Der schmutzige Krieg gegen die Palästinenser wird auf den Libanon ausgeweitet
(Red.) Wovor alle gewarnt haben: Israel tut’s trotzdem – oder erst recht! Und Israel setzt sogar eine total neu erfundene Waffe ein: Mit Sprengstoff gefüllte Kommunikationsgeräte, sogenannte Pager oder auch Walkies Talkies, werden aus der Ferne zur Explosion gebracht und töten oder verletzen ihre Träger – Hisbollah-Mitglieder ebenso wie unschuldige Männer, Frauen und Kinder. Hunderte werden blind oder anderswie verkrüppelt durchs weitere Leben gehen müssen – „dank“ Israel, diesem Staat, der nach wie vor von den USA und auch von Deutschland unterstützt wird, sogar mit Waffenlieferungen. Die UNO reagiert mit neuen Resolutionen, doch sie gehen Israel – wie man in Deutschland zu sagen pflegt – „am Arsch vorbei“, so wie schon alle bisherigen Resolutionen, in denen es von der UNO zu einem rechtmäßigen und menschlichen Verhalten aufgefordert wurde. (cm)
In New York, am Sitz der Vereinten Nationen, hob sich am Montag der Vorhang zur Bühne für Staatschefs aus aller Welt. UN-Generalsekretär António Guterres rief dazu auf, eine „Zukunft für unsere Enkelkinder zu schaffen“. Für die Libanesen aber begann in den frühen Morgenstunden der tödlichste Tag seit dem Bürgerkrieg, der von 1975 bis 1990 dauerte.
492 Tote in 24 Stunden
Weder für die Kinder in Palästina und Libanon noch für deren Kinder und Enkelkinder soll es nach dem Willen Israels eine Zukunft geben. Israel, seit 1949 Mitglied der Vereinten Nationen unter dem Vorbehalt, die UN-Resolutionen in Sachen Palästina und die UN-Charta einzuhalten, hat am Montag (23.9.2024) in wenigen Stunden 274 Menschen in einem Bombenhagel getötet, wie der libanesische Gesundheitsminister auf einer Pressekonferenz in Beirut am Nachmittag mitteilte. Mehr als 1000 Menschen wurden verletzt. Nur wenige Stunden später war die Zahl der Toten auf 356 gestiegen, die Zahl der Verletzten auf 1.256. Auch zwei Rettungssanitäter wurden getötet. Am nächsten Morgen (24.9.2024) wird die Zahl der Toten mit 492 angegeben, darunter 35 Kinder und 58 Frauen.
Die stellvertretende Ministerpräsidentin Belgiens, Petra de Sutter, äußerte sich schockiert auf X, dem ehemaligen Kurznachrichtendienst Twitter: „492 Tote im Libanon, mehr als 1600 Verletzte. Zehntausenden wurde befohlen, ihre Häuser zu verlassen. An 1 Tag. Dieser grauenhafte Angriff von Israel wird zu keiner Lösung in der Region führen. Nur Diplomatie kann die Bürger sicher in ihre Wohnungen zurückbringen. Nur ein Waffenstillstand wird das Leid beenden.“
Gigantische Explosionen
Aufnahmen zeigen gigantische Explosionen in Dörfern und Städten im Südlibanon. Mehr als 100.000 Menschen packten das Notwendigste und flohen mit ihren Kindern. Israel bombardierte auf und entlang der Straße, über die sich der kilometerlange Flüchtlingstreck Richtung Norden bewegte. „Die Menschen sitzen durch- und übereinander in den Autos“, erzählte der 16-jährige K. im Telefonat mit der Autorin. Er habe die fliehenden Fahrzeuge in seinem Dorf gesehen, als er im Nachbarhaus nach seinem Freund sehen wollte. „Taschen, Koffer, alles haben sie irgendwie eingepackt und fliehen.“ Sein Dorf sei wiederholt bombardiert worden, auch er und die Familie seien nun in Beirut. Sein Traum, sich nach den Sommerferien im letzten Schuljahr auf das Abitur vorzubereiten, steht in den Sternen. Seine Schule, die eigentlich im Oktober wieder öffnen sollte, bleibt vorerst geschlossen. Die Schulen und Universitäten in der Hauptstadt wurden am Montag für die Inlandsvertriebenen geöffnet.
