Bill Browder: Der sogenannte «Menschenrechtsaktivist», der selbst mit undurchsichtigen Geschäften reich geworden ist.
Der US-Investor will ehemalige Schweizer Beamte sanktionieren, weil sie Gelder von Russen nicht enteignet haben. Browder selbst ist ein verurteilter Straftäter. Er half mit, in den 1990er-Jahren den russischen Staat auszuplündern. Dabei spannte er mit Geschäftspartnern zusammen, die ihr Geld auch über das organisierte Verbrechen verdienten, sagen verschiedene Quellen.
Die Schweiz unterstützt mit ihrem Finanzplatz russische Oligarchen – und damit auch Wladimir Putins Krieg in der Ukraine. Das ist die Meinung von Bill Browder. Der US-Investor und Multimilliardär fährt gegenwärtig eine regelrechte Kampagne gegen die Schweiz. Browder kann dabei auf ein grosses Netzwerk von einflussreichen Personen zählen. Er ist bestens verbandelt mit den westlichen Machteliten.
Grosse Schweizer Medien boten Browder in den letzten Wochen mehrmals eine Bühne. Er nutzte diese, um seine Angriffe auf die Schweizer Banken und das Justizsystem zum Besten zu geben. Browder zufolge macht sich Bern heute zum Komplizen von Putin.
Erst kürzlich sprach er neben weiteren Personen vor der Helsinki-Kommission, einem Ausschuss des US-Kongresses, in dem mögliche Sanktionen gegen die Schweiz thematisiert wurden. Dort kritisierte er die Schweiz hinsichtlich ihrer Ukraine- und Russland-Politik scharf. Nun beabsichtigt diese Kommission, Schweizer Bürger zu sanktionieren. Einen entsprechenden Antrag hat sie jüngst gestellt. Im Visier stehen Ex-Bundesanwalt Michael Lauber und zwei weitere ehemalige Bundesbeamte. Browder forderte gar, dass auch noch Stefan Blättler, der derzeitige Schweizer Bundesanwalt, sanktioniert werden soll. Diese Forderung lehnte die Helsinki-Kommission jedoch ab.
Die Aussenpolitische Kommission des Ständerats (APK-S) wies die Angriffe am 22. August zurück. Auch das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) wehrt sich. Es hat jüngst gegen das Vorgehen der Kommission protestiert und sprach von «unbelegten Anschuldigungen», die das Aussendepartement als «inakzeptabel» erachte.
Browder bezichtigt die Schweizer Beamten der Korruption im Zusammenhang mit der Affäre um Sergei Magnitski, der am 16. November 2009 in einem russischen Gefängnis gestorben ist. Von den Ungereimtheiten in dieser Angelegenheit wird gleich noch die Rede sein.
Die kurze Version, die Browder schon unzählige Male der Welt vermittelt hat und die nahezu alle grossen Medien unkritisch übernommen haben, lautet: Sergei Magnitski, der als «Anwalt» für Browder tätig war, deckte auf, wie sich korrupte russische Beamte bereicherten und dem Staat 230 Millionen Dollar stahlen. Als Vehikel dafür habe ihnen Browders Firma «Hermitage Capital Management» gedient, die sie mit gefälschten Dokumenten enteigneten. Weil er diesen Skandal enthüllt habe, sei Magnitski später ums Leben gekommen. Für die Verbrechen machte Magnitski die zwei Polizisten Pawel Karpow und Artjom Kusnezow verantwortlich. Diese verhafteten ihn später und sorgten dafür, dass er ins Gefängnis kam, wo er 2009 umgebracht wurde. Soweit die Sicht von Bill Browder.
Beteiligt an diesem Steuerskandal ist dem US-Investor nach auch die Schweiz. Der Grund dafür: Ein Teil des Geldes, das mutmasslich korrupte Russen vom Staat geplündert hatten, soll auf Konten der UBS und CS geflossen und hierzulande gewaschen worden sein. Dies rief Browder auf den Plan. 2011 reichte er im Namen seiner Fondsgesellschaft Strafanzeige ein. Die Bundesanwaltschaft eröffnete im selben Jahr ein Strafverfahren wegen des Verdachts auf Geldwäscherei. 18 Millionen Franken wurden in diesem Zusammenhang vorübergehend beschlagnahmt. Im Juli 2021 setzte die Bundesanwaltschaft allerdings einen Schlussstrich unter das Verfahren und stellte es ein.
