Die Schweiz heute: neutral faute de mieux
Die EU und vor allem die NATO hassen das Prinzip der Neutralität, weil es ein Beweis dafür ist, dass ein Land auch ohne die Hilfe der NATO seine Sicherheit gewährleisten kann. Jedes neutral bleibende oder werdende Land ist eine Niederlage für die NATO. Deshalb wird Brüssel nicht müde, die Neutralität der Schweiz im Zweiten Weltkrieg zu diskreditieren und letzten Endes auch die Schweiz selbst, damit sie diese nötigen können, nachträglich ihre Völkerrechtsbrüche zu rechtfertigen.
Im Zusammenhang mit der Ukraine war anfänglich oft die Rede von Neutralität, weil ein allfälliger NATO-Beitritt der Ukraine einer der großen Streitpunkte zwischen Russland und dem Westen war und bleibt. Auch wenn Wladimir Putin im berühmt gewordenen Interview mit Tucker Carlson bestritt, dass dies zum Angriff vom 24. Februar 2022 beigetragen habe, so sind Zweifel an seinen Aussagen angebracht (1). Dieser Frage war ja nicht von ungefähr eines der Themen im Entwurf zu einem Waffenstillstandsabkommen vom März 2022 gewesen (2).
Vergleich mit Pferdefuß
Gerne werden derzeit Vergleiche mit den Dreißigerjahren angestellt, namentlich mit dem Münchner Abkommen von 1938 und dem Sudetenland. So wie man damals Hitler hätte stoppen sollen – so die Argumentation – so hätte man Putin nach der Annexion der Krim stoppen sollen. Bei diesem Vergleich gibt es allerdings einen großen Unterschied zu beachten:
Im Unterschied zum nationalsozialistischen Deutschland existiert in Russland keine offiziell anerkannte Ideologie von der Überlegenheit der russischen oder slawischen Rasse gegenüber anderen Völkern, von welcher das Recht abgeleitet wird, andere Völker zu versklaven, aus ihrer Heimat zu vertreiben und diejenigen, die sich zur Wehr setzen, zu vernichten (3). Das wäre auch sehr ungeschickt, denn in Russland leben circa hundert Ethnien, von denen nur drei wirklich slawische Sprachen sprechen, nämlich Russen, Belarussen und Ukrainer. Schon vor dem Krieg lebten in Russland circa zwei Millionen Ukrainer, gegen drei weitere Millionen sind seither dazugekommen. Die anderen Ethnien Russlands sprechen finnisch-ugrische, kaukasische, türkische und andere Sprachen (4).
In den späten Dreißigerjahren war die Stärke Deutschlands in der Tat in der Schwäche der Westalliierten begründet. Im Frühjahr 1938 reagierte niemand in Europa wegen des „Anschlusses“ von Österreich ans Deutsche Reich, im Herbst 1938 warfen Briten und Franzosen mit dem Münchner Abkommen die Tschechoslowakei den Deutschen zum Fraß vor, im Frühjahr 1939 reagierte niemand auf die „Erledigung“ des Rests, der von der Tschechoslowakei übrig geblieben war, und im Herbst 1939 folgte auf die deutsche Invasion in Polen eine Kriegserklärung – und dann nichts mehr. Im Frühjahr 1940 zeigten sich Briten und Franzosen machtlos angesichts der deutschen Invasion in Dänemark und Norwegen und im Frühsommer wurden sie selbst vom Kontinent vertrieben. Was erwarteten die Westmächte damals eigentlich von der Schweiz? Dass die Schweiz nun das Deutsche Reich angreife? Im Jahr 1938 wäre die Sowjetunion bereit gewesen, militärisch zugunsten der Tschechoslowakei einzugreifen und übrigens auch zugunsten der Schweiz! Das ist heute nurmehr Leuten bekannt, die sich mit Persönlichkeiten wie Ivan Maiski und Maxim Litvonov beschäftigen (5).
Partnership for Peace: geboren aus Skepsis
Grundsätzlich war die Partnership for Peace der NATO (PfP) als Programm gedacht für Länder, die sich um eine Annäherung an die NATO bemühten, denen die NATO aber keine Mitgliedschaft anbieten wollte (6). Die Skepsis gegen eine Osterweiterung kam auf, weil man vermutete, dass manche Länder glauben könnten, mit einer Mitgliedschaft in der NATO im Rücken alte Konflikte mit Russland wieder anheizen zu können. Die Osterweiterung der NATO hätte mit einem Ausbau der Rüstungskontrolle, der vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen und der Stärkung von Mechanismen zur Beilegung alter, zu Sowjetzeiten unter dem Deckel gehaltener Konflikte einhergehen sollen. Das Gegenteil ist passiert. Wenn man heute die Scharfmacher aus dem Baltikum hört, wird klar, dass diese Skepsis damals sehr berechtigt war.
