„Auch die Ukrainer sind gelegentlich ganz sportlich.“ Immer parat für einen dummen Spruch: Oberst a.D. Ralph Thiele, Vorsitzender der in Berlin ansässigen "Politisch-Militärischen Gesellschaft", Präsident von EuroDefense (Deutschland) und CEO von StratByrd Consulting.

Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (XV) – „Raubtier“, „rumpeln“, „Stachelschwein“ und „Sinnsuche“

Vokabelkritik ist zu Kriegszeiten das Gebot der Stunde. Ich veröffentliche in unregelmäßigen Abständen eine Sammlung teils verharmlosender, teils lügenhafter Wörter oder Formulierungen, deren Sinn und Funktion es ist, unsere Gesellschaft – uns alle – an das Undenkbare zu gewöhnen und möglichst geräuschlos in Richtung „Kriegstüchtigkeit“ umzukrempeln.

Raubtier
Genauer „predator“. Polit-Zoologismus für ungeliebte Staatschefs. Gemeint hat Ursula von der Leyen natürlich den „russischen Machthaber“ – wahlweise „Kreml-Chef“, „Diktator“, „russischer Kriegstreiber“ –, Wladimir Putin. „Er ist ein Raubtier“, warnte die Trägerin des diesjährigen Aachener Karlspreises Ende August 2025 bei einem Besuch an der polnisch-weißrussischen Grenze. „Wir wissen aus Erfahrung, dass er nur durch starke Abschreckung in Schach gehalten werden kann.“ Moral: Wer Tiere sieht, darf Waffen sprechen lassen. Zoologie als Sicherheitsstrategie. (vgl. „Bestie“)

Reallabor
„Der Krieg in der Ukraine ermöglicht es – wie im Prinzip jeder Krieg –, neue militärische Entwicklungen unter realen Einsatzbedingungen zu testen. Für die Entwicklung militärischer KI-Anwendungen besteht ein weiterer Vorteil darin, dass auf den Schlachtfeldern der Ukraine große Mengen an Trainingsdaten erzeugt werden. Sie sind für maschinelle Lernprozesse notwendig. Daraus ergeben sich ganz neue Möglichkeiten. Die Ukraine wurde daher auch als ‚Living Lab‘ für militärische KI bezeichnet, also eine Art ‚Reallabor‘.“ So in dankenswerter Offenheit der Mediensoziologe Jens Hälterlein von der Universität Paderborn. – Brave new war: „Reallabor“ suggeriert Experimente mit freiwilligen Probanden in kontrollierter Umgebung. Irgendwie übersehen hat der Akademiker ,dass die Schlachtfelder der Ukraine‘ nicht etwa Labore, sondern tödliche Realität sind. Wo der Krieg zum Innovationsbeschleuniger, zur Teststrecke für neue Waffen, insbesondere für militärische Künstliche Intelligenz und die Ukrainer zu lebendigen ‚Dummys‘ mutieren. Menschen als „Training Data“ für Maschinen. Alles nach dem zynischen Motto: „Wir brauchen den Krieg, um Kriege zu optimieren!“

Regime Change
Heißt auf Deutsch: Wir basteln uns euer System so zurecht, wie es uns passt. Ob das euch passt oder nicht! (Nennt sich dann „Demokratieförderung“. Oder: „regelbasierte Weltordnung“.)

reinspringen
„Wir sind dann verwickelt, aber das werden wir auch zunehmend in den letzten Jahren. [sic!] Wenn wir sehen, dass wir jetzt der Ukraine dabei helfen, ääh, Produktionen langreichender, weitreichender Drohnen und Raketen bereitzustellen. Auch das wird man in Moskau, ääh, zur Kenntnis nehmen, wenn die dann mal in Moskau oder noch weiter im Hinterland einschlagen. Also, wir sind mittendrin, da reinzuspringen.“ (Wie im Freibad vom Fünf-Meterbrett.) So Oberst a.D. Ralph Thiele aus dem Urlaubshotel in Siena. Soll wohl heißen: Wir sind ja eh schon längst – indirekt – im Krieg mit Russland. Warum dann nicht endlich Nägel mit Köpfen machen? Motto: „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich‘s völlig ungeniert!“

