Ilham Alijew von Aserbaidschan, US-Präsident Donald Trump und Nikol Paschinjan von Armenien feiern ihr "Friedensabkommen". Das einzige allerdings, was dabei sicher ist, sind die Vorteile für die USA ...

Aserbaidschan und Armenien: Das Versprechen von «Nie wieder Krieg»

(Red.) Donald Trump organisiert und lobt den Frieden zwischen Aserbaidschan und Armenien – und sichert sich damit die US-amerikanische Kontrolle über die Energieströme im Südkaukasus. Sein Ziel war noch nie Frieden. Sein Ziel ist immer nur der wirtschaftliche Vorteil der USA. (cm)

Als Anfang Juli ein hochrangiger US-Diplomat Donald Trumps jüngsten Friedensplan für den Südkaukasus erstmals verkündete, reagierte die politische Welt Armeniens und Aserbaidschans befremdet: «Soll das etwa ein Witz sein?»

«Armenien und Aserbaidschan streiten sich um 32 Kilometer Straße, und das ist kein Scherz“, sagte Tom Barrack gegenüber Reportern in New York. „Das geht schon seit Jahrzehnten so. Also kommt Amerika und sagt: ‚Okay, wir übernehmen das. Gebt uns den 32 Kilometer breiten Korridor für einen hundertjährigen Pachtvertrag, und wir können ihn gemeinsam nutzen‘“. 

Tom Barrack ist ein engster Vertrauter des US-Präsidenten und seit letzten Mai US-Botschafter in der Türkei sowie US-Sonderbeauftragter für Syrien. Mit dem Südkaukasus hatte der Diplomat mit der ungewöhnlich unverblühmten Rhetorik jedoch bis zu seinen Erläuterungen im Juli nicht viel am Hut gehabt. 

Einen knappen Monat später unterzeichneten der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew und der armenische Premierminister Nikol Paschinjan im Weissen Haus eine gemeinsame Erklärung, die in ihren jeweiligen Hauptstädten bis dahin als plumper diplomatischer Witz verhöhnt worden war. 

Frieden oder doch nur billige PR-Show?

Unter dem wohlwollenden Blick von US-Präsident Donald Trump schüttelten sich die beiden Staatsmänner am 8. August wie alte Freunde die Hände und schworen ihren Völkern vor laufenden Kameras, nie wieder gegeneinander Krieg zu führen. Armenien und Aserbaidschan hätten seit 35 Jahren einen erbitterten Konflikt geführt und beiden Nationen enormes Leid gebracht, sagte Donald Trump strahlend. In allen 35 Jahren sei es dabei weder seinem Vorgänger Joe Biden noch der EU noch Russland gelungen, in der Region Frieden zu stiften. «Aber jetzt, dank Trump haben sich beide Länder geeinigt, „alle Kämpfe für immer einzustellen, diplomatische Beziehungen und den bilateralen Handel wieder aufzunehmen und die Souveränität und territoriale Integrität des jeweils anderen zu respektieren”. Trump, der unermüdliche Friedensstifter – selbst im fernen Südkaukasus?

«Verspricht dieses Treffen tatsächlich den Frieden in dem Südkaukasus?» fragte sich kurz darauf der regierungskritische armenische Journalist Eric Hacopyan auf der Internetplattform Civilnet. «Oder handelt es sich eher um eine billige PR-Show?». Quälende Zweifel lassen in beiden Ländern des Südkaukasus seither nicht nach. Die in Washington präsentierte gemeinsame Erklärung lässt allzu viele Fragen offen. Und der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan dauert schon sehr lange und hat die Menschen dies- und jenseits der Grenze tief geprägt.

Morbides Meisterwerk der Teile-und-Herrsche-Strategie

Der offene armenisch-aserbaidschanische Konflikt begann kurz nach der Eingliederung beider Republiken in die Sowjetunion. Josef Stalin schlug die Region Berg-Karabarach 1921 Aserbaidschan zu, obwohl damals 95 Prozent der Bevölkerung gebürtige Armenier waren. Auf der anderen Seite ließ er das aserbaidschanische Kernland und die Provinz Nachitschewan, die mehrheitlich von Aserbaidschanern bewohnt war, durch einen 32 Kilometer breiten Korridor im Süden Armeniens, namens Sangesur, trennen. Dieses Meisterwerk der «Teile-und-Herrsche-Strategie» sorgte für immer wiederkehrende blutige Auseinadersetzungen, für zahllose Pogrome und für Massen-Vertreibungen. 

