Beat Gerber, der Autor des Artikels, hat die Illustration zu seinem Text gleich selber gezeichnet...

Der Wissenschaftsjournalismus ist tot – Plädoyer für ein Revival

Die Feier zum 50. Geburtstag des Schweizer Klubs für Wissenschaftsjournalismus (SKWJ*) kürzlich auf dem Rütli glich einer Abdankung. Der einst selbstbewusste Berufsstand ist am Verschwinden. Wer oder was aus Wissenschaft und Forschung in die grossen Medien kommt, bestimmen heute weitgehend die Kommunikationsabteilungen von Hochschulen, Behörden und forschungsintensiven Branchen. Diese Entwicklung (auch in Deutschland zu beobachten) gefährdet die unabhängige und kritische Debatte über eine gesellschaftlich existenzielle Thematik und letztlich auch die demokratische Kultur.  

Wissenschaft fasziniert, Forschung macht Freude: Extrasolare Planeten lassen uns träumen vom ausserirdischen Leben, neue Medizintherapien schaffen Hoffnung für unheilbar Kranke, technische Innovationen beflügeln die Fantasien möglicher Zukunftswelten.

Doch Wissenschaft ist nicht wertfrei. Ihr Zauber kann verführen, ihr Glanz uns blenden. Daher gilt es, ihr nüchtern und besonnen entgegenzutreten. Erkenntnisse aus Forschungslabors, Versuchshallen und noch so prominenten Studien sind kritisch zu überprüfen, im Vergleich zu anderen Resultaten einzuordnen und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen transparent aufzuzeigen. Diese Arbeit muss ein unabhängiger Wissenschaftsjournalismus leisten.

Denn Wissenschaft und Forschung sind mit vielfältigen Interessen verknüpft. Ehrenhafte Absichten wie Neugier, Entdeckungsfreude und Kreativität in Ehren, aber Universitäten sind bekanntlich akademische Haifischbecken mit einem Mix von Kampfmotiven: möglichst viel Fördergelder einsammeln, persönliche Karriere vorantreiben, soziales Prestige (auch von Gruppen und Disziplinen) und damit Einfluss mehren, verbunden oft mit übersteigertem Ehrgeiz und einer beispiellosen Neidkultur. Das sind keine misanthropischen Gerüchte, sondern wirklichkeitsnahe Beobachtungen im höchst kompetitiven Wissenschaftsbetrieb. 

Dort gibt es auch zu viele Märchenerzähler und Fantasten, die den Medien unwidersprochen ihre grandiosen Weisheiten ausplaudern dürfen, häufig realitätsfremd im Elfenbeinturm ergrübelt. Bei solchen Ergüssen muss fachkompetenter Wissenschaftrsjournalismus hartnäckig ein- und nachhaken. Die  akademischen Studierstuben sind publizistisch zu entstauben. 

Zum anderen sind ebenso die Miesepeter des wissenschaftlichen Fortschritts zu entlarven, all die Bremser und Bedenkenträger gegenüber neuen Ideen und weiter entwickelten  Technologien (u.a. Gentechnik, Atomenergie), die es ins aufgeklärte Licht zu rücken gilt. Wissenschaftsjournalismus muss nervige Missionare, notorische Besserwisser, vorlaute Rechthaber und verkappte Ideologen mit präzisen Fragen löchern und entzaubern.

Denn Wissenschaft soll dem breiten Publikum verständlich, kompetent und möglichst faktentreu vermittelt werden. Zudem gilt es, anderen Meinungen Gehör zu verschaffen und diese auch – entgegen der gängigen Woke-Kultur – offen darzulegen und sachkundig einzuschätzen.

Damit unterscheidet sich Journalismus deutlich von der Kommunikation. Hochschulen und Forschungsinstitutionen vermitteln Wissenschaft und den universitären Betrieb im bestens dekorierten Schaufenster – gekonnt, populär und attraktiv über immer mehr Kanäle (mit Webzeitungen, Hochglanz-Magazinen, Newsletter, Podcasts und Videos). Sie erledigen ihre fachliche Kernkompetenz sehr professionell – doch stets aus der Sicht und dem Interesse ihres Arbeitgebers, d.h. der dafür zahlenden Institution. Gegenseitiges Schulterklopfen und Selbstlob sind an der Tagesordnung.

Es ist unbestritten: Die Medienwelt hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt, die klassische Presse und das traditionelle Radio und Fernsehen stehen unter erheblichem Kostendruck und müssen sparen, die sozialen Medien und alternativen Online-Plattformen haben zugelegt. Auch sind mit dem Datenjournalismus und der Künstlichen Intelligenz neue und konkurrierende Formen und Werkzeuge innerhalb des Journalismus entstanden.

Der herkömmliche unabhängige Wissenschaftsjournalismus hat einen schweren Stand und ist praktisch verschwunden, ausser in ein paar medialen Oasen (Tamedia, NZZ, CH Media, Republik, WOZ, SRF/rts, Le Temps heidi.news, swissinfo.ch), wo immer weniger Kolleginnen und Kollegen redaktionell tätig sind. Insgesamt sind gesamtschweizerisch etwa 50 Stellen übrig geblieben, Tendenz stark fallend. Den einst lukrativen Markt für Freischaffende gibt es nicht mehr. 

