Palästinensische Flüchtlinge verlassen ihr Dorf nahe Haifa, ein Bild aus dem Jahr 1948. Noch gibt es Überlebende, die sich daran erinnern – siehe am Ende des Artikels. (Photo Corbis)

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Es ist wohl immer noch das historisch bedingte schlechte Gewissen, das die meisten deutschsprachigen Medien dazu veranlasst, ihre Berichterstattung über die abscheulichen Geschehnisse in Gaza immer noch einseitig Israel-freundlich zu färben, natürlich mit Verweis auf den 7. Oktober 2023. Man könnte es allerdings auch anders sehen: Gerade wer erlebt hat, was die Juden in der Hitler-Zeit erlebt haben, müsste sie zu einer anderen Verhaltensweise veranlassen. Zum Glück gibt es in Deutschland einen Verlag, der jetzt ein Buch herausgebracht hat, das in aller Deutlichkeit zeigt, dass die tragische Geschichte in Israel nicht am 7. Oktober 2023 begonnen hat.

Es ist zu hoffen, dass dieses Buch von Zig-Tausenden von Deutschen gelesen wird, die daraus lernen können, dass die Anwendung von Gewalt gegen die einheimische Bevölkerung vor drei Generationen durch die eingewanderten Israelis eingesetzt hat. Das Buch heisst: «Was befürchtet Israel von Palästina?» und ist verfasst von Raja Shehadeh, einem palästinensischen Rechtsanwalt. Der Westend-Verlag, der das Buch in diesen Tagen herausgegeben hat, schreibt zum Autor: «Raja Shehadeh wurde 1951 in Ramallah geboren und ist ein palästinensischer Rechtsanwalt. Sein Vater, Aziz Shehadeh, der ebenfalls Anwalt war, zählte zu den frühesten und engagiertesten Verfechtern der Zwei-Staaten-Lösung. 1985 wurde Aziz unter bis heute ungeklärten Umständen ermordet. Die Zusammenarbeit mit seinem Vater in der gemeinsamen Kanzlei und dessen Ermordung bewegten Raja dazu, sich für humanitäre Belange und die Rechte des palästinensischen Volkes einzusetzen. Bereits 1979 gründete er die Menschenrechtskommission Al-Haq (arab. „das Recht“), die sich bis heute damit befasst, Menschenrechtsverletzungen unabhängig der Herkunft der Täter zu dokumentieren. Neben seiner juristischen Tätigkeit begann Shehadeh über das palästinensische Leben und die israelische Besetzung zu schreiben, 1982 erschien sein erstes Buch mit dem Titel „The Third Way. A Journal of Life in the West Bank“. Seitdem hat er sich als ein nüchterner, unvoreingenommener Chronist des Nahost-Konflikts verdient gemacht.»

Das Buch mit seinen 90 Seiten Text hat nur zwei Kapitel: «Wie sind wir überhaupt an diesen Punkt gekommen?» und «Der Krieg in Gaza». Auch ein Vorwort fehlt. Das Buch erschien zuerst in englischer Sprache in England und ist übersetzt von Emil Fadel.

Zur Information unserer Leser seien hier die ersten paar Seiten im Wortlaut wiedergegeben:

Die späten 1980er- und frühen 1990er-Jahre waren eine Zeit der Hoffnung. Der Kalte Krieg schien vorbei zu sein. Im Sommer 1987 sang David Bowie an der Berliner Mauer, und es war, als ob er damit den Weg für das vorbereitete, was zwei Jahre später dort geschehen sollte, als der Sprecher der Kommunistischen Partei Ost-Berlins am 9. November 1989 eine Änderung der Beziehungen der Stadt zum Westen ankündigte. Ab Mitternacht konnten die Bürger der DDR die Grenzen frei überschreiten. Die Mauer war gefallen.

In Südafrika vollzog sich in derselben Zeit eine ähnlich positive Wende, die in den Wahlen vom 27. April 1994 gipfelte, bei denen alle Südafrikaner – unabhängig von ihrer Hautfarbe oder Herkunft – wählen durften. Als Südafrika das Bevölkerungsregistrierungsgesetz aufhob, das weiten Teilen der Bevölkerung aufgrund ihrer Rasse ihre Rechte abgesprochen hatte, wurde das Apartheidsystem effektiv beendet.

Die erste Frage, die ich hier stellen möchte, lautet: Warum haben solche hoffnungsverheißenden Ereignisse, die zur Beseitigung langjähriger Ungerechtigkeiten führten, die israelische Regierung nicht dazu bewogen, die Besetzung der palästinensischen Gebiete zu beenden und einen dauerhaften Frieden zwischen Palästinensern und Israelis herbeizuführen? Damit hängen zwei weitere Fragen zusammen: Erstens, warum hat sich die Welt nicht mit aller Kraft dafür eingesetzt, dass dies geschieht? Und zweitens, welche Rolle könnte der Gaza-Krieg mit seinem schrecklichen menschlichen Tribut für den Beginn einer globalen Veränderung spielen?

