Er war der 37. Präsident der USA, aber bisher der einzige, der zurücktreten musste: der Republikaner Richard Nixon, ein strenggläubiger Quäker. Das Verbrechen, das ihm den Job kostete, war der Einbruch im Watergate, dem Zentrum der Demokraten. Er war Präsident von 1969 bis 1974. (Foto Wikipedia)

Die Schlacht bei Waterloo endete mit 20’000 Toten. Diesmal geht es um Geld – um viel, um sehr viel Geld!

(Red.) Es gab Zeiten, da mussten Politiker für begangene Verbrechen den Kopf hinhalten. Wer wird den Kopf hinhalten, wenn die EU jetzt Milliarden von russischen Vermögenswerten zu stehlen beschließt, wie es Ursula von der Leyen und Friedrich Merz befürworten? Stefan Nold erlaubt sich einige Vergleiche. (cm)

Tom DeMarco, einer der Gurus aus der Pionierzeit der Softwareentwicklung, schreibt über seine Zeit in den Bell Labs, der Forschungsabteilung des US-Telekommunikationsriesen AT&T: “Ich arbeitete in einem Raum zusammen mit Wendl Thomis, der später sein Imperium als Hersteller von elektronischem Spielzeug aufbaute. Damals arbeitete er an einem Fehlerkatalog für elektronische Switching-Systeme… Die Erarbeitung dieses Konzepts war selbst für Wendls Konzentrationsfähigkeit eine Herausforderung. An einem Nachmittag saß ich über ein Programmlisting gebeugt da, während Wendl in die Luft starrte und die Füße auf dem Schreibtisch liegen hatte. Unser Chef kam zur Tür herein und fragte: “Wendl, was machst du da?” Wendl antwortete: “Ich denke.” Darauf der Chef: “Kannst du das nicht zu Hause machen?” [1]

Überall, wo heute die Musik spielt, scheint es nur noch solche Chefs zu geben. Jeder macht irgendwas, jeder rennt herum und erzählt irgendwas in irgendein Mikro, sondert irgendein Zeug in irgendwelchen unsozialen Medien ab. In den achtzigern arbeitete meine Frau im Rahmen eines AIESEC – Praktikums bei Lurgi, damals ein großer Anlagenbauer aus Frankfurt am Main. Am ersten Tag lernte sie von einer Kollegin die wichtigste Regel des Büroalltags: „Wenn du aus dem Zimmer gehst, halte immer ein Stück Papier in der Hand, ganz egal was.“ So zeigte man, dass man mit etwas Wichtigem beschäftigt war. Die Insignien haben sich geändert, man eilt heute zu seinem nächsten „Call“, das Konzept, Aktivität zu simulieren, ist geblieben. 

Denken überlässt man heute lieber der künstlichen Intelligenz. Neulich erzählte mir jemand von seinem Vorstellungsgespräch: „Ich hatte mich ein bisschen mit ChatGPT vorbereitet. Die erste Frage kannte ich gleich und man war mit meiner Antwort auch sehr zufrieden.“ Warum lässt man dann nicht gleich die „künstliche Intelligenz“ in den Ring steigen? Die ganzen Bundestagsdebatten, die nur noch aus dem Austausch vorhersehbarer Floskeln bestehen, könnte man sich schenken. 

Und wie ist es in den alternativen Medien? Als ich 2012 mein Buch „Beerdigung Reifenwechsel Hochzeit“ dem Herausgeber der „Nachdenkseiten“ geschickt hatte, in Erwartung einer Rezension, antwortete Albrecht Müller mir, er habe es statt dessen in einem öffentlichen Buchregal in einem Pfälzer Dorf abgestellt. In dem Buch stand unter anderem: „Eine politische Einigung Europas sollte vermieden werden. Ein geeintes Europa wäre in der Lage, imperialistische Kriege um Rohstoffe zu führen – und es wird sie führen.“ [2] So etwas auch nur zu denken, war damals tabu. Und doch ist es so gekommen. Man kann sich aus Gegenwart und Geschichte einen Reim auf die Zukunft machen – wenn man bereit ist, eingefahrene „Denkrinnen“ [3] oder Denkrillen zu verlassen. Aber es kratzt, wenn man es tut, und das will niemand hören. In dem Beitrag „Die neue Cancel Culture“ diagnostiziert Nicolas Riedl einen „Magnetismus“ zwischen allseits bekannten Autoren und ihren Lesern, der dazu führe, dass man „das Gleiche und Altbekannte immer wieder schauen, hören und lesen möchte.“ Sein Fazit: „Produzenten wie Rezipienten der freien und alternativen Medien stehen gleichermaßen in der Verantwortung, eine gesunde und konstruktive Balance herzustellen zwischen notwendiger Informationsvermittlung einerseits und dem Aufzeigen und Wahrnehmen von realen und realistischen Handlungsoptionen andererseits.“ [4]

