Die USA verstehen – über ihre Polit-Berater, namentlich auch Zbigniew Brzezinski

Um die politische Gegenwart zu verstehen, ist ein Blick in die Geschichte der letzten Jahrzehnte unentbehrlich. Und um diese letzten Jahrzehnte zu verstehen, ist ein Blick auf die Polit-Ratgeber und -Macher der USA unentbehrlich – darunter an erster Stelle Henry Kissinger und Zbigniew Brzezinski. Während über Kissinger anlässlich seines Todes im letzten Jahr etliches gesagt und geschrieben wurde, ist Brzezinski, zu Unrecht, weniger bekannt. Jetzt ist ein wichtiges Buch von ihm neu herausgegeben worden.

Zbigniew Brzezinski wurde als polnischer Staatsbürger im Jahr 1918 in Warschau geboren. Seine Familie gehörte zum polnischen Adel, sein Vater war Botschafter in Kanada, und weil Polen an der Konferenz von Jalta am Ende des Zweiten Weltkrieges der sowjetischen Einflusszone zugesprochen wurde, kehrte die Familie nicht nach Polen zurück.

Zbigniew Brzezinski studierte Politische Wissenschaften und wurde schließlich Professor unter anderem an den US-Universitäten Columbia, Hopkins und Harvard und er wurde zum massgeblichen Wahlkampf-Berater von US-Präsident Lyndon B. Johnson (1963-1969) und zum Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter (1977-81). 1988 war er Stellvertretender Vorsitzender der «National Security Advisory Task Force» von Präsident George Bush senior.

Zbigniew Brzezinski schrieb auch mehrere Bücher, darunter im Jahr 1997 «The Grand Chessboard: American Primacy and Its Geostrategic Imperatives» – Titel der deutschen Ausgabe «Die einzige Weltmacht». Daraus sei hier ein kurzer Auszug wiedergegeben, geschrieben 1997:

«Es ist an der Zeit, dass Amerika eine einheitliche, umfassende und langfristige Geostrategie für Eurasien als Ganzes formuliert und verfolgt. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus dem Zusammenwirken zweier grundlegender Faktoren: Amerika ist heute die einzige Supermacht auf der Welt, und Eurasien ist der zentrale Schauplatz. Von daher wird die Frage, wie die Macht auf dem eurasischen Kontinent verteilt wird, für die globale Vormachtstellung und das historische Vermächtnis Amerikas von entscheidender Bedeutung sein.

Amerikas globale Vorherrschaft ist in ihrer Ausdehnung und in ihrer Art einzigartig. Sie ist eine Hegemonie neuen Typs, die viele Merkmale der amerikanischen Demokratie widerspiegelt: Sie ist pluralistisch, durchlässig und flexibel. In weniger als einem Jahrhundert zustande gekommen, zeigt sie sich vor allem in der beispiellosen Rolle Amerikas auf der eurasischen Landmasse, wo bisher alle früheren Konkurrenten um die Weltmacht ihren Ursprung hatten. Amerika ist nun der Schiedsrichter Eurasiens, und kein größeres eurasisches Problem lässt sich ohne die Beteiligung der USA oder gegen ihre Interessen lösen.

Ausschlaggebend für die Dauer und Stabilität der amerikanischen Weltmachtstellung wird sein, wie die Vereinigten Staaten die wichtigsten geostrategischen Spieler auf dem eurasischen Schachbrett einerseits steuern und ihnen andererseits entgegenkommen und wie sie mit den entscheidenden geopolitischen Dreh- und Angelpunkten umzugehen verstehen. In Europa werden Deutschland und Frankreich auch weiterhin die Schlüsselfiguren sein, und Amerika sollte sich bemühen, den bestehenden demokratischen Brückenkopf an der westlichen Peripherie Eurasiens zu festigen und zu erweitern. Im Fernen Osten Eurasiens wird wahrscheinlich China immer stärker in den Mittelpunkt des Geschehens treten, und Amerika wird auf dem asiatischen Festland politisch nicht Fuß fassen können, wenn es nicht erfolgreich auf einen geostrategischen Konsens mit China hinarbeitet. In der Mitte Eurasiens wird der Raum zwischen einem sich erweiternden Europa und einem regional aufstrebenden China geopolitisch so lange ein Schwarzes Loch bleiben, wie sich Russland noch zu keiner postimperialen Selbstdefinition durchgerungen hat, während die Region südlich von Russland – der Eurasische Balkan – ein Hexenkessel ethnischer Konflikte und Großmachtrivalitäten zu werden droht.

