Die Mitverantwortung des Westens am Ukraine-Krieg
(Red.) Auch wenn sie im Vergleich zu den großen Konzernmedien vergleichsweise kleine Auflagen haben, es gibt Publikationen, in denen man hervorragende politische Analysen lesen kann. Eine solche Publikation ist die Schweizer Zeitschrift «Zeitgeschehen im Fokus» (Details siehe am Ende des hier folgenden Artikels.) Dem in der neusten Ausgabe abgedruckten Artikel von Thomas Kaiser ist nichts beizufügen, man kann jeden Satz unterschreiben. (cm)
Während sich die offizielle Berichterstattung über den Ukraine-Krieg an das schwarz-weiss Schema klammert – im Sinne von Ukraine, Selenskij und Nato gut, Russland und Putin schlecht – , gibt es zum Glück immer wieder Stimmen, die die Dinge nüchtern, ohne moralische Überhöhung und politische Arroganz betrachten. Man muss sie suchen, aber man findet sie. Als Kriegstreiberin steht jedoch die grüne (im doppelten Sinne des Wortes) deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock unangefochten an der Spitze. Doch wer von «Panzerschlachten im 19. Jahrhundert» fabuliert und von Ländern, die «Hunderttausende von Kilometern entfernt liegen», hat entweder keine Bildung oder den Bezug zur Realität verloren.
Bei ihrem kürzlichen Besuch in der Ukraine versprach sie weitere Waffenlieferungen. Neben den bereits gelieferten Marder-Panzern plädiert sie für die Lieferungen von Leopard-Kampfpanzern. Es hat den Anschein, als ob Annalena Baerbock als «erste stramme weibliche Militaristin» in die Geschichte eingehen möchte.
Es ist ein Irrsinn, denn dadurch vermittelt man der Ukraine das Gefühl, sie könnte mit ein paar Schützen- und Kampfpanzern Russland besiegen, was nach Auskunft verschiedener ehemaliger und aktiver hochrangiger Militärs in das Reich der Phantasie gehört. Der Oberbefehlshaber der US-Armee, Mark Milley, stellte klar: «Die Wahrscheinlichkeit eines ukrainischen militärischen Sieges – definiert als der Rauswurf der Russen aus der gesamten Ukraine, einschliesslich der von ihnen beanspruchten Krim – ist militärisch gesehen in naher Zukunft nicht sehr hoch.» Auch der ehemalige ranghöchste General und Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, in der Schweiz mit dem Chef der Armee vergleichbar, hält es für eine gefährliche Illusion, zu glauben, die Ukraine könnte den Krieg militärisch für sich entscheiden, wenn man ihr nur ordentlich Waffen liefert: «Die Aussicht auf einen totalen Sieg über Russland ist völlig ausgeschlossen, man kann eine Nuklearmacht nicht besiegen.»
Obwohl es Experten gibt, die diesen Titel aufgrund ihrer fundierten Kenntnisse und militärischen Erfahrungen zu Recht tragen und nicht, weil sie den Mainstream vertreten, scheren sich vor allem westliche Regierungen nicht im geringsten um die Warnungen professioneller Militärexperten. Der ehemalige Oberst der Schweizer Armee und Mitarbeiter des strategischen Nachrichtendienstes Jacques Baud, ein Warner der ersten Stunde, wird von offiziellen Stellen in der Schweiz ignoriert.
Im Eilverfahren die westlichen Armeen aufrüsten
Der Krieg läuft jetzt bald seit einem Jahr, und es gehört zu den Aufgaben eines seriösen Journalismus und einer Regierung, die Ursachen dieses Konflikts sorgfältig zu analysieren, bevor man irgendwelche «Wahrheiten» in die Welt setzt. Häufig war zu lesen, dass Putin aus heiterem Himmel diesen Krieg vom Zaun gebrochen habe und seine finsteren Pläne umsetzen wolle. Die einen warnten vor dem angeblichen Plan Putins, das alte zaristische Russland wieder zu etablieren und alles einnehmen zu wollen, was damals zum Territorium des Russischen Reichs gehörte; andere wiederum wollen die Wiederherstellung der alten Sowjetunion als Ziel des russischen Angriffs sehen. Meist im gleichen Atemzug berichten die Medien, dass die russische Armee in einem desolaten Zustand sei, die Soldaten reihenweise desertierten und die Strategie der Russen völlig veraltet sei. So titelte das Wochenmagazin «Focus»: «Dokumente offenbaren den katastrophalen Zustand der Putin-Truppen.» Auch die deutsche Tageszeitung «Frankfurter Rundschau» wird nicht müde, Russlands Vorgehen als dilettantisch zu bezeichnen: «Russland benutzt veraltete Strategien aus dem Zweiten Weltkrieg in der Ukraine.» Wenn der Zustand der russischen Armee so desaströs ist, warum muss man dann im Eilverfahren die westlichen Armeen aufrüsten? Scholz hat 100 Milliarden Euro gesprochen, um die deutsche Armee kampffähig zu machen. Auf der anderen Seite wird die ukrainische Armee für ihre angebliche Kampfkraft bejubelt. Wenn die medialen Aussagen alle stimmen sollten, dann hätte die ukrainische Armee die Russen schon längst aus dem Land geworfen oder die Russen müssten schon längst das Baltikum, Polen (als Teil des zaristischen Russlands) und weitere Länder mit Krieg überzogen haben. Was stimmt nun?
