Der ukrainische Angriff auf die russische Radarstation beschäftigt auch US-Think-Tanks
(Red.) Der ukrainische Angriff auf eine russische Radarstation, der für die aktuelle Situation des Krieges in der Ukraine absolut keinen Sinn macht, aber global eine hochgefährliche Aktion war, gibt nicht zuletzt in militärischen Kreisen viel zu reden. Am US-amerikanischen Schiller-Institute war er Thema einer aktuellen Diskussion, an der auch Globalbridge-Autor Ralph Bosshard teilnahm. Hier das Kurz-Protokoll dieser Diskussion und anschließend der Link zu einem ausführlichen – englischsprachigen – Video. (cm)
31. Mai 2024. Das heutige Treffen markierte das einjährige Bestehen der Internationalen Friedenskoalition mit 52 aufeinanderfolgenden wöchentlichen Online-Treffen. Es nahmen Vertreter aus mehr als dreißig Ländern teil. Die Gründerin des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, erklärte, das heutige Treffen konzentriere sich auf die Ukraine, da die drei Angriffe dieses Landes auf Frühwarn-Radaranlagen in Russland eine extreme Gefahr darstellen. Diese Anlagen haben nichts mit dem Krieg in der Ukraine zu tun, sind aber Bestandteil der strategischen Verteidigungssysteme Russlands. Das Schiller-Institut verbreitete deshalb rechtzeitig eine Notfallwarnung zu diesen Entwicklungen und die Geschichte gelangte daraufhin auch in die Mainstream-Medien, erhält aber immer noch nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdient.
Es folgte eine Podiumsdiskussion mit militärischen, wissenschaftlichen und diplomatischen Experten, darunter der Atomwaffenexperte Dr. Theodore Postol, emeritierter Professor für Wissenschaft, Technologie und nationale Sicherheit am «Massachusetts Institute of Technology»; Oberst a.D. Prof. Dr. Wilfried Schreiber, Senior Research Fellow am «WeltTrends Institut für Internationale Politik» in Potsdam, Deutschland; Lt. Oberst a.D. Ralph Bosshard von der Schweizer Armee, Berater für militärisch-strategische Angelegenheiten; Oberst a.D. Richard H. Black, ehemaliger Leiter der Strafrechtsabteilung der US-Armee im Pentagon und ehemaliger Senator des Bundesstaates Virginia; und Botschafter a.D. Chas Freeman, Diplomat und Wissenschaftler spezialisiert auf die USA-China-Beziehungen.
Der Angriff auf Russlands strategisches Verteidigungssystem
Dr. Postol eröffnete das Panel, indem er die Funktion des russischen Frühwarnradarsystems erläuterte. Diese Anlagen versetzen Russland in die Lage, einen nahenden Atomschlag (vom Westen) zu erkennen. Sollten die USA eines ihrer eigenen landgestützten Frühwarn-Radarsysteme verlieren, wären sie immer noch in der Lage, mit Hilfe ihres Satellitensystems aus dem Weltraum nach unten zu schauen, aber die Russen verfügen noch nicht über diese Fähigkeit. Satelliten können einen Raketenstart sofort erkennen, während Radar-Schirme Raketen erst erkennen, wenn sie eine bestimmte Höhe erreichen. Wird einer dieser Radarschirme ausgeschaltet, verkürzt sich die Zeit, die Russland zur Verfügung steht, um zu entscheiden, wie es reagieren soll, d.h. ob es einen nuklearen Gegenschlag starten soll, um entscheidende Minuten. Oberst Black fügte hinzu, dass die Angriffe auf die russischen Radare nicht ohne ausdrückliche Zustimmung der USA erfolgen konnten und „keinem anderen Zweck dienen, als Russlands nukleare Abschreckung zu blockieren“. Außerdem „haben wir nicht die Fähigkeit, die gesamte russische nukleare Verteidigung präventiv zu zerstören“, zu der auch U-Boot-gestützte Raketen gehören, sagte Black. „Wir können die russische Zivilisation zerstören, aber nicht ihre Fähigkeit, zurückzuschießen“.
