Das Ende von „Chimerica“: China, die USA und Russland
(Red.) Noch immer weilt Globalbridge-Autor Stefano di Lorenzo des «Eastern Economic Forum» EEF wegen in Wladiwostok, im äussersten Osten Russlands. Und dort sieht er mit eigenen Augen im Hafen Schiffe der «CHINA COAST GUARD». Womit eine alte Wahrheit sichtbar wird: Nichts bringt Konfliktparteien schneller und enger zusammen als ein gemeinsamer Feind. Nachdem sogar deutsche Kriegsschiffe in den dortigen Meeren Präsenz markieren und sich damit sichtbar den westlichen Provokationen gegen China anschließen, ist das Zusammengehen von China und Russland nur eine ganz natürliche Folge. (cm)
In den letzten Jahren ist viel über die sogenannte „Thukydides-Falle“ gesprochen worden. Der antike griechische Historiker, der im fünften Jahrhundert vor Christus lebte, hatte in seinem Werk „Der Peloponnesische Krieg“ dargestellt, wie Athen und Sparta, die beiden mächtigsten griechischen Polis, in einen Krieg geraten waren und wie es fast unvermeidlich gewesen war, dass ein Krieg zwischen ihnen ausbrechen würde. Dies war nicht gerade eine optimistische Sicht der Geschichte.
Das Konzept der „Thukydides-Falle“ wurde neulich auf die USA und China angewandt. Nach dieser Theorie wären die dominierende Weltmacht — die Vereinigten Staaten von Amerika — und die aufstrebende Weltmacht — China — unweigerlich zum Konflikt verdammt. Die dominierende Weltmacht könnte nicht zulassen, dass eine Macht entsteht, die ihre Hegemonie in Frage stellt. Die aufstrebende Macht könnte nicht für immer einen Status quo akzeptieren, der sich als anachronistisch erweist und das Kräftegleichgewicht einer neuen Welt nicht widerspiegelt. Aus diesem Grund glauben heute viele, dass ein Konflikt zwischen den USA und China in mehr oder weniger naher Zukunft unvermeidlich sein wird.
Es scheint fast unglaublich, dass es noch vor einigen Jahren Beobachter und Kommentatoren der internationalen Politik gab, die optimistisch von einer „Chimerica“ sprachen, nach der Kombination der Namen „China“ und „America“. Aus China und den USA würde eine „Chimäre“ entstehen, d.h. eine harmonische Union. Solche Experten stellten sich vor, dass die USA und China symbiotisch zusammenarbeiten könnten, wobei die Vereinigten Staaten das technologische Know-how bereitstellen würden. China hingegen würde sich damit begnügen, weiterhin günstige Arbeitskräfte und niedrige Produktionskosten anzubieten und de facto in die von der Pax Americana beherrschte Weltordnung integriert zu werden. Diese Vorstellung scheint heute viel zu optimistisch, um wahr zu sein. Die Entkopplung zwischen der westlichen Wirtschaft und China ist inzwischen zu einem modischen Schlagwort geworden. Je stärker China wurde, desto mehr wurde es als Bedrohung wahrgenommen.
Eine weitere Theorie, die jedem, der die Ereignisse in der internationalen Politik verfolgt, bekannt sein dürfte, ist die des amerikanischen Politikwissenschaftlers George Friedman. Nach Ansicht des angesehenen amerikanischen Experten und Gründers von STRATFOR sollte das Hauptziel der USA in der europäischen Politik darin bestehen, um jeden Preis ein mögliches Bündnis zwischen der Industriemacht Deutschland und dem immensen Rohstoffreservoir Russland zu verhindern. Der Krieg in der Ukraine, bei dem westliche Provokationen keine geringe Rolle spielten, zeigt, wie dieses Ziel erreicht werden konnte. Deutschland, das bis vor wenigen Jahren aus unerfindlichen Gründen von vielen transatlantischen Falken als zu russlandfreundlich angesehen wurde, ist heute Russland gegenüber so feindlich eingestellt wie die meisten Staaten in Europa. Die deutsch-russischen Beziehungen haben wahrscheinlich ihren Tiefpunkt nicht nur seit 1989, sondern vielleicht sogar seit 1945 erreicht. Aber was hat das alles mit China zu tun?
