/2024/07/20/todesstrafe-warum-ein-deutscher-rotkreuz-sanitater-in-belarus-verurteilt-wurde. Vgl. „Weißrussland-Deutschland: Beratungen über den von Minsk zum Tode verurteilten deutschen Staatsbürger laufen“, bei Niva News, 20.07.2024, online unter https://www.agenzianova.com/de/news/bielorussia-germania-in-corso-le-consultazioni-sul-cittadino-tedesco-condannato-a-morte-da-minsk/ und „Deutscher Staatsbürger in Belarus zum Tode verurteilt“, bei T-online, 19.07.2024, online unter https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/internationale-politik/id_100452452/belarus-deutscher-wegen-terrorismus-wohl-zum-tode-verurteilt.html
  2. Siehe sein Profil auf LinkedIn https://www.linkedin.com/feed/update/urn:li:activity:7092846702256087040/
  3. Siehe die Homepage des Regiments unter https://bel.army/en/about/
  4. Siehe Siehe „Гражданин Германии приговорён к смертной казни в Беларуси“, bei Motolko help, 19.07.2024, online unter https://motolko.help/ru-news/grazhdanin-germanii-prigovoryon-k-smertnoj-kazni-v-belarusi/ und „Суд в Минске приговорил ксмерти немецкого наемника-диверсанта“ bei EurAsia Daily, 22.07.2024, online unter https://eadaily.com/ru/news/2024/07/20/sud-v-minske-prigovoril-k-smerti-nemeckogo-naemnika-diversanta, beide in russischer Sprache. 
  5. Siehe den Telegram-Eintrag einer gewissen Ludmilla Gladkaya: https://t.me/lgbelarussegodnya/23155
  6. Siehe „Deutscher Staatsbürger in Belarus Belarus zum Tode verurteilt“ bei T-online, a.a.O.
  7. Ebd.  
  8. Der Autor besuchte in den Jahren 2014 bis 2020 regelmäßig die Sitzungen des Ständigen Rats der OSZE. 
  9. Beitragsbild: Belarusische Gemeinschaft