Der BRICS-Gipfel in Kasan: Was ist das Resultat?
(Red.) Stefano di Lorenzo, unser Korrespondent in Russland, war persönlich in Kasan und zieht eine erste Bilanz.
Kasan, Russland. Die große Überraschung, auf die alle gewartet hatten, blieb am Ende aus. Viele erwarteten vom BRICS-Gipfel in Kasan, Russland, einen Durchbruch von globaler Bedeutung. Die meisten sprachen sogar von der Schaffung eines alternativen Finanzsystems zu Bretton-Woods. Das 1944, kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, gegründete Bretton-Woods-System ist seit langer Zeit ein Synonym für die Vorherrschaft des amerikanischen Dollars. Damals übernahm Amerika nach Jahrzehnten des Isolationismus die Herrschaft über die globale Finanz.
Heute passen diese fast absolute Vorherrschaft des Dollars bei internationalen Finanztransaktionen und die Institutionen, die diese Vorherrschaft verkörpern — der Internationale Währungsfonds, die Weltbank — vielen nicht mehr. Der diesjährige BRICS-Gipfel erfüllte in diesem Sinne nicht die Erwartungen, die sicherlich ausgesprochen hoch waren. „Wir schaffen keine Alternative zu SWIFT“, sagte der russische Präsident Putin in seiner Abschlusspressekonferenz. Es wäre jedoch böswillig und unehrlich, diesen Gipfel als bloße Vorzeigeveranstaltung abzutun.
Während der dreitägigen intensiven Gespräche in Kasan wurden viele Themen zwischen den verschiedenen Ländern diskutiert. Wenn man jedoch die westliche Presse liest, könnte man meinen, dass der gestern abgeschlossene BRICS-Gipfel in Kasan nichts weiter als eine sehr teure Show war, bei der kaum etwas Konkretes herauskam. Und an europäischen Journalisten mangelte es in Kasan nicht. Unter den Hunderten von Journalisten aus vielen Ländern der Welt befanden sich mindestens ein halbes Dutzend Journalisten verschiedener deutschsprachiger Medien sowie Journalisten aus anderen europäischen Ländern — viele Franzosen, ein paar Engländer, einige wenige Italiener. Wenig, aber gut und besser als nichts, könnte man meinen. Aber die Schlagzeilen, die wir in der großen westlichen Presse über das BRICS-Treffen lesen, sind leider nicht gerade ermutigend. Hier sind einige Beispiele:
„Putin inszeniert sich als großer Gastgeber — mitten im Ukrainekrieg“ (Spiegel)
„Muss der Westen Angst vor dem Klub dieser Männer haben?“ (Spiegel)
„Putin rollt seiner Welt den roten Teppich aus“ (Spiegel)
„Der Brics-Gipfel endet mit dürftigem Ergebnis, aber Russland erzielt einen Propagandaerfolg“ (NZZ)
„Putin versammelt beim Brics-Gipfel seinen Klub der Autokraten“ (Süddeutsche Zeitung)
„Wie Putin sich die Welt erträumt“ (Süddeutsche Zeitung)
„Guterres reist nach Kasan, um an Putins Propaganda-Party teilzunehmen“ (WELT)
War es also nur eine teure Show? Lag das Wesen der ganzen Show also vor allem in der Symbolik, die durch den Besuch so vieler mächtiger Männer erzeugt wurde, die an den Hof eines Mannes gekommen sind, der sich als mächtig inszenieren wollte?
Sicherlich spielt die Symbolik in der Diplomatie eine wichtige Rolle. Noch mehr so in unserem hypermedialen Zeitalter, in dem die wichtigen Dinge diejenigen sind, die in der vermittelten Realität des Fernsehens oder der sozialen Medien eine Existenz erlangen. Putin habe mit dieser Inszenierung zeigen wollen, dass er in der Welt nicht isoliert ist. Doch ein diplomatisches Großereignis wie den BRICS-Gipfel auf eine bloße Gala zu reduzieren, zeugt von einer eitlen Klatsch-Attitüde, als wären die Journalisten, die sich dort einfanden, nichts weiter als bloße Paparazzi.
Der BRICS-Gipfel war nicht Putins Party. Natürlich war Russland in diesem Jahr der Organisator, aber man kann BRICS nicht auf Putin reduzieren. Eine der wichtigsten diplomatischen Veranstaltungen des Jahres als bloße russische Propaganda abzutun, zeugt von einer böswilligen Haltung nicht nur gegenüber dem Gastgeberland, sondern auch und vor allem gegenüber allen Teilnehmern aus den verschiedenen Ländern.