Nichts davon ist bisher geschehen, und es gibt auch keine Anzeichen dafür. Wir werden hingehalten, an der Nase herumgeführt und mit allen propagandistischen Tricks auf einen antirussischen (Kriegs-)Kurs eingespurt. Dass das nicht erst heute geschieht, sondern die antirussische Stimmung über einen Zeitraum von Jahren gelegt wurde, ist Inhalt einiger Bücher, die bereits 2014 oder 2015, also kurz nach den Unruhen auf dem Maidan und dem Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten, Viktor Janukowitsch, publiziert wurden. Unter anderen hat Wilfried Scharnagl, langjähriger Chefredaktor des Bayernkuriers und Vertrauter von Franz-Joseph Strauss, bereits 2015 eine kritische Betrachtung mit dem vielsagenden Titel: «Am Abgrund – Streitschrift für einen anderen Umgang mit Russland» publiziert (7). Der Inhalt ist erschreckend und erhellend zugleich.
Zerrbild von Russland und seinem Präsidenten
Man kann Scharnagl als Konservativem sicher keine antiamerikanische oder anti-EU-Einstellung vorwerfen, sondern seine Darstellung orientiert sich wie in anderen Büchern auch (vgl. Adleheid Bahr: Warum wir Frieden und Freundschaft mit Russland brauchen, Frankfurt 2018), an den realen Gegebenheiten. Wilfried Scharnagl leistet eine historische Aufarbeitung der Beziehung zwischen Deutschland und Russland. Dabei erwähnt er im ersten Kapitel das eigens von einem russischen Soldaten komponierte Lied zum Abschied der russischen Truppen aus dem Osten Deutschlands. Am 31. August 1994 hat sozusagen der letzte russische Soldat gemäss den Verträgen Deutschland verlassen, und zu diesem Ereignis fand am Treptower Denkmal in Berlin eine Abschiedsparade statt. Das Lied, das von Tausenden russischer Soldaten gesungen wurde, hat auf Deutsch folgenden Wortlaut: «Deutschland, wir reichen dir die Hand / und kehr’n zurück ins Vaterland / Die Heimat ist empfangsbereit / Wir bleiben Freunde allezeit / Auf Frieden, Freundschaft und Vertrauen / sollen wir unsere Zukunft bauen. / Die Pflicht erfüllt! Lebwohl Berlin! / Unsere Herzen heimwärts zieh’n.» (S. 71) Das Lied musste die Herzen der Menschen bewegen, und es schien, dass tatsächlich eine neue Ära zwischen beiden Staaten beginnen könnte. Doch wenn man die Lage heute betrachtet, so muss man doch mit einer gewissen Ernüchterung feststellen, dass nichts davon zu sehen ist, und zwar nicht erst seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Schon seit Jahren dominiert ein Zerrbild von Russland und seinem Präsidenten in unseren Medien und in der Politik. Man denke nur an Biden, der sagte, Putin sei «ein Killer.» Ob er seine Vorgänger im Amt und sich selbst auch so bezeichnen würde…?