Tatsache ist, dass der Konflikt zwischen dem Westen und Russland über das Schicksal der Ukraine Russland unweigerlich in die Arme Chinas getrieben hat. Bis vor einigen Jahren hofften einige in Washington, dass sich Russland in einem möglichen Konflikt mit China auf die Seite des Westens stellen würde. Schließlich hatte Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion mehrfach seine Absicht bekundet, sich in Europa zu integrieren und Teil der westlichen Weltfamilie zu werden. Die Helsinki-Vereinbarungen von 1975 hatten bereits den Grundstein für die Schaffung einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur gelegt, die Idee hinter der OSZE. Die Erweiterung der NATO nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hingegen führte zu der Entfremdung Russlands, das sich zu Unrecht ausgeschlossen sah und sich bedroht fühlte. In den Beziehungen zwischen dem Westen und Russland markiert heute der Krieg in der Ukraine einen Punkt, an dem es kein Zurück mehr geben könnte.
Bereits einige Wochen vor dem russischen Einmarsch am 24. Februar 2022, während eines Besuchs des russischen Präsidenten Putin in Peking anlässlich der Olympischen Winterspiele, hatten Russland und China eine „Partnerschaft ohne Grenzen“ angekündigt. Im Krieg in der Ukraine hat China versucht, eine neutrale Haltung einzunehmen und sich weder offen auf die Seite Russlands zu stellen noch dessen Vorgehen zu verurteilen, was dem Westen überhaupt nicht gefiel. Und die zunehmend kämpferische Rhetorik des Westens konnte in China nicht unbeachtet bleiben.
Wenn der Westen angesichts des möglichen Szenarios eines dritten Weltkriegs mit einer Atommacht keine Angst zeigen will und alles auf Militärstärke setzt, kann man sicher sein, dass sich die Leute in China so etwas merken. Im Westen wird oft das Schreckgespenst eines imperialistischen Chinas mit aggressiven Zielen gegenüber Taiwan beschworen. Hier sei nur daran erinnert, dass Taiwan formell von den meisten Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der USA und der Europäischen Union, als Bestandteil Chinas und nicht als unabhängiger Staat anerkannt wird. Gleichzeitig aber rüstet der Westen Taiwan weiterhin auf, und der US-Präsident behauptet, dass die USA im Falle eines Konflikts zwischen der Volksrepublik China und Taiwan militärisch eingreifen würden. Im Namen der Demokratie, versteht sich. Denn im Namen der Demokratie wäre es richtig zu kämpfen, auch wenn man zehntausend Kilometer entfernt ist, selbst auf die Gefahr hin, ein globales Inferno zu entfesseln. Das ist die Logik. Prinzipien sind wichtig…
Russland und China, die sich vom Westen nicht nur diplomatisch geächtet fühlten, sondern auch in Bezug auf militärische Sicherheit bedroht, konnten nur ein Bündnis schließen. Sie hatten schon seit 2005 gemeinsame Militärübungen durchgeführt. In den letzten Jahren sind diese Übungen immer häufiger und umfangreicher geworden. Im Juli dieses Jahres führten Russland und China gemeinsame Marineübungen im Südchinesischen Meer durch. In den letzten Tagen landete die chinesische Küstenwache im russischen Hafen Wladiwostok im Rahmen der Übung „Pacific Patrol 2024“. Die Kapitäne wurden an Land mit traditionellem Brot und Salz begrüßt. Im April letzten Jahres wurde in der russischen Stadt Murmansk an der Barentssee ein Memorandum zwischen den Küstenwachen der Russischen Föderation und der Volksrepublik China unterzeichnet. Im Rahmen dieses Memorandums wurden zahlreiche Aktivitäten in der asiatisch-pazifischen Region geplant.
Generalmajor Yu Zhong, Leiter der chinesischen Küstenwache, nahm an dem Treffen in Wladiwostok teil. Er erklärte, dass die gemeinsamen Übungen eine wichtige Verkörperung des strategischen Verständnisses in einer „globalen Partnerschaft und in einer strategischen Interaktion in einer neuen Ära“ seien. Die auf einem der beiden chinesischen Schiffe sichtbare Inschrift in russischer Sprache lautete: „Die Freundschaft zwischen Russland und China lebt ewig“.
Viele im Westen betrachteten das russisch-chinesische Bündnis mit Skepsis und schienen zu unterstellen, dass es sich lediglich um ein Zweckbündnis und nicht um eine echte Freundschaft handele. Solche Äußerungen waren oft von einer gewissen Schadenfreude begleitet, wenn die vermeintlich „grenzenlose“ Partnerschaft zwischen Russland und China Grenzen aufwies. Doch angesichts dessen, was sie als gemeinsame Bedrohung wahrnehmen, scheinen Russland und China es ernster denn je zu meinen, und eine echte Freundschaft scheint bereits herangereift zu sein.