Doch kommen wir zu den Ergebnissen des Gipfels. Die teilnehmenden Länder unterzeichneten die sogenannte „Kasan-Erklärung“ mit dem Titel „Stärkung des Multilateralismus für gerechte globale Entwicklung und Sicherheit“. Der Multilateralismus, das Bestreben, die Welt so auszurichten, dass sie die Realitäten des 21. Jahrhunderts widerspiegelt, ist die raison d’être der BRICS-Vereinigung, soviel darf man sagen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die BRICS-Vereinigung als ein antiwestlicher Block definiert werden kann. Vielmehr handelt es sich um eine Vereinigung, die an den Geist der blockfreien Staaten der Bandung-Konferenz von 1955 erinnert, als viele asiatische und afrikanische Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Unabhängigkeit erlangten. Dass sich die BRICS nicht als antiwestlicher Verband verstehen, zeigt einer der Punkte in der Abschlusserklärung, der sich auf die G20 bezieht:
„Wir unterstreichen die Schlüsselrolle der G20 als wichtigstes globales Forum für multilaterale wirtschaftliche und finanzielle Zusammenarbeit, das eine Plattform für einen gleichberechtigten und für beide Seiten vorteilhaften Dialog zwischen entwickelten Ländern und Schwellenländern bietet, um gemeinsam nach Lösungen für globale Herausforderungen zu suchen. Wir sind uns der Bedeutung einer kontinuierlichen und produktiven Arbeitsweise der G20 bewusst, die auf einem Konsens beruht und sich auf ergebnisorientierte Ergebnisse konzentriert.“
Die BRICS erkennen also die Bedeutung der G20, der auch die westlichen G7-Länder angehören, als wichtigstes globales Forum für die Zusammenarbeit an.
Es stimmt, dass in Russland der Ton gegenüber dem Westen in den letzten Jahren in vielerlei Hinsicht hitzig war — schließlich ist der Westen der Hauptunterstützer eines Gegners Russlands — aber in Russland kann man auch die Sprache der Diplomatie sprechen.
Apropos Ukraine und Diplomatie: UN-Generalsekretär Antonio Guterres wurde in der westlichen Presse heftig für seinen Besuch des BRICS-Gipfels in Russland kritisiert (er hatte den BRICS-Gipfel letztes Jahr auch in Südafrika besucht). So schreibt beispielsweise die deutsche TAZ: „Guterres diskreditiert die Vereinten Nationen. Der UN-Generalsekretär hat sich von Putin einladen lassen und mit ihm friedlich vor Kameras posiert. Damit hat er den Westen verraten.“ Zunächst einmal ist nicht klar, was es bedeuten soll, Guterres habe den Westen verraten. Hat der Generalsekretär Loyalitätspflichten gegenüber dem Westen? Wäre der Krieg in der Ukraine dann einer, an dem der Westen beteiligt ist und in den der Westen militärisches und moralisches Kapital investiert hat? Trotz aller wiederholten Behauptungen, dass es im Krieg in der Ukraine nur darum geht, ein Land zu befreien, das ohne Grund überfallen wurde? Aber die wichtigste Frage ist eine andere.
Wenn Europa heute Russland wegen des Krieges in der Ukraine nur als barbarischen Aggressor sieht, so hat der BRICS-Gipfel gezeigt, dass der Rest der Welt das nicht so sieht. Viele in Europa wären fast bereit, alles daran zu setzen, Russland eine schwere militärische Niederlage zuzufügen. Der Rest der Welt hingegen hat kein Interesse an einer Eskalation und Ausweitung eines Konflikts, der (immer noch) zu einem dritten Weltkrieg führen könnte.
Der UN-Generalsekretär hat seinerseits erklärt, dass der Krieg in der Ukraine einen gerechten Frieden verdient. Auch Indien rief, wie schon bei anderen Gelegenheiten, zur Diplomatie auf, um den Konflikt in der Ukraine zu lösen. Putin kommentierte den Aufruf zum Frieden wie folgt: „Alle Partner sind entschlossen, den Konflikt so schnell wie möglich zu beenden, und zwar vorzugsweise friedlich. Sie wissen, dass China und Brasilien während der UNO-Generalversammlung in New York die Initiative ergriffen haben. Und wir wiederum sind unseren Partnern sehr dankbar, dass sie diesem Konflikt ihre Aufmerksamkeit schenken und nach Wegen zu seiner Lösung suchen“.
Zu China und Indien. Im Westen wird oft behauptet, dass die BRICS ein kosmetisches Bündnis seien. China und Indien, die beiden demografisch und wirtschaftlich wichtigsten Länder, seien Rivalen mit unterschiedlichen Interessen. Der Gipfel in Kasan hat jedoch gezeigt, dass China und Indien miteinander reden und Vereinbarungen treffen können. Das erste Treffen zwischen dem chinesischen Präsidenten Xi und dem indischen Premierminister Modi seit fünf Jahren fand am Mittwoch in Kasan statt. Am Vortag war bekannt geworden, dass Diplomaten und Militärs beider Länder über die territorialen Streitigkeiten, die vor vier Jahren sogar zu Schießereien geführt hatten, verhandelt und eine Einigung erzielt haben. Damit ist die Situation zurück zu dem status quo ante, also wie vor den Zusammenstößen vor vier Jahren. Eine solche Einigung kann sicherlich nur als Erfolg gelten.
Bei BRICS geht es heute nicht nur um eine Reihe teurer diplomatischer Zeremonien einmal im Jahr. Die Zusammenarbeit zwischen den Ländern der Vereinigung auf politischer, wirtschaftlicher und diplomatischer Ebene wächst allmählich. Dies ist das wichtigste Ergebnis des Gipfels. Der Westen, der daran gewöhnt war, sich als König der Welt zu fühlen, mag diese Entwicklungen missbilligen. Aber das Bewusstsein der BRICS und ihr Wunsch nach Würde ist ein Prozess, der nun unumkehrbar ist. Es wäre gut, diese Realität eher früher als später anzuerkennen.
Siehe dazu auch die Pressekonferenz mit Putin nach Abschluss des Gipfels, übernommen von der Plattform Seniora.org