Angesichts der Relevanz der Wissenschaft sowie dem gestiegenen Erklärungsbedürfnis seitens der Bevölkerung ist das ein Tropfen auf den heissen Stein der Aufmerksamkeit! Google und alternative Kanäle sind gerade bei forschungsrelevanten Themen mit Vorsicht zu konsumieren.

Aber auch in den Medienkonzernen schränkt die angespannte wirtschaftliche Situation die journalistische Freiheit und Meinungsvielfalt ein. Aktionäre, Management und der Staat selbst nehmen vermehrt direkt Einfluss auf den Geschäftsgang von Medien. Man erinnere sich an die Corona-Leaks im Bundesrat zugunsten des Ringier-Verlags. Oder an die Umstrukturierungen bei Tamedia (u.a. enge Kollaboration mit der „Süddeutschen Zeitung“) und bei der NZZ -Gruppe im Hinblick auf mehr Konsumenten und Klickzahlen, ergänzt mit dem Ausbau von werbeträchtigen Lifestyle-Themen. Und dies zulasten der Anzahl Seiten sowie der Redaktionsstellen in den neu zusammengelegten Wissensressorts.

Der autonome Wissenschaftsjournalismus (im ursprünglichen Sinn des Begriffs) ist tot oder zumindest am Aussterben – mit deutlich zu wenigen Verbliebenen. Der Berufsstand mit seinen kompetenten und kritischen Fachkräften sollte jedoch unbedingt weiter leben und die Öffentlichkeit mit gesellschaftlich relevanten Informationen aus Wissenschaft und Forschung versorgen. Dieser Appell hat sich gerade in derCorona-Krise bekräftigt, als die staatlich angeordneten Massnahmen aus wissenschaftlicher Sicht zu beurteilen waren.

Auch andere komplexe Herausforderungen erfordern zwingend eine unabhängige publizistische Vermittlung, um in der Bevölkerung Verständnis, Vertrauen und Akzeptanz für die anstehenden Herkulesaufgaben zu schaffen. Man denke an Klimawandel und Energiewende, Gesundheit und Medizin, Landwirtschaft und Ernährung sowie an die Digitalisierung mit der boomenden Künstlichen Intelligenz.

Medienschaffenden aus den Polit- und Wirtschaftsressorts fehlt meistens das erforderliche Fachwissen, auch die Hochschulkommunikation hat andere Aufgaben und Schwerpunkte. Es geht deshalb darum, Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten zunehmend in die klassischen Ressorts zu integrieren und dafür die notwendigen Stellen zu schaffen. Beispiel dafür ist das Westschweizer Fernsehen (rts téléjournal).

Ein Revival des früher selbstbewussten Berufstands ist ein Muss. Vorerst müsste aber der betroffene Verein SKWJ die wolkige Stammtisch-Mentalität abstreifen und sich vermehrt öffentlich Gehör verschaffen. Zum Beispiel mit einer Online-Plattform, die sich mit kritischen Beiträgen (multimedial) bei einem interessierten und meinungsbildenden Publikum profilieren könnte (Hochschulgemeinde, Politik, Behörden, Privatfirmen). Mit diesem offenen Forum (eine Art Blog) für Analysen und Debatten zu wissenschaftlichen Themen liesse sich vermutlich eine gewisse Resonanz erzeugen, die auch finanziell belohnt würde (durch Spenden und andere monetäre Zuwendungen ). Es würde  auch dem Nachwuchs eine willkommene Plattform bieten, um aus dem professionellen Ghetto zu treten und sich bekannt zu machen. So könnte ein Pool für aktuelle Einsätze in Presse und elektronischen Medien entstehen. Die grossen Verlage kämen dabei eventuell sogar auf den Geschmack, wieder neue Stellen mit wissenschaftsjournalistischer Kompetenz zu schaffen.

Dies mag eine optimistische Perspektive sein, doch die Vermittlung von Wissenschaft und Forschung allein den Hochschulen, Behörden und PR-lastigen Privatfirmen zu überlassen, bietet keine verheissungsvolle Zukunft.

***

*Der Schweizer Klub für Wissenschaftsjournalismus (SKWJ) wurde 1974 gegründet, als einzelne Medien in der Deutschschweiz (Tages-Anzeiger, NZZ, SRF) dem Beruf eine Chance gaben. Nach der Blütezeit des Journalismus in den 1980er- und 1990er-Jahren ging es jedoch bergab: Stellen und Budgets (für Reisen und Recherchen) wurden drastisch gekürzt, viele Medienschaffende wechselten in die lohnsichere Kommunikation. Der Verein SKWJ mit einem Angebot an Weiterbildung und Recherchebeiträgen zählt heute 320 Mitglieder, wovon gerade noch ca. ein Sechstel auf Medienredaktionen arbeitet.

***  

Zum Autor Beat Gerber: Gelernter ETH-Ingenieur, Studien in Soziologie/Publizistik, arbeitete lange Jahre als Wissenschaftsjournalist (Redaktion Tages-Anzeiger, Swisscontent, SKWJ-Präsident 1995-2000) und in der Hochschulkommunikation (Paul Scherrer Institut, ETH Zürich).