Wirtschaftsraum von Wladiwostok bis Lissabon
Zieht man Putins Rede vor dem deutschen Bundestag am 25. September 2001 als Quelle heran, ist unschwer zu erkennen, dass der junge Präsident, wie es einst der letzte Staatschef der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, formulierte, die Vision einer versöhnlichen Welt durch eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur und einen gemeinsamen Wirtschaftsraum von Wladiwostok bis Lissabon vertrat: «Niemand bezweifelt den grossen Wert der Beziehungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten. Aber ich bin der Meinung, dass Europa seinen Ruf als mächtiger und selbständiger Mittelpunkt der Weltpolitik langfristig nur festigen wird, wenn es seine Möglichkeiten mit den russischen menschlichen, territorialen und Naturressourcen sowie mit den Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungspotenzialen Russlands vereinigen wird.» Mit dieser Rede hat Putin zu Beginn seiner Präsidentschaft seine aussenpolitischen Ziele formuliert. Was ist danach geschehen? Nichts, was ernsthaft den weitsichtigen Überlegungen Putins Rechnung getragen hätte.
An der Münchner Sicherheitskonferenz sechs Jahre später wird Putin deutlicher. Inzwischen war die Nato- und EU-Osterweiterung trotz starker russischer Sicherheitsbedenken durchgezogen worden. Mit dem Beitritt der baltischen Staaten 2004 zur Nato rückte das Kriegsbündnis bis an die russische Grenze vor. Im Gleichschritt mit der Nato erfolgte die Aufnahme der Länder in die EU. Dass Russland das nicht als freundliche Umarmung erleben konnte, müsste allen auf der politischen Bühne klar gewesen sein. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 machte Putin diesen Schritt zum Thema, indem er an die Abmachungen im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten gemahnte. «Ich denke, es ist offensichtlich, dass der Prozess der Nato-Osterweiterung keinerlei Bezug zur Modernisierung der Allianz selbst oder zur Gewährleistung der Sicherheit in Europa hat. Im Gegenteil, das ist ein provozierender Faktor, der das Niveau des gegenseitigen Vertrauens senkt. Nun haben wir das Recht zu fragen: Gegen wen richtet sich diese Erweiterung?» Weiter führte der russische Präsident aus: «Ich möchte ein Zitat von einem Auftritt des Generalsekretärs der Nato, Herrn Wörner, am 17. Mai 1990 in Brüssel bringen. Damals sagte er: ‹Schon der Fakt, dass wir bereit sind, die Nato-Streitkräfte nicht hinter den Grenzen der BRD zu stationieren, gibt der Sowjetunion Sicherheitsgarantien.› Wo sind die Garantien?» (9)
Keine Absicht, das Nato-Verteidigungsgebiet auszudehnen
Doch nicht nur der damalige Nato-Generalsekretär, Klaus Wörner, machte diese Zusage. Der damalige Aussenminister Hans-Dietrich Genscher (im Video ab Minute 2.00) äusserte sich bei einem Treffen mit dem US-Aussenminister James Baker in Washington noch deutlicher und versprach: «Wir waren uns einig, dass nicht die Absicht besteht, das Nato-Verteidigungsgebiet auszudehnen nach Osten. Das gilt nicht nur in Bezug auf die DDR, die wir da nicht einverleiben wollen, sondern das gilt ganz generell.»
Dieses Versprechen, auf das sich die russische Regierung bis heute beruft, wird vom Westen umgedeutet als nicht so gemeint, und weil nirgends schriftlich festgehalten, für obsolet erklärt. Ein Diplomat, der damals in seinen jungen Jahren Aussenminister Genscher begleitet hatte, meinte 30 Jahre später, dass Genscher als Aussenminister gar nicht die Kompetenz gehabt hätte, so etwas zu sagen und dass die Russen das auch gewusst hätten. Damit sei die Aussage nicht relevant. Tatsächlich aber hatte der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl und damit der Regierungschef etwas Ähnliches gesagt. «Unstrittig ist, dass Helmut Kohl seinem Partner Michail Gorbatschow gegenüber davon sprach, dass die Wiedervereinigung Deutschlands keineswegs eine Ausdehnung des Atlantischen Bündnisses in Richtung Osten bedeute.» (11) Es erstaunt, dass ein Diplomat sich dahingehend äussert. In der Nato gilt zumindest bis heute das Prinzip der Einstimmigkeit. Auch wenn die USA die Osterweiterung gewollt haben, wäre eine Umsetzung nicht möglich gewesen, denn Deutschland hätte sehr wohl die Kompetenz gehabt, mit seinem Veto die Osterweiterung der Nato zu verhindern. Dass das auch möglich gewesen wäre, zeigt das aktuelle Beispiel Schwedens. Die Türkei lehnt den Beitritt Schwedens zur Nato ab, und solange die Türkei auf ihrem Standpunkt beharrt, wird es keinen Beitritt Schwedens geben.
