Macron will mit Putin sprechen. Ein Zeichen der Hoffnung?
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat in den letzten Tagen alle überrascht, indem er erklärte, er sei offen für einen Dialog mit Russland. Der Krieg in der Ukraine sei in eine neue Phase eingetreten, was einen neuen Ansatz erfordere. Globalbridge sprach darüber mit dem bekannten französischen Geopolitik-Experten Alexandre Del Valle.
Während einer Pressekonferenz im Anschluss an die Sitzung des Europäischen Rates erklärte der französische Präsident Emmanuel Macron: „Wenn Wladimir Putin bereit ist, den Dialog zu suchen und einen Vorschlag zur Beendigung des Konflikts in der Ukraine und zum Aufbau eines dauerhaften Friedens zu unterbreiten, werde ich seinen Anruf entgegennehmen“, und fügte hinzu: „Ich habe meine Nummer nicht geändert.“ Am nächsten Tag erklärte sich auch der russische Präsident bereit, mit Macron zu sprechen. Ein Telefonat zwischen den beiden ist für die nächsten Tage geplant.
Das letzte Telefongespräch zwischen dem französischen Präsidenten und Putin fand im Juli dieses Jahres statt, ganze drei Jahre nach dem Telefonkontakt im September 2022. Dann, im Juli dieses Jahres, kam es im Kontext der Präsidentschaft Trumps und der Bemühungen des amerikanischen Präsidenten, den Krieg in der Ukraine auf diplomatischem Wege zu beenden, zu einer Wiederaufnahme der Kontakte zwischen Putin und Macron. Dies sind sicherlich gute Zeichen.
Aber laut dem französischen Geopolitik-Experten Alexandre Del Valle stellt Macrons jüngste Öffnung gegenüber Russland keinen wesentlichen Kurswechsel dar. „Es handelt sich um eine Entscheidung, die eher von Kommunikation und Taktik als von Strategie diktiert ist“, sagt Alexandre Del Valle in einem Gespräch mit Globalbridge. „Zu Beginn des Krieges wollte Macron die Rolle des Einzigen spielen, der weiterhin mit Putin sprach. Dafür wurde er heftig kritisiert. Als dann die pro-ukrainischen Kräfte eine regelrechte Hexenjagd starteten, änderte er seinen Ansatz komplett und wurde sehr kritisch gegenüber allen, die mit Putin sprachen. Er ging von der Haltung aus, mit Putin zu sprechen, dazu über, diejenigen zu kriminalisieren, die tatsächlich mit Putin sprachen. Dann war er der erste, der sagte, man könne Soldaten in die Ukraine schicken. Macrons Vorgehen ist keine Strategie. Es ist nur Kommunikation. Macron wollte einfach nicht den letzten Zug verpassen und irrelevant erscheinen. Das Wichtigste für Macron ist, dass er als der Einzige erscheint, der die Initiative ergreift.“
Macron gehörte zu den wenigen europäischen Politikern, die nach dem Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 die diplomatischen Kanäle zu Russland offen gehalten hatten. Wenige Wochen vor der Invasion war Macron nach Moskau gereist, um mit Putin zu reden und zu versuchen, die Ukraine-Frage friedlich zu lösen. Aber diese Vorgehensweise verärgerte viele. Die britische Tageszeitung The Guardian beispielsweise titelte in einem Artikel ihres diplomatischen Korrespondenten Patrick Wintour: „Emmanuel Macrons Äußerungen zu Russland lassen die Alarmglocken läuten” und fügte hinzu: „Die Kommentare des französischen Präsidenten nach den Ukraine-Gesprächen mit Wladimir Putin sollten das NATO-Bündnis beunruhigen“. Macrons Fehler sei es gewesen, von Russland als „einem europäischen Land“ und von „Sicherheitsgarantien“ für Russland gesprochen zu haben. Damit habe Macron laut seinen Kritikern die Einheit des Atlantischen Bündnisses in Frage gestellt. Monate nach der Invasion, im Dezember 2022, also vor drei Jahren, sprach Macron von einer neuen Architektur für die europäische Sicherheit, die die Interessen Russlands berücksichtigen sollte. Auch diese Position, die als zu „schwach“ angesehen wurde, zog viel Kritik auf sich von den Befürwortern einer harten Linie gegenüber Russland und Putin.
Russische Skepsis
Die Russen beklagen jedoch, dass Frankreich und Macron mit ihren Dialogangeboten nichts Konkretes zu bieten haben, und bemerken Unstimmigkeiten in Macrons Haltung. Laut dem russischen Politologen Wadim Trukhatschev sei der französische Präsident von dem Wunsch getrieben, sich als Politiker von europäischem Maßstab zu präsentieren, und er strebe daher nach Erfolgen in der Außenpolitik. „Seine Amtszeit als Präsident neigt sich dem Ende zu, und Macron ist ein junger Mann. Man könnte meinen, dass er seine Karriere auf der Ebene der Europäischen Union fortsetzen möchte“, sagte der russische Experte.