Als 1994 die Partnership for Peace ins Leben gerufen wurde, war auch Aufbruchstimmung zu spüren. Auf dem Budapester Treffen der OSZE Außenminister war beschlossen worden, dass die Ukraine und Belarus ihre Kernwaffen abgeben und im Gegenzug Sicherheitsgarantien der Staatengemeinschaft erhalten. Gemeinsam, so dachte man, könne man die alten Probleme des Kontinents lösen. In diesem Zusammenhang wurde auch die Minsker Gruppe zur Lösung des Karabach-Konflikts gegründet (7). Hierfür waren auch gemeinsame Peacekeeping Operationen unter Leitung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vorgesehen. Aber schon in den folgenden Jahren gelang es nicht, die Nationalitätenkonflikte im ehemaligen Jugoslawien zu lösen und ein Streit um russische Peacekeeper in Pristina löste beinahe den Dritten Weltkrieg aus (8). Das hätte in Bern einen Nachdenkprozess auslösen müssen.
Seltsame Szenarien …
Damals glaubte auch die Schweiz, sich bei Bedarf an sogenannten Krisenmanagement-Operationen beteiligen zu müssen. Der Vorbehalt, dass hierfür ein Mandat der UNO oder der OSZE vorliegen müsse, erwies sich in der Nachbetrachtung als sehr berechtigt. Die UNO ist nun mal die Organisation, welche zumindest für ein Minimum an allgemein anerkannten Regeln im Umgang der über 190 Staaten der Welt untereinander steht. Die EU erhebt zwar den Anspruch auf die globale Führungsrolle in einer sogenannten regelbasierten Ordnung, ist es aber definitiv nicht, zumal sie mit ihren wirtschaftlichen und politischen Sanktionen ständig das Recht des Stärkeren anwendet, welches sie selbst so vehement kritisiert.
Die Phantasien von EU und NATO-Mitgliedsstaaten fanden ihren Niederschlag in der Ausbildung, welche im Rahmen des PfP-Programms betrieben wurde: Das Mada-Szenario aus der Ausbildung der NATO beispielsweise war der militärische Ausfluss davon. Anhand dieses Szenarios wurden Krisenmanagement-Operationen geübt, in denen es darum ging, einen Aufstand zu bekämpfen und eine genehme Regierung an der Macht zu halten. Zumindest so könnte die weniger schmeichelhafte Formulierung dafür lauten, was gerne unter „fostering Peace and Stability“ subsumiert wurde. Die Urheber des Szenarios gaben sich gar keine Mühe, die Ähnlichkeit mit existierenden Ländern zu verbergen (9). Ob Brüssel damals in Antananarivo nachfragte, bevor man dieses Szenario entwarf? Oder hielt ihre noch heute anhaltende Arroganz die NATO davon ab? Wieso schuf man eigentlich kein Szenario in einem NATO-Mitgliedsland?
Karte Mada-Szenario
Quelle: NATO, Ergänzungen Verfasser
Aber das Mada-Szenario war bei weitem nicht das einzige mit geographischen Hilfs-Konstrukten. Im Skolkan-Szenario beispielsweise rettete die NATO eine Reihe fiktiver Staaten in Skandinavien (10). Hier fällt besonders auf, dass alle Mitgliedsländer der NATO in ihren aktuellen Grenzen intakt sind. Das ist als Hinweis auf die Funktion der NATO in jenen Jahren zu werten: ein sicherer Hafen aus welchem heraus die „Good Guys“ aus Brüssel auf Expeditionen gehen.
Karte Skolkan-Szenario
Quelle: NATO, Ergänzungen Verfasser
Das Skolkan-Szenario ist wohl nichts weiter als ein aufgewärmtes Szenario aus dem Kalten Krieg, als die NATO glaubte, die Sowjetarmee würde sich durch Schweden den Weg zur Nordsee freikämpfen. Eine amphibische Landung des Warschauer Vertrags in Südschweden und ein Stoß zur Umgehung von Skagerrak und Kattegat war eine der Annahmen, auf welchen die Verteidigungsplanung der NATO beruhte, als diese noch ein Defensivbündnis war.
