«Alter weißer Mann? Dohnanyi hat Recht.»
(Red.) Klaus von Dohnanyi (95), einst Hamburger Bürgermeister und später Bundesminister, bringt es auf den Punkt: der Klimawandel sei die wahre Bedrohung, „nicht Putin“. Deshalb müsse es die Priorität der Politik sein, uns vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. Aber, so wörtlich: „Ich halte die gegenwärtigen Prioritäten der Bundesregierung und des Westens für falsch.“ Der russische Präsident habe nie die Absicht gehabt, Europa anzugreifen; er wollte nur verhindern, dass die Ukraine in die NATO kommt und dass diese noch stärker an die russische Grenze rückt. Darüber sei der Westen zu Verhandlungen allerdings nicht bereit gewesen.
Tatsächlich führt der Klimawandel schon jetzt zu besorgniserregenden Ereignissen. Und Klimaforscher befürchten, dass Deutschland seine Klimaziele krachend verfehlen wird. Mojib Latif verweist auf eine Studie vom März 2023, die im Auftrag der Bundesregierung angefertigt wurde. Danach könnten auf Deutschland bis 2050 Kosten in Höhe von bis zu 900 Milliarden Euro zukommen. Wenn man weiß, dass allein für die Bewältigung der Flutkatastrophe im Ahrtal über 40 Milliarden Euro veranschlagt werden, erscheint die Angabe der Studie schon nicht mehr so schwer zu glauben. Und die Folgen des Klimawandels treffen nicht nur Industrieländer wie Deutschland, sie bewirken schwerwiegende Schäden in den Ländern des Südens: Mancher Landstrich wird unbewohnbar, die Produktion von Nahrungsmitteln wird beeinträchtigt, Kämpfe um das knappe Gut Wasser werden zunehmen. Und das, wo in vielen dieser Länder ein erheblicher Teil der Menschen von der Hand in den Mund leben muss und kaum über große Reserven verfügt.
Die Milliarden für Krieg und Aufrüstung fehlen der Politik gegen den Klimawandel
Um den Klimawandel auch nur notdürftig eingrenzen zu können, muss der Ausstoß von klimawirksamen Gasen eingeschränkt werden, bei uns und möglichst überall. Das kostet Geld, viel Geld, wie wir es alle derzeit hautnah erleben. Riesige Summen werden auch erforderlich, um den Folgen entgegenzuwirken, die schon nicht mehr verhinderbar sind, bei uns und anderswo.
Aber anstatt nun diese Priorität «Nummer 1» konsequent anzugehen, werden unglaubliche Summen für ganz andere Zwecke ausgegeben. Das unabhängige Stockholmer SIPRI-Institut teilt im April 2023 mit, dass die Staaten der Welt 2.240 Milliarden US-Dollar für Rüstung ausgegeben haben (im Jahr 2022). Die 20 Länder an der Spitze der Liste gaben 1930 Milliarden Dollar für ihr Militär aus, allein die USA waren mit 877 Milliarden dabei.
Und die Aufrüstungsspirale wird weitergedreht: die NATO-Staaten, die schon jetzt zusammen für etwas mehr als die Hälfte der genannten Ausgaben verantwortlich sind, beschließen, dass 2 % des Bruttosozialprodukts künftig nur die Untergrenze der Militärausgaben sein soll; für die Bundeswehr sind 100 Extra-Milliarden festgelegt.
Die Spannungen zu China werden immer weiter verschärft, was zu zusätzlichen Rüstungen auf beiden Seiten führt und vielleicht sogar zu einem verheerenden Krieg.
Alternativen zu Krieg und fortwährender Aufrüstung
Anstatt mit voller Kraft und kluger Diplomatie auf das Ende des Ukrainekrieges hinzusteuern (was im März 2022 schon in greifbarer Nähe lag) und anstatt im Umgang mit China beharrlich eine Politik der friedlichen Lösung von Konflikten zu entwickeln (die durchaus gute Erfolgschancen hätte), werden letztlich sinnlos Milliarden und Abermilliarden für Krieg und Aufrüstung ausgegeben. Milliarden, die dann zum Abbremsen des Klimawandels und zur Abmilderung von dessen Folgen fehlen. Und diese Ausgaben würden im Kriegsfall noch viel höhere Ausgaben nach sich ziehen, wie im Ukrainekrieg deutlich zu sehen ist.
Es kann also kein Zweifel sein: Erfolgreiches Vorgehen gegen den Klimawandel ist nur möglich, wenn gleichzeitig gegen Krieg und Aufrüstung angegangen wird!
Diese Einsicht bestimmt nun aber nicht die Politik der Bundesregierung – im Gegenteil! „Whatever it takes“ (Koste es, was es wolle) ist die Parole. Da wird mit den Milliarden für Waffenlieferungen und Aufrüstung scheinbar völlig bedenkenlos um sich geworfen. Schulden? „Sonderhaushalt“ klingt besser.
Alle Menschen, Parteien und Gruppen, die dem gegenüber die genannte Einsicht teilen, müssen sich also der Aufgabe stellen, unsere Regierung nachhaltig zu „überzeugen“ und auf eine wirklich grundlegende Wende der gegenwärtigen Politik hinzuarbeiten. Dass die Partei Die Grünen sich längst von dieser Einsicht abgewendet hat, ist offensichtlich. Sie hat ihre einstige Einheit von Ökologie- und Friedenspolitik längst radikal zerschlagen. Aber wie sieht es mit den Initiativen, Organisationen und Gruppen aus, die sich dem Kampf gegen den Klimawandel verschrieben haben?
Bei vielen hat man den Eindruck, sie blenden den Zusammenhang einfach aus. Nun ist es zwar oft sinnvoll, sich in seiner politischen Arbeit auf ein Ziel zu beschränken, um eine optimale Einheit und volle Wirkkraft zu erlangen. Aber beim Thema Klimawandel geht das nicht, zum einen wegen der genannten Verschwendung von Mitteln, zum andern, weil Krieg und Rüstung selber die Umwelt schwer belasten und dem Klima schaden. Nicht zuletzt der Aufschwung des Frackinggases oder der Ausbau der Förderung fossiler Stoffe, etwa in Afrika, als Folgen einer undurchdachten Sanktionspolitik zeigen das deutlich.
Die zweite Seite der Medaille
Wir wollen nicht behaupten, dass die Bewegung gegen den Klimawandel schnelle Erfolge erwarten kann, wenn sie sich auch gegen Krieg und Aufrüstung wendet. Aber sie muss den Zusammenhang deutlich machen und von der Regierung erste Schritte verlangen – im Interesse ihres Hauptanliegens. Sie wird dann auch bei den Teilen der Bevölkerung, die unter der beschriebenen Politik ebenfalls leiden, auf größere Resonanz rechnen können.
Das Ausblenden oder Beschweigen des Zusammenhangs aber sorgt dafür, dass das, was man auf der einen Seite bestenfalls an Erfolgen gegen den Klimawandel erreicht, auf der anderen Seite durch Krieg und Rüstung wieder vernichtet wird – oder schlimmer. Es hilft also nichts: Wenn die Bewegung gegen den Klimawandel es ernst meint, darf sie am Thema Krieg und Aufrüstung nicht vorbeischauen. Denn es ist ein wichtiger Teil ihres ureigenen Themas. Der “alte weiße Mann“ Dohnanyi hat Recht – zumindest in diesem Punkt.
Dieser Beitrag von Andreas Matthies erschien zuerst im «Braunschweig Spiegel».