Die Bewohner des Südlibanon hatten auf ihren Mobiltelefonen Anrufe und SMS-Nachrichten von der israelischen Armee erhalten. Darin wurden sie aufgefordert, sofort zu verschwinden. In den Nachbarhäusern habe die Hisbollah Waffen gelagert, die werde Israel jetzt zerstören. Der Sprecher der israelischen Armee, Daniel Hagari, erklärte in einer Videoaufzeichnung, „wir fordern die Bewohner der libanesischen Dörfer auf, die Nachrichten und Warnungen der IDF (Israeli Defense Forces) ernst zu nehmen. Es ist eine Vorabwarnung für sie und für die Sicherheit ihrer Familien.“
Die Israelische Armee warf Flugblätter über dem südlichen Libanon ab. Darauf die Anordnung, sich zu entfernen. Nach den Angriffen der Hisbollah sei die israelische Armee „gezwungen“, die militärischen Stellungen anzugreifen, zitiert das Internetportal The New Arab (London) aus dem Papier. „Wenn Sie in einem Gebäude sind, das Hisbollah Waffen enthält, müssen Sie das Dorf innerhalb von zwei Stunden verlassen und bis auf weiteres nicht zurückkehren.“ Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant erklärte, die Angriffe auf Libanon würden fortgesetzt, bis Israel sein Ziel erreicht habe. Das Ziel sei, „dass die Bewohner des nördlichen Israels sicher in ihre Häuser zurückkehren können.“
Beobachter werteten die Aussagen Hagaris als „klassisches Beispiel für psychologische Kriegsführung“. Israel wende das gleiche Vorgehen im Gazastreifen und im besetzten Westjordanland an, schrieb der Journalist Zein Basravi (Amman). Die Bevölkerung solle verunsichert und das Ausland solle darauf hingewiesen werden, dass die politischen und militärischen Führer (Hisbollah) die Bevölkerung als „menschliche Schutzschilde“ benutzten. Damit „verschleiere die israelische Armee ihre eigene Aggression“ gegenüber der Bevölkerung.
Raed Jarrar von der Hilfsorganisation DAWN in Washington DC erklärte, „Israel macht der gesamten Welt klar, dass es einen breiten regionalen Krieg will. Nicht nur in den besetzten palästinensischen Gebieten, sondern auch im Libanon und Iran.“ Der einzige Weg, Israel zu stoppen, sei es, das Land noch mit Waffenlieferungen zu belohnen. Ohne die Angriffe zu stoppen, werde es keinen Weg zum Frieden geben. Die Konsequenzen würden weit jenseits der libanesischen Grenzen zu spüren sein.
Die doppelten Gesichter der US-Administration
Die USA sind über die militärischen Pläne Israels in seinen Kriegen gegen die Palästinenser und gegen Libanon, gegen Syrien und gegen Iran, gegen Jemen und darüber hinaus, informiert. Die Aussage des US-Außenministeriums, Washington habe nichts über den massenhaften Angriff auf die libanesische Zivilbevölkerung (mit Personenrufgeräten und Walkie-Talkies) gewußt, war von Anfang an unglaubwürdig. Die USA und Israel, ihre Geheimdienste CIA und Mossad, sind zwei Seiten einer Medaille. US-Militärs und Sondereinsatzkräfte sind in die Entscheidungsstrukturen der israelischen Armee seit Anfang des Gaza-Krieges integriert. Kaum etwas geschieht, was der eine vom anderen nicht weiß.
Pentagonsprecher Generalmajor Pat Ryder räumte auf seiner Pressekonferenz am Montag ein, dass es allein n der vergangenen Woche vier Telefonate zwischen den Verteidigungsministern beider Länder gegeben habe. Die operativen Entscheidungsebenen beider Seiten dürften in einem sehr viel engeren Kontakt stehen. Israel habe die USA vor den massenhaften Angriffen „über eine geplante militärische Operation“ informiert, erklärte Ryder. In einem anschließenden Gespräch gab es weitere Informationen. Auch die massiven Luftangriffe auf Libanon seit Montagmorgen gab Israel der US-Administration im Voraus bekannt.
US-Verteidigungsminister Lloyd Austin bekräftigt bei jeder öffentlichen Erklärung das Recht Israels, sich zu verteidigen und dass die USA fest an seiner Seite stehe. Austin wird nicht müde, wie auch sein Kollege Außenminister Antony Blinken, eine diplomatische Lösung anzumahnen. Doch die für Israel notwendigen Waffen, Munition, Aufklärungsdaten und Spezialisten werden weiter aus den USA geliefert.
Die USA werden ihr eigenes Personal in der Region schützen, so Austin. Wohlwissend, dass US-Militärs auch in der israelischen Armee eingebunden sind. Die rund 40.000 US-Soldaten auf offiziellen Militärbasen und illegalen Stützpunkten (Syrien) in der gesamten Region würden aufgestockt, erklärte Pentagonsprecher Ryder. Zahlen nannte er nicht. Der Flugzeugträger USS Harry S. Truman, zwei Zerstörer und Begleitschiffe machten sich am Montag auf den Weg von den USA zur 6. US-Flotte, die für Europa und Afrika zuständig ist und ihren Haupthafen im Mittelmeer, in Neapel, Italien hat.