Tief blicken lässt auch das Georgia-Armenia-Azerbaijan-Turkey-Szenario, abgekürzt GAAT, anhand dessen die US Army einen Einsatz im Süd-Kaukasus übt (11).
Karte GAAT-Szenario
Quelle: Washington Post, Ergänzungen Verfasser
Dabei geben sich die Amerikaner wenig Mühe, politische Korrektheit zu wahren. Es ist offensichtlich, dass es um den Iran geht: Ariana umfasst die Nordteile der Provinzen West-Aserbaidschan, Ost-Aserbaidschan, Ardabil und Gilan des Iran. Die Bezeichnung Donovia stammt natürlich vom Fluss Don in Süd-Russland. Kemalia ist die Türkei. Durch diese Karte wird dann auch die Funktion von Gorgas – natürlich Georgien – und Minaria (Armenien) klar, welche mangels Kooperation von Kemalia und Donovia als Aufmarschbasis in der Region Südkaukasus herhalten müssen. Was ein solches Szenario für diese beiden Länder konkret bedeuten würde, kann man sich unschwer ausmalen. Wenn der Westen aber um Demokratie und Menschenrechte Willen in der Region Krieg führen möchte, dann wäre sicherlich Atropia (Aserbaidschan) auch ein Thema, das die Urheber des Szenarios etwas verfremdet haben.
Vor dem Hintergrund der im angelsächsischen Raum weit verbreiteten Losung „The way we train is the way we fight“ muss man sich folglich in mehreren Weltregionen Sorgen machen.
… und noch seltsamere Szenarien
In diesen Jahren spürte auch die Schweiz die Notwendigkeit, Übungen in fiktiver Geographie anzulegen, weil Echtszenarien immer ein gewisses Skandalisierungspotential innewohnte. Bereits hier wäre es dringend notwendig gewesen, dass die Abteilung Sicherheitspolitik im Militärdepartement oder der Generalstabschef Vorgaben macht, wie Übungsszenarien zu gestalten seien, basierend auf Variationen einer denkbaren langfristigen Lageentwicklung auf dem europäischen Kontinent. Zu solchen hätten natürlich die Nachrichtendienste und das Außendepartement ihre Beiträge leisten können. Wer diese Dienste ein wenig kennt, ist nicht überrascht, dass solche Impulse ausblieben. Und so wurden die Stäbe in Bern selbst tätig, mit teilweise verwunderlichen Resultaten. In den Übungsszenarien des Stabs Operative Schulung (SCOS) kommt heute beispielsweise eine der Bedrohungen aus Elbonia. Die Bezeichnung gleicht jener eines „Vierte-Welt-Landes“ aus einem US-amerikanischen Comicstrip, in welchem ein Mann namens Dilbert die Hauptrolle spielt. Im Dilbert-Universum ist Elbonien von Männern mit schwarzen Vollbärten und hohen, augenbedeckenden Fellmützen bevölkert, die immer bauchtief im Schlamm stehen und kaum verständlich sprechen (12). Das lässt tief blicken und zeigt, wie US-amerikanische Filmemacher über Osteuropa denken.
Ein weiteres Element im Universum des SCOS ist die nationale Minderheit der Volpodinger, aus denen eine radikale Organisation hervorgeht, welche zur Gefahr für die Schweiz mutiert. Nicht abzustreiten ist wohl die sprachliche Nähe zu den sogenannten „Wolpertingern“, einem Fabelwesen, wahrscheinlich erdacht von bayrisches Jägern nach ein paar Maß Bier. Dieses Fabeltier kann ein Jäger nur erblicken, wenn er nachts bei Vollmond in Begleitung einer hübschen jungen Frau im Wald nach ihm sucht. Fangen tut er das Tier, indem er ihm Salz auf den Schwanz streut. Ausgestopfte Wolpertinger kann der Tourist in Oberbayern käuflich erwerben, auch in Souvenir-Läden unweit der NATO School Oberammergau, wo auch zahlreiche Schweizer Offiziere ausgebildet wurden (13).
