Auch «swissinfo», die staatliche Schweizer Informationsstelle für die Auslandschweizer, hat sich dem Text des russischen Schriftstellers Michail Schischkin angenommen. Kritik an Russland ist überall willkommen! (Bild swissinfo)

«Die Russen, ein Sklavenvolk»

(Red.) Schweizer Medien – konkret der Zürcher «TagesAnzeiger», die «Berner Zeitung» und andere zum Verbund gehörende Zeitungen – gewährten dem russischen Schriftsteller Michail Schischkin eine Plattform für rassistische Parolen. Das Interview erschien am 3. Januar 2022, hat im Internet aber eine Bezahlschranke.

Schischkin lebt seit 1995 in der Schweiz und hat den Schweizer Pass. Der Mann kultiviert seit Jahren publikumswirksam seinen Hass auf das Russland der Putin-Zeitspanne und hat schon in Interviews erklärt, die Russen seien ein Volk von Sklaven, und das Böse liege ihnen im Blut. Im März 2022 schrieb er in der Neuen Zürcher Zeitung: «Was ist es denn: eine Diktatur gebiert ein Sklavenvolk oder ein Sklavenvolk treibt eine Diktatur hervor? Es ist wie mit dem Huhn und dem EI.» (Und der gleiche Artikel Schischkins in der NZZ schliesst mit dem Satz «Wladimir Putin ist ein Symptom und nicht die Krankheit», womit er auch die Verantwortung für den Krieg in der Ukraine von Putin auf die ganze russische Bevölkerung abwälzt. Anm. d. Red.)

Gehorsam und Untertanengeist sei den Russen von der Zarenzeit bis zur Sowjetunion so stark eingepflanzt worden, dass das Übel praktisch «genetisch» geworden sei. Es liege dem Russen im Blut. Wer solche Theorien über andere Nationalitäten aufstellen würde, käme wohl gemäss Artikel 261 des Schweizer Strafgesetzbuches wegen Rassismus vor den Richter. Nicht so, wenn es gegen die Russen geht. 

Der Tagesanzeiger offeriert nun einem Mann, der Russinnen und Russen ein «Sklavenvolk» nennt, eine Doppelseite, um seine Gefühlswallungen und seine Theorien über den Ukraine-Konflikt auszubreiten, die sich – gelinde gesagt – auf bescheidenem kognitivem Niveau bewegen.

Da werden die sattsam bekannten Stammtisch-Parolen repetiert, der neue «Zar Putin» halte die 143 Millionen Russinnen und Russen als Geiseln und zwinge sie, gegen die Ukraine in den Krieg zu ziehen. Sie gehen laut Schischkin «wie Schafe in den Tod, ohne nachzudenken.». Die Russen «verteidigen ihre Geiselnehmer».

Schischkin über Russland: «Was gut und was schlecht ist, entscheidet allein der Staatsführer, der Zar. Das Volk entscheidet nichts, übernimmt keine Verantwortung. Die Leute in Russland wollen nicht verstehen, dass sie heute selber die Faschisten sind.»

Welchen Erkenntnisgewinn sieht der Tagesanzeiger für sein Lesepublikum mit der Verbreitung von dieser Art von Geschwätz? Jahrzehntelang haben Russland-Experten, darunter US-Spitzendiplomaten, gewarnt, dass der Versuch, die Ukraine in den westlichen Machtblock einzubinden, dieses Land in zwei Teile zerreissen und zu einem schweren Konflikt mit Russland führen würde. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Tagesanzeiger-Journalistin, einer ausgewiesenen Russland-Kennerin, diese Zusammenhänge verborgen sind.

Warum konfrontiert sie also Schischkin nicht mit diesen Einsichten, die die Logik gebietet? Warum bekommt ein Mann, dem zu Russinnen und Russen nichts anderes einfällt als der Satz: «Ich habe nichts gemeinsam mit diesen Mördern» Redefreiheit in der grössten Zeitung der Schweiz? 

Wenn es um Briten oder Amerikaner ginge, würden solche Sätze kaum unbeschadet die  algorithmischen Radarfallen der Social Media passieren, geschweige denn im Tagesanzeiger erscheinen. Oder hat man im Zürcher Tagesanzeiger nach dem Angriff auf den Irak lesen können, George W. Bush habe das amerikanische Volk als Geisel genommen, und mit diesem amerikanischen Volk von Mördern wolle man nichts mehr zu tun haben? Wurden reichen Saudis in Genf und Zürich die Konten gesperrt, weil Saudiarabien seit 2015 einen Angriffskrieg in Jemen führt? Wurden US-Amerikaner und Briten als «Sklavenvölker» bezeichnet, weil ihre Regierungen diesen Krieg unterstützen, der bisher 370’000 Menschenleben gekostet hat?

