Als Israels Premierminister Benjamin Netanyahu in der UNO-Vollversammlung das Rednerpult betritt, verlassen zahlreiche Abgeordnete aus Protest demonstrativ den Saal – aus gutem Grund. Netanyahu wusste denn auch nichts Gescheiteres, als die Anerkennung eines palästinensischen Staates als Schande zu bezeichnen. (Foto UNO)

Analyse | Brandstifter im Haus der Vereinten Nationen

(Red.) Die 80. Generalversammlung der Vereinten Nationen sollte zur Feier werden. Aber die gegenwärtige Situation bietet wenig Stoff zum Feiern. Auch die schlimmsten Initianten und Betreiber von Kriegen sitzen in der Versammlung und halten Reden. (cm)

Nicht nur, dass die Versammlung von einem in Sachen Diplomatie gänzlich unerfahrenen Shootingstar made in Germany geleitet wird, nicht nur dass mit US-Präsident Donald Trump und Benjamin Netanyahu erklärte Gegner der UN vor dem Plenum sprechen, auch ein langjähriger Al Qaida-Anführer, heute bekannt als Ahmed al-Sharaa, wird dort im Namen von Syrien sprechen. Der einstige Abu Mohammed al Jolani, der die Nusra Front gründete und in Hay’at Tahrir al Sham, HTS, die Allianz zur Befreiung der Levante umbenannte, wurde mit neuem Haarschnitt und Anzug und medialer Einrahmung in einen „Präsidenten“ verwandelt. 

Eigentlich sollte nach dem „Sturz des Regimes“ und dem Syrienkrieg mit der UN-Sicherheitsratsresolution 2254 aus dem Jahr 2015 ein politischer Übergang mit Neuwahlen, einer neuen Verfassung unter Führung und Beteiligung des syrischen Volkes beginnen. Das wird nicht stattfinden, wie der Al Qaida-gestählte neue „Interimspräsident“ erklärt. Er hat Fakten geschaffen. Dazu gehört eine Verfassung und ein neues Parlament. Von den 210 Abgeordneten wird er selber 70 ernennen. Die anderen 140 werden von Komitees ausgewählt, die er und seine Weggefährten von Hay’at Tahrir al Sham (HTS) ausgewählt haben. Allgemeine Wahlen finden mangels Ausweisen und Wahlregister nicht statt. Bei der „Befreiung“ Anfang Dezember 2024 war in Damaskus die Einwohnermeldebehörde geplündert und angezündet worden. 

Der UN-Sonderbeauftragte für Syrien, der erfahrene norwegische Diplomat Geir O. Pedersen, hat vor Beginn der UN-Vollversammlung seinen Rücktritt eingereicht, aus „persönlichen Gründen“. In Syrien sind neue Zeiten angebrochen, der politische Übergang im Dialog ist dabei nicht vorgesehen.

Schwere Niederlage

Nicht nur in Syrien sind die Vereinten Nationen mit schweren Niederlangen konfrontiert. Mehr als 120 „bewaffnete Konflikte“ weltweit hat das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (ICRC) registriert. Daran sind 60 Staaten und 120 nicht-staatliche Akteure beteiligt.

Alle Staaten sind Mitglieder der Vereinten Nationen und haben die UN-Charta sowie zahlreiche internationale Verträge unterschrieben. Alle brechen diese selbst erklärten Verpflichtungen und führen die Vereinten Nationen und die UN-Charta ad absurdum. 

Krieg gegen den Terror

Allen voran die Vereinigten Staaten von Amerika. Unter dem Motto „Krieg gegen den Terror“, der von den USA nach dem 11. September 2001 erklärt wurde, sind die US-Streitkräfte in 78 Ländern mit so genannten „anti-Terror“ Operationen unterwegs. Unter US-Präsident Barack Obama wurde das gezielte Töten mit Drohnen zur Staatsdoktrin. Der Tod aus dem Nichts per Drohne und ohne Vorwarnung wird heute auf allen Kriegsschauplätzen praktiziert. Der Journalist Jeremy Scahill, der schon über die Machenschaften der privaten US-Sicherheitsfirma Blackwater auch im Irak aufklärte, beschreibt in seinem Buch „The Assassination Complex“, der Mordkomplex, detailliert, wie das Töten per Drohne vor sich geht. 

Jeder Angriff wird vom US-Präsidenten persönlich unterzeichnet, die so genannte „Kill List“, Todesliste, wurde von Barack Obama einmal wöchentlich unterzeichnet. Auf den Friedensnobelpreisträger Obama folgte US-Präsident Donald Trump. 

Von Zentralasien bis zum Atlantik sind nahezu alle Länder von dem US-geführten „Krieg gegen den Terror“ betroffen, mindestens 38 Millionen Menschen ergriffen in die Flucht. 