Alternativen zur Neutralität: geopolitische Abenteuer
Wesentlich handfester im Vergleich zum SCOS-Universum sind alte geopolitische Konzepte, die seit dem Zerfall des Warschauer Pakts (eigentlich Warschauer Vertragsorganisation) und der Sowjetunion wieder Urständ feiern. Eines davon ist jenes des Großfürstentums Litauen aus der frühen Neuzeit, das in Polen und Litauen wieder umherspukt. Es basiert nicht zuletzt auf Ambitionen des starken Manns im Polen der Zwischenkriegszeit, des Marschalls Józef Piłsudski. Es weist ein hohes Maß an Überschneidung mit dem Intermarium-Konzept auf, auch Międzymorze genannt, das einen Staat fordert, der sich von der Ostsee zur Adria und zum Schwarzen Meer erstreckt. Dass solche Konzepte keine reinen Hirngespinste sind, zeigte sich in der Intermarium-Konferenz 2017, an welcher sogar der damalige US-Präsident Donald Trump teilnahm. Solche Aktivitäten zeigen klar auf, welche Pläne man in Washington in Osteuropa hegt und welche Rolle dabei den größten politischen Gebilden der Region zukommt, nämlich Polen und der Ukraine. Bei der Umsetzung solcher Luftschlösser stört natürlich die Republik Belarus (14). Vor dem Hintergrund solcher Wolkenkuckucksheime bekommt der Kampf um Demokratie und Menschenrechte in Osteuropa plötzlich einen etwas anderen Beigeschmack.
Karte: Intermarium und Grenzen von Polen-Litauen im 15. Jahrhundert
Quelle: Columbia University NY, Ergänzungen Verfasser
Aber Polen und die Ukraine sind nicht die einzigen Urheber geopolitischer Konzepte. Auch in unserem Nachbarland Italien sind nicht nur verschrobene Akademiker oder ambitionierte Denkfabriken Urheber derartiger Gedankengebilde. Auch offizielle Stellen im Außen- und im Verteidigungsministerium in Rom sprechen schon vom erweiterten Mittelmeer, italienisch Mediterraneo allargato, welches sich bis an den Golf von Guinea, ins Arabische Meer und – man höre und staune – ins Asowsche Meer erstreckt. Dass das Konzept kein reines Hirngespinst darstellt, zeigt sich darin, dass es als Basis für die Weiterentwicklung der italienischen Marine dient (15). Darüber hinaus zeigt sich hier, dass es im Krieg in der Ukraine nicht um diese selbst geht. Am Asowschen Meer überschneiden sich Interessensphären der Verfechter des Intermarium-Konzepts und des Mediterraneo allargato.
Karte Enlarged Mediterranean / Mediterraneo allargato mit den Interessensphären Italiens
Quelle: ANKASAM, Ergänzungen Verfasser (16)
Hierzulande wird es kaum jemanden überraschen, dass auch Frankreich weitreichende geopolitische Ambitionen hegt. Als Grundlage dafür dient die französische Sprache. Unter den Mitgliedsländern der Organisation für die Frankophonie befinden sich allerdings einige, die sprachlich wenig Gemeinsamkeiten mit Frankreich haben, wie zum Beispiel Bulgarien, Griechenland, Nord-Mazedonien, Albanien und die Ukraine (17). Hier geht es darum, dass Frankreich eine Reihe von Ländern um sich scharen will, um auf der Weltbühne besser die Rolle der Grande Nation spielen zu können. Und sogar Deutschland entdeckt wieder seine geopolitischen Ambitionen, wie die Aktivitäten in der Arktis zeigen (18).
Die Schweiz als Sponsor von Aggressionen?
Mit seiner Kritik, die NATO-Verbündeten würden zu wenig für ihre Verteidigung ausgeben, schockte der damalige US-Präsident Donald Trump 2018 die transatlantische Gemeinschaft. Zwei Prozent des Brutto-Inlandsprodukts für das Militär, so forderte er, müsse das Budgetziel für alle NATO-Verbündeten werden. Denken wir aber daran, dass die Schweiz nicht einmal das 2%-Ziel der Militärausgaben erreicht, sondern bis 2030 das 1%-Ziel anpeilt. Das wären dann gegen die neun Milliarden Franken jährlich. Die politische Linke in der Schweiz äußerte in diesem Zusammenhang Zweifel, ob die Schweizer Armee in der Lage wäre, so viel Geld sinnvoll auszugeben. Wer die Planungs- und Beschaffungsprozesse in der Schweizer Armee kennt, kann diese Zweifel nachvollziehen (19). Aber auch für dieses Problem hat die NATO eine Lösung: Die Schweiz soll für 4½ Milliarden Franken jährlich westliche amerikanische Waffen kaufen und mit 9 Milliarden Franken die Kriege der USA und der NATO mitfinanzieren – jährlich, wohlgemerkt. Wenn solche Ideen bislang noch nicht offen geäußert wurden, so mag das mit Zweifeln an der politischen Akzeptanz begründet sein. Irgendwann werden solche Ideen kommuniziert werden.