Vor diesem Hintergrund wird Amerikas Status als führende Weltmacht in absehbarer Zeit für mehr als eine Generation wohl von keinem Herausforderer angefochten werden. Kein Nationalstaat dürfte sich mit den USA in den vier Schlüsselbereichen der Macht (militärisch, wirtschaftlich, technisch und kulturell) messen können, die gemeinsam die entscheidende globale politische Schlagkraft ausmachen. Außer einer bewussten oder unfreiwilligen Abdankung Amerikas ist in absehbarer Zeit die einzig reale Alternative zur globalen Führungsrolle der USA die internationale Anarchie. So gesehen kann man zu Recht behaupten, dass Amerika, wie Präsident Clinton es ausdrückte, die für die Welt »unentbehrliche Nation« ist.

Man muss hier dem Faktum der Unentbehrlichkeit das Potenzial für weltweite Anarchie gegenüberstellen. Die verheerenden Folgen der Bevölkerungsexplosion, Armutsmigration, sich rasant beschleunigender Urbanisierung, ethnischer und religiöser Feindseligkeiten und der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen wären nicht zu bewältigen, sollte auch noch das bestehende, auf Nationalstaaten basierende Grundgerüst rudimentärer geopolitischer Stabilität zu Bruch gehen. Ohne ein abhaltendes und gezieltes Engagement Amerikas könnten bald die Kräfte weltweiter Unordnung die internationale Bühne beherrschen. Angesichts der geopolitischen Spannungen, nicht nur im heutigen Eurasien, sondern überall auf der Welt, ist ein solches Szenario durchaus denkbar.

Die daraus resultierenden Gefahren für eine globale Stabilität werden durch die Aussicht auf eine allgemeine Verschlechterung der menschlichen Lebensbedingungen noch vergrößert. Vor allem in den ärmeren Ländern der Welt lassen Bevölkerungsexplosion und gleichzeitige Verstädterung das Heer der Benachteiligten und der Abermillionen arbeitsloser und immer unruhiger werdender junger Leute unaufhaltsam anwachsen, deren Frustrationspegel rasend steigt. Die modernen Medien verstärken den Bruch, den diese jungen Leute gegenüber traditionellen Autoritäten vollziehen, und führen ihnen die krasse Ungleichheit auf der Welt vor Augen. Das schürt ihren Unmut und macht sie für extremistische Rattenfänger anfällig. Einerseits könnte das Phänomen weltweiter Wanderungsbewegungen, die bereits in die zehn Millionen gehende Menschen umfasst, für einige Zeit als Sicherheitsventil wirken, andererseits werden dadurch auch ethnische und soziale Konflikte von einem Kontinent auf den anderen übertragen.