Russland von der Nato eingekreist
Wenn man den Frieden erhalten möchte und mit den Nachbarländern ein gutes Auskommen anstrebt, dann muss man auf die Sicherheitsbedürfnisse seiner Nachbarländer Rücksicht nehmen. Das ist im Falle Russlands nicht geschehen, im Gegenteil. Das Land wurde immer stärker von der Nato eingekreist. Selbst der ehemalige Nato-Oberbefehlshaber, Philip Breedlove, sicher kein Freund Russlands, hat doch erkannt, welche Befindlichkeit ein immer stärkeres Heranrücken der Nato an die russische Grenze bewirkt: «Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich Präsident Putin offensichtlich von der Nato bedrängt fühlt.» (12)
Der gescheiterte Versuch von George W. Bush, die Ukraine und Georgien auf dem Gipfel von Bukarest 2008 als Kandidaten für die Nato zu nominieren, scheiterte am Widerstand Frankreichs und Deutschlands. Auch ein Beweis dafür, dass einzelne Mitgliedstaaten der Nato sehr wohl Möglichkeiten haben, negative Entwicklungen zu verhindern. Dennoch haben die USA kontinuierlich daran gearbeitet, die Ukraine näher an das Bündnis heranzubringen. Russische Bedenken ignorierend, spielte auch die EU unter dem Kommissionspräsidenten José Emanuel Barroso eine wenig konstruktive Rolle, indem er strikt ein Entweder – Oder (entweder eine Annäherung an die EU – oder die Zusammenarbeit mit Russland) dem damaligen Staatspräsidenten Janukowitsch abverlangte. Altbundeskanzler Helmut Schmidt, der für seine klaren Worte und scharfsinnigen Gedanken bekannt war, äusserte sich im Mai 2014 zu den Vorgängen in der Ukraine und der Haltung der EU. «Die Politik der EU-Kommissare sei ‹grössenwahnsinnig›, liess er in einem Interview 2014 wissen. Brüssel mische sich in die Weltpolitik ein und provoziere damit die Gefahr eines Krieges. Die Bürokraten der EU hätten die Ukraine vor die ‹scheinbare Wahl› gestellt, sich zwischen Ost und West entscheiden zu müssen.» (13) Doch die EU im Verbund mit der Nato führte ihre Politik weiter. Höhepunkt der Entwicklung war der Putsch gegen den Staatspräsidenten der Ukraine, bei dem die USA unbestritten die Finger im Spiel hatten. Das abgehörte Telefonat, in dem die Aussenbeauftrage der USA, Victoria Nuland, mit dem amerikanischen Botschafter in Kiew, Goeffrey Pyatt, die neue Regierung in der Ukraine besprachen, als der gewählte Präsident noch in Amt und Würden war, legt ein beredtes Zeugnis von US-amerikanischer Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates ab. Dies stellt einen Verstoss gegen die Uno-Charta, also einen Völkerrechtsbruch, dar. Danach nahm die Geschichte ihren Lauf.
Nicht ernsthaft für das Minsker Abkommen eingesetzt
Heute, 8 bzw. 9 Jahre später, müssen wir konstatieren, dass die warnenden Stimmen vor einer Eskalation im Ukraine-Konflikt bei manchen Akteuren Europas und Nordamerikas wenig Beachtung gefunden haben. Selbst Vorschläge zur Lösung des Konflikts, die verhindern sollten, «dass aus einem lokalen militärischen Brandherd ein Krieg erwächst, der in seiner Ausbreitung und Wirkung nicht gefährlich genug eingeschätzt werden kann», wurden sabotiert (15). Um diese Gefahr, wie sie Wilfried Scharnagl in weiser Voraussicht erkannt hatte, einzudämmen, erhoffte man sich von dem Minsk II-Abkommen, das weitreichende Autonomierechte für die ukrainischen Ostprovinzen vorsah und das nach einer Änderung der ukrainischen Verfassung umgesetzt werden sollte. Doch die Ukraine machte keine Anstalten, dieses Abkommen umzusetzen, sondern spielte auf Zeit. Unterstützt wurde die ukrainische Regierung von alt Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in einem kürzlich veröffentlichten Interview zugab, sich nicht ernsthaft für die Umsetzung des Minsk II-Abkommens eingesetzt zu haben, sondern nur Zeit gewinnen wollte, damit die Ukraine militärisch stärker werde. Wie mies und menschlich verwerflich ist