Neutral faute de mieux
Neutralität ist nicht die Haltung des abseitsstehenden Eigenbrötlers und Kriegsgewinnlers, sondern Teil der heutigen globalen Ordnung. Das zeigt der Flop der Bürgenstock-Konferenz: Eine Mehrheit der Staaten der Welt will sich nicht an der Seite der Ukraine in einen Krieg gegen Russland hineinziehen lassen, an dessen Zustandekommen der Westen und die Ukraine nicht ganz unschuldig sind. Abwesend sind eine Reihe von Staaten, die nach dem völkerrechtswidrigen Krieg der NATO gegen Serbien 1999, dem ungerechtfertigten Krieg gegen den Irak 2003, dem Missbrauch der Mandate in Afghanistan und in Libyen und ähnlichen problematischen Interventionen dem rechthaberischen Westen mit berechtigtem Misstrauen begegnen. Dass Gauner andere zur Beteiligung an Gaunereien anstiften, ist eben auch in der internationalen Politik Usus geworden. Die Schweiz soll mit ihrem Renommee als vertragstreues Land und Depositar-Staat wichtiger internationaler Abkommen diese ganzen Abenteuer nachträglich rechtfertigen sowie künftige finanzieren. Man darf von einer schweizerischen Landesregierung aber erwarten, dass sie sich als erwachsen zeigt, sich nicht willfährig instrumentalisieren lässt, sich für die Rechte souveräner Staaten einsetzt und hilft, die globale Ordnung aufrechtzuerhalten, die gegenwärtig auch durch unsere Nachbarn zur Disposition gestellt wird. Dabei geht es um die Ordnung, die in San Francisco 1945 mit der UNO-Charta begründet wurde und nicht um die „regelbasierte Ordnung“, welche der Westen derzeit unilateral postuliert.
Die Neutralität der Schweiz im Zweiten Weltkrieg war angemessen. Keiner der kriegführenden Mächte trat damals in den Krieg ein, um die europäischen Juden oder sonst jemanden zu retten, sondern erst, nachdem sie selbst oder ihre Verbündeten angegriffen worden waren. Für moralisierende Überheblichkeit gibt es keinen Grund. Im Zusammenhang mit Portugal, Spanien, Schweden und der Türkei werden solche Diskussionen übrigens nicht geführt. Ausbildungszusammenarbeit mit der NATO im Bereich Peacekeeping macht keinen Sinn mehr, weil die NATO auf absehbare Zeit kein entsprechendes Mandat mehr erhalten wird. Wenn sie die usurpierte Funktion einer ordnenden Macht an den Rändern Europas weiterhin spielen will, muss sie dies ohne entsprechende Mandate des UN-Sicherheitsrats und angesichts der Skepsis einer Mehrheit der globalen Staatengemeinschaft tun und dabei den Vorwurf der Völkerrechtsbruchs mit einkalkulieren. Wenn es der Schweiz aber ernst ist mit Peacekeeping, dann sollte sie sich zusammentun mit anderen Europäern wie Österreich, Irland und Serbien, vielleicht auch Moldawien, und sich die Erfahrungen der Afrikanischen Union zu eigen machen. Gerade letztere hat in den vergangenen Jahrzehnten große Erfahrung auf diesem Gebiet erworben (20).
Anmerkungen:
- Für das mehr als zweistündige Interview siehe „Exclusive: Tucker Carlson Interviews Vladimir Putin“ auf YouTube, 09.02.2024, online unter https://www.youtube.com/watch?v=fOCWBhuDdDo.
- Siehe Robert Skidelsky: Why Peace Negotiations Between Russia and Ukraine Failed, bei The Wire, 14.02.2024, online unter https://thewire.in/world/why-peace-negotiations-between-russia-and-ukraine-failed.
- Gegen die Behauptung, Dugin würde an der Generalstabsakademie Seminare veranstalten. Der Verfasser hat im Rahmen seiner einjährigen Ausbildung an der Moskauer Generalstabsakademie an keinen derartigen Seminaren teilgenommen. Auch Dugins Theorien wurden nie thematisiert, wohl aber die Thesen Haushofers, Mackinders und Mahans.