Der vorerst letzte Akt dieser Tragödie spielte sich im Jahr 2023 ab. Aserbaidschan ließ das noch von Armeniern besiedelte Berg-Karabach monatelang belagern und aushungern. Nach einem Blitzkrieg im September 2023 wurde schließlich die erschöpfte Bevölkerung in die Flucht getrieben. Nun beanspruchte Aserbaidschan mit Nachdruck den «Sangesur-Korridor», der unter der ausschließlichen Kontrolle Aserbaidschans stehen müsse. Dabei drohte es Armenien wiederholt und unverhohlen mit einem neuen Krieg, sollte sich die armenische Führung dieser Forderung nicht bald beugen.

Trump-Route für internationalen Frieden und Wohlstand

Beim Gipfeltreffen in Washington konnte sich der aserbaidschanische Autokrat Ilham Alijew mit dieser Forderung jedoch nicht durchsetzen. Das von den USA initiierte Friedensabkommen sieht zwar einen Transportkorridor über den geostrategisch wichtigen armenischen Süden Syunik vor. Dieser soll künftig ein Netz aus neuen Bahnstrecken, Straßen und Pipelines umfassen und den ungehinderten Fluss von Personen und Energieströmen aus Zentralasien nach Aserbaidschan und von dort aus über den armenischen Korridor und die Türkei auf die globalen Märkte gewährleisten. Die Kontrolle über den 32 Kilometer breiten Korridor Sangesurs bleibt aber, sehr zum Unmut Aserbaidschans und der Türkei, fest in den Händen der USA. 

Armenien war bereit, dieses Stück seines Territoriums an die USA für eine bislang unbekannte Zeitdauer zu verpachten. Der Korridor ermögliche «Aserbaidschan vollen Zugang zu seinem Gebiet Nachitschewan unter vollständiger Achtung der Souveränität Armeniens», schwärmte der amerikanische Präsident. Er soll «Trump-Route für internationalen Frieden und Wohlstand» heissen.

Strategische Zusammenarbeit der USA im Südkaukasus

Ilham Alijew kehrte dennoch zufrieden aus Washington in seine Hauptstadt Baku zurück. Wie er der Presse erklärte, habe Donald Trump Aserbaidschan eine strategische Partnerschaft angeboten. Das staatliche Ölmonopol SOCAR sei eine Energiekooperation mit dem US-Unternehmen ExxonMobil gelungen. Schließlich sei das Gesetz „Section 907”, das seit 2002 jede humanitäre und militärische Hilfe für Aserbaidschan verbietet, aufgehoben worden. In Wirklichkeit wurde Ilham Alijew, der in puncto Menschenrechte und Demokratie oft in einer Reihe mit Wladimir Putin genannt wird, „reingewaschen” und vom mächtigsten Mann der Welt für salonfähig erklärt.

Der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan hätte auch gute Gründe, zufrieden zu sein. Jerewan erwartet, dass nach dem Treffen mit Trump Aserbaidschans beinahe alltäglichen Kriegsdrohungen endlich nachlassen. Die ständige Angst vor neuen Angriffen und Vertreibungen hatte die armenische Bevölkerung buchstäblich zermürbt. Nikol Paschinjan brachte auch eine Reihe von bilateralen Abkommen mit den USA nach Hause, die eine Ausweitung der Zusammenarbeit in den Bereichen Energie und Handel vorsehen. Von besonderer Bedeutung dürfte dabei ein Abkommen sein, in dem die US-Regierung den Transfer von Technologien für Halbleiter und die Einrichtung eines Zentrums für Künstliche Intelligenz genehmigte. Es verspricht nämlich, das Binnenland Armenien aus seiner schwierigen geografischen Isolation herauszureißen.

Donald Trump wäre nicht Donald Trump, hätte er in diesem «Deal» um den Südkaukasus nicht den Löwenteil für sich beansprucht. Und dieser heisst der Mittlere Korridor.  

Die bisherigen Handelswege zwischen China und Europa sind lang und teuer. Der kürzeste Weg würde über Aserbaidschan und Armenien führen – ein guter Grund für die USA, sich die Rechte für diese Route unter den eigenen Nagel zu reissen … (Karte “Stiftung Wissenschaft und Politik“ Deutschland)

Unsichere Lieferketten im Ost-West-Handel

Der Mittlere Korridor ist eine strategische Handelsroute, die China über Zentralasien mit Europa verbindet und dabei sowohl Russland, den Iran und den Suezkanal umgeht. Als Projekt existiert er auf dem Papier seit der 2010er Jahre. Der Ukraine-Krieg und der Nahostkonflikt hätten zum ersten Mal fast alle wichtigen Ost-West-Lieferketten «unzuverlässig» gemacht und damit eine bis vor wenigen Jahren unvorstellbare, globale geopolitische Verschiebung erzwungen, sagt Arzu Abbasova in einem Interview gegenüber dem Internetportal Caucasus Watch

Arzu Abbasova, eine renommierte, in London ansässige Research Analystin zählt auf: Der Nördliche Korridor, der über Jahrzehnte billiges Gas aus Russland und Zentralasien in die internationalen Märkte führte, werde aufgrund des Ukraine-Kriegs gemieden. Der Konflikt in Gaza habe das Rote Meer und der Krieg gegen den Iran die Strasse von Hormus für die Handels-Schifffahrt unsicher gemacht. Und so sei der Mittlere Korridor plötzlich als eine «lobenswerte Alternative» ins Bewusstsein der globalen Politik gerückt. 

