Das Deutsche Heer am Pazifik (II)
Das Deutsche Heer nimmt ab Samstag erstmals an einem Großmanöver in der Asien-Pazifik-Region teil. Damit verstetigt sich die Präsenz der Bundeswehr dort. Die Militärkooperation richtet sich gegen China.
CANBERRA/BERLIN (Eigener Bericht) – Zum ersten Mal nimmt das Deutsche Heer ab diesem Samstag, 22. Juli 2023, an einem Großmanöver in der Asien-Pazifik-Region teil. Die Übung Talisman Sabre 2023 findet in Australien statt; sie ist Teil einer Manöverserie, die vor allem der Stärkung der australisch-US-amerikanischen Militärkooperation dient. In diese wird in jüngster Zeit zunehmend Japan einbezogen, so auch in Talisman Sabre 2023; damit entsteht ein immer enger kooperierender Militärblock, der sich gegen China positioniert. Mit der Teilnahme deutscher Fallschirmjäger und Marineinfanteristen an dem Großmanöver bindet sich auch die Bundeswehr enger an den Militärblock an. Während der Übung werden die deutschen Soldaten australischer und US-amerikanischer Führung unterstellt. Seit 2021 die Fregatte Bayern in die Asien-Pazifik-Region aufbrach, sind nun alle drei klassischen deutschen Teilstreitkräfte – Heer, Marine, Luftwaffe – zu Manövern in Australien gewesen. Gleichzeitig wird die deutsch-australische Rüstungskooperation intensiviert. So wird der Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall, der von Canberra Milliardenaufträge erhalten hat, die Bundeswehr mit in Australien gefertigten Radpanzern Boxer beliefern.
Talisman Sabre
Das Großmanöver Talisman Sabre wird alle zwei Jahre durchgeführt und findet in diesem Jahr schon das zehnte Mal statt.[1] Es handelt sich um die größte gemeinsame Kriegsübung der Streitkräfte Australiens und der Vereinigten Staaten, die nicht nur bei Übungen, sondern auch in Kriegen regelmäßig kooperiert haben; so beteiligten sich australische Truppen an den Kriegen in Afghanistan wie auch im Irak. Talisman Sabre ist dafür gedacht, gemeinsame Operationen unterschiedlicher Teilstreitkräfte aus unterschiedlichen Staaten zu trainieren; die Übung umfasst unter anderem Seeoperationen, amphibische Landungen, Operationen an Land und den Luftkampf. Beteiligt sind in diesem Jahr 13 Staaten. Den Kern bilden dabei die Streitkräfte der USA und Kanadas, Australiens und Neuseelands sowie Großbritanniens; die fünf Staaten kooperieren außen- und militärpolitisch recht eng und bilden gemeinsam das seit Ende des Zweiten Weltkriegs tätige Geheimdienstbündnis Five Eyes. Am Manöver beteiligt sind zudem Japan und Südkorea, die ihre Zusammenarbeit mit der NATO intensivieren.[2] Darüber hinaus nehmen aus der Asien-Pazifik-Region Indonesien und Papua-Neuguinea sowie die pazifischen Inselstaaten Fidschi und Tonga teil. Aus Europa sind neben deutschen auch französische Truppen eingetroffen; Frankreich begreift sich mit seinen Pazifik-Kolonien bis heute als pazifische Macht.[3]
«Realistische Übungsmöglichkeiten
Talisman Sabre 2023 beginnt an diesem Samstag (22. Juli) und dauert sodann zwei Wochen bis zum 4. August. Genutzt werden zahlreiche Standorte, die sich vom Westen des Landes bis zum Nordosten über den gesamten australischen Kontinent erstrecken; „so entstehen“, erläutert die Bundeswehr, „realistische Übungsmöglichkeiten, um abzubilden, wie eine große multinationale Streitmacht in einem weiten Einsatzgebiet funktionieren sollte“.[4] Die Bundeswehr nimmt mit über 200 Soldaten vor allem aus dem Heer, aber auch aus der Marine an dem Großmanöver teil, zu dem insgesamt rund 30.000 Militärs erwartet werden. „Die Heereskräfte kommen in der Masse aus dem Fallschirmjägerregiment 31“, heißt es bei der Bundeswehr; sie werden für Talisman Sabre 2023 „in eine multinationale Brigade integriert“, die „durch die Australian Army“ geführt wird. Außerdem werden Soldaten des Seebataillons – „der Marineinfanterie der Bundeswehr“, wie die Bundeswehr schreibt – bei dem Manöver eingesetzt; sie werden dabei „temporär den US-Marines unterstellt“. Eingesetzt werden sie in der Übung unter anderem bei „einer amphibischen Landung“. In welcher realen Situation die Bundeswehr in der Asien-Pazifik-Region bei einem Landemanöver zum Einsatz kommen könnte, teilt die Bundeswehr nicht mit. Den großen politischen Rahmen spannt der Machtkampf des Westens gegen China.