- Siehe die Bevölkerungsstatistik beim Statistischen Amt der Russischen Föderation: Национальный состав населения, online unter https://rosstat.gov.ru/bgd/regl/b13_13/isswww.exe/stg/d1/04-12.htm, in russischer Sprache. Vgl. „Russia„, bei CIA-Factbook, online unter https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/russia/, das 1.4% Anteil der Ukrainer in Russland ausweist. Vgl. Инес Айзеле: В каких странах больше всего украинских беженцев, bei Deutsche Welle Russland, 14.04.2023, online unter https://www.dw.com/ru/v-kakih-stranah-bolse-vsego-ukrainskih-bezencev/a-65301918, in russischer Sprache. Jens Eisele zufolge waren es im April 2023 2.85 Millionen Ukrainer gewesen, die beim „Aggressor“ Zuflucht suchten. Man wird annehmen dürfen, dass es mittlerweile über 3 Millionen sind.
- Siehe Gerd Brenner: Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs und Nachkriegsordnung – Stalin bekommt nachträglich Recht, bei World Economy, 09.04.2020, online unter https://www.world-economy.eu/nachrichten/detail/vorgeschichte-des-zweiten-weltkriegs-und-nachkriegsordnung-stalin-bekommt-nachtraeglich-recht/; ders.: Zweifrontenkrieg um Russlands Ressourcen, bei World Economy, 04.05.2020, online unter https://www.world-economy.eu/nachrichten/detail/zweifrontenkrieg-um-russlands-ressourcen/, und ders.: Katastrophale Fehlbeurteilungen, bei World Economy, 01.10.2021, online unter https://www.world-economy.eu/nachrichten/detail/katastrophale-fehlbeurteilungen/. Zu Maiski und Litvinov: Siehe Gabriel Gorodetsky (Hrsg.): Die Maiski-Tagebücher. Ein Diplomat im Kampf gegen Hitler 1932–1943, München 2016, Vorschau online unter https://beckassets.blob.core.windows.net/product/readingsample/16028143/leseprobe_die%20maiski%20tageb%C3%BCcher.pdfund Jürgen Zarusky: Stalins roter Netzwerker, Rezension der Maiski-Tagebücher, bei Süddeutsche Zeitung, 15.10.2016, online unter https://www.sueddeutsche.de/politik/zweiter-weltkrieg-stalins-roter-netzwerker-1.3187590. Eine ganze Reihe von Dokumenten über Litvinov ist verfügbar beim ZBW Pressearchive, Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft, Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA) – Personen-Mappen, online https://pm20.zbw.eu/folder/pe/0115xx/011549/about.
- Siehe „Partnership for Peace programme“ auf der Homepage der NATO, online unter https://www.nato.int/cps/en/natolive/topics_50349.htm. Zur russischen Beteiligung siehe „Statement by the Secretary General on Duma Ratification of PfP Status of Forces Agreement„, ebd. online unter https://www.nato.int/docu/pr/2007/p07-058e.html. Vgl. „Partnership for Peace: Framework Document issued by the Heads of State and Government participating in the Meeting of the North Atlantic Council“ auf der Homepage der NATO, online unter NATOhttps://www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_24469.htm.
- Im Unterschied zum alljährlich im Dezember stattfindenden Ministerrat der OSZE, an welchem die Außenminister der Teilnehmerstaaten teilnehmen, waren damals Staats- oder Regierungschefs vertreten. Siehe „Fourth Heads of State Summit, Budapest„, auf der Homepage der OSZE, 05./06.12.1994, online unter https://www.osce.org/who/timeline/1990s/11. Zum Memorandum und den Sicherheitsgarantien siehe „KSZE Budapester Dokument 1994, der Weg zu echter Partnerschaft in einem neuen Zeitalter“, Korrigierte Fassung vom 21. Dezember 1994, online unter https://www.osce.org/files/f/documents/e/4/39556.pdf und Memorandum on Security Assurances in connection with Ukraine’s accession to the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, 5 December 1994, online unter http://www.ppnn.soton.ac.uk/bb2/Bb2secK.pdf.
- Siehe „Robertson’s plum job in a warring Nato“ bei The Guardian, 03.08.1999, online unter https://www.theguardian.com/world/1999/aug/03/balkans. Der britische Saenger James Blunt heftete die Lorbeeren für die Verhinderung des Dritten Weltkriegs an seine Fahnen. Siehe „Wie ich den Dritten Weltkrieg verhinderte“ bei Der Spiegel, 15.11.2010, online unter https://www.spiegel.de/panorama/leute/james-blunt-wie-ich-den-dritten-weltkrieg-verhinderte-a-729197.html. Vgl. Team Mighty: Why a NATO general defied the Supreme Allied Commander in Kosovo in 1999, , bei We are the Mighty, 29.09.2023, online unter https://www.wearethemighty.com/mighty-moments/why-a-nato-general-defied-the-supreme-allied-commander-in-kosovo/.
