Es gibt ihn, den echten Brückenbauer!
Etliche Informationsplattformen, gerade auch solche, die sich für den Frieden engagieren, haben über die Weihnachtstage ihre Aktivität vorübergehend eingestellt. Daran, dass Globalbridge am 24. Dezember – notabene mit Publikationsdatum 23. Dezember – noch einen politischen Beitrag publizierte, wurde sogar harte Kritik geübt. Aber wir haben Weihnachten nicht vergessen, denn es gibt sie trotz allem noch, die Weihnachtsgeschichten. Zum Beispiel die Geschichte des Brückenbauers «Toni el Suizo“.
Toni Rüttimann ist 1967 in Pontresina im Graubünden geboren. Nach der Matura im Lyceum Alpinum in Zuoz wollte er im Jahr 1987 einen zeitlich begrenzten Sozialeinsatz in einem von Erdbeben geschädigten Gebiet in Ecuador leisten und sich danach als Bauingenieur an der ETH Zürich ausbilden lassen. Doch die Armut, die er in Ecuador sah, und die nach Naturkatastrophen fehlenden Brücken waren für ihn der Auslöser, sich für Menschen in Not zu engagieren. Er baut seither einfache Hängebrücken zur Benutzung durch Fussgänger, Fahrrad- und Motorradfahrer. Sie entstehen aus einfachen Grundbestandteilen in einem von ihm entwickelten Baukastensystem. Als Baumaterialien dienen ausgemusterte Röhren sowie nicht mehr benötigte Seile von Schweizer Seilbahnen. Unter seiner Anleitung bauen die Einheimischen die Brücken weitestgehend selbst zusammen.
Im Mai 2016 hielt Toni Rüttimann oder eben «Toni el Suizo», wie er meist genannt wird, in Arese, einem Vorort von Milano, einen Vortrag, dem ich selber beiwohnen konnte. Die zahlreichen Zuhörerinnen und Zuhörer lauschten aufmerksam, gerieten aber – zu Recht! – auch mehr und mehr in Begeisterung. Nach dem Ende des Vortrags rannte die damalige Stadtpräsidentin von Arese, Michela Palaestra, auf die Bühne und umarmte Toni. Es war keine Polit-Show, es war berechtigte Bewunderung für einen Mann, der aus eigener Initiative heraus zuerst in Südamerika, später in Südostasien half, mit industriellen Abfallprodukten Brücken zu bauen: Brücken, die Menschen zusammenbrachten und noch immer zusammebringen! – Ich berichtete damals über diesen Anlass auf Infosperber, siehe hier. Leider sind dort die Bilder vermutlich bei einer System-Erneuerung verloren gegangen.
Jetzt hat Toni el Suizo ein bisschen Rückschau gehalten. Er schreibt:
In Ecuador haben wir 365 Brücken gebaut und beenden damit unsere Arbeit im Land. Es waren Ecuador und das Leid seiner Bewohner nach dem Erdbeben von 1987, die mir den Weg zeigten, und seine Menschen standen mir von Anfang an zur Seite. Dies ist nicht der Moment, die ganze Geschichte zu erzählen. Dafür braucht es ein Buch. Und all meine Dankbarkeit wird niemals genug sein, besonders wenn ich weiss, was aus dieser Geschichte für fast drei Millionen Menschen in fernen Ländern geworden ist.
Es ist ein wenig traurig, jetzt aufzuhören, natürlich, aber es ist auch wunderbar zu sehen, dass man uns dort nicht mehr wirklich braucht. Die meisten Dörfer im Land erwarten heute Fahrzeugbrücken. Und an vielen Orten baut die Regierung sie tatsächlich. Sogar am Río Aguarico, unserer vierten und immer noch längsten Brücke mit 264 Metern. 35 Jahre lang hat diese Brücke den elf Gemeinden, die sie barfuss mit übriggebliebenen Rohren und Bohrseilen aus den nahegelegenen Ölfeldern errichteten, treu gedient.
Vor einigen Monaten eröffnete die Provinz- und Distriktregierung daneben eine moderne Fahrzeugbrücke. Etwas, das 35 Jahre lang unmöglich erschienen war, so wie unsere Fussgängerbrücke zuvor unmöglich erschienen war.