«Gestützt auf ihre umfangreichen Ermittlungen stellt die BA fest, dass kein erhärteter Tatverdacht vorliegt, der eine Anklage in der Schweiz rechtfertigen würde», schrieb die Bundesanwaltschaft damals in ihrer Medienmitteilung. Allerdings liess die Bundesanwaltschaft vier Millionen Franken einziehen – da ein «Zusammenhang zwischen einem Teil der in der Schweiz beschlagnahmten Vermögenswerte und der in Russland begangenen Straftat nachgewiesen werden konnte».
Seit das Verfahren eingestellt worden ist, läuft Browder Sturm. Die Schweiz? In seinen Augen ein Schurkenstaat. Die Bundesanwaltschaft? Ein korrupter Haufen. Diese hat Browder inzwischen die Stellung als Privatkläger abgesprochen. Sie kam im Rahmen ihrer Ermittlungen zum Schluss, «dass trotz der umfangreichen Untersuchungen nicht nachgewiesen werden konnte, dass die Gelder, die Gegenstand des Schweizerischen Verfahrens bilden, von einer Straftat herrühren, die zum Schaden von ‹Hermitage Capital› begangen wurde».
Browder will das nicht akzeptieren. Er hat Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht. Das Urteil steht noch aus. Vor diesem Hintergrund lancierte der US-Investor zuletzt eine regelrechte Kampagne gegen die Schweiz. Der Grund: Hierzulande seien im Zusammenhang mit der Magnitski-Affäre 14 Millionen Franken an «korrupte Russen» gezahlt worden, sagte er am 14. August gegenüber der Luzerner Zeitung und anderen Zeitungen des Medienkonzerns CH-Media in einem Interview. In diesem blies er zum Grossangriff. «Die Schweiz muss endlich sauber werden», meinte Browder. Er bezichtigte das Land, nicht «zuverlässig» zu sein.
Ein Dorn im Auge ist für Browder, dass sich die Schweiz nicht stramm auf US-Linie bewegt. Im Ukraine-Krieg, der vor allem ein Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland ist, sei die Schweiz zu russlandfreundlich – insbesondere der hiesige Rohstoff- und Finanzplatz, auf dem russische Gelder gelagert seien. «Gemäss der Schweizer Bankiervereinigung werden bis zu 200 Milliarden russische Gelder in der Schweiz gehalten», sagte Browder. Doch davon habe die Schweiz nur 7,5 Milliarden eingefroren. Auch wirft er der Schweiz vor, nicht bei der Taskforce der G7-Staaten mitzumachen, um «korrupte Russen» aufzuspüren. Er kritisiert zudem, dass Schweizer Waffen nicht in die Ukraine gelangten.
Browder beansprucht genau zu wissen, was für die Schweiz richtig ist. Er zieht eine direkte Linie von der Affäre über die nachrichtenlosen Vermögen, welche die Schweiz in den 1990er Jahren bewegte, hin zur Gegenwart. Wörtlich: «Die Schweiz war auch auf die Hilfe der USA angewiesen, um das Raubgold der Nazis an die jüdischen Familien zurückzuerstatten. Und die Schweiz war auch auf die Hilfe der USA angewiesen, um die geheimen Bankkonten von Geldwäschern zu schliessen. Auch heute hält die Schweiz stur an ihrer Tradition fest (…). Das Land muss sich nun modernisieren und ein Teil der zivilisierten Welt werden, wenn es um finanzielle Angelegenheiten geht. Offenbar ist das ohne die USA nicht möglich.»
Beistand erhielt der US-Investor bei seinen jüngsten Attacken meist auch noch von den grossen Schweizer Medien. Kritische Distanz? Fehlanzeige. Die hiesigen Journalisten haben die Aussagen von Browder bisher kaum hinterfragt. Im Gegenteil: Einzelne Journalisten machten sich die Argumente von Browder unkritisch zu eigen. Die NZZ bezeichnete ihn jüngst gar als «Menschenrechtsaktivisten» – Wikipedia lässt grüßen. Grund genug, sich etwas ausführlicher mit Bill Browders Vergangenheit und seinen widersprüchlichen Aussagen auseinanderzusetzen.
Der Investor, der über jeden Zweifel erhaben ist
Der gebürtige US-Amerikaner, der aus Steuergründen die britische Staatsangehörigkeit angenommen hat, bewegt sich mit seinen Positionen in der Nähe der US-Neokonservativen, die sich für die Vormachtstellung der USA in der Welt stark machen.