Zweitens, so Wadim Trukhatschev, „hätte die Kriegslustigkeit von Paris in Bezug auf den Konflikt in der Ukraine bereits zur Niederlage von Macrons Verbündeten bei den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr geführt. Aus diesem Grund sei Macron zu einem Neuanfang in den französisch-russischen Beziehungen gezwungen“.
In Russland wurde außerdem darauf geachtet, dass gerade der französische Präsident sich gegen die Initiative der Europäischen Kommission ausgesprochen hat, die in Belgien eingefrorenen russischen Gelder (300 Milliarden Dollar) zur weiteren Finanzierung der ukrainischen Kriegsanstrengungen zu verwenden. Laut der russischen Tageszeitung Kommersant hat Macron „den Wind der Zeit gespürt und scheint überzeugt zu sein, dass sich das politische Gleichgewicht verändert hat“. Kommersant fährt fort: „Es ist eine Phase der ‚klassischen‘ Diplomatie zurückgekehrt, die von Flexibilität, Realismus und sinnvollen Kompromissen geprägt ist. Um nicht am Rande des von den USA geführten Friedensprozesses zu bleiben, versucht Macron, sich einzubringen, bevor es zu spät ist.“
Russland sei bereit für Gespräche, schreibt Kommersant. Aber nicht mit allen. „Nach den ersten Reaktionen aus Moskau zu urteilen, bestehe die Bereitschaft, einen Dialogkanal mit den europäischen Partnern wieder zu öffnen. Es gibt jedoch eine Vorbedingung: Dieser Dialog muss auf bilateraler Basis stattfinden. Mit anderen Worten: Russland–Frankreich, Russland–Deutschland, Russland–Belgien. Was der Kreml vermeiden möchte, ist ein Dialog mit dem „kollektiven“ Europa, das durch Persönlichkeiten verkörpert wird, die Moskau offen feindlich gesinnt sind, wie Ursula von der Leyen und Kaja Kallas.“, so die russische Zeitung.
Die Russen vergessen jedoch nicht, dass gerade Macron, der von den NATO-Hardlinern lange Zeit mit Argwohn betrachtet wurde, der erste hochrangige europäische Politiker war, der im Februar 2024 die Möglichkeit in Betracht zog, europäische Soldaten in die Ukraine zu entsenden. Nicht, dass Russland unbedingt Angst vor französischen Soldaten hatte, aber es war sicherlich ein Zeichen der Feindseligkeit, das auf Vergeltung stoßen würde.
Mit dem Amtsantritt von Trump und angesichts des wahrgenommenen Rückzuges der USA im Ukraine-Konflikt begann Europa über eine Wiederaufrüstung und eine „Koalition der Willigen“ zu sprechen, die bereit sei, Soldaten in die Ukraine zu entsenden, um nach einem möglichen Abkommen den Frieden zu sichern. Aber aus russischer Sicht weckt die europäische Wiederaufrüstung Erinnerungen an Invasionen der Vergangenheit, von Napoleon bis Hitler.
Dann ist da noch die Frage der Minsker Vereinbarungen, die 2014 und 2015 zwischen der Ukraine und den Separatisten im Donbass unterzeichnet wurden, mit Frankreich und Deutschland als Garanten. Aus russischer Sicht waren die Minsker Vereinbarungen nichts anderes als ein Trick Europas, um die Ukraine auf den Krieg vorzubereiten. Den Russen zufolge hätten Merkel und Hollande, damals Kanzlerin bzw. Präsident der Französischen Republik, dies im Nachhinein genau so zugegeben. „Das ist eine Übertreibung mit einem Funken Wahrheit“, sagt Alexandre Del Valle. „Die Minsker Vereinbarungen hatten nach eigenem Bekunden von Merkel und Hollande zum Ziel, der Ukraine Zeit zu verschaffen, aber nicht, sie auf einen Krieg mit Russland vorzubereiten.“
Angesichts all dessen ist es offensichtlich, dass die Wiederherstellung des Vertrauens zwischen Europa und Russland viel Zeit und Arbeit erfordern wird.
Anmerkung der Redaktion: Staatschefs wie Macron haben drei verschiedene Interessen: 1. Sie müssen eine Politik betreiben, die ihnen im eigenen Land Achtung, Vertrauen und politische Zustimmung bringt. 2. Sie wollen im internationalen Bereich die Rolle eines Opinion Leaders spielen. 3. Sie wollen auch militärisch zu den Starken und Entscheidenden gehören. Macron hat gerade vor ein paar Tagen bekanntgegeben, den Auftrag für den Bau eines neuen, gigantischen Flugzeugträgers erteilt zu haben. Es soll das größte je in Europa gebaute Kriegsschiff werden und – trotz Frankreichs Finanzkrise – über 10 Milliarden Euros kosten. Ob bei Macron alle seine Ziele zusammenpassen? Zweifel sind angebracht. (cm)