Die ernstzunehmenden Folgen eines Versuchs, „Russlands nukleare Abschreckung auszuschalten“, wurden von den Podiumsteilnehmern eingehend diskutiert. Der ehemalige Botschafter Chas Freeman sagte in einem Videointerview, das während des Treffens abgespielt wurde, dass keine große Atommacht es sich leisten kann, das Gleichgewicht der nuklearen Abschreckung zu untergraben, aber die Ukraine, die als Stellvertreter agiert, tue genau das. Oberst Black erklärte, dass die Freigabe des Angriffs auf die Radaranlagen in Verbindung mit der Lieferung von nuklearfähigen F-16-Flugzeugen bedeutet, dass die USA und die NATO die Vorbedingungen für einen möglichen Atomschlag gegen Russland schaffen.
Oberst Black bat die Teilnehmer, den Kontrast zwischen den Doktrinen der USA und Russlands in Bezug auf den Einsatz von Atomwaffen zu bedenken. In den USA gibt es kein Verbot des Ersteinsatzes, eines nuklearen „Überraschungsangriffs“. „Die russische Nukleardoktrin hingegen“, sagte er, „ist ausschließlich defensiv.“ Oberst Bosshard sagte: „Um glaubwürdig zu bleiben, muss die NATO Russland mit dem Einsatz von Atomwaffen drohen, nicht umgekehrt.“
Was haben sie sich dabei gedacht?
Auch über die Denkweise westlicher Politiker wurde diskutiert. Was könnte sie dazu bewegen, mit dem Einsatz von Waffen zu liebäugeln, die die gesamte Menschheit vernichten könnten? Helga Zepp-LaRouche nannte dies die „brennende Frage“. Bosshard sagte: „Die Politiker im Westen sind sich der Risiken, die sie eingehen, offensichtlich nicht bewusst“, und er deutete an, dass diese glauben, Putin bluffe nur. Postol fügte hinzu, dass im Gegensatz zu Berufspolitikern, die mit diesen Themen vertraut sind, gewählte Politiker ihr Amt mit wenig oder gar keinem Verständnis antreten und sich nur mit der Politik beschäftigen. Black führte Bidens jüngste Aktionen auf seine ins Stocken geratene Wiederwahlkampagne zurück: „Präsident Biden hat erkannt, dass das Projekt Ukraine zusammengebrochen ist …. Je ängstlicher das Weiße Haus wegen der bevorstehenden Wahlen wird … desto größer ist das Risiko eines äusserst risikoreichen militärischen Schachzuges.“
Die Rolle der Medien bei der Förderung dieses Spieles mit dem Feuer wurde ebenfalls untersucht. Botschafter Freeman erkannte die Bedeutung der Verbreitung der Notfallwarnung des Schiller-Instituts an und stellte sie dem „militärischen und strategischen Analphabetismus der derzeitigen Journalistengeneration“ gegenüber. Zepp-LaRouche ergänzte, die Medien seien nicht einfach nur inkompetent: „Die Massenmedien sind absolut in den Händen derer, die diese Konfrontation vorantreiben.“ Sie beschrieb, wie führende Persönlichkeiten, die das Pro-Kriegs-„Narrativ“ in Frage stellen, wie zum Beispiel der slowakische Ministerpräsident Robert Fico, zur Zielscheibe von Schikanen und sogar Morden werden, und sie verwies auf die inzwischen berüchtigten „Tötungslisten“ der ukrainischen „Gegen-Desinformations“-Agenturen.
Helga Zepp-LaRouche warf die Frage auf, warum Biden der Ukraine kürzlich die Erlaubnis erteilt hat, US-Waffen zu benutzen, um Ziele auf russischem Territorium anzugreifen. Einige europäische Regierungschefs, wie der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, hatten sich zuvor gegen diese Idee gesträubt, aber „heute Morgen hat er plötzlich zugestimmt, weil Biden zugestimmt hat.“ Oberst Black betonte, dass die USA Europa beherrschen und die NATO anführen, von der er sagte, „die Zeit, in der sie defensiv war, ist längst vorbei. Sie ist zu einer sehr aggressiven globalen Organisation geworden.“
Oberst Schreiber erwähnte einige der neuen Dimensionen der Kriegsführung, die zu seinen Lebzeiten entstanden sind, und sagte, dass die Digitalisierung einen neuen Horizont in der Kriegspolitik eröffnet hat: die Cyberspace-Kriegsführung. Auch die mögliche militärische Nutzung des elektromagnetischen Impulses stellt eine neue Qualität der Kriegsführung dar.