Der scheidende US-Präsident Joe Biden erklärte, die USA arbeiten an einem Plan, um Israel und die libanesische Hisbollah „vom Abgrund“ eines regionalen Krieges zurückzudrängen. Die ehemalige Mandatsmacht Frankreich forderte eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates und sandte ihren Libanonbeauftragten Jean-Yves Le Drian nach Beirut. Frankreich habe eine „moralische Verpflichtung, im Libanon zu sein“, hieß es in Paris. Paris könne „mit allen Akteuren reden“, um die Bombardierungen durch Diplomatie zu stoppen.
Israel und die palästinensische Realität
Diplomatie hat seit bald einem Jahr Krieg gegen Gaza nur einmal etwas erreicht. Im November 2023 schwiegen – ausgehandelt von Ägypten, Katar und den USA – die Waffen für eine Woche. Israelische Gefangene wurden aus dem Gaza-Streifen gebracht, während im Gegenzug palästinensische Gefangene – Kinder, Frauen, Kranke – freigelassen wurden. Seitdem hat Israel nahezu alle zivile Infrastruktur im Gaza-Streifen zerstört und täglich Dutzende Menschen getötet: Wohnungen, Schulen, Kindergärten, Universitäten, Kliniken, die Strom- und Wasserversorgung des Gaza-Streifens wurden unter dem Vorwand zerbombt, sich „verteidigen“ zu müssen. Als UN-Generalsekretär António Guterres bei einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates am 23. Oktober 2023 daraufhin hinwies, dass der Angriff der Hamas und ihrer Verbündeter auf israelische Dörfer und Orte am 7. Oktober 2023 „nicht im luftleeren Raum“ stattgefunden habe, forderte der Vertreter Israels bei den Vereinten Nationen seinen Rücktritt. Guterres rechtfertige Terror und Mord und sei „völlig abgekoppelt von der Realität in unserer Region“, so der israelische UN-Diplomat.
Guterres hatte genau auf die Realität des palästinensischen Volkes hingewiesen, das „56 Jahre lang einer erdrückenden Besatzung ausgesetzt“ sei. Es habe miterlebt, wie sein Land durch Siedlungen dezimiert und von Gewalt heimgesucht worden sei. Es habe erlebt, wie Menschen vertrieben und Häuser zerstört wurden, so Guterres. Die Hamas-Angriffe könnten die „kollektive Bestrafung des palästinensischen Volkes nicht rechtfertigen“.
Allein im ersten Monat – Stand 1. November 2023 – bedeutete die „kollektive Bestrafung“ der Palästinenser im Gaza-Streifen, dass von Israel pro Stunde 42 Bomben abgeworfen wurden. Pro Stunde wurden 12 Wohnhäuser zerstört, 15 Personen getötet, 6 davon waren Kinder. Pro Stunde wurden 35 Menschen verletzt. Um die Wucht der israelischen Angriffe zu verdeutlichen, veröffentlichte damals, am 1.11.2023, der katarische Nachrichtensender Al Jazeera basierend auf Angaben der israelischen Armee diese Zahlen.
Wir sind keine Zahlen
„We are not numbers“, „wir sind keine Zahlen“ heißt ein Jugendprojekt, das 2014 – nach einem der israelischen Kriege – in Gaza entstand. Es ist eng mit der Organisation Euro-Med Monitor verbunden ist. Viele junge Palästinenser berichteten dort über ihre Kriegserfahrungen und Verluste. Jene, die in der täglichen Berichterstattung nicht vorkommen, bekommen so Gesicht und Stimme.