Leute vom intellektuellen Horizont eines Mischail Schischkin können nicht erkennen, dass Millionen Russinnen und Russen Präsident Putin unterstützen, weil sie sich von der NATO bedroht fühlen und nicht akzeptieren werden, dass die NATO von Jahr zu Jahr mehr Stützpunkte für Nuklearwaffen rund um Russland baut. Im deutschen Fliegerhorst Büschel in der Eifel liegen rund 20 Atombomben der US Air Force, und deutsche Kampfpiloten trainieren seit Jahrzehnten für ihren Abwurf auf Moskau. 

Der Gedanke, dass die russische Sicht auf die Weltpolitik – auf eine selbsternannte Ordnungsmacht USA, die seit 9/11 offene und verdeckte Angriffskriege führt und dabei Hunderttausende von «kollateralen» Ziviltoten in Kauf nimmt – Elemente von Realität und Rationalität enthalten könnte, ist unseren grossen westlichen Medien offensichtlich so fern wie damals der Heiligen Inquisition die Thesen des Giordano Bruno. Der Mann hatte behauptet, die Erde sei nicht der Mittelpunkt des Universums, und wurde im Jahr 1600 als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

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Meinungen in Beiträgen auf Globalbridge.ch entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Anmerkung der Redaktion Globalbridge.ch:

Michail Schischkin gibt im Tages-Anzeiger-Interview auch der Schweiz eine hohe Mitschuld an der heutigen «Banditendiktatur» in Russland. Wörtlich:

TagesAnzeiger: Schweizerinnen und Schweizer möchten neutral bleiben in diesem Krieg, das zeigen Umfragen.

Schischkin: Ich kämpfe schon seit Jahren gegen die Schweizer Neutralität. Ich habe zum Boykott der Olympischen Spiele in Sotschi 2014 aufgerufen. Niemand hat auf einen russischen Schriftsteller gehört. Die Schweizer haben dort ihr Hüsli gebaut, und als Resultat hatten wir dann die Annexion der Krim. 2018 wiederholte sich die Geschichte mit der Fussball-WM: Ich rief die Schweiz auf, Solidarität zu zeigen mit den Menschen in der Ukraine, der Krieg dauerte dort bereits vier Jahre. Aber die Schweizer wollten wie alle anderen lieber Fussball spielen. Putin hat die Botschaft verstanden: Der Westen unterstützt den Krieg stillschweigend. Damit war der Weg offen für den Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022. Man kann hier nicht neutral bleiben, wir sind alle Teil dieses Krieges.

TagesAnzeiger: Immerhin hat die Schweiz danach die Sanktionen übernommen.

Schischkin: Ja, das war ein historischer Tag. Aber die Schweiz hat davor so viele Fehler gemacht im Umgang mit Russland. Sie hätte zusammen mit den anderen westlichen Staaten der jungen russischen Demokratie der 90er-Jahre auf die Beine helfen sollen. Stattdessen haben sie der neuen kriminellen Diktatur auf die Beine geholfen. Ich habe damals in der Schweiz als Dolmetscher gearbeitet und gesehen, wie die reichen Russen mit ihrem gestohlenen Geld hier ihre Konten eröffneten. Statt dem Recht Geltung zu verschaffen, hat die Schweiz das schmutzige Geld mit grosser Freude genommen. Die Russen haben schnell begriffen: Beim grossen Geld hört der Rechtsstaat auf. Ohne diese Unterstützung in der Schweiz, in London, in Amerika wäre die Entstehung dieser Banditendiktatur in Europa überhaupt nicht möglich gewesen.

Dazu eine Bemerkung von Christian Müller, Herausgeber der Plattform Globalbridge.ch: In der von Schischkin freundlich erwähnten «jungen russischen Demokratie der 90er-Jahre» herrschte in Russland Boris Jelzin, der es nur dank finanzieller Unterstützung von US-Präsident Bill Clinton zu einer zweiten Amtsperiode gebracht hatte. In diesen acht Jelzin-Jahren verelendete Russland dramatisch, die Wirtschaftsleistung Russlands verringerte sich gegen Ende der Jelzin-Ära auf die Hälfte, die durchschnittliche (!) Lebenserwartung der Russen sank in dieser Zeit um mehr als 3 Jahre. Alle meine mir persönlich bekannten Russinnen und Russen in Russland sind Putin auch heute noch äusserst dankbar, dass er nach Jelzins Katastrophenjahren in Russland wieder für Ordnung gesorgt hat und die Menschen wieder ihre Gehälter und Renten erhalten haben. (Die durchschnittliche Lebenserwartung der Russen stieg in den ersten zehn Putin-Jahren um mehr als 4 Jahre!) Die grosse Unterstützung, die Putin in Russland auch heute geniesst, basiert nicht zuletzt auf dem Wiederaufschwung Russlands unter Putin nach den Jelzin-Jahren, nicht weil die Russen vom Putin-Regime, wie Schischkin realitätsfern behauptet, «versklavt» sind. (cm)