Gas Pipeline, Ukraine. Photo: Dmytro Glazkov . World Bank. Flickr. CC BY-NC-ND 2.0.

Die ukrainische Wirtschaft ist verschwunden

(Red.) «Die Ukraine gehörte als ehemalige Sozialistische Sowjetrepublik zu den führenden Volkswirtschaften der Sowjetunion. Nach dem politischen Umbruch Anfang der 1990er Jahre und den ersten sogenannten „marktwirtschaftlichen Reformen“ verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage dramatisch. Anstatt zu einer Marktwirtschaft entwickelte sich die Ukraine zu einer „Clanwirtschaft“: Einflussreiche Politiker und Wirtschaftsgrößen teilten die gewinnbringenden Sektoren der Großindustrie unter ihren Clans auf und steuerten sie nach ihren eigenen Interessen.» So lautet der Text unter dem oben stehenden Bild auf der Website der «Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg» Zum Thema ukrainische Wirtschaft heute hier die Analyse eines Insiders aus der Ukraine selbst.

Kürzlich bezeichnete der ungarische Premierminister Orban die Ukraine als „ein im wirtschaftlichen Sinne nicht existierendes Land“. Er begründete seine Schlussfolgerung mit der Tatsache, dass heute die gesamten Haushaltsausgaben der Ukraine aus geliehenen Mitteln oder internationaler Finanzhilfe bestehen. Der ukrainische Finanzminister antwortete ihm umgehend, die ukrainischen Gold- und Devisenreserven (GFR) hätten bis Ende März dieses Jahres eine noch nie dagewesene Größe von fast 32 Milliarden US-Dollar erreicht, was seiner Meinung nach wohl auf eine positive wirtschaftliche Lage der Ukraine hinweisen und die Worte Orbans widerlegen sollte.

Wie man so schön sagt, steckt der Teufel im Detail, auch wenn es schwierig ist, die Gold- und Devisenreserven eines Landes als eine Kleinigkeit zu bezeichnen. Um das besser zu verstehen, muss man nicht so sehr auf die Quantität der Reserven schauen, sondern auf ihre Qualität.

In einem konzeptionellen, semantischen Schlüssel bedeutet der Ausdruck „Gold-Währung“ (gold-currency), dass die Reserven des Staates in Gold und in Fremdwährung gehalten werden sollten. Die Tendenzen der heutigen turbulenten Zeiten, in denen ein militärischer Konflikt in Europa entfesselt wird und der Dollar kein verlässliches Zahlungsmittel mehr ist, um die staatlichen Ersparnisse aufzubewahren, haben dazu geführt, dass sich in kurzer Zeit immer mehr Länder dem ewigen und verlässlichen Äquivalent des Geldes zuwenden: dem Gold. Diese Länder versuchen, in kurzer Zeit das Gleichgewicht der Goldreserven zugunsten des Goldes als zuverlässigeres Mittel zur Erhaltung des Kapitals zu verschieben.

So sind von den 240 Milliarden Dollar an Goldreserven in Frankreich 160 Milliarden Dollar Gold (~ 67 %). Von den 66 Milliarden Dollar an Goldreserven in den Niederlanden entfallen 40 Milliarden (~ 60 %) auf Gold. Von den 170 Milliarden Dollar an Goldreserven in Polen sind 15 Milliarden (~ 9 %) Gold. Von den 43 Milliarden Dollar an Goldreserven in Belgien beträgt der Anteil des Goldes fast ein Drittel, also 15 Milliarden Dollar. Die Hälfte der Goldreserven von Österreichs (36 Milliarden Dollar) besteht aus Gold. Von den spanischen Goldreserven in Höhe von 100 Milliarden Dollar werden 19 Milliarden bzw. 19 % in Gold gehalten.

In der Ukraine belaufen sich die Goldreserven in Gold auf nur 1,7 Milliarden Dollar oder 5 %, der Rest ist Währung und Sonderziehungsrechte (das Recht auf Schulden). Sie machen mehr als 90 % der inländischen Goldreserven aus.

Welche Art von Währung hat der Minister nicht gesagt, aber inzwischen ist es offensichtlich, dass der Löwenanteil davon geliehene Devisen sind, mehr nicht. Der Minister hat sich bewusst nicht mit der Qualität dieser Devisenreserven gebrüstet, er beließ es beim Begriff der Liquidität der Devisenreserven, wenn die Beschaffenheit der Währung bewertet und abgewogen wird, mit anderen Worten, ihr Vorhandensein und ihre Verpflichtungen darin gegenüber den Gläubigern. Wenn es sich bei der verfügbaren Währung tatsächlich um geliehenes Geld handelt, das von ausländischen Gläubigern übertragen wurde, dann ist die Liquidität einer solchen Reserve natürlich äußerst gering, denn sie gehört nicht ihnen, sie müssen sie zurückgeben. Einfach ausgedrückt: Ihre Schuldverpflichtungen entsprechen oder übersteigen Ihren Cashflow. Bei den Devisenreserven der Ukraine handelt es sich in erster Linie um Schuldverpflichtungen, genau genommen um Schulden, um Kredite.