Was der Krieg für die Menschen bedeutet, beschreiben auch palästinensische Journalisten, die nun seit fast einem Jahr unter Lebensgefahr von dem Kriegsschauplatz berichten. „In den letzten Stunden gab es einen Angriff im südöstlichen Teil des Zentrums von Deir el-Balah Stadt, wo eine Menschengruppe Ziel einer Rakete wurde, die eine Drohne abgefeuert hatte“, schreibt Hani Mahmoud in seinem Beitrag für den Sender Al Jazeera (22.09.2024). Der Journalist ist in Deir el-Balah und beschreibt, was er sieht: „Die Szenen hier im Krankenhaus, wo die Verletzten eingeliefert werden, sind herzzerreißend. Die eingelieferten Menschen sind – von Metallstücken getroffen – in Stücke zerteilt, mit zertrümmerten Knochen, mit zerbrochenem Schädel.“
Mahmoud schreibt über einen zweiten Angriff, der sich im Westen von Gaza-Stadt, im Al Shati Flüchtlingslager ereignete. Mindestens 6 Menschen seien getötet worden, als die Schule getroffen wurde, in der ein Zentrum für evakuierte Menschen eingerichtet worden war. Die Menschen waren aus dem Jabalia Flüchtlingslager geflohen, nachdem das israelische Militär die Räumung eines Hauses angeordnet hatte, das direkt neben der Schule stand, die dann getroffen wurde. „Das Problem hier ist, es gibt keinen sicheren Raum in der Umgebung und die Menschen wissen nicht, wohin sie gehen sollen“, so Mahmoud. „Es ist zynisch zu sagen, man habe Sicherheitsvorkehrungen getroffen.“
Am Abend dieses gleichen Tages meldet das palästinensische Gesundheitsministerium (Gaza), dass in den vergangenen 24 Stunden bei Angriffen der israelischen Armee 40 Menschen getötet und 58 verletzt worden seien. Ein Ende dieses Krieges ist nicht in Sicht. Vielmehr weitet Israel seine Angriffe auf den Libanon aus, ohne seine Angriffe im Gaza-Streifen oder im besetzten Westjordanland zu reduzieren.
Am vergangenen Sonntag (22.9.2024) lag die Zahl der getöteten Palästinenser im Gaza-Streifen bei mehr als 41.421, teilte die palästinensische Gesundheitsbehörde (Gaza) mit. Mehr als 16.000 der Toten sind demnach Kinder. Mindestens 10.000 Menschen gelten als vermisst unter Trümmern. Die meisten der Toten, zwei Drittel, seien Frauen und Kinder, sagte der UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk im August. Seitdem ist die Zahl der Toten täglich gestiegen.
Missachtung des internationalen Rechts
Am 10. Juni 2024 hatte der UN-Sicherheitsrat die Resolution 2735 verabschiedet, die einen Waffenstillstand in Gaza anordnete.
Der Resolutionstext basierte auf einem von den USA eingereichten Textvorschlag, weswegen die USA zustimmte. Bis dahin hatten die USA jede Resolution für einen Waffenstillstand mit ihrem Veto verhindert. Vorgesehen war es ein Drei-Phasen-Plan, wie die Hamas ihn über ihre Vermittler bereits Anfang des Jahres vorgelegt hatte. Die Hamas stimmte also zu, doch der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gab den israelischen Unterhändlern immer neue Vorbedingungen mit. Schließlich wurde auch dem letzten klar, dass er an einem Waffenstillstand und an dem Abzug der israelischen Armee aus dem palästinensischen Gaza-Streifen nicht interessiert war. Gegenüber den Angehörigen der Geiseln ließ er erklären, dass er den Krieg nicht beenden werde, um die Geiseln zu befreien.
Am 18. Juli verabschiedete das israelische Parlament (Knesset) eine Resolution, mit der die Zwei-Staaten-Lösung abgelehnt wurde.
Am 19. Juli gab der Internationale Gerichtshof (Den Haag) das Ergebnis seiner Jahrelangen Begutachtung bekannt, wonach die Besatzung palästinensischer Gebiete unrechtmäßig sei und gegen internationales Recht verstoße. Israel müsse die Besatzung „so schnell wie möglich beenden„.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte daraufhin, die „israelischen Siedlungen in allen Gebieten unseres Heimatlandes … sind rechtmäßig. Das jüdische Volk ist kein Eroberer in seinem eigenen Land.“
Zielscheibe: UNRWA
Der UN-Sicherheitsrat kann sich nicht einigen, wie er mit Israel und seinen absichtlichen und aggressiven Zurückweisungen von allen UN-Resolutionen und Entscheidungen umgehen soll. Sprachlos bleibt der UNSR gegenüber den Drohungen gegen die UN-Organisation für die Unterstützung der palästinensischen Flüchtlinge UNRWA, deren Mitarbeiter bei Angriffen der israelischen Streitkräfte getötet werden, deren Lager, Schulen, Kliniken, Suppenküchen, Fahrzeuge und Hilfsgüter ganz oder teilweise zerstört werden. Schulen, in denen die UNRWA Inlandsfamilien untergebracht hat, werden gezielt von der israelischen Luftwaffe und der Artillerie angegriffen und zerstört. Die Armeeführung behauptet regelmäßig, die Hamas habe in den Notunterkünften für Inlandsvertriebene Kommandozentralen unterhalten, Belege für diese Behauptung werden nicht vorgelegt.