rumpeln
Wenn Generalinspekteur Carsten Breuer verkündet: „Zur Ehrlichkeit gehört auch der Satz: Das wird jetzt noch mal ein bisschen rumpeln – aber im positiven Sinne“, dann liefert er einen Orwell‘schen Sprach-Cluster der Extraklasse. Was sich anhört wie das Geräusch beim Umstellen eines IKEA-Regals, meint realiter Abstimmungsprozesse durchaus nicht reibungsfreier Art zwischen dem Generalinspekteur und seinem Großen Bruder, US-General Christopher Cavoli, dem NATO-Oberbefehlshaber in Europa. Aber weil Breuer die Worte „Ehrlichkeit“ und „im positiven Sinne“ voranstellt, verwandelt er den Konflikt in einen Akt moralischer Integrität: Positives Rumpeln mit ethischem Mehrwert! (vgl. „sich ehrlich machen“)

russischer Kriegstreiber
Komparativ zum „russischen Widerpart“. (vgl. auch „Bestie“, „Mörder & Killer“, „zweiter Hitler“ etc.)

Schlächter
„Butcher“, nannte US-Präsident Joe Biden am 26. März 2022 bei einem Treffen mit ukrainischen Flüchtlingen in Warschau seinen russischen Amtskollegen. Too bad for Biden, dass Butscha erst einige Tage später durch die Medien ging! Sonst hätten ihm seine Berater garantiert noch einen Zettel mit „Butcher of Butscha“ zugesteckt. (vgl. „Hurensohn, verrückter“)

schon heute im Feuer stehen
„Wir dürfen uns nicht zurücklehnen in der Annahme, ein möglicher russischer Angriff käme frühestens 2029“, warnte Martin Jäger, seines Zeichens neuer Chef des Auslandsgeheimdienstes – und ehemaliger Botschafter in Kiew. Nein, so bequem dürfen wir alle es uns nicht machen, denn: „Wir stehen schon heute im Feuer.“ Der Gegner kenne „keine Rast und Ruhezeiten“. Dann wörtlich: „In Europa herrscht bestenfalls ein eisiger Friede, der punktuell jederzeit in heiße Konfrontation umschlagen kann.“ – Lieber Herr Jäger, was denn nun: Feuer oder Eis? Kalt oder heiß? Oder kann der BND-Präsident die Welt nur bipolar im oszillierenden Wechselbäder-Dauerstaccato wahrnehmen?

Schurken-Gipfel
War nicht etwa der „Gipfel der Bösen“ vom September 2023 am russischen Weltraumbahnhof Wostotschny oder das „Schurkentreffen“ vom März desselben Jahres in Moskau, sondern laut BILD auch das –„Reich mir die Flosse, Genosse!“ – „Händchenhalten“ zwischen „Kreml-Diktator Wladimir Putin und Indien-Premier Narenda Modi“ zwei Jahre später im chinesischen Tianjin. Wo sich natürlich auch noch jede Menge anderer Despoten trafen.

schurkenhaftes Russland
„Wir müssen klug und mit klarem Blick handeln angesichts dessen, was vor uns liegt: Von einem schurkenhaften Russland an unseren Grenzen bis hin zu Herausforderungen für unsere Souveränität und unsere Sicherheit.“ So Ursula von der Leyen im Stil Schwarzer Pädagogik auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2025. – „Schurkenhaft“: das verbale Äquivalent zu „Du bist böse, ich bin gut, also passt auf, was ich mache!“ Das Wort ist eine rhetorische Abrissbirne, die jeglichen Dialog plattwalzt und der Eskalationslogik den roten Teppich ausrollt. Alles in feinstem, belehrendem Ton. (Und mit dem Rohrstock hinterm Rücken.)