Das Amt des Weltpolizisten, das Amerika geerbt hat, wird daher kaum von Turbulenzen, Spannungen und zumindest sporadischen Gewaltausbrüchen verschont bleiben. Die neue und komplexe internationale Ordnung, die unter amerikanischer Hegemonie zustande kam und ihre Handschrift trägt und innerhalb derer »die Kriegsgefahr vom Tisch ist«, wird sich wohl auf diejenigen Teile der Welt beschränken, in denen demokratische Gesellschaften und Verfassungen sowie ausgeklügelte multilaterale – doch ebenfalls von Amerika dominierte – Strukturen die Macht der USA gestützt haben. Eine amerikanische Geostrategie für Asien wird sich folglich gegen die Kräfte des Chaos behaupten müssen. In Europa gibt es Anzeichen dafür, dass der Impuls zu Integration und Erweiterung nachlässt und die alten europäischen Nationalismen bald wieder aufleben könnten. Selbst in den erfolgreichsten europäischen Staaten dauert die Massenarbeitslosigkeit unvermindert an und erzeugt ausländerfeindliche Reaktionen, die in der deutschen oder französischen Politik einen Rechtsruck und chauvinistische Tendenzen herbeiführen könnten. Es wäre in der Tat denkbar, dass dort eine vorrevolutionäre Lage entsteht. Der historische Zeitplan für Europa, wie er in Kapitel 3 skizziert wurde, wird nur dann eingehalten werden können, wenn die Vereinigten Staaten Europas Einigungsbestrebungen nachhaltig ermuntern, ja sogar anspornen.

Die Ungewissheiten über die Zukunft Russlands sind noch größer und die Aussichten auf eine positive Entwicklung viel geringer. Darum muss Amerika unbedingt einen geopolitischen Rahmen entwerfen, der Russlands Assimilation an einen von wachsender europäischer Zusammenarbeit geprägten Hintergrund Rechnung trägt und außerdem die selbstbewusste Unabhängigkeit seiner neuerdings souveränen Nachbarn fördert. Doch ob die Ukraine oder Usbekistan (gar nicht zu reden vom ethnisch zweigeteilten Kasachstan) als unabhängige Staaten überleben können, bleibt ungewiss, zumal wenn neue Krisen innerhalb Europas, wie etwa die wachsende Kluft zwischen der Türkei und der EU, oder feindseliger werdende Töne im amerikanisch-iranischen Verhältnis die Aufmerksamkeit der USA ablenken sollten.

Die Möglichkeit, dass es schließlich doch zu einer großen Einigung mit China kommt, könnte durch eine zukünftige Taiwan-Krise zunichte gemacht werden oder weil innenpolitische Turbulenzen ein aggressives, feindseliges Regime in Peking an die Macht bringen beziehungsweise, weil sich die amerikanisch-chinesischen Beziehungen als Fehlschlag erweisen. China könnte dann zu einer äußerst destabilisierenden Kraft in der Welt werden, das amerikanisch-japanische Verhältnis enorm belasten und vielleicht auch in Japan eine zerrüttende geopolitische Orientierungslosigkeit auslösen. In einem solchen Szenario wäre zweifellos die Stabilität Südostasiens in Gefahr, und man kann nur Vermutungen anstellen, wie sich das Zusammentreffen dieser Ereignisse auf die Haltung und nationale Geschlossenheit Indiens auswirken würde, einem für die Stabilität Südasiens entscheidenden Land.

Diese Bemerkungen sollen vor Augen führen, dass weder die neuen globalen Probleme, welche die Zuständigkeit der einzelnen Nationalstaaten übersteigen, noch die herkömmlichen geopolitischen Angelegenheiten gelöst oder auch nur in Grenzen gehalten werden können, falls die geopolitischen Grundstrukturen zu bröckeln beginnen. In Anbetracht des Wetterleuchtens am politischen Horizont Europas und Asiens muss sich jede erfolgreiche amerikanische Politik auf Eurasien als Ganzes konzentrieren und sich von einem geostrategischen Plan leiten lassen.»

Ende Zitat Brzezinski. Die Fett-Auszeichnungen wurden von Globalbridge gesetzt.

Dieses Buch ist jetzt im «nomen Verlag» neu herausgegeben worden. Zum Verständnis der heutigen geopolitischen Situation ist es äusserst lesenswert. Wer hat etwa gewusst, dass sich Zbigniew Brzezinski als US-Politberater gegen die Erweiterung der NATO auf die Ukraine ausgesprochen hat?

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