Putin ist für Browder «genauso wie Osama bin Laden ein Terrorist». Der US-Investor plädiert auch für ein härteres Vorgehen gegen China. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass Xi Jinping in Taiwan einmarschiere. An Selbstvertrauen mangelt es dem US-Investor nicht: Mit seiner Anti-Russland-Kampagne will er aufgedeckt haben, wie Russland zugunsten von Donald Trump die US-Präsidentschaftswahlen 2016 manipuliert hatte. Dies zumindest behauptet er in seinem Buch «Freezing Order». Inzwischen ist längst klar, dass die Geschichte der russischen Wahleinmischung wenig mit der Realität zu tun hatte (siehe hier und hier).
Bevor Browder in Russland als Investor für Schlagzeilen sorgte – wovon noch die Rede sein wird –, arbeitete er Anfang der Neunzigerjahre für den Medienmagnaten und Multimilliardär Robert Maxwell. Maxwell baute zur damaligen Zeit einen osteuropäischen Investmentfonds auf. Browder war für einen Teil von Maxwells Investitionen verantwortlich und reiste ausgiebig durch den ehemaligen kommunistischen Block.
Maxwells Geschäftsimperium brach zu Beginn der 1990er-Jahre jedoch zusammen. Er sass auf einem Schuldenberg. Um seine Firmen weiterführen zu können, griff Maxwell zu Betrügereien. Er entwendete 460 Millionen Pfund aus dem Pensionsfonds der «Maxwell Communications Corporation», dadurch sind Tausende von Angestellten und Rentner mittellos geworden. Die BBC bezeichnete den Multimilliardär damals als den grössten Betrüger der britischen Geschichte. Maxwell starb im November 1991 auf mysteriöse Weise während eines Urlaubs auf den Kanarischen Inseln.
«Für Browder war die Arbeit für Maxwell Gift für seine Karriere. Eine Zeit lang wollte ihn kein anderer Arbeitgeber mehr einstellen», schreibt Alex Krainer, der in seinem Buch «The Killing of William Browder» ausführlich den Aufstieg Browders nachgezeichnet hat.
Robert Maxwell ist der Vater von Ghislaine Maxwell, der ehemaligen Vertrauten von Jeffrey Epstein. Epstein, der über Jahre einen Ring zur sexuellen Ausbeutung von Minderjährigen unterhalten hatte, starb 2019 im Gefängnis. Ghislaine Maxwell wurde 2022 im Zusammenhang mit der Epstein-Affäre zu 20 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
Nach seiner Tätigkeit für Maxwell fand Bill Browder schliesslich Mitte 1992 einen neuen Job bei Salomon Brothers, einer skandalumwitterten Investmentbank. Zu grösserer Bekanntheit gelangte der US-Investor gegen Ende der 1990er-Jahre, als er sich während den «Räuberjahren» in Russland einen Namen als Investor machte. Damit schlug Browder einen Weg ein, der ganz und gar nicht für ihn vorgesehen war. Browders Grossvater, Earl Browder, war eine schillernde Persönlichkeit innerhalb der Kommunistischen Partei der USA gewesen. Er hatte 1936 und 1940 für die US-Präsidentschaftswahlen kandidiert. Browders Vater wiederum, Felix Browder, war ein bekannter Mathematiker.
«Mein Grossvater war der grösste Kommunist der USA (…). Ich wollte der grösste Kapitalist in Russland werden», sagte Browder am 20. August 2023 gegenüber dem SonntagsBlick.
Diesem seinem Ziel kam der US-Investor sehr nahe: In der Ära von Präsident Boris Jelzin war Browder mit seinem Hermitage Fonds teilweise der grösste ausländische Investor in Russland. Bereits kurz nach seinem Start in Moskau gelang es Browder, mit seinem Fonds enorme Profite zu erzielen. Autor Krainer schreibt dazu:
«Im Jahr 1997 erzielte der Hermitage Fonds einen Zuwachs von 235 Prozent. Damit verzeichnete der Fonds in diesem Jahr die weltweit beste Performance. Noch beeindruckender war, dass der Fonds seit seiner Auflegung um 718 Prozent zugelegt hatte. Sein verwaltetes Vermögen war von anfänglich 25 Millionen Dollar auf über 1 Milliarde Dollar angestiegen.»
Innerhalb von wenigen Jahren ergatterte er Aktiva im Wert von 4 Milliarden Dollar. Anfangs war Browder zudem, ganz anders als heute, lange ein Unterstützer von Präsident Wladimir Putin. Browders Fonds investierte Geld in russische Firmen wie zum Beispiel Gazprom. Seine Strategie lautete: Geld in korrupte Unternehmen zu investieren und diese dann medial und öffentlich an den Pranger zu stellen und sie damit in eine saubere Richtung zu lenken. Daraufhin stieg oftmals der Aktienkurs, wovon Browder und seine Firma wiederum profitierten.
