Der Krieg ist nicht zuletzt auch ein Geschäft!
(Red.) Wo immer die Ursachen von Krieg diskutiert werden, ist die Komponente Macht die meist genannte – eingepackt meist in Floskeln wie es gehe „um den Kampf für Freiheit und Demokratie“ oder ähnlich. Ausgesprochen wichtig sind aber auch die wirtschaftlichen Interessen, nicht nur die wirtschaftlichen Interessen zum Beispiel im Bereich Öl und Erdgas und anderen Bodenschätzen, heute auch ganz konkret im Bereich der Waffenindustrie. Auch da geht es um Milliardensummen, Geld, das vor allem in die Taschen der Reichen fliesst, die ihren Reichtum in der Rüstungsindustrie angelegt haben. Stefano di Lorenzo hat sich dazu Gedanken gemacht. (cm)
Der Krieg in der Ukraine hat zur Rückkehr der grandiosen Rhetorik der Moral im öffentlichen Diskurs geführt. Seit mehr als anderthalb Jahren werden die Bürger Europas und Amerikas täglich mit dem großen Narrativ vom Krieg in der Ukraine als einem Kampf zwischen den beiden absolut gegensätzlichen und unversöhnlichen Prinzipien des Guten (wir, die westliche Zivilisation, die Demokratie, die Freiheit, die westlichen Werte, der Wohlstand, die NATO, die Ukraine) und des absolut Bösen (Putin, die Diktatur, die Unwahrheit, Russland, die Barbarei, die Armut) bombardiert. Manchen mag diese Darstellung wie eine karikaturhafte Vereinfachung erscheinen oder wie aus einem der vielen Hollywood-Blockbuster entnommen. Doch erweist sich diese Art des Diskurses oft als nahezu perfekt und unfehlbar, wenn es darum geht, die große Masse der Bürger in Europa und Amerika von der Notwendigkeit des Krieges zu überzeugen. Wer würde die Zivilisation gegen die Barbarei der anderen nicht verteidigen wollen? Mit dem absolut Bösen kann man doch nicht verhandeln. Und Kriege werden nicht mit Worten gewonnen. Jeder, der einen Dialog zur Lösung des Konflikts fordert, wird als Verräter nicht nur der Ukraine, sondern des gesamten Wertesystems der westlichen Zivilisation gebrandmarkt. In den Vereinigten Staaten, die selten gezögert haben, Krieg zu führen, um ihre Interessen zu verteidigen, ist ein solches Interpretationsmuster vielleicht nicht überraschend. Aber selbst das friedliche Europa, das die Wahrung des Friedens zu einer seiner Haupttugenden gemacht hatte, erwies sich als unerwartet geschickt darin, die Rhetorik des gerechten Krieges zu übernehmen.
Krieg ist jedoch nicht nur ein morality play, ein Moralität-Schauspiel im mittelalterlichen Stil. Kriege werden nicht nur in der geistigen Welt, sondern auch und vor allem in der materiellen Welt geführt. Und der Krieg wird heute mit immer ausgefeilteren und sehr teuren Waffen gekämpft. Ein einziger Leopard-II-Panzer kostet heute, zum Beispiel gemäß einer Meldung von Reuters, bis zu 30 Millionen Euro, ein HIMARS-Raketenwerfer vier Millionen Euro. Und die Rüstungsindustrien gehören zu den innovativsten und lukrativsten. Krieg ist nicht nur eine epische Geschichte von Mut und Heldentum. Krieg ist auch ein Geschäft.
Die Vereinigten Staaten, die den größten Beitrag zur Unterstützung der Kriegsanstrengungen in der Ukraine leisten, gehören zu den größten Nutznießern der durch den Krieg ausgelösten wirtschaftlichen Anreize. In den Worten von US-Präsident Joe Biden: „Wir schicken Waffen in die Ukraine, die wir in unseren Lagerbeständen haben. Und wenn wir das vom Kongress bewilligte Geld verwenden, füllen wir damit unsere Lagerbestände mit neuer Ausrüstung auf — Ausrüstung, die Amerika verteidigt und in Amerika hergestellt wird. Wie während des Zweiten Weltkriegs bauen Amerikas patriotische Arbeiter heute das Arsenal der Demokratie auf und dienen der Sache der Freiheit“.
Die Parallele zum Zweiten Weltkrieg ist nicht zufällig. Dank massiver Investitionen in die Kriegsindustrie konnten die Vereinigten Staaten schließlich die Große Depression überwinden, die mit der Finanzkrise von 1929 begann. Der große britische Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes hatte jahrelang gepredigt, dass der Staat große Investitionen tätigen müsse, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Und die Logik des Keynesianismus, mit massiven Investitionen auch in das Militär, hat damals zweifellos dazu beigetragen, Arbeitsplätze zu schaffen und die Krise zu überwinden. Diese mögen wie absurde Investitionen erscheinen, reine Geldverschwendung, da sie Objekte produzieren, die explodieren, sich vernichten und nichts anderes als Zerstörung hinterlassen. Doch selbst Investitionen in Bomben können nicht nur für die Kriegsindustrie, sondern auch für die Wirtschaft insgesamt aus makroökonomischer Sicht „nützlich“ sein. Die Wege des BIP sind zahlreich und geheimnisvoll. Keynes selbst schlug vor, dass die Regierung zur Ankurbelung der Wirtschaft Menschen dafür bezahlen sollte, Löcher zu graben, um sie dann wieder zu befüllen. Und auch der Krieg kann ein wichtiger Anreiz sein, auch wenn er, wie Keynes’ Löcher, eine paradoxe und ineffiziente Investition scheint.