In den „Kriegen gegen den Terror“ seit dem 11. September 2001 im Irak, Afghanistan, Syrien, Jemen und Pakistan wurden von 2001 bis 2023 mehr als 940.000 Menschen direkt getötet, heißt es in einem Bericht des Projekts über die Kosten des Krieges am Watson Institute der Brown Universität in Rhode Island, USA. Mehr als 432.000 von ihnen waren Zivilisten.

Die Zahl der Menschen, die indirekt an den Folgen der Kriege starben, werden auf 3,6-3,8 Millionen geschätzt. Damit steigt die geschätzte Zahl der Toten dieser Kriege auf mindestens 4,5-4,7 Millionen Menschen – und täglich steigt diese Zahl.

Völkermord in Gaza

Seit dem 7. Oktober 2023 „verteidigt“ sich Israel nicht nur mit einem Vernichtungskrieg gegen die Bevölkerung des Gaza-Streifens, Israel führt auch einen „Krieg gegen den Terror“, gegen die Hamas. Der Krieg richtete sich zunächst gegen den palästinensischen Gaza-Streifen, weitete sich dann auf das Westjordanland, Libanon, Syrien, Irak, Jemen und schließlich auf den Iran aus. Trotz internationalem Haftbefehl wegen möglicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, reiste der israelische Ministerpräsident Netanyahu in die USA, um vor der UN-Vollversammlung zu sprechen. 

Die Kriege, die Verwüstungen, die Morde, die Vertreibung – alles sind Niederlagen für die Vereinten Nationen. Sie waren nicht in der Lage, vor dem Ausbruch der Kriege zu vermitteln und eine Verständigung auszuhandeln. Vielmehr wurden sie selber immer mehr zum Ziel. Die Kriege und „bewaffneten Konflikte“ weltweit sind in der Tat von UN-Mitgliedsstaaten zu verantworten, für die weder das Internationale Recht noch die UN-Charta in ihrem Grundsatz von Bedeutung sind. 

Die UN-Charta und ihre Feinde

Ein Blick auf die Präambel der Vereinten Nationen zeigt, dass die einfachsten und dringlichsten Forderungen der „Völker der Vereinten Nationen“ lautet, die Menschen „vor der Geißel des Krieges“ zu bewahren.  Die “Grundrechte des Menschen, seine Würde und der Wert der menschlichen Persönlichkeit, die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein“, sollen gestärkt und „Bedingungen“ geschaffen werden, unter denen „Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können. Der soziale Fortschritt und ein besserer Lebensstandard in größerer Freiheit“ soll gefördert werden. Um das zu erreichen, werde man „Duldsamkeit üben und als gute Nachbarn in Frieden miteinander leben, unsere Kräfte vereinen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren.“ 

Die US-Administration, der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, der in einen „Präsidenten“ verwandelte Al Qaida Anführer Ahmed al Sharaa und viele ihrer Helfershelfer und Adjutanten haben diese Prüfung nicht bestanden. Sollten sie die Präambel zur UN-Charta überhaupt kennen, haben sie nur Verachtung und Hohn für sie übrig.

Im Bündnis mit dem, was von den ehemaligen westlichen imperialen Kolonialstaaten geblieben ist, halten die USA sich für überlegen. Dialog und Mediation gelten für sie nicht, manche halten sich für „auserwählt“, für „unverzichtbar“ oder für die Vertreter einer „regelbasierten Ordnung“, die auf den Rest der Welt herabsieht, weil dort ein Dschungel ist, wie der ehemalige EU-Außenkommissar Josep Borrell sagte. 

Brandstifter im eigenen Haus

Die Vereinten Nationen sind mit Brandstiftern im eigenen Haus konfrontiert. Sie tragen die Verantwortung für Völkermord, Verwüstung und Vertreibung und machen auch vor Organisationen der Vereinten Nationen – wie UN-Diplomaten, UN-Missionen oder dem UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge, UNRWA – nicht Halt. „We, the people“, wir die Völker der Vereinten Nationen, wie es am Anfang der UN-Charta heißt, gibt es für diese Brandstifter nicht. Sie halten sich für die Herrscher der Welt. 

Deutlich wird das an einer Erklärung des US-Außenministeriums anläßlich eines „Transatlantischen Abendessens“, das Außenminister Marco Rubio am Rande der UN-Vollversammlung gab. Allein die Idee eines solchen Abendessens angesichts einer Hungersnot in Gaza und 150 Millionen unterernährten Kindern weltweit, spricht für sich. 