Geschäftspartner bewegten sich wiederholt in der Illegalität
Browder, ausgestattet mit einem «Saubermann-Image», spielt sich heute gerne als Menschenrechtsaktivist auf. Furchtlos nimmt er dabei den Kampf gegen das autokratische Putin-Regime auf, so das im Westen vermittelte Bild. Doch mit der Realität hat das «Saubermann-Image» von Browder wenig zu tun. Möglich war sein Aufstieg in Russland nur dank wichtiger Unterstützer aus der Geldelite, die keine Berührungsängste vor dem organisierten Verbrechen hatte. Zu seinen wichtigsten Geschäftspartnern in Russland zählten unter anderem Edmond Safra und Beny Steinmetz. Browders Hermitage Fonds startete Mitte der 1990er Jahre mit einer «25-Millionen-Dollar-Startkapitalinvestition von Safra und Steinmetz», wie Autor Krainer schreibt.
Werfen wir an dieser Stelle einen kurzen Blick auf Safra: Edmond Safra war ein sephardischer Jude aus Beirut mit brasilianischem Pass. 1932 geboren, war er lange der Patriarch des Safra-Clans. Er operierte von Genf aus; der Stadt, die er zur «Welthauptstadt des Sephardim-Banking» gemacht hatte, wie Gian Trepp in seinem Buch «Swiss Connection» schrieb. Edmond Safra kam 1999 unter mysteriösen Umständen bei einem Brand in seinem Penthouse in Monaco ums Leben.
Zu Lebzeiten galt Safra, den der Journalist Bryan Burrough einst als das «Genie der Bankenwelt» bezeichnet hatte, als einer der zwanzig reichsten Männer der Welt. Safra war bestens vernetzt mit westlichen Politikern. Zu seinen Freunden zählte unter anderem auch Henry Kissinger, der von 1973 bis 1977 Aussenminister der USA war. Mehrere seiner Banken waren in den 1990er Jahren wiederholt in dubiose Geschäfte involviert gewesen. Safras Banken sollen für die Shakarchi Trading Company Geldwäscherei betrieben haben. Im Verwaltungsrat von dessen Firma sass damals auch Hans W. Kopp, der Ehemann der ersten Schweizer Bundesrätin Elisabeth Kopp, was letzterer später zum Verhängnis wurde.
Einem Untersuchungsbericht der US-Drogenvollzugsbehörde (DEA) zufolge liefen die «mutmasslichen Drogenwäschetätigkeiten» von Mahmouds Shakarchi unter anderem über Safras Republic National Bank of New York.
Edmond Safra hatte 1956 in der Calvin-Stadt die Trade Development Bank gegründet. In den sechziger Jahren expandierte die Bank und eröffnete zahlreiche Filialen weltweit. 1966 gründete Safra auch einen Ableger in den USA, die Republic National Bank of New York. 1999 kaufte die HSBC Teile des Safra-Imperiums auf – darunter die Safra Republic Corporation sowie die Republic New York Corporation, die Holdinggesellschaft der Republic National Bank of New York. Einen Kauf, den die HSBC später noch bereuen sollte. Ein Teil der Gelder, die HSBC von den Safra-Banken übernommen hatte, stammte aus krimineller Herkunft, wie der Finanzjournalist Gian Trepp bemerkte. Im Zuge der Swissleaks-Enthüllungen deckten Journalisten auf, dass Kunden der HSBC in Genf in Waffen-, Drogenhandel und Terrorfinanzierung involviert gewesen seien.
Gute Geschäfte machte Edmond Safra zunächst auch mit Browder in Russland. Die Republic National Bank of New York verkaufte in den 1990er Jahren Milliarden von US-Dollar-Noten an Dutzende korrupte russische Banken. Viele dieser Banken waren jedoch nur Fassade und dienten in Wahrheit dem organisierten Verbrechen in Russland. Dies deckte der Journalist Robert Friedman 1996 auf. In einem CIA-Bericht von 1994 werden zehn der grössten russischen Banken als Strohmänner bezeichnet.
Bis heute zählt der Safra-Clan zu den Reichsten der Reichen. Unter den 300 Reichsten der Schweiz belegte die Familie Safra 2018 den vierten Platz mit einem geschätzten Vermögen von 19 bis 20 Milliarden Schweizer Franken.