Diane Sares Kandidatur für den U.S. Senat
Diane Sare, die unabhängige LaRouche-Kandidatin für den US-Senat in New York, teilte mit, sie habe fast 70.000 Unterschriften für den Zugang zu den Wahlurnen eingereicht und damit die gesetzliche Vorgabe von 45.000 Unterschriften deutlich übertroffen. Sie sagte, dass viele Wähler in ihrem Bundesstaat mit den verschiedenen Gerichtsverfahren gegen Donald Trump beschäftigt sind und sie wunderte sich, dass, obwohl man meinen könnte, dass wir uns bei einer Präsidentschaftswahl alle auf die strategische Gefahr konzentrieren würden, viele Menschen stattdessen von dem „pornografischen, infantilen Spektakel“ eines ehemaligen Präsidenten fasziniert sind, der in einem Fall angeklagt wird, in dem es um die Auszahlung einer Prostituierten vom falschen Bankkonto geht. Sie zeigte den Teilnehmern ihre Visitenkarte, auf der der Slogan „Lasst uns Schwerter zu Pflugscharen schlagen“ prangte. Sie erinnerte alle daran, dass Lyndon LaRouche einmal gesagt hatte, dass „Kriege der Vergeltung und Rache“ die dümmsten sind und auf die Nation zurückfallen, die sie auslöst.
Während der Diskussionsrunde bat der Leiter des französischen Schiller-Instituts und ehemalige französische Präsidentschaftskandidat Jacques Cheminade Oberst a.D. Alain Corvez um eine Einschätzung. Corvez antwortete: „Ich verlasse mich sehr auf China und Russland … Wir müssen anerkennen, dass Putin bei seinen Aktionen enorme Zurückhaltung gezeigt hat … China kann nicht zulassen, dass dieser Angriff auf Russland weitergeht, denn China ist sich bewusst, dass es das nächste Ziel sein wird.“
Es wurde ein kurzer Videokommentar des internationalen Menschenrechtsanwalts Prof. Francis Boyle gezeigt, der sich zur Situation mit Israel und dem Gazastreifen äußerte. Er sagte, dass der Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs Haftbefehle für Kriegsverbrechen beantragt habe, aber er hätte auch Haftbefehle für Völkermord beantragen sollen; Südafrika habe sorgfältig dokumentierte Beweise vorgelegt. Die drei ICC-Richter stünden unter enormem Druck, einschließlich Erpressung, Drohungen und Einschüchterung, um keine Haftbefehle zu erlassen.
Abschließend erinnerte Zepp-LaRouche die Teilnehmer an die bevorstehende Konferenz des Schiller-Instituts im Juni und sagte, der Westfälische Frieden sei eine gute historische Referenz. Sie lobte die neue chinesisch-brasilianische Initiative zur Beendigung des Krieges in der Ukraine und fügte hinzu, dass diese mit einer Renaissance der besten kulturellen Traditionen aller Nationen kombiniert werden müsse, um ein neues Paradigma zu erreichen, das die Grundlage für einen dauerhaften Frieden schaffe.
Dazu das fast zweistündige Video in US-englischer Sprache.
Auf Globalbridge hat Leo Ensel schon am 29. Mai auf die besondere Gefährlichkeit dieses Angriffs der Ukrainer auf die russische Radarstation aufmerksam gemacht. Sehr lesenswert!
Anmerkung der Redaktion: Aufgrund einer kritischen Zuschrift sei hier ausdrücklich erklärt, dass weder Ralph Bosshard noch Christian Müller noch Globalbridge.ch Mitglieder oder anderweitige Zugehörige des «Schiller Institute» sind. Die Teilnahme Ralph Bosshards an dieser Diskussion erfolgte ausschließlich aufgrund der Zusammensetzung der aktuellen Gesprächsrunde, zu der verschiedene namhafte Wissenschaftler gehörten. In anderen Themenbereichen gibt es durchaus Differenzen zur Politik dieses Instituts. (cm)
Die Headline dieses Artikels hieß zuerst «Der ukrainische Angriff auf die russische Radarstation beschäftigt auch die USA». Ebenfalls aus der Leserschaft kam dann die richtige Bemerkung, diese Headline widerspreche der – zweifellos richtigen – Aussage, dieser Angriff sei im Einverständnis oder sogar im Auftrag der USA erfolgt. Deshalb wurde die Headline im Nachhinein geändert. (cm)