Seit Beginn dieses Jahres reichen sich Politiker der USA, Chinas, Russlands und der EU in Usbekistans sagenumwobener Stadt Samarkand die Klinke in die Hand und versuchen, mit ihren jeweiligen Gaben die Gunst der zentralasiatischen Herrscher für sich zu gewinnen. Immer mehr Autokraten Zentralasiens sind laut Arzu Abbasova bereit, für den Export ihrer reichen Ressourcen an Energie und wichtigen Seltenerdmetallen den Mittleren Korridor zu nützen.  

Mitte April weilte die EU-Präsidentin Ursula von Leyen in Samarkand. Dort versprach sie EU-Investitionen in Zentralasien bis zu 12 Milliarden Euro, um «die Infrastruktur des Mittleren Korridors zu modernisieren, die Lieferketten zu diversifizieren und gleichzeitig die Abhängigkeit von den USA und China zu verringern».

Gewiefter geopolitischer Schachzug

Im Schatten des Treffens zwischen Putin und Trump in Alaska ging die Bedeutung des Treffens von 8. August in der Öffentlichkeit beinah unter. Soll der Friedensplan für den Südkaukasus in der Tat umgesetzt werden, wird den USA ein geostrategischer Schachzug erster Güte gelungen sein. Die Abkommen strategischer Zusammenarbeit für Armenien und Aserbaidschan garantieren, dass zum ersten Mal beide Republiken des Südkaukasus westlich orientiert bleiben. Die EU wird, wie von der EU-Präsidentin von der Leyen versprochen, zwar für die Modernisierung des Mittleren Korridors viel Geld bezahlen, ohne ihre Abhängigkeit von den USA wirklich verringern zu können. Mit dem Abkommen vom 8. August signalisierten die USA, dass sie nach langer Abstinenz in den Südkaukasus wieder zurückkehren. Da Georgien sich an Russland annähert, wird der Sangesur-Korridor die einzige Verbindung für den Handel von China nach Europa unter Umgehung Russlands bleiben. 

Und die Kontrolle über den 32 Kilometer breiten Sangesur-Korridor haben sich die USA gesichert. 

Drei Tage nach dem Treffen in Washington rief Wladimir Putin den armenischen Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan an. Erst allmählich dämmert es offenbar auch dem Kreml, wie groß der geopolitische Verlust für Russland sein kann. Seit über ein Jahrhundert galt der Südkaukasus in Moskau als dessen unumstrittener Hinterhof und Armenien als treuester Alliierter. Aus geschichtlichen Gründen: Der Genozid der Jungtürken zu Beginn des 20. Jahrhunderts, bei dem über 1,5 Millionen Armenier ermordet und die Überlebenden aus dem Land vertrieben wurden, hat im armenischen Kollektivbewusstsein die Türkei als die existentielle Gefahr für ihre Nation eingebrannt und die Russen als ihren einzigen «Beschützer». 

Diese Gewissheit geriet ins Wanken, als Russland im Jahr 2020 tatenlos zusah, wie Aserbaidschan mit Unterstützung der Türkei die armenische Armee in Berg-Karabach vernichtend schlug. Zwei Jahre später bröckelte sie weiter ab, als die aserbaidschanische Armee armenisches Territorium einnahm, ohne dass Russland spürbar reagierte. Als Moskau schließlich auch die ethnische Säuberung Berg-Karabachs faktisch hinnahm, hatte sich das Bild des Beschützers vollständig gewandelt. Der Schwenk Armeniens in Richtung Westen kam nicht nur vom Premier Nikol Paschinjan. Bei einer Umfrage Ende Mai gaben nur 14 Prozent der Befragten an, Russland sei Armeniens wichtigster Freund. Ein dramatischer Rückgang, waren noch vor einem Jahrzehnt 83 % der Befragten dieser Meinung.

Die drei traditionellen Rivalen um Macht und Einfluss im Südkaukasus – Russland, der Iran und die Türkei – fühlen sich seit dem 8. August aus «ihrem Hof» verdrängt. Dass sie sich mit der neuen Lage ohne Widerstand abfinden werden, ist kaum anzunehmen. Die Entscheidung darüber, wohin der Südkaukasus steuern wird, dürfte spätestens bei den nächsten Allgemeinwahlen in Armenien im kommenden Jahr fallen. Denn die armenische Gesellschaft ist enorm polarisiert und für jede Einmischung von außen offen.

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