Genauso wie Safra bewegte sich auch Beny Steinmetz, der zweite wichtige Geschäftspartner von Browder in Russland, wiederholt in der Illegalität. Steinmetz, auf den wir an dieser Stelle nur kurz eingehen werden, gehört ebenfalls zur Klasse der Superreichen. Sein Vermögen wird auf eine Milliarde Dollar geschätzt. Der israelisch-französische Rohstoff- und Diamantenhändler ist Eigentümer der Beny Steinmetz Group Resources (BSGR), einem Unternehmen, das im Abbau von Bodenschätzen in afrikanischen Ländern wie Guinea und Sierra Leone sowie auch im Immobilienhandel tätig ist. Ein Genfer Berufungsgericht hat Steinmetz im April 2023 der Bestechung ausländischer Amtsträger für schuldig befunden. Steinmetz wurde zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt, von der er 18 Monate absitzen muss. Der Milliardär hat dem Gericht zufolge in Guinea Politiker bestochen. Er zahlte Mamadie Touré, der vierten Ehefrau des verstorbenen guineischen Präsidenten Lansana Conté, 8,5 Millionen US-Dollar. Dadurch erhielt er die Schürfrechte in der Region Simandou, heisst es im Gerichtsurteil.
Magnitski-Story: Die Widersprüche
Zurück zu Browder: Den russischen Behörden missfielen Browders Aktivitäten ab den frühen Nullerjahren mehr und mehr. Browders Firmen gerieten ins Visier der Justizbehörden. 2004 ermittelten sie gegen Browders Fondsgesellschaft wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung. 2005 musste Browder das Land verlassen. Ihm wurde damals sein Visum entzogen.
Interessant wird die Geschichte spätestens 2009, nach dem Tod von Magnitski. Nun setzte Browder alle Hebel in Bewegung und machte seinen Einfluss auf Medien und Politik im Westen geltend. Er weibelte für Sanktionen gegen Russland – einen Staat, der für Browder nun alles Böse der Welt verkörperte.
2012 feierte er erste Erfolge. In diesem Jahr verabschiedete der damalige US-Präsident Barack Obama den sogenannten Magnitsky Act. Das Gesetz sanktionierte russische Bürger, die für den Tod von Magnitski verantwortlich gemacht wurden. Später sollte das Gesetz mehrfach noch verschärft und in weiteren westlichen Ländern implementiert werden.
Als Grundlage für das Gesetz diente der US-Politik ein Bericht des russischen «Human Rights Council». Dieser kam zum Schluss: Acht Gefängniswärter prügelten an seinem Todestag mit Gummi-Stöcken auf Magnitski ein. Daraufhin durften die Notärzte für eine Stunde und 18 Minuten seine Zelle nicht betreten, bis er bereits tot war. Als Quelle für seinen Bericht berief sich der «Human Rights Council» lediglich auf den US-Investor.
Das Problem dabei: Browder kann viele seiner Aussagen nicht untermauern. Dies deckte unter anderem auch «Der Spiegel» in einer Recherche auf – und ausgerechnet dieses Nachrichtenmagazin ist gewiss nicht für eine besonders russlandfreundliche Berichterstattung bekannt. Zwar kann Browders seine Behauptung, dass Magnitski ermordet worden sei, nicht beweisen. Doch das hielt ihn nicht davon ab, diese Geschichte in den vergangenen Jahren pausenlos der Welt zu erzählen – unter anderem auch vor dem kanadischen Parlament.
Als Beleg für seine Äusserungen verwies Browder gegenüber dem deutschen Nachrichtenportal auf den Bericht der Untersuchungskommission. «Der Spiegel» schrieb 2019 dazu: «Den (Bericht der Untersuchungskommission, Anm. der Red.) führt er auf seiner Website auch als Beleg dafür an, dass dieselben Beamten, die Magnitski belastet haben, ‹ihn gezielt folterten und schliesslich ermordeten›. In dem Dokument selbst fehlt aber jeder Hinweis auf eine vorsätzliche Tötung. Die beiden Polizisten Karpow und Kusnezow – angeblich Drahtzieher des Mordes – tauchen im russischen Original des Kommissionsberichts nicht auf. Kusnezow wird nur in einer englischen Übersetzung auf Browders Website erwähnt.»
Karpow klagte später vor einem Londoner Gericht wegen übler Nachrede gegen Browder. Zwar erklärte der zuständige Richter Justice Simon die britische Justiz formal für nicht zuständig. In der schriftlichen Begründung seiner Entscheidung sind für den US-Investor aber vernichtende Sätze zu finden: Browder sei ein «Storyteller» – ein Geschichtenerzähler. Er sei «nicht mal nahe dran gewesen, seine Beschuldigungen mit Fakten zu untermauern».
