Die Stimme aus dem Donbass
Seit 2014, seit also über acht Jahren, herrscht im Donbass Krieg. Geschossen wird von ukrainischen Militärs auf Landsleute, die nicht mehr bereit sind, von «Kiev» regiert zu werden, nachdem der damalige, ordentlich gewählte Präsident Wiktor Janukowytsch weggeputscht wurde. Doch so gut wie niemand im deutschsprachigen Raum interessiert sich für die Perspektive dieser Menschen dort. Seit dem 24. Februar 2022 nun aber in der Ukraine Krieg mit Russland herrscht, berichten alle grossen deutschsprachigen Medien täglich darüber – und dies ausschliesslich aus Sicht von «Kiev». Die Redaktion der Informationsplattform Globalbridge.ch hat es nun geschafft, als Gegenakzent auch eine authentische Stimme im Donbass ausfindig zu machen. Elena Malinova hat sich freundlicherweise bereit erklärt, für Globalbridge.ch regelmäßig einmal pro Woche einen kürzeren oder auch mal längeren Bericht über die aktuelle Situation der Menschen im belagerten Donezk und den angrenzenden Gebieten zu verfassen. Erstmals erfahren also ab jetzt interessierte Globalbridge.ch-Leser Näheres vom Alltag in einer Region, über die man in Westeuropa so gut wie nichts weiß. – Hier Elena Malinowas erster Bericht. (cm)
Donezk im Visier ukrainischer Soldaten: Mit jedem Schuss entfernt die Ukraine den Donbass von sich selbst. Der «Point of no Return» ist längst überschritten.
Bereits 2014 hatte der damalige ukrainische Präsident Poroschenko, sehr aktiv mit den Händen in der Luft herumfahrend [der linke Zeigefinger für die Ukraine, der rechte für den Donbass, Anm. der Autorin], mit Donnerstimme offiziell kundgemacht: „Bei uns [in der Ukraine] werden die Kinder in die Schulen und Kindergärten gehen und bei ihnen [in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk] werden sie in den Kellern sitzen, weil sie [die Bewohner des Donbass] nichts machen können. Und so und genau so werden wir diesen Krieg gewinnen!“ Die Ukraine hat ihr Bestes gegeben, um das frevlerische Wort ihres Ex-Staatsoberhauptes zu halten: Die Kinder aus dem Donbass waren in der Tat gezwungen, in den Kellern zu sitzen! In erster Linie betraf das die Bewohner der Stadtränder, insbesondere derjenigen im Kiewer Bezirk, nahe am Donezker Flughafen, nur drei Kilometer vom ukrainischen Awdeewka entfernt.
Im Herbst 2014, nachdem alle Kinder bei der Beschießung der Schule № 57 evakuiert wurden, kam der Biologielehrer durch ein Teil eines Sprengsatzes ums Leben. Später wurde an der Schulfassade eine Erinnerungstafel zu seinem Gedächtnis angebracht.
Dieses Jahr sollte der Unterricht wegen der Kriegshandlungen im Donbass und der Corona-Infektion fast ausschließlich online stattfinden, aber am Tag der einheitlichen staatlichen Prüfung (1), dem 30.05.2022, mussten die angemeldeten Schüler direkt in die Schulen gehen, um in extra eingerichteten Klassenzimmern die Prüfung vor Ort abzulegen. Nachdem bereits alle nötigen Vorbereitungen getroffen waren und die Schüler mit ihren Stiften an den Tischen Platz genommen hatten, begann allerdings keine Prüfung, sondern eine harte Beschießung der Stadt Donezk. Drei Schulen wurden getroffen: № 5, № 22 und ein Gymnasium im Stadtzentrum. Schrecklicherweise gab es fünf Opfer, darunter ein Jugendlicher! Für unsere ehemaligen Landsleute, die Ukrainer, war dieses traurige Ereignis nur Anlass für Hohn und Spott. Ukrainische Kommentare in den sozialen Netzwerken bedauerten, dass nur fünf und nicht etwa fünfzig Menschen in Donezk ums Leben gekommen seien. – Wie kann man auf den Tod von Menschen so zynisch reagieren?