schwerster Kriegsverbrecher unserer Zeit (vielleicht)
Ist laut Friedrich Merz Wladimir Putin. Vielleicht. (Dieses schamhafte Feigenblatt hat er freilich noch vorgeschoben.) Kann er sich leisten, denn es ist ja der Rest, der hängen bleibt!

semantische Vermeidungsstrategien
Vermeidet konsequent der, das Wörtchen „kriegstüchtig“ nun von links rehablilitierende, taz-Chefreporter Peter Unfried. Nein, er legt sogar noch einen drauf: Man spürt in jeder Zeile seine erotische Lust am kribbeligen Tabubruch! (vgl. „verdruckstes und euphemistisches Sprechen“)

sich ehrlich machen
Es gehe darum, „dass wir uns auf allen Ebenen ehrlich machen“, predigte der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer im Februar 2024 der Welt am Sonntag. Denn: Einige zugesagte Fähigkeiten könne die Bundeswehr der NATO erst später als geplant zur Verfügung stellen. – Breuer (argumentativ virtuos, wie immer) nutzt diese Formulierung, um das Eingeständnis von Versäumnissen in einen öffentlichen Akt – scheinbar – mutiger Selbsterkenntnis zu transformieren. Was dabei raffiniert übergangen wird: Wer sich erst ehrlich machen muss, war es offenbar vorher nicht! Ehrlichkeit als Performance mit Tarnanstrich. (vgl. „rumpeln“)

Sinnsuche
Obacht, Viktor Frankl! „Bei den meisten von ihnen wird im Gespräch deutlich, dass sie ihr Leben in Deutschland nicht erfüllt hat, dass sie auf der Suche nach einem Sinn gewesen sind“, berichtet das RedaktionsNetzwerk Deutschland im Mai 2025 über sechs junge Aussteiger, die ihn im Ausland nun endlich gefunden haben. – Wie haben sie das geschafft? Yogakurse auf La Gomera? Als digitale Nomaden – heute Reportagen vom Strand in Phuket, morgen über AI-Start-ups in Vancouver, demnächst Feldforschung über Aussteigerprogrammen für Sexarbeiterinnen in Nairobi? Powerpoint-Kurse im Slum von Dharavi? Lebensmittelverteilen in Gaza City? – Nein: Sie „sammeln Kampferfahrungen“ in der Ukraine und „sorgen mit der Waffe für Gerechtigkeit“! Ganz wichtig: „Keiner der Männer erweckt den Eindruck, dass er Freude am Töten hat.“ Sie sind nur „ihrem Herzen gefolgt“ und haben nebenbei noch ein „neues Gefühl“ kennengelernt. (Wie es sich anfühlt, einen Menschen zu töten.) Denn, so die Headline des RND-Artikels: „Töten ist notwendig, man muss es halt machen.“ – Kurz: Der Sinn des Lebens ist – Töten!

Spannungsfall
Vorstufe zum „Verteidígungsfall“. Sprich: Allerhöchste Eisenbahn, sich mal zu entspannen!

sportlich
„Auch die Ukrainer sind gelegentlich ganz sportlich.“ So wieder mal Ralph Thiele in ntv. Gemeint waren wohl für das globale Sicherheitssystem so brandgefährliche ukrainische Attacken wie die auf Module des russischen Raketenabwehrsystems im Mai letzten Jahres oder das diesjährige „Husarenstück“, die Angriffe auf die strategische Bomberflotte Russlands! – Sprach‘s und „marschierte steil“, nein: „sprang“ selbst „sportlich“ „rein“. In die Ukraine. (Pardon, das war ein alternatives Factum. Der Oberst im Ruhestand hat im Hotelflur von Siena nur gefordert, dass andere Deutsche das demnächst unternehmen, sprich: nicht „kneifen“!)