«Der Spiegel» fand in seiner Recherche auch heraus, dass – anders als Browder behauptet – Magnitski die erwähnten Beamten überhaupt nicht belastet habe. Über das Protokoll des russischen Kommissionsberichts schreibt die Nachrichtenseite: «Zwar erwähnt Magnitski die Namen der beiden Ermittler fast 30-mal und beschreibt ihre Rolle bei einer Durchsuchung. Er erhebt aber an keiner Stelle einen konkreten Vorwurf gegen sie persönlich. In einem zweiten Protokoll einer Aussage vom 7. Oktober werden Karpow und Kusnezow gar nicht genannt. Aus der Form des ersten Schriftstücks geht zudem hervor, dass Magnitski die Aussagen nicht ganz aus freien Stücken tätigte, sondern als Zeuge in einem Verfahren.»
«Zeuge in einem Verfahren» war Magnitski, weil die russischen Behörden – wie bereits erwähnt – gegen Browders Fondsgesellschaft wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung ermittelten. Dabei war Magnitski auch nicht Browders «Anwalt», sondern seit Jahren als Buchhalter für ihn tätig.
Auf diese Tatsachen und die widersprüchlichen Aussagen von Browder machte auch Andrei Nekrassow aufmerksam. Der Regisseur hatte 2017 den Film «The Magnitski Act – Behind The Scenes» gedreht. Nekrassow ist ein Putin-Kritiker, der Browder anfangs noch geglaubt hatte. Er merkte aber: Die Browder-Geschichte weist zahlreiche Lücken und Widersprüche auf. Der Regisseur, der die Originaldokumente aus dem Russischen studiert hat, sagt: «Die Ermittler befragten Magnitski, weil er Browders Buchhalter war.» Nekrassow betont ebenso, dass Magnitski die Polizisten nicht beschuldigt habe. Das Problem mit der Browder-Story vor diesem Hintergrund ist bloss: «Magnitskis Anschuldigung gegenüber Karpow bildet die Grundlage für die Browder-Story», sagt Nekrassow. Doch diese Anschuldigung beruhe auf einer Fiktion von Browder. Ohne sie falle das Kartenhaus in sich zusammen.
Nekrassow sprach in seinem Film auch mit der Mutter von Magnitski. Sie zweifelt – anders als Browder – daran, dass ihr Sohn gezielt umgebracht worden sei. «Versuchten sie ihn zu töten? Ich weiss es nicht.» Sie kritisierte die miserablen Haftbedingungen im Gefängnis. Diese hätten sicherlich auch dazu geführt, dass ihr Sohn ums Leben kam. Die harschen Bedingungen erklärt sie sich auch mit dem Verfahren, das damals gegen Browders Firmen lief: «Sie versuchten, dass er (Magnitski, Anm. der Redaktion) ein Schuldgeständnis machen oder Bill (Browder, Anm. der Redaktion) belasten würde.»
Trotz offensichtlicher Widersprüche und Lücken in Browders Erzählung ist es dem US-Investor gelungen, grosse Teile der westlichen Politiker von seinem Kampf für «Gerechtigkeit» zu überzeugen. Auch den Europarat konnte Browder mit seiner «Story» für sich gewinnen: Das ehemalige Europaratsmitglied Andreas Gross stützte sich in seinem vielbeachteten Bericht über die Magnitski-Affäre hauptsächlich auf die Quellen von Browder. Den Bericht verfasste der ehemalige Schweizer SP-Nationalrat im Juni 2013 im Auftrag der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. «Die Dokumente, die wir haben, stammen alle aus Browders Quellen. Wir mussten immer die Übersetzungen von Browders Büro benutzen, weil ich selbst kein Russisch lese», erklärte Gross im Interview mit Nekrassow. Später wies Gross in einem Leserbrief für die FAZ den Vorwurf der Einseitigkeit zurück. Er konnte allerdings keine Belege vorlegen für seine Aussage. Die FAZ wiederum weigerte sich, eine Replik von Nekrassow zu drucken.
Politiker und Medienschaffende verwiesen in den letzten Jahren immer wieder auf den Bericht. Dabei vermittelten sie jeweils das Bild von Browder als tapferem «Menschenrechtsaktivisten», der gegen das korrupte russische Regime ankämpft.
Der US-Richter William H. Pauley kam zum Schluss, dass der Gross-Bericht an einem «Mangel an Vertrauenswürdigkeit» leide. Er sei «voll von Zeugenaussagen, die (…) mit Magnitski und Browder sympathisierten». Einige von ihnen wurden dem Richter zufolge von Hermitage bezahlt.