Am 20.09.2024 schreibt Philippe Lazzarini, Leiter der UNRWA, die Drohungen gegen UNRWA-Mitarbeiter und die Verbreitung von „unvollständigen und Falschinformationen“ müssten aufhören. Dazu gehöre auch, dass gerechtfertigt werde, UNRWA-Personal zu töten, weil sie „Kämpfer bewaffneter Gruppen wie Hamas“ seien. Für so gefährliche Behauptungen gäbe es keine Beweise, es schüre Angst unter den Mitarbeitern und deren Familien. Solche Behauptungen hätten nichts mit UNRWA zu tun, sondern sollten von den „Grausamkeiten in diesem Krieg ablenken“. Sie sollten Unerträgliches rechtfertigen, die UNRWA solle „unglaubwürdig und eliminiert“ werden, so Lazzarini.
In einer weiteren Erklärung am gleichen Tag machte Lazzarini darauf aufmerksam, dass Israel für Leiter und Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen keine Visa mehr ausstelle. Die Organisationen arbeiteten seit Jahren mit der UN zusammen, um die Menschen humanitär zu unterstützen. Diejenigen, die über die Gräuel des Krieges und deren Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung berichteten, sollten verschwinden.
Zielscheibe: Medien
Dazu gehören auch die Angriffe auf Medien und Journalisten. Der katarische Nachrichtensender Al Jazeera wurde in Israel im Mai verboten und musste nach Amman (Jordanien) ausweichen. Vor wenigen Tagen stürmten israelische Soldaten mitten in der Nacht das Büro von Al Jazeera im besetzten Westjordanland, in Ramallah. Den Journalisten wurde ein Schließungsbefehl für 45 Tage übergeben. Sie hätten 10 Minuten, um persönliche Sachen zu packen und zu gehen. Wenn sie mehr wissen wollten, sollten sie sich an die Militärbehörde wenden.
Der Vorgang wurde von Kameraleuten des Senders gefilmt und live übertragen. Zu sehen waren zahlreiche Bilder und Zeichnungen von Shireen Abu Akleh, die überall an den Wänden hingen. Die Soldaten, die das Büro stürmten und schlossen, rissen ihre Bilder herunter. Die Journalistin hatte 25 Jahre für Al Jazeera gearbeitet und war am 11. Mai 2022 von einem Scharfschützen der israelischen Armee von hinten erschossen worden, als sie mit Kollegen über eine Razzia der israelischen Armee in Jenin berichtete.
173 Journalistinnen und Journalisten, Kameraleute und Medienmitarbeiter wurden seit dem 7. Oktober 2023 bei israelischen Angriffen getötet. Diese Zahl stammt von der palästinensischen Medienbehörde. «Reporter ohne Grenzen» spricht von 130 getöteten Journalisten, die internationale Journalisten Föderation nennt 127 getötete Journalisten in Gaza, 4 getötete Journalisten in Israel und 3 getötete Journalisten im Libanon.
Die Netanjahu-Regierung scheint sich ihrer Sache sicher. Waffen, Munition, Ersatzteile, Aufklärungsdaten und Geld werden von Israels engsten Partnern USA, Großbritannien und Deutschland geliefert. Im Scheinwerferlicht internationaler Medien fordern die Außenminister Verhandlungen, doch die Unterstützung für Israel bleibt „eisern“. Forderungen nach politischen und wirtschaftlichen Sanktionen gegen Israel, weil es UN-Resolutionen missachtet, oder nach einem Stopp von Waffenlieferungen stoßen in Washington, Berlin, London und Paris auf taube Ohren. In Deutschland könnten sie gar noch juristisch und/oder polizeilich verfolgt werden. In Berlin jagten kürzlich Polizisten und Polizistinnen sogar einem Jungen hinterher, der eine Palästinaflagge schwenkte.
Die UN-Staatengemeinschaft in ihrer Mehrheit ist da weiter. Am 18. September 2024 befasste sich die UN-Vollversammlung mit einer Resolution, die den Gutachterspruch des Internationalen Gerichtshofes vom 19.07.2024 stärken sollte. Gefordert wurde, dass Israel innerhalb von 12 Monaten und ohne Verzögerungen „seine unrechtmäßige Anwesenheit in den besetzten palästinensischen Gebieten beenden“ müsse. Israel müsse seine Armee zurückziehen, alle neuen Siedlungsaktivitäten einstellen, alle Siedler aus dem besetzten Land abtransportieren und Teile der Mauer, die innerhalb des Westjordanlandes errichtet worden war, abbauen. Land und anderes nicht bewegliches Eigentum müsse (an die Palästinenser) zurückgegeben werden, das gleiche gelte für Kulturgut. Die vertriebenen Palästinenser müssten zurückkehren können oder entschädigt werden. Ausdrücklich bezog sich die Erklärung auf das Gutachten des Internationalen Gerichtshofes. Die Generalversammlung nahm die Resolution mit 124 Stimmen an. 14 Staaten votierten dagegen, darunter die USA und Argentinien. 43 Staaten enthielten sich, darunter Deutschland, Österreich und die Schweiz. Einige weitere waren gar nicht anwesend.