Stachelschwein
Rührend drolliges Bild für eine vom Westen bis an die Zähne bewaffnete Ukraine. „Ich habe es großartig gefunden, dass irgendjemand den Begriff des ‚Stachelschweins‘ in die Diskussion geworfen hat. Und ich finde, das ist ein eindrucksvolles Bild. Die Ukraine muss zum ‚militärischen Stachelschwein‘ werden! Der Tiger vermeidet, das Stachelschwein anzugreifen, weil das weh tut.“ So Wolfgang Ischinger im Interview mit dem Deutschlandfunk am 20.08.2025. Zwei Stunden später legte der DLF in Gestalt eines Jean-Marie Magro gleich nochmal nach: „In Europa spricht man auch von der ‚Stachelschweinmethode‘. Das heißt: Die Ukraine müsste so ‚stachelig‘ sein, dass ein möglicher Angreifer vor einer Attacke zurückschreckt.“ – Mit dem ‚Tiger‘ war – eine gewisse Verwirrung der Fauna – der russische ‚Bär‘ gemeint. Und mit ‚Stacheln‘ eine „NATO light“ auf ukrainischem Terrain: Westliche Kampfflugzeuge im Luftraum und Bodentruppen aus NATO-Ländern – zwischen 50.000 und 150.000 Mann. (Pardon: Menschen!) (vgl. „Sicherheitsgarantien“)

terroristische Vereinigung
Neues Wort für „prorussische Separatisten“ in Donezk und Lugansk. (Was es en passant ermöglicht, Menschen, die vor Jahren humanitäre Transporte in den Donbass organisierten, zu kriminalisieren.) Im Kosovokrieg 1999 waren die Kämpfer der UÇK allerdings keine „prowestliche Separatisten“, sondern „Freiheitskämpfer“. – Schauen wir nach bei Wikipedia: „Offizielles Hauptziel der NATO war, die Regierung Slobodan Miloševićs zum Rückzug der Armee aus dem Kosovo zu zwingen und so weitere serbische Menschenrechtsverletzungen, wie das zuvor verübte Massaker von Račak, zukünftig zu verhindern.“ Und machen wir ein kleines Experiment: „Offizielles Hauptziel Russlands ist es, die Regierung Wolodymyr Selenskyjs zum Rückzug der Armee aus dem Donbass zu zwingen und so weitere ukrainische Menschenrechtsverletzungen, wie das am 2. Mai 2014 verübte Massaker von Odessa, zukünftig zu verhindern.“ Alles klar?

(wird fortgesetzt)

Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (I) – „auf dem Hintergrund unserer Geschichte“, „Du willst immer nur mehr“, „Freiheitsdienst“ und „humane Kosten“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (II) – Heute: „militärisch all-in“, „Pazifismus-DNA“, „Resilienz“, „robust“ und „Russisch lernen“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (III) – „2030“, „feministische Außenpolitik“, „Gesicht zeigen“ und „kulturelle Umprogrammierung“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (IV) – „Figuren“, „lodernder Glutkern“, „Opfermut“, „rechtsoffen“ und „Realitätsverweigerung“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (V) – Von der „Suwalki-Lücke“ über „unsere Lebensweise“ zu „Woke und wehrhaft“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (VI) – Von der „Abrüstungsmentalität“ über „Body bags“ zur „Drecksarbeit“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (VII) – Von „Fencheltee-Diplomatie“ über „Glück“ zum „menschgewordenen Hitler-Stalin-Pakt“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (VIII) – „Nachhaltige Wehrhaftigkeit“, „NGOs“ und „Regelbasierte Armee“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (IX) – Von der „tektonischen Verschiebung“ über „weit in die Tiefe des russischen Raumes“ zum „weltpolitischen Beben“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (X) – “absolut mega“, „Bösewichte in Anführungszeichen“, „Daddy“ und „demokratische Krieger“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (XI) – Heute: „dienende Führung“, „Dünger“, „einen Gang hochschalten“, „Gamechanger“ und „Greening the armies“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (XII) – „Gesülze“, „Husarenstück“, „keine Faxen reißen“ und „kneifen“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (XIII) – Heute: „Kaltstart-Akte”, „Ladehemmung”, „Leben“ und „meinem Herzen folgen”.
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (XIV) – Diesmal dabei: „neues Gefühl“, „Oma Courage“, „Pearl-Harbor-Moment“ und „Placebo-Truppe“

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