Neben den erwähnten Schweizer Banken beschuldigte Browder auch weitere Firmen in anderen Ländern, einen Teil der 230 Millionen Dollar gestohlen zu haben. Darunter auch die Firma Prevezon. Dessen Eigentümer wehrte sich auf dem juristischen Weg gegen Browder. Im Zuge des Verfahrens hatte Richter Pauley die obengenannten Aussagen gemacht. Gegenüber Prevezon-Anwalt Mark Cymrot gab Browder auch zu, dass Magnitski überhaupt kein Anwalt war respektive keinen Abschluss einer juristischen Fakultät besass.
Auffällig ist: Vor den Gerichten tat sich Browder wiederholt schwer, Richter von seinen Argumenten zu überzeugen. Die Firmen Glendora und Kone Holdings Ltd., Tochtergesellschaften von Browders Hermitage, klagten unter anderem in Russland im Zusammenhang mit dem Steuerskandal. Ohne Erfolg. Das Gericht wies den Antrag von Glendora und Kone Holdings Ltd. zurück.
Die Begründung lautete: Browders Firmen hätten den angeblichen Diebstahl juristisch nie eingeklagt. Diese Auffassung teilt auch Nekrassow. Laut dem Regisseur beanstandeten Glendora und Kone Holdings Ltd. lediglich, dass die Vollmachten-Überschreibungen von Browders Firmen keine Angaben zur Zertifizierung enthalten hätten. Die Firmenüberschreibungen an sich stellten Browders Firmen nicht infrage. Auch Fälschungen seien keine beklagt worden. Dies steht wiederum im Widerspruch zu den öffentlichen Aussagen von Browder. Er hatte stets behauptet, dass korrupte russische Beamte seine Firmen durch gefälschte Dokumente neuen Eigentümern überschrieben und dann Geld gestohlen hätten. (Siehe zur ganzen Geschichte auch den Bericht von swissinfo. Red.)
Wissen muss man auch: Im Dezember 2015 beschuldigte der russische Generalstaatsanwalt Yuri Tschaika Browder öffentlich. Er warf ihm vor, den angeprangerten Betrug in Höhe von 230 Millionen US-Dollar selbst begangen zu haben. Tschaika warf Browder zudem vor, für den Tod von Octai Gasanov, Valery Kurochkin und Sergei Korobeinikov verantwortlich zu sein. Bei allen drei genannten Personen handelte es sich um russische Bürger, die Verdächtige in der Magnitski-Affäre gewesen waren. Sie starben alle zwischen 2007 und 2008. Seither ermittelten russische Behörden wiederholt in dieser Angelegenheit.
Gemäss der Generalstaatsanwaltschaft (dieser Link ist in einigen Ländern gesperrt, Red.) in Russland ist Browder der Hauptverdächtige für die genannten Todesfälle. Ermittlern zufolge besteht eine «hohe Wahrscheinlichkeit», dass die genannten Personen sowie auch Magnitski vergiftet worden seien. Die russische Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass alle vier mit einer seltenen wasserlöslichen Aluminiumverbindung getötet wurden. Ein hoher Beamter der russischen Generalstaatsanwaltschaft meinte: Es sei «sehr wahrscheinlich, dass sie getötet wurden, um Komplizen loszuwerden, die eine belastende Aussage gegen Browder machen könnten» (siehe auch hier).
Der russische Präsident Wladimir Putin nannte Browder einen «Serienmörder». Laut Putin hat Browder sein in Russland erbeutetes Vermögen unter anderem auch für grössere Wahlkampfspenden an Hillary Clinton eingesetzt. Dabei sollen ihm offenbar die amerikanischen Dienste zu Hilfe gekommen sein. Ein russisches Gericht verurteilte Browder 2017 wegen Steuerhinterziehung zu neun Jahren Gefängnis.
Russische Behörden versuchten wiederholt, Browder ausliefern zu lassen. Sie scheitern jedoch, weil Browder im Westen auf mächtige Unterstützer zählen kann. Mehrfach forderten sie über Interpol die Festnahme von Browder. Am 30. Mai 2018 wurde Browder auf Ersuchen Russlands in Spanien festgenommen, jedoch kurz darauf wieder freigelassen.