Leider wird das Wahrnehmungsvermögen oft stark getrübt. Jeb Stuart Magruder, einer aus der Regierung Nixon, der mitentschieden hatte, im Hauptquartier der Demokraten in Watergate einzubrechen, fragte sich, nachdem die Täter gefasst worden waren, mit Entsetzen: „Wie konnten wir so blöd sein?“ Robert Cialdini hat das in seinem Buch „Überzeugen im Handumdrehen“ analysiert [5]: Die Idee stammte von G. Gordon Liddy, einem windigen FBI-Agenten. Sein erster Plan sollte 1 Million Dollar kosten und beinhaltete das Verwanzen von Watergate, Kidnapper- und Räubertrupps und eine „Yacht mit erstklassigen Callgirls“, um die Demokraten zu  erpressen. Das wurde abgelehnt. Aber Liddy ließ nicht locker und kam mit einem zweiten Plan für 500.000 $ um die Ecke – und dann mit einem dritten für 250.000 $. Auch davon war nach den Worten Magruders niemand begeistert, aber mit dem Gefühl, das man „Liddy eine Kleinigkeit lassen sollte“, wurde der Einbruch genehmigt. Es kostete am Ende nicht nur 250.000 $, sondern Nixon die Präsidentschaft.

Diesen Donnerstag treffen sich die EU-Regierungschefs, um knapp 200 Milliarden Euro Vermögen des russischen Staates, das dieser in die Obhut der belgischen Euroclear gegeben hat, zu stehlen. Wenn das wirklich so kommt, wird das für die EU viel schlimmer als für die USA der Einbruch in Watergate. Nixon musste damals gehen, aber ansonsten änderte sich wenig. Aber der Diebstahl von Brüssel wird katastrophale Auswirkungen auf die ganze EU haben. Das ist nicht Watergate – das ist Waterloo – und das ist nur 15 Kilometer von Brüssel entfernt. (Hervorhebung durch die Redaktion.)

Russland wird im Gegenzug  Vermögenswerte der EU, die sich in Russland befinden, beschlagnahmen. Nichts gewonnen, aber der Ruf ist ramponiert. Euroclear verwaltet Vermögen in Höhe von 40.000 Milliarden Euro; das Geld aus Russland macht nur 0,5% aus. Aber Länder wie Saudi-Arabien werden sich fragen, ob ihr Geld bei Euroclear sicher ist. Wenn nur 5% des übrigen Vermögens von Euroclear abgezogen wird, sind das 2.000 Milliarden, Euroclear hat fertig und der Euro ist als Reservewährung erledigt. Es steht viel mehr auf dem Spiel als nur 200 Milliarden aus Russland. Die Hunderttausende, die in den Schützengräben verbluten, lassen die Menschen kalt, aber dem einen Typen, der gerade im Raum steht, wie damals Giddy und heute Selenskyj, dem möchte man einen Gefallen tun, selbst wenn man weiß, dass man damit die Interessen der Bevölkerung verrät – sowohl bei uns als auch in der Ukraine. Ungarn, die Slowakei, Belgien und andere sind noch in der Unterzahl. Hoffentlich geht es aus wie in dem Film „Die 12 Geschworenen“ [6], in dem nach dramatischen Wortwechseln die Argumente des „Geschworenen Nr. 8“, gespielt von Henry Fonda, alle anderen überzeugen.

Anmerkungen
[1] DeMarco, Tom und Timothy Lister (1999) Wien wartet auf Dich! Kap. 10: Geistige und körperliche Anwesenheit, S. 75-76. Carl Hanser: München, Wien. Übersetzung: Peter Hruschka. Original: „Peopleware – Productive Projects and Teams“ 2nd Ed . 1999. 1st Ed: 1987. Dorset: New York.
[2] Nold, Stefan (2012) Beerdigung Reifenwechsel Hochzeit. Geschichten zum Nachdenken. Kap. Klein ist gut: Small is beautiful in der Politik, S. 145. Justus von Liebig Verlag: Darmstadt.
[3] Birkenbiehl, Vera (1993) Psycho-logisch richtig verhandeln. Kap 6.2: Denkrinnen, S. 140-142. mvg: München.
[4] Riedl, Nicolas (4.12.2025) Die neue Cancel-Culture. https://www.manova.news/artikel/die-neue-cancel-culture
[5] Cialdini, Robert B. (1992) Überzeugen im Handumdrehen. Kap. Wechselseitiges Entgegenkommen. S. 58 – 62. mvg: München. Übersetzung: Wolfgang Rhiel. Original: How and why people agree to things. 
[6] Lumet, Sidney (Regie) und Reginald Rose (Drehbuch) (1957) Die 12 Geschworenen. Original: 12 Angry Men. Produzenten: Henry Fonda und Reginald Rose, USA.

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