Nicht nur die Folge des Krieges

Und es wäre ein Fehler, das Wachstum der ukrainischen Staatsverschuldung allein auf den Krieg zurückzuführen. In den zwei Jahren der „friedlichen“ Vorkriegsherrschaft von Präsident Selenskyj und seinen Regierungen hat das Land etwa 20 Milliarden Dollar an Krediten „aufgenommen“, die nicht in die Entwicklung der heimischen Wirtschaft flossen, sondern entweder von der korrupten Regierung und ihren Eigentümern, den ukrainischen Oligarchen, veruntreut oder nur geringfügig ausgegeben, einschließlich der Begleichung früherer Schulden. Trotz der ausländischen Kredite ging die tatsächliche, reale ukrainische Wirtschaft, einschließlich der Wirtschaft der ukrainischen Haushalte, zurück und brach im umgekehrten Verhältnis zusammen: Die Menschen wurden ärmer, die Märkte schrumpften, der Index der Industrieproduktion ging ständig zurück und der negative außenwirtschaftliche Saldo wuchs ständig.

Die aktuelle Verschuldung der Ukraine nähert sich 120 Milliarden Dollar, eine katastrophale Zahl für unser Land, das die Industrie, die Logistik, die Hälfte seiner Landwirtschaft und vor allem die meisten seiner arbeitsfähigen Bürger verloren hat, die eigentlich ein Bruttoinlandsprodukt für ihr Land schaffen sollten, dieses aber auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen haben.

In einem solchen Zustand der Wirtschaft ist es töricht zu sagen, dass der Haushalt mit Steuern (mit Ausnahme der Einkommen der Bürger) aus der Wirtschaft gefüllt wird, denn diese wird beschnitten. (In diesem Artikel geht es nicht um die Korruptionsmethoden, die unter dem Getöse des Krieges im Bereich der Macht besonders gedeihen, sondern um den realen Unternehmenssektor, der schafft und nicht stiehlt.) Auch die offiziellen Angaben über die Devisenzuflüsse aus den Außenhandelsgeschäften sehen wie eine Lüge aus. Es gibt keine Produktion mehr, es gibt keine normale Logistik, und die geringen Exporteinnahmen, die die Exporteure erhalten, werden auf den Konten in- und ausländischer Oligarchen deponiert – das einzige Geschäft, das derzeit läuft, da es eine Monopolstellung innehat.

Und der Ausgabenteil des Haushalts (Aufrechterhaltung des sozialen Bereichs, des aufgeblähten Staatsapparats, der Armee) kann unter solchen Bedingungen ausschließlich mit Hilfe von Milliarden von Krediten, in denen unser Land versinkt, getätigt werden. Es gibt keine anderen Quellen, das ist offensichtlich.

Fazit:

Deshalb noch einmal: Die Arbeitskräfte haben das Land verlassen oder befinden sich im Krieg, die Häfen sind blockiert, die Industrie ist zerstört, das verbliebene Agrarland gehört Ausländern oder einheimischen Oligarchen. Man muss kein Akademiker sein, um zu verstehen, dass der ungarische Premierminister trotz seiner grausamen Aussage – die Wahrheit tut in diesem Fall schon im Ohr weh – eben recht hat: die Ukraine ist aus der wirtschaftlichen Weltrechnung heute verschwunden.

Zum Autor: Maxim Goldarb ist Vorsitzender der „Union der Linken Kräfte der Ukraine – Für einen neuen Sozialismus“.

P.S. der Redaktion: Die EU-Kommission prophezeiht der Ukraine für 2023 – „mit außerordentlicher Unsicherheit behaftet”, wie es hieß – ein Wirtschaftswachstum von 0,6 Prozent – abhängig allerdings vom Verlauf des Krieges. Im Jahr 2022 war die Wirtschaft der Ukraine gemäß EU-Kommission um 29 Prozent eingebrochen. Realistischer dürfte die Prognose des Internationalen Währungsfonds sein. Dieser hat für 2022 einen Wirtschaftseinbruch der Ukraine um über 30 Prozent festgestellt und er prognostiziert für 2023 einen weiteren Einbruch um 3 Prozent. Die Einschätzungen des ukrainischen Autors Maxim Goldarb dürften realistischer sein, ist die Ukraine doch schon im Jahr 2014 an einem Staatsbankrott nur dank dem IWF knapp vorbei geschlittert.

Siehe dazu auch: «De Korruption in der Ukraine lässt zig Milliarden US-Dollar verschwinden – pro Jahr!»