Militärblock gegen China
Einen Eindruck vom militärisch-strategischen Kontext des Großmanövers bieten einige Aktivitäten der japanischen Streitkräfte. Diese haben in den vergangenen Jahren ihre gemeinsamen Übungen mit den australischen Streitkräften ausgeweitet. Konkret steigern sie auch ihre Beteiligung an der Talisman Sabre-Übungsserie. Diese sei besonders wichtig, weil sie „die Kooperation mit Australien und den USA“ stärke, konstatiert der Stabschef des japanischen Heeres, General Morishita Yasunori.[5] Im Rahmen von Talisman Sabre 2023 wollen die japanischen Streitkräfte zum Beispiel ihre fortgeschrittenste Schiffsabwehrrakete (Type 12) abfeuern. Die Waffe hat eine Reichweite von 200 Kilometern. Das Manöver in Australien biete sich für den Test an, heißt es; die Gewässer um Japan herum seien allzu dicht befahren. Mit ihrer Reichweite könnte die Schiffsabwehrrakete in einem Krieg um Taiwan eingesetzt werden: Im Frühjahr hat Japan Patriot-Flugabwehrraketen auf Yonaguni stationiert, seiner Taiwan am nächsten gelegenen, kaum 100 Kilometer entfernten Insel [6]; würde die Schiffsabwehrrakete Type 12 gleichfalls dort platziert, dann gerieten die Gewässer vor Taiwan in ihr potenzielles Zielfeld. Japan will der Rakete ohnehin ein Upgrade verpassen; sie soll künftig eine Reichweite von zunächst 900, dann sogar 1.500 Kilometern erhalten.[7]
Regelmäßig präsent
Mit der Teilnahme an Talisman Sabre 2023 baut die Bundeswehr ihre Asien-Pazifik-Aktivitäten weiter aus. Begonnen hatten diese mit der Entsendung der Fregatte Bayern in den Indischen und den Pazifischen Ozean; das deutsche Kriegsschiff war im August 2021 aufgebrochen, hatte unter anderem in Australien und in Japan Station gemacht, war durch das Südchinesische Meer gefahren und im Februar 2022 schließlich zurückgekehrt.[8] Im Sommer vergangenen Jahres hatte die Luftwaffe ein Geschwader mit Eurofightern und Tank- bzw. Transportflugzeugen nach Australien entsandt, um dort an dem Großmanöver Pitch Black und weiteren Übungen teilzunehmen und anschließend einzelne Flugzeuge nach Japan, Südkorea und Singapur zu schicken.[9] Nun folgt das erste Asien-Pazifik-Manöver des Deutschen Heeres. Für das kommende Jahr ist bereits eine weitere Marinefahrt in den Pazifik angekündigt worden; mutmaßlich zwei deutsche Kriegsschiffe sollen durch den Panamakanal in den Ozean einfahren und dort unter anderem an dem US-Großmanöver RimPac 2024 teilnehmen. Zudem ist eine weitere Entsendung der Luftwaffe zu einer Übung in Australien geplant.[10] Damit bahnt sich eine regelmäßige Präsenz aller klassischer deutscher Teilstreitkräfte in der Asien-Pazifik-Region an.
Rüstungskooperation
Ergänzt wird sie um einen Ausbau der deutsch-australischen Rüstungskooperation. Das jüngste Beispiel dreht sich um eine Fabrik der Düsseldorfer Waffenschmiede Rheinmetall in Redbank bei Brisbane (Bundesstaat Queensland) an der Ostküste Australiens. Dort wird der Radspähpanzer Boxer gefertigt. Hintergrund ist, dass Rheinmetall 2018 den Auftrag erhalten hatte, dem australischen Heer 211 Radspähpanzer zu liefern – für rund 5,2 Milliarden Australische Dollar. Dafür musste Rheinmetall allerdings zusagen, den Boxer in Australien zu bauen. Dies geschieht in Redbank. Die Bundeswehr wünscht nun gleichfalls neue Boxer-Exemplare; mehr als hundert Stück sollen jetzt bei Rheinmetall Defence Australia gefertigt und anschließend nach Deutschland geliefert werden.[11] Damit finde Wertschöpfung in Höhe von rund einer Milliarde Australischer Dollar in Australien statt, wird berichtet. Dafür erhofft sich Rheinmetall den Zuschlag bei der Auftragsvergabe für den Bau eines neuen Schützenpanzers für das australische Heer; das deutsche Unternehmen konkurriert mit dem Lynx gegen den Redback des südkoreanischen Hanwha-Konzerns. Der Auftrag dürfte erneut Milliardenhöhe erreichen. Die Qualität des in Australien gebauten Radspähpanzers Boxer wird die Bundeswehr in Kürze in Augenschein nehmen können: Das Fahrzeug wird – erstmals überhaupt – bei Talisman Sabre 2023 genutzt.
Dieser Bericht erschien am 20. Juli 2023 au der Plattform der Organisation «German Foreign Policy». Sie gehört zu jenen deutschen Plattformen, die unbedingt beachtet werden müssen. Sie beobachtet die neue deutsche Militarisierung mit dem – notwendigen! – kritischen Auge.
Siehe dazu «Einem dritten Weltkrieg einen Schritt näher» (Zum offiziellen Communiqué der NATO anlässlich des Gipfeltreffens in Vilnius)
[1] Exercise Talisman Sabre. defence.gov.au.
[2] S. dazu Die NATO am Pazifik (II).
[3] S. dazu Das Deutsche Heer am Pazifik.
[4] Talisman Sabre 23. bundeswehr.de.
[5] Andrew Greene: Japan to fire advanced ship-killing missile on Australia’s shores. abc.net.au 19.07.2023.
[6] Keishi Koja: Missile-defense units arrive on Japan’s westernmost island ahead of North Korean launch. stripes.com 24.04.2023.
[7] Yoshihiro Inaba: Japan Doubles Down On Standoff Missiles To Deter China. navalnews.com 15.05.2023.
[8] S. dazu Die Fregatte Bayern auf Kolonialfahrt und Mit der Luftwaffe an den Pazifik.
[9] S. dazu Die zweite Front der Bundeswehr.
[10] S. dazu Antrittsbesuch in Washington und Kriegsübungen in Südostasien.
[11] Deutsche Schützenpanzer kommen bald aus Australien. Frankfurter Allgemeine Zeitung 11.07.2023.