Es gibt auf diese Fragen natürlich keine einfachen Antworten, aber ich möchte in diesem Buch zumindest einige neue Wege vorschlagen, über diese Probleme nachzudenken. Wenn ich in der Vergangenheit meine (eher links orientierten) israelischen Freunde fragte, warum das Ende der Apartheid in Südafrika keine Inspiration für die Israelis sei, erhielt ich zwei unterschiedliche Antworten: Die erste war, dass die Weißen in Südafrika verloren haben, die Israelis aber nicht. Diese Denkweise beunruhigte mich, denn sie setzte das Ende der weißen Vorherrschaft mit einer Niederlage für die weiße Bevölkerung gleich. Meine Freunde konnten – oder wollten – offenbar nicht erkennen, dass es in Wirklichkeit ein Sieg für beide Seiten war. Die zweite, überzeugendere Antwort lautete, dass die Israelis ihre Situation in keiner Weise mit der Apartheid vergleichen würden und daher nicht der Meinung seien, dass sie eine ähnliche Lösung benötigten. Einige Leser fragen sich vielleicht, warum ich ihnen diese Fragen stellte, wenn die Antwort doch offensichtlich war. Die Welt unternahm 1991 mit der Einberufung der Internationalen Friedenskonferenz in Madrid einen Versuch, die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen. Und diese Bemühungen endeten schließlich 1993 mit der Unterzeichnung des Osloer Abkommens, das mit dem berühmten Händedruck zwischen dem israelischen Premierminister Jitzchak Rabin und dem PLO-Vorsitzenden Yasser Arafat auf dem Rasen des Weißen Hauses gefeiert wurde, der wiederholt auf den Fernsehbildschirmen in aller Welt zu sehen war.

Doch bevor ich näher darauf eingehe, warum ich glaube, dass diese Ereignisse nur illusorische Hoffnungen weckten, möchte ich auf die zweite Antwort meiner israelischen Freunde zurückkommen, um das Versäumnis zu erklären, eine Verbindung zwischen dem Apartheidregime in Südafrika und der Situation in Israel/ Palästina herzustellen. Um den Unterschied zwischen der Sichtweise der Israelis und der der Palästinenser auf die Geschichte ihres Staates zu verstehen, müssen wir zu den prägenden Ereignissen von 1948 – dem Jahr der Gründung des Staates Israel – zurückgehen und über die »Nakba« (arab. »Katastrophe«) nachdenken, wie die Palästinenser die Ereignisse von damals nennen. In Israel hingegen spricht man in diesem Zusammenhang vom »Unabhängigkeitskrieg«. Das ist seltsam, denn es suggeriert, dass Israel seine Unabhängigkeit von den Briten erlangt hat. Es war jedoch Großbritannien selbst, das in der Balfour-Erklärung von 1917 (also inzwischen vor mehr als einem Jahrhundert) den Juden das Land mit seiner mehrheitlich palästinensischen Bevölkerung versprach. In der Erklärung hieß es: »Die Regierung Seiner Majestät betrachtet die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina mit Wohlwollen […].« Und es waren auch die Briten, die während des britischen Mandats über Palästina von 1922 bis 1948 darauf hinwirkten, die Gründung eines jüdischen Staates dort gemäß den Bedingungen dieses Mandats zu ermöglichen. Ich würde vermuten, dass der wahre Grund für diese Namensgebung darin liegt, dass die damalige israelische Führung bestrebt war, sich innerhalb der Gruppe der dekolonisierten Nationen zu positionieren.

Das neue Land ging unverzüglich dazu über, die Geschichte so neu zu erfinden, dass die Anwesenheit der ursprünglichen nichtjüdischen Bewohner nicht anerkannt wurde, indem es nicht nur die meisten von ihnen vertrieb, sondern auch jedes Zeichen ihrer früheren Anwesenheit und Geschichte in dem Land beseitigte. Um dies zu bewerkstelligen, behandelte Israel das Alte Testament als historisches Dokument und nutzte es, um die Behauptung zu untermauern, das Land gehöre den Juden seit jeher, da es ihnen vom Allmächtigen versprochen worden sei. Mit anderen Worten: 1948 wurde die gesamte Geschichte Palästinas neu geschrieben: Dies war das Jahr null. Die Städte und Dörfer, aus denen die Palästinenser vertrieben worden waren, wurden rasch abgerissen, und es wurde eine weltweite Spendenkampagne angestrengt, um Gelder für die Anlegung von Wäldern zu sammeln, wo diese Dörfer einst gestanden hatten, um damit ihre frühere Existenz völlig zu verbergen. In einigen Fällen wurden neue israelische Städte und Kibbuzim direkt auf den Ruinen errichtet und mit hebräischen Namen versehen.»

Ende Zitat aus dem Buch.

Das Buch «Raja Shehadeh: Was befürchtet Israel von Palästina?» ist leicht leserlich, kein schwer zu bewältigender Wälzer, und die weniger als 20 Euros, die es kostet, mehr als wert. Es ist echt lesenswert!

Siehe dazu auch Karin Leukefelds Interview mit dem 86-jährigen Salman Abu Sitta, der die Vertreibung als Kind selber miterlebt hat. Und natürlich gibt es auch auf Al Jazeera anschauliche Videos zu diesem Thema.

Christian Müller hat, damals noch auf der Plattform «Infosperber.ch», schon seit dem Jahr 2011 darauf aufmerksam gemacht, wie die Israel-Lobby auch in der Schweiz mit absolut professionellen Mitteln das Image von Israel sauber zu waschen versucht. Wer diese Artikel sucht, google unter den Stichworten Infosperber, Israel und Christian Müller.