- Der Verfasser hat mit diesem Szenario in NATO PfP Kursen selbst gearbeitet.
- Auch mit diesem Szenario arbeitete der Verfasser. Vgl. Alfred Goertz, Adrian Williamson: NATO Training Centres‘ Conference on collaboration for Settings, Scenarios and Simulation, online unter https://www.jwc.nato.int/images/stories/threeswords/nov_TS3.pdf.
- Siehe James Marson, Julian E. Barnes: After Multiple Invasions, the U.S. Army Is Getting Tired of Liberating Atropia, bei Wall Street Journal, 11.09.2017, online unter https://www.wsj.com/articles/after-multiple-invasions-the-u-s-army-is-getting-tired-of-liberating-atropia-1505144872. Siehe die Landkarte der Verwaltungsstruktur und Bevölkerungsdichte von Iran bei Geo-Ref.net, online unter http://www.geo-ref.net/de/irn.htm.
- Siehe „Dilbert Wiki“ bei Fandom, online unter https://dilbert.fandom.com/wiki/Elbonia, „Dilbert by Scott Adams“, online unter https://web.archive.org/web/20230310210307/https://dilbert.com/, sowie https://archive.ph/20141112080637/http://dilbert.com/strips/comic/2008-09-15/.
- Siehe Ernesto Kägi: Grenadiere stürmen ein Volpodinger-Nest, bei Schweizer Soldat, die führende Militärzeitschrift der Schweiz Band 93, 2018, Heft 4, online unter https://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=sol-004%3A2018%3A93%3A%3A837, Markus Rohner: Kampf im virtuellen Dorf, bei St. Galler Tagblatt, 04.01.2014, online unter https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/frauenfeld-munchwilen/kampf-im-virtuellen-dorf-ld.783184, Simona Benovici: «Das Ganze hat nichts mit Kriegerlis zu tun», bei Der Bund, 06.10.2011, online unter https://www.derbund.ch/das-ganze-hat-nichts-mit-kriegerlis-zu-tun-242846010226, „Übung «ORION» des Aufkl Bat 5: Aufklärer gegen Panzerjäger“, bei Schweizer Soldat, Nr. 02, Februar 2014, S. 17 – 21, online unter https://docplayer.org/19954949-Uebung-orion-des-aufkl-bat-5-aufklaerer-gegen-panzerjaeger.html. Zum Wolpertinger siehe Thea Tucher: Im faunischen Bayern, bei Berliner Republik, Das Debattenmagazin, 4/2006, online unter http://www.b-republik.de/archiv/im-faunischen-bayern. Angeblich soll das Fabelwesen des Wolpertingers, bestehend aus Körperteilen von unterschiedlichen Tierarten, in Werkstätten von Präparatoren und von Glasbläsern entstanden sein, die Schnapsgläser in Tierform herstellten bzw. Präparate an leichtgläubige Touristen verkauften. Vgl. auch die Homepage der Harmonie Rohrdorf (Bayern) unter https://www.harmonierohrdorf.ch/sponsoren-freunde/wolpertinger/.
- Karte: Nick Cohen: Intermarium in the 21st Century. A New Path for Europe? Bei Columbia University in the City of New York, European Institute, 15.11.2019, online unter https://europe.columbia.edu/news/intermarium-21st-century-new-path-europe-nick-cohen. Für einen Überblick über Polen-Litauen im Mittelalter und der frühen Neuzeit siehe Mathias Niendorf: Belarus und das Großfürstentum Litauen, bei Decoder, 12.05.2023, online unter https://specials.dekoder.org/belarus-grossfuerstentum-litauen/. Es existiert auch bereits eine gemeinsame litauisch-ukrainisch-polnische Brigade die LITPOLUKROBRIG; Siehe ihre Homepage https://litpolukrbrig.wp.mil.pl/en/. Gerhard Gnauck: Alte Großmacht zwischen Deutschland und Russland, bei Welt Geschichte,13.02.2013, online unter https://www.welt.de/geschichte/article113591091/Alte-Grossmacht-zwischen-Deutschland-und-Russland.html. Vgl. Marek Kornat: Die Wiedergeburt Polens als multinationaler Staat in den Konzeptionen von Józef Piłsudski. Forum für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschichte, 1/2011, online unter http://www.ku.de/forschungseinr/zimos/publikationen/forum/zeitgeschichte/marek-kornat-die-wiedergeburt-polens-als-multinationaler-staat-in-den-konzeptionen-von-jozef-pilsudski/. Siehe auch George Friedman: Geopolitical Journey, Part 2: Borderlands, Intermarium. In: Stratfor, 03.06.2014, online unter https://worldview.stratfor.com/article/geopolitical-journey-part-2-borderlands und Matthias Krupa: Drei-Meere-Initiative: Trump umgarnt die Polen, in Die Zeit, 02.07.2017, online unter https://www.zeit.de/2017/27/drei-meere-initiative-donald-trump-polen.