das völkerrechtswidrige Verhalten der deutschen Bundesregierung, denn das Minsk II-Abkommen wurde 2015 vom Uno-Sicherheitsrat in der Resolution 2202 gebilligt, also mit einer Mehrheit der Teilnehmerstaaten und ohne Einspruch einer der Vetomächte. Damit ist Deutschland als Signatarstaat verpflichtet, die Umsetzung des Abkommens zu begleiten. Auch der ehemalige ukrainische Staatpräsident und Oligarch, Petro Poroschenko, liess Gleiches in einer Videobotschaft verlauten. Man war sich darin einig, das Abkommen nicht umzusetzen, sondern die Ukraine aufzurüsten, um Krieg gegen Russland führen zu können. Stattdessen hat die Ukraine die eigene Bevölkerung in den Ostprovinzen täglich mit Artillerie beschossen und damit die Minsker Vereinbarungen gebrochen. Das hat natürlich auch Putin realisiert und die mangelnden Bemühungen des Westens, das Minsker Abkommen durchzusetzen, immer wieder thematisiert und kritisiert. Als immer deutlicher wurde, dass ein Frieden gemäss Minsker Abkommen in weite Ferne gerückt war, die Angriffe der ukrainischen Armee auf die Ostprovinzen eskalierten (OSZE-Berichte) und die Nato damit spielte, die Ukraine doch noch aufzunehmen, hat Putin seinen Entscheid gefällt.
Gehörige Verantwortung des Westens
Es ist richtig, mit dem Beginn seiner «militärischen Sonderoperation» hat Russland die Souveränität der Ukraine und das Völkerrecht verletzt, wie es die USA in den letzten Jahrzehnten zigmal getan haben, als sie sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten eingemischt und Krieg geführt haben (Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien …). Aber, was sich im Vorfeld des Ukrainekriegs alles ereignet hat, und hier ist nur ein kleiner Ausschnitt dokumentiert, zeigt zumindest, dass der Westen eine gehörige Verantwortung an dieser Eskalation trägt, wenn er sie nicht sogar bewusst herbeigeführt hat. Wilfried Scharnagl warnte bereits 2015: «An guten Gründen, sich vor einer antirussischen Einseitigkeit zu hüten, um auch die andere Seite und ihre Position und Motive zu verstehen, fehlt es also nicht. Der amerikanischen, der europäischen und der deutschen Politik ist dringend zu raten, sich von jeder Konfrontation zu verabschieden.» (18) Merkels Bekenntnis zeigt genau das Gegenteil.
Neutralität geopfert
Der Konflikt zwischen dem Westen und Russland, der in der Ukraine ausgetragen wird, hat also eine lange Vorgeschichte, die den wenigsten bekannt sein wird und die auf unseren Informationskanälen, sprich Medien, nicht thematisiert wird. Für neutrale Staaten wie die Schweiz würde das äusserste Zurückhaltung in einseitigen Schuldzuweisungen bedeuten. Leider ist das Gegenteil passiert. Die Schweiz, insbesondere in der Person von Ignazio Cassis, hat sich, unbesehen aller Ereignisse im Vorfeld des Konflikts, in moralischer Überhöhung auf die Seite der Ukraine gestellt und damit die Neutralität schwer geschädigt. Wie in der letzten Zeit mehrmals geschehen, hat sie eine mögliche Chance einer friedlichen Verhandlungslösung und das Verhindern eines anhaltenden Blutvergiessens achtlos vertan. Zum Glück gibt es andere Staaten, die sich ernsthaft bemühen, diesem Krieg ein Ende zu setzen. Die Einstellung Cassis’ hat der Schweiz und ihrer Neutralität einen unermesslichen Schaden zugefügt. Diesen gravierenden Fehler könnte das Parlament oder das Schweizer Volk korrigieren.
In der gleichen Ausgabe der Zeitschrift «Zeitgeschehen im Fokus» ist auch ein langes und äusserst lesenswertes Interview mit dem deutschen General a.D. Harald Kujat abgedruckt: «Waffenlieferungen bedeuten, dass der Krieg sinnlos verlängert wird.» Siehe dazu unser Aufmacherbild oben und den Kommentar des Hensoldt-CEOs Thomas Müller, der stolz darauf ist, den Krieg zu verlängern. Hier der Link zur ganzen Ausgabe, wo auch die Fußnoten (1) des obigen Beitrages eingesehen werden können.