Alle Eingeladenen waren gekommen: die Außenminister der EU- und NATO-Mitgliedsstaaten, NATO-Generalsekretär Mark Rutte, EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas, die Außenminister Armeniens, Aserbeidschans, der Schweiz und der Ukraine. Es wurde über Frieden und Wohlstand geredet, über die Verpflichtung der NATO-Mitgliedsstaaten, ihre Rüstungsausgaben zu erhöhen und die Abschreckung auszuweiten, über die Bedeutung des diplomatischen Engagements, um den Russland-Ukraine-Krieg zu beenden. Besonders wichtig war es dem US-Außenminister sicherzustellen, dass die Feindbilder und die Aufgabenverteilung stimmen. Der „bösartige chinesische Einfluß“ müsse gestoppt werden, die vertretenen Staaten und Organisationen müssten den Mittleren Osten stabilisieren. Dazu gehöre auch sicherzustellen, „dass der Iran niemals Atomwaffen entwickeln oder erhalten“ könne.

Der endlose Krieg

Für den Mittleren Osten bedeutet die beschriebene Agenda Kooperation mit Israel gegen Iran und die Staaten der Region und für die Menschen noch mehr Krieg. Die Brandstifter planen schon den nächsten Aufmarsch. Am Rande der UN-Vollversammlung verhandeln sie über die Zukunft des Gaza-Streifens. Die Rede ist von einem 21-Punkte-Plan für Gaza und den Mittleren Osten, es wird über eine internationale Schutztruppe nachgedacht. 

Der US-Präsident möchte eine „Riviera“ im Gaza-Streifen errichten, andere planen Siedlungen. Es wird über eine zukünftige palästinensische Regierung nachgedacht, ohne Beteiligung der Hamas, aber auch ohne die Beteiligung der Palästinenser aus dem Gaza-Streifen überhaupt. 

Palästinensische Vertreter drängen auf einen Wiederaufbau des Gaza-Streifens unter eigener Verwaltung. Sie fordern Neuwahlen. Israel strebt die Einrichtung einer alternativen Zivilverwaltung an, die Israel nicht bedroht. Die Forderung der Palästinenser nach Sicherheit und ein Ende der Bedrohung durch Israel seit 77 Jahren kommt in den Gesprächen nicht vor.

Der Krieg geht weiter. Die Menschen, um die es bei den Vereinten Nationen gehen sollte, haben keine Stimme. Ein Fotograf der Nachrichtenagentur Reuters dokumentiert Menschen, die er unmittelbar nach erneuten Luftangriffen auf Gaza-Stadt zwischen den Trümmern entdeckte. Schreiende, mit Staub überdeckte Kinder auf einem Balkon, ein alter Mann vor der Ruine eines Hauses im Shati Flüchtlingslager.  Kinder, die im Staub nach einem Luftangriff eine Straße entlanglaufen. Ein weinendes Mädchen trägt ein weinendes Kleinkind auf dem Arm. Ein anderer Fotograf für die Nachrichtenagentur AP dokumentiert einen Jungen, der den Leichnam eines Mannes über der Schulter trägt. Der Mann war bei dem Versuch, Nahrungsmittel zu bekommen, unweit eines Verteilzentrums für Lebensmittel der US-israelischen Organisation Gaza Humanitarian Foundation (GHF) getötet worden.

Das Feuer schüren

Am 25. September meldet die israelische Armee, dass israelische Kampfjets innerhalb von 24 Stunden 170 (!) „terroristische Ziele“ im Gaza-Streifen bombardiert haben und weiter bombardieren. Die Palästinensische Gesundheitsbehörde teilt mit, dass mehr als 65.500 Palästinenser seit dem 7. Oktober 2023 im Gaza-Streifen getötet wurden. Die Zahl der Verletzten im gleichen Zeitraum beträgt demnach 167160. Tausende Menschen werden unter Trümmern vermisst.

Am 26. September spricht Netanyahu im Plenum der Vereinten Nationen in New York. Viele Delegierte verlassen den Saal aus Protest, in den Straßen von New York finden große Demonstrationen gegen Netanyahu statt, der auf seinem Kurs beharrt. Der Krieg gegen Iran sei ein Erfolg, die „Terroristen“ von Hisbollah, Houthis und Hamas seien vernichtet. Noch sei „der Job in Gaza nicht zu Ende gebracht“

Die USA und Deutschland liefern weiter Geld und Waffen an den Brandstifter in Tel Aviv und seine Regierung. Und Deutschland kauft auch israelische Waffen

Mitte August bestellt das Bundeswehrbeschaffungsamt beim israelischen Rüstungskonzern Rafael 90 Laserzielbeleuchter Litening V für deutsche Kampfjets. Der Haushaltsausschuss des deutschen Bundestages hat zugestimmt.

Die Brandstifter schüren weiter das Feuer im Haus der Vereinten Nationen. Und das ist die ganze Welt. 

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