Zielscheibe: der Mensch
Während dieser Debatte im Plenum der Vereinten Nationen explodierten im Libanon und in Syrien Tausende Personenrufgeräte, so genannte „Pager“, zeitgleich in den Händen oder Taschen ihrer Benutzer. Es war der 18. September (NY Ortszeit). In Syrien war die Zahl der Verletzten gering, doch im Libanon wurden 12 Personen getötet und 2800 Menschen wurden teilweise lebensgefährlich verletzt.
Bei einer zweiten Explosionswelle am folgenden Tag (19. September) explodierten zeitgleich Hunderte Walkie-Talkies und Funkgeräte. 20 Personen wurden getötet, mehr als 600 Menschen wurden teilweise lebensgefährlich verletzt. Die Geräte explodierten auf Balkonen, Küchentischen und in Autos und lösten Brände aus. Die Zahl der Toten beider Angriffe stieg auf 39, mehr als 3000 Menschen wurden teilweise lebensgefährlich verletzt. Viele sind verstümmelt und werden ein Leben lang gezeichnet und auf Hilfe angewiesen sein.
Da es sich bei den Personenruf- und Funkgeräte um Gegenstände handelt, die im Alltag von Rettungsdiensten, in Hotels oder am Flughafen und in großen Unternehmen, aber auch von Mitgliedern, Angehörigen oder Unterstützern der Hisbollah genutzt werden, um das Abhören und Überwachen von Mobiltelefonen durch Israel zu vermeiden, hielten die Benutzer die Geräte in den Händen oder transportierten sie in Taschen. Die Explosionen wurden durch eine gesendete Botschaft ausgelöst. Verletzungen gab es im Gesicht, den Augen, den Händen, Fingern, Bauch, Beinen und Füßen. Ärzte berichteten, sie hätten noch nie so grauenhafte Verletzungen gesehen. Die Verletzten seien junge Männer gewesen, einige junge Frauen, aber auch Kinder. Viele hätten Verletzungen im Gesicht, an den Augen gehabt, heißt es in einem Bericht der Nachrichtenagentur AP. Ärzte operierten rund um die Uhr und konnten doch oft die Augen der Verletzten nicht mehr retten.
Eine neue Art von Krieg
Im Libanon machte man den israelischen Geheimdienst Mossad verantwortlich. Die US-Administration erklärte, nichts gewußt zu haben. Die New York Times lieferte eine Geschichte, die – hinter einer Bezahlschranke – um die Welt ging. Danach soll der Mossad eine komplette Produktionskette aufgebaut haben und mit einer eigenern Firma als Subunternehmen von der taiwanesischen Firma Gold Apollo den kompletten Auftrag abgewickelt haben. Bei Gold Apollo in Taiwan hatte die Hisbollah 5000 Personenrufgeräte (Pager) bestellt, daher ist naheliegend, dass der Mossad den Angriff geplant, vorbereitet und durchgeführt hat. Die NYT-Geschichte kursiert inzwischen international mit Varianten.
Libanon forderte eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates, die auf Antrag Algeriens, einem nicht-ständigen Mitglied im UNSR, für Freitag, den 20. September (New York, Ortszeit) einberufen wurde.
Der UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk nannte die Angriffe eine „neue Entwicklung der Kriegsführung. Kommunikationsgeräte werden Waffen.“ Zeitgleich tausende Menschen mit den manipulierten Geräte anzugreifen, ohne zu wissen, wer das jeweilige Gerät benutze, sei ein Verstoß gegen das internationale humanitäre Recht. Die „tragische Situation“ dürfe nicht isoliert gesehen werden, denn sie hänge direkt mit dem Krieg in Gaza und der anhaltenden israelischen Besatzung von palästinensischem Territorium zusammen. Türk forderte einen sofortigen Waffenstillstand, humanitäre Hilfe für die Bevölkerung im gesamten Gaza-Streifen, bedingungslose Freilassung aller Geiseln in Gaza und ein Ende der willkürlichen Inhaftierung von Tausenden Palästinensern durch Israel. Entsprechend der UN-Rolle forderte Türk sowohl Israel als auch die Hisbollah auf, die Feindseligkeiten zu reduzieren.