Aber es wird nicht nur auf Schulen geschossen, sondern auch auf Kindergärten. Die Erzieherinnen und die Mitarbeiter von Kindergärten in verschiedenen Donezker Stadtteilen können mittlerweile jede Menge Sprengteile und Bruchglas vorzeigen. Wer kann sich wünschen, dass sein Kind so was erlebt? Und woran denken die ukrainischen Soldaten, die Objekte wie Kindergärten und Schulen ins Visier nehmen? Und woran denken diejenigen, die diese verbrecherischen Befehle erteilen? Traurige Statistik: Allein am 04.07.2022 wurden infolge der letzten Beschießungen von ukrainischer Seite nicht nur die Kindergärten № 389, № 393 und № 396, sondern auch das Lyzeum №23 getroffen und am 09.07.2022 der Kindergarten № 380 beschädigt.
Schon die Kinder in Donezk, von den Erwachsenen ganz zu schweigen, können mittlerweile genau identifizieren, welche Waffe, aus welcher Richtung und welcher Entfernung abgefeuert wird und was sie jeweils tun müssen, um sich in Sicherheit zu bringen. Diese Fähigkeiten sind traurige Lernprozesse eines mittlerweile mehr als achtjährigen Krieges Kiews gegen die eigene Bevölkerung. Dank zahlreicher Informationen und Hinweise, die unsere Kinder von Eltern, Lehrern, Nachbarn und aus den Massenmedien erfahren, konnte ein Junge am 14.03.2022 bei einem Beschuss der Stadt mit Totschka-U-Rakete richtig handeln und sich im Gebäude einer Bank verstecken, was ihm ermöglichte, am Leben zu bleiben. Zum Glück wusste er auch, dass man die Bomben keinesfalls anfassen darf, weil sie sonst explodieren! „Wenn Sie in so eine Situation geraten, dann sollten Sie weglaufen und sich nichts ansehen!“ So unsere Warnmeldungen.
Am 08.07.22 um 3.00 Uhr nachts wurden das große „Zentrum der slawischen Kultur“ und die gegenüberliegende Schule der Olympia-Reserve namens S. Bubka (2) mit 155 mm Haubitzen – einem Geschenk der NATO an die Ukraine – beschossen. Junge SportlerInnen trainieren dort nicht nur in der Sporthalle, sondern auch draußen auf dem wunderschönen Gelände des Parks des „Zentrums der slawischen Kultur“, wo sie beim Laufen und während der Morgengymnastik den Duft der blühenden Rosen einatmen können. Übrigens gilt der 8. Juli als Tag der Liebe, Familie und Treue. Die orthodoxe Kirche ehrt an diesem Tag die Heiligen Peter und Fewronia, deren Namen die nahegelegene Kirche trägt.
Donezk wurde bereits 2014 und wird auch in diesem Jahr wieder ständig beschossen. Allerdings sind in der letzten Zeit die Beschießungen durch die ukrainische Seite dank der Waffengeschenke der USA und der NATO noch stärker und intensiver geworden. Wir und unsere Kinder werden das niemals vergessen!
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Das Aufmacherbild stammt aus einem eindrücklichen Dokumentar-Film aus dem Jahr 2016 über die Menschen im Donbass. Er kann in voller Länge angesehen werden (hier anklicken). Unnötig zu erwähnen, dass alles seit 2016 einfach noch viel schlimmer geworden ist, nicht zuletzt für die Kinder und Jugendlichen.
(1) In Russland: ЕГЭ „Единый государственный экзамен“, was in Deutschland dem Abitur und in der Schweiz der Matura entspricht.
(2) Sergej Bubka ist ein ehemaliger sowjetischer Stabhochspringer, der mit 6,14 m bis zum 17.09.2020 den Weltrekord im Freien hielt. Er hat in Donezk gelernt und trainiert, er ist unser Landsmann und Ehrenbürger.
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Siehe auch: «Das Leiden DIESER Menschen in der Ukraine wird einfach totgeschwiegen».
Zum Film von Mark Bartalmai «Frontstadt Donezk – Die unerwünschte Republik», hier anklicken.