Journalisten machten sich Browder-Story zu eigen
Grosse Medien haben die zahlreichen Unstimmigkeiten im Browder-Narrativ bisher kaum aufgegriffen. Auch der Aufstieg Browders und dessen zahlreiche Bekanntschaften zu höchst fragwürdigen Persönlichkeiten aus der Welt des «Big Business» thematisierten Journalisten kaum. Dabei sind die bereits erwähnten grossen Schweizer Medien keine Ausnahme. Auch international einflussreiche Journalisten liessen sich von Browder einspannen.
Der US-Investor kann auf eine ganze Armada von Journalisten und Politikern zählen, die willfährig seine Geschichte dem geneigten Publikum vermitteln. Einflussreiche Journalisten wie Bill Alpert und Roman Anin arbeiteten Hand in Hand mit Browder zusammen und machten sich seine Sicht der Dinge zu eigen. Beide veröffentlichten längere Berichte über die Magnitski-Geschichte – Alpert in der Zeitung Barrons, Anin in der Novaya Gazeta. «Sie arbeiteten mit unserem Team zusammen», sagte Browder gegenüber Anwalt Mark Cymrot, der Prevezon im Verfahren gegen Browder verteidigte.
Journalisten der New York Times gewannen den Pulitzerpreis für ihre Justizberichterstattung aus Russland – darunter auch zu Magnitski. Auch das «Organized Crime and Corruption Reporting Project» (Projekt zur Erfassung und Veröffentlichung von organisierter Kriminalität und Korruption, OCCRP) spannte mit Browder zusammen. Das OCCRP erhielt 2015 gar den allerersten «Sergei Magnitsky Human Rights Award» für «herausragenden investigativen Journalismus». Ausgezeichnet wurde ein Beitrag, der den Titel «Following the Magnitsky Money» trug. Verfasser des Textes waren Mihai Munteanu vom OCCRP sowie die beiden bereits erwähnten Journalisten Bill Alpert und Roman Anin. Sie alle stützten sich bei ihren Recherchen ausschliesslich auf die Quellen von Browder.
Das OCCRP wird unter anderem von der «United States Agency for International Development» (USAID), dem US-Aussenministerium, der Soros«Open Society Foundations» (OSF), dem Rockefeller Brothers Trust, der Skoll Foundation und dem German Marshall Fund unterstützt.
In Europa wird Browder unter anderem von der antirussischen Publizistin Marieluise Beck unterstützt. Beck, ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen, hat gemeinsam mit ihrem Mann Ralf Fücks das Zentrum für Liberale Moderne (LibMod) gegründet. Die Denkfabrik ist bekannt für ihre antirussischen Positionen. Im Juni 2023 plädierte Fücks in einem Beitrag für den Spiegel für einen Regime Change in Moskau.
Weniger zimperlich geht Browder mit Medienschaffenden um, die selber denken. Sie werden von dem US-Investor bekämpft. So setzte Browder beispielsweise alle Hebel in Bewegung, um den erwähnten Film von Nekrassow zu zensieren. Eine geplante Vorführung vor dem Europäischen Parlament wurde in letzter Minute abgesagt, nachdem Browders Anwälte mit rechtlichen Schritten gedroht hatten.
Anmerkung der Redaktion Globalbridge.ch: Der Bericht von Rafael Lutz stützt sich auf eine große Zahl verschiedener Quellen. Unmöglich war dabei, auch noch die Seriosität der zahlreichen Quellen zu verifizieren. Aus juristischen Gründen gilt deshalb gegenüber Bill Browder die Unschuldsvermutung. Interessant und informativ ist der Bericht aber schon deshalb, weil daraus hervorgeht, mit welch harten Bandagen im Kreis der Multimilliardäre politisch, juristisch und nicht zuletzt auch medial gegen staatliche Behörden vorgegangen wird. Viele der Superreichen haben ihre Vermögen nicht zuletzt anlässlich der Privatisierungen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Russland und den anderen postsowjetischen Ländern gemacht – mit Methoden, die mangels spezifischer Gesetze vielleicht nicht als „illegal“ – gesetzeswidrig – bezeichnet werden dürfen, mit menschenwürdiger Geschäftstätigkeit aber nichts zu tun hatten. Die Medien tun gut daran, Milliarden-schweren Geschäftsleuten gegenüber besonders vorsichtig und kritisch zu sein. Nicht zuletzt auch gegenüber Geschäftsleuten, deren Firmen – wie beispielsweise Bill Browders «Hermitage Capital Management» – ihren Firmensitz auf der Steuer-Offshore-Kanalinsel Guernsey haben. (cm)
Hinweis aus dem Leserkreis: Der Film «The Magnitsky Act –Behind the Scenes» kann hier abgerufen und angesehen werden.