Unerwähnt blieb, was doch alle Beteiligten sehr wohl wissen: die Hisbollah hat wiederholt ein Ende ihrer „Unterstützungsfront“ für den Gaza-Streifen erklärt, sobald es einen Waffenstillstand zwischen der Hamas und Israel gibt.
Der libanesische Außenminister Abdallah Bou Habib sagte, nach „diesen abgründigen“ elektronischen Angriffen sei „niemand mehr sicher in dieser Welt“. Sollte der Sicherheitsrat diesen „Terrorangriff“ nicht als solchen benennen und den Verursacher verurteilen, stehe die Glaubwürdigkeit des Gremiums auf dem Spiel. „Wenn man so ein Vorgehen akzeptiert, öffnet man die Büchse der Pandora“, sagte Bou Habib. Staaten und extremistische Gruppen werden dem Beispiel folgen und Zivilisten in aller Welt mit tödlicher Technologie angreifen. Seit 1948 habe Israel keine UN-Sicherheitsratsresolution eingehalten, so sei aus dem Land ein „Schurkenstaat“ geworden, der den ganzen Mittleren Osten mit Krieg überziehen werde. Er forderte den Sicherheitsrat auf, Israel, das die Souveränität des Libanon verletzt habe, zu verurteilen. Der syrische Botschafter bei den Vereinten Nationen betonte, dass die Staaten, die Israel unterstützten, volle Verantwortung für dessen Aggression trügen. Die brutalen israelischen Angriffe seien für die arabischen Länder nicht neu. Neu sei allerdings die Manipulation von modernen technischen Geräten, die den Menschen nutzen sollten, in tickende Zeitbomben.
Der israelische UN-Botschafter forderte den UN-Sicherheitsrat auf, Hisbollah und die iranischen Revolutionsgarden zu „Terrororganisationen“ zu erklären. Dem libanesischen Außenminister warf er vor, einer „Terrororganisation erlaubt zu haben, einen Staat innerhalb des Libanon“ gegründet zu haben. Israel werde sich verteidigen und nicht zulassen, dass „die Hisbollah libanesisches Territorium als Abschussrampe für Gewalt“ benutzt. Die US-Vertretung stellte sich hinter Israel, das sich gegen die täglichen Angriffe verteidigen müsse. Malta forderte eine Untersuchung. Russland regte ein internationales Gesetz gegen die Nutzung von Alltagsgegenständen als Waffen an. China forderte, wie auch der Iran, eine Verurteilung Israels. Eine Entscheidung gab es nicht.
Am Abend des gleichen Tages (20.9.2024, Beirut Ortszeit) bombardierte die israelische Luftwaffe ein Wohnhaus im dicht bewohnten Süden von Beirut mit vier Raketen und brachte das Haus zum Einsturz. Dutzende Menschen wurden verschüttet. 15 Angehörige der Hisbollah wurden tot geborgen, darunter zwei hochrangige Kommandeure. Die Zahl der Toten stieg im Laufe der Bergungsarbeiten auf 51, darunter Frauen und Kinder. 10 Personen werden noch vermisst. Am Wochenende flogen israelische Kampfjets teilweise im Minutentakt Angriffe auf den Süden des Libanon und feuerten nach eigenen Angaben auf hunderte angebliche Raketenabschussrampen der Hisbollah.
Die Hisbollah reagierte am Samstag mit 11 Angriffen, bei denen militärische Stellungen im Norden Israels und auf den besetzten und annektierten Golanhöhen getroffen wurden. Am frühen Sonntagmorgen wurden erstmals schwere Raketen von der Hisbollah eingesetzt. Deren Ziel war bei zwei Angriffen die israelische Luftwaffenbasis Ramat David bei Haifa. Ein dritter Angriff galt dem militärischen Rüstungskomplex der Firma Rafael, die auf die Produktion elektronischer Geräte und Ausrüstung und auf das Luftabwehrsystem „Iron Dome“ spezialisiert ist. Die Firma im Norden von Haifa (Zevulun) sei mit Dutzenden Fadi 1, Fadi 2 und Katyusha Raketen getroffen worden, hieß es in der Hisbollah-Erklärung. Es handele sich um eine „vorläufige Antwort auf das brutale Massaker, das der Feind Israel in verschiedenen Gebieten des Libanon am Dienstag und Mittwoch (Massaker mit Pager und Funkgeräten) verübt“ habe.