- Siehe Paolo Casardi: Security situation in the «enlarged Mediterranean» Possible implications for the Italian Navy, auf der Homepage der italienischen Marine, online unter https://www.marina.difesa.it/EN/Conosciamoci/notizie/Documents/01_casardi_en_giugno.pdf und „Italy’s political action in the enlarged Mediterranean„, auf der Homepage des italienischen Außenministeriums, 20.06.2023, online unter https://www.esteri.it/en/sala_stampa/archivionotizie/comunicati/2023/06/azione-politica-dellitalia-nel-mediterraneo-allargato/. Vgl. „Rethinking Italy’s ‘Enlarged Mediterranean’“ bei ISPI 90, 11.06.2024, online unter https://www.ispionline.it/en/publication/rethinking-italys-enlarged-mediterranean-176932.
- Siehe „Meloni Government and Italy’s Broad Mediterranean Strategy“ bei ANKASAM Ankara Center for Crisis and Policy Studies, 10.12.2022, online unter https://www.ankasam.org/meloni-government-and-italys-broad-mediterranean-strategy/?lang=en. Karte bei Admiral Giuseppe De Giorgi: Il Mediterraneo allargato, online unter https://www.ammiragliogiuseppedegiorgi.it/mc/481/il-mediterraneo-allargato, in italienischer Sprache.
- Siehe die Homepage der Organisation internationale de la Francophonie (OIF) unter https://www.francophonie.org/. Vgl. „Die Internationale Organisation der Frankophonie“ auf der Homepage des Eidgenössischen Departements für Auswärtige Angelegenheiten, online unter https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/aussenpolitik/internationale-organisationen/die-internationaleorganisationderfrankophonieoif.html inkl. Karte der Teilnehmerländer.
- Von den zahlreichen Artikeln über die Arktis-Region und die dortigen Ambitionen Deutschlands auf der Homepage von World Economy sei nur auf den neusten verwiesen: Hans-Georg Münster: Deutsche Marine soll in die Arktis vorstoßen; Kriegstreiber in der CDU/CSU wollen Front gegen Russland eröffnen, bei World Economy, 16.04.2024, online unter https://www.world-economy.eu/nachrichten/detail/deutsche-marine-soll-in-die-arktis-vorstossen-kriegstreiber-in-der-cdu-csu-wollen-front-gegen-russland-eroeffnen/.
- Schon damals stießen Trumps Äußerungen aus Skepsis. Siehe Christiane Hoffmann: Nato-Forderungen an Deutschland; der Zwei-Prozent-Fetisch, bei Der Spiegel, 04.04.2019, online unter https://www.spiegel.de/politik/deutschland/nato-der-zwei-prozent-fetisch-kommentar-a-1261274.html und Matthias Naß: Zwei Prozent – aus eigenem Interesse, Kolumne bei Zeit Online, 11.07.2018, online unter https://www.zeit.de/politik/2018-07/verteidigungshaushalt-nato-bundeswehr-ausruestung-donald-trump-5vor8. Vgl. „Statistiken zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Schweiz“, bei Statista, online unter https://de.statista.com/themen/2645/bruttoinlandsprodukt-bip-in-der-schweiz/#topicOverview. Der Verfasser zeichnete in den Jahren 2009 bis 2010 für die Redaktion des Grundlagenpapiers „Überwinden von Hindernissen“ verantwortlich, welche in die Beschaffung neuer Brücken und Brücken lege-Panzer für die Armee mündeten im Umfang von circa ⅓ Milliarde Franken.
- Siehe hierzu Nate D.F. Allen: African-Led Peace Operations: A Crucial Tool for Peace and Security, bei Africa Center for Strategic Studies, 09.08.2023, online unter https://africacenter.org/spotlight/african-led-peace-operations-a-crucial-tool-for-peace-and-security/.