Ein kürzlich vom US-Pentagon veröffentlichtes Dokument beziffert, wie viele Investitionen jeder US-Staat durch die Ukraine-Hilfe erhalten hat. Die dreiseitige Pentagon-Zusammenfassung gibt einen Überblick darüber, wie und wofür rund 30,6 Mrd. USD dieser Militärhilfe — nur ein Bruchteil der gesamten US-Hilfe für die Ukraine — ausgegeben wurden. Mehr als die Hälfte der vom Kongress bewilligten 30,6 Mrd. USD — 16,8 Mrd. USD — wurden zur Aufstockung der an die Ukraine gelieferten US-Waffenbestände verwendet. Dem Pentagon-Dokument zufolge haben die Bundesstaaten Arizona, Arkansas und Pennsylvania am meisten von den großen wirtschaftlichen Impulsen des Krieges profitiert, wobei die Zahlen von 1,750 Milliarden Dollar für Arizona bis 1,550 Milliarden Dollar für Pennsylvania reichen. Mehrere andere Staaten, darunter Kalifornien, der US-Staat mit dem größten BIP, haben von Investitionen in die Kriegsindustrie profitiert. Die wichtigsten Ausgaben, die aus dem vom Pentagon veröffentlichten Dokument hervorgehen, betreffen die Herstellung von Munition für Artilleriegeschütze. Nicht gerade eine präzisionsgeführte Waffe für einen modernen „humanen“ Krieg, der auf die Verringerung von Kollateralschäden abzielen sollte.
Die Rhetorik des Keynesianismus des Krieges und seiner Vorteile für die Wirtschaft deutet nach Ansicht einiger auf einen Strategiewechsel des Weißen Hauses hin, um den Krieg den Wählern zu „verkaufen“ und die Rechtfertigung des Krieges gegenüber der Weltöffentlichkeit zu vertreten. Einerseits hat die viel gepriesene ukrainische Gegenoffensive, in die so viele Hoffnungen gesetzt und um die herum so viele hohe Erwartungen geweckt worden waren, enttäuschende Ergebnisse gezeigt. Andererseits hat sich in den letzten Monaten bei den herrschenden Klassen in Europa und Amerika sowie bei den Wählern eine gewisse „Ukraine-Müdigkeit“ breit gemacht. Eine Müdigkeit, die sich auch in den Schwierigkeiten der Demokraten im US-Kongress unter der Führung des neuen republikanischen Sprechers Mike Johnson bei der Verabschiedung eines neuen 60-Milliarden-Hilfspakets für die Ukraine manifestiert hat. Einem kürzlich erschienenen Bericht des US-Magazins POLITICO zufolge „hat das Weiße Haus Gesetzgeber beider Parteien im Stillen dazu gedrängt, die Kriegsanstrengungen im Ausland als potenziellen Wirtschaftsboom im Inland zu verkaufen“. Mitarbeiter des Weißen Hauses sollen sowohl an Demokraten als auch an Republikaner, die sich weiterhin für die Finanzierung der Ukraine einsetzen, Gesprächsleitfäden verteilt haben. Offenbar ist dies auch die Art und Weise, wie Überzeugungsarbeit in der Welt der großen Politik betrieben wird.
Doch ein Problem beim Geschäft mit dem Krieg ist, dass sich die Gewinne der Giganten der Kriegsindustrie, des militärisch-industriellen Komplexes, nicht unbedingt in Arbeitsplätzen und wirtschaftlichen Vorteilen für die Arbeitnehmer niederschlagen. Während für die üblichen Verdächtigen wie Lockheed Martin und Boeing der wirtschaftliche Anreiz des Krieges eine greifbare Tatsache ist, sickern die Milliarden an Staatsausgaben nicht unbedingt nach unten. Sie erreichen nicht den durchschnittlichen amerikanischen Bürger. Damit ist eine der theoretischen Säulen des Neoliberalismus widerlegt. „Die amerikanische Großkonzerne profitieren vom Kriegszustand. Alle anderen zahlen“, so Doug Bandow, Senior Fellow am Cato Institute, einer amerikanischen Denkfabrik. Die Kriegsindustrie steht nicht gerade im Ruf einer effizienten und rationalen Ressourcenallokation; ein Großteil der Investitionen, selbst in den USA, wird verschwendet oder landet in privaten Taschen.
Einem aktuellen Bericht des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts (SIPRI) zufolge belief sich der Umsatz der 100 weltweit größten Unternehmen der Kriegsindustrie im Jahr 2022 auf 597 Milliarden Dollar. Überraschenderweise waren das 3,5% weniger als im Jahr 2021. Aber das bedeutet nicht unbedingt, dass die Welt friedlicher geworden ist, wie man leider feststellen musste. Laut SIPRI ist dieser Rückgang „vor allem auf die sinkenden Rüstungseinnahmen der großen Unternehmen in den Vereinigten Staaten zurückzuführen. In Asien, Ozeanien und dem Nahen Osten stiegen die Umsätze deutlich an. Anstehende Aufträge und ein sprunghafter Anstieg neuer Verträge deuten darauf hin, dass die weltweiten Rüstungseinnahmen in den kommenden Jahren erheblich steigen könnten“. Vor diesem Hintergrund klingt das alte Sprichwort „si vis pacem para bellum“, wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg, fast etwas zu optimistisch.