Warnungen und Drohungen
Hassan Nasrallah, Generalsekretär der Hisbollah, hatte nach den israelischen Massenangriffen auf Libanesen über manipulierte Kommunikationsgeräte Israel mit Vergeltung gedroht. Die feigen Angriffe hätten Unterstützer der Hisbollah und viele andere in ihrem Alltag getroffen, nicht mit der Waffe in der Hand an der Front. Die Hisbollah sei geschwächt, werde aber gestärkt aus dem Angriff hervorgehen. Israel werde mit schärferen Reaktionen rechnen müssen. Nasrallah wandte sich direkt an Benjamin Netanjahu und an Yoav Gallant, den israelischen Verteidigungsminister, und sagte: „Die Front im Libanon wird nicht ruhig werden, solange nicht die Aggression gegen Gaza stoppt.“
Der Leser und die Leserin sind nun wieder am Anfang des Textes angekommen. Wenn Israel mit Gewalt nicht erreicht was es will, lautet seine Antwort: noch mehr Gewalt. Dieses geflügelte Wort kursiert unter Diplomaten, wenn die Mikrophone ausgeschaltet sind. Israel hat im Krieg gegen die Hamas zwar den Gaza-Streifen zerbombt, aber nicht die Vernichtung der Hamas erreicht. Geschweige denn wurde das Unrecht wieder gut gemacht, das zu den Angriffen am 7. Oktober 2023 geführt hat. Der Krieg gegen Gaza wurde mit mehr Gewalt auf das besetzte Westjordanland ausgeweitet. Nun setzt Israel mit noch mehr Gewalt auf einen weiteren Krieg und will die Hisbollah im Libanon vernichten.
Der amtierende Ministerpräsident des Libanon, Najib Mikati, sagte seine Reise zum UN-Gipfel in New York ab und erklärte in Beirut, die internationale Gemeinschaft und das menschliche Gewissen müssten „eine klare Position zu den grauenhaften Massakern einnehmen“, die im Libanon verübt worden seien. Internationales Recht müsse aktiviert werden, um zu verhindern, dass zivile Technologie als Waffe genutzt werden könne. Alles müsse getan werden, „um die vielen Arten von Kriegen, die der Feind Israel verübe, zu stoppen“, so Mikati.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat seine Reise zum UN-Gipfel verschoben. Aktuell wird er vermutlich erst am Freitag in New York sprechen. Sollte das tatsächlich so sein, werden voraussichtlich viele Staatenvertreter den Plenarsaal am Sitz der Vereinten Nationen aus Protest gegen Israels Kriege verlassen.
24.09.2024 Nachtrag:
Israel hat am Nachmittag erneut ein Wohnhaus im Süden von Beirut bombardiert. Die „Dakhiye Doktrin“, die bereits in Gaza und im palästinensischen Lager im besetzten Westjordanland eingesetzt wurde. Der israelische General Gadi Eisenkot hatte diese „Doktrin“ im Krieg 2006 gegen Libanon und gegen die Hisbollah entwickelt. Dabei wird unverhältnismäßig große Gewalt eingesetzt, um größtmögliche Zerstörung ziviler Infrastruktur zu erreichen. Damit soll die Hisbollah unter Druck gesetzt werden, die massenhafte Vertreibung der Bevölkerung wird zur Kriegswaffe.
Der Gesundheitsminister meldet nach einem ersten Rettungseinsatz bei dem zerstörten Wohnhaus 6 Tote und 15 Verletzte. Die Zahl der Toten durch israelische Luftangriffe auf Libanon ist damit auf 558 gestiegen, darunter 50 Kinder und 94 Frauen. Die Zahl der Verletzten wird nun mit 1.835 angegeben. Hunderte Menschen sind über die Grenzen nach Syrien geflohen.
We are not numbers. Wir sind keine Zahlen.
Ich habe einen der jungen Zivilschützer erreicht, die ich im Juli an der „Blauen Linie“ getroffen habe. Ihm, seinen Freunden und der Familie gehe es gut, schreibt er. Er hoffe, dass sie in ihrem Dorf bleiben könnten und dass „wir sicher sein werden“. Ob in Gaza, im Westjordanland oder im Libanon – sie alle verteidigen nur ihr Land, ihre Heimat und das Recht auf eine gute Zukunft für sich und ihre Kinder. (kl)
(Red.) Siehe dazu auch in der rechten Spalte unter «Empfohlene Artikel auf anderen Plattformen» den Beitrag «Kein Ende für die Tötungsmaschine Israels und die Mitschuld der USA»
Siehe zur gleichen Thematik einen Bericht von Karin Leukefeld auf den NachDenkSeiten.