Zwei Brücken Seite an Seite, 35 Jahre auseinander
Ich habe die Behörden gebeten, die Fussgängerbrücke ausser Dienst zu stellen und den Seilen ihre wohlverdiente Ruhe zu gönnen, auch aus Sicherheitsgründen. Sie sagen, sie möchten die Fussgängerbrücke neben der neuen offenhalten. Ich würde die Arbeiter, die diese Brücke unter gleicher sengender Sonne und gleichen donnernden Regengüssen, mit Wind im Gesicht, dort oben auf den Seilen so hoch über dem Aguarico zusammengebaut haben, so gerne fragen: «Kollegen: Habt ihr den Fluss auch gehört?» Denn was ich damals an diesem Fluss gelernt habe, hat mir bei fast weiteren tausend Brücken geholfen.
Walter Yánez
Zwei Jahre nach jener Aguarico Brücke verliess ein 22-jähriger Schweisser und Mechaniker seine nahegelegene Stadt Lago Agrio. Walter Yánez wurde mein langjähriger Kollege in Ecuador, bis zu diesem Jahr. Gemeinsam bauten wir auch 101 Brücken in Kolumbien, Mittelamerika und Mexiko nach Erdbeben und Hurrikans. In drei Länder wurden wir von der ecuadorianischen Luftwaffe in ihren C-130 Hercules-Transportflugzeugen gebracht, als Geschenk an bedürftige Brudernationen.
Internationale Brücke Honduras–El Salvador, 2000
2023 wurde Walter auf der Strasse überfallen und angeschossen, mit seiner Familie im Auto, in der Nähe seines Hauses in Santo Domingo, Ecuador. Eine Kugel glitt unter die verstärkte Windschutzscheibe und traf seine Brust. Im Krankenhaus zeigte ihm der Chirurg die Kugel: «Einen Millimeter weiter in die Lunge, und Sie wären nicht mehr bei uns.»
Trotzdem machte er noch zwei Jahre weiter, aber jetzt ist es genug. Ecuador ist ein gefährlicher Ort geworden. Walter wird sich seinem mit seiner Familie aufgebauten Hühnereiergeschäft widmen. Und ich bin sicher, dass es ihm gut gehen wird.
Das kriegsgebeutelte Myanmar
Hier in Südostasien arbeiten wir weiter, genau auf der anderen Seite des Planeten von Ecuador. Obwohl man sich fragen muss, wie es möglich ist, in einem kriegsgebeutelten Land wie Myanmar weiterzuarbeiten. Anhaltende bewaffnete Kämpfe toben in den Grenzstaaten – Shan, Kachin, Kayah, Kayin und andere – und verursachen massive Vertreibungen und akuten humanitären Bedarf. Und doch haben wir in den letzten 17 Jahren 180 Brücken in ganz Myanmar gebaut, 13 davon allein im Jahr 2025.
Ein Grund, warum dies möglich ist, ist, dass wir nichts sind. Leise, schnell, fast unsichtbar. Ein Mann, der mit Dorfbewohnern, buddhistischen Mönchen, lokalen Behörden arbeitet. Und wo nötig, mit beiden Seiten des militärischen Konflikts.
Dieser Mann in Myanmar ist mein Kollege Aiklian. Ein Mann, der ein Land von etwa 2.000 km von Nord nach Süd und 900 km von Ost nach West mit öffentlichen Bussen durchquert. Woche für Woche, Jahr für Jahr. Wie viele Nächte, zählt niemand. Vor allem er nicht.
Wir nennen es seit langem Brückenbau per Bus. Aiklian und ich im Bus, unsere Werkzeuge unter dem Bus. Das Brückenset selbst wird von den Dorfbewohnern vorab an den Ort transportiert, auf Lastwagen und manchmal Booten, von ihnen organisiert. Aber seit COVID-19, dann dem Militärputsch und jetzt, wo ich wieder gelähmt bin, ist es Aiklian ganz allein, und ich aus der Ferne.
Aiklian, Myanmar
Ein Mann in einem Bus, unterwegs, um das Leben von Gemeinschaften zu verändern, 6.000 Menschen hier, 10.000 Menschen dort, weiter und weiter. Und er wird es tun, bis wir unsere Rohre und Drahtseile in Myanmar aufgebraucht haben – das sind noch etwa 20 Brücken.
Drahtseillieferung für Indonesien
In Indonesien haben wir bereits die von Tenaris gespendeten Stahlrohre, unser weltweiter Unterstützter mit ihren nahtlosen Stahlrohren. Wir haben genug Vorrat für etwa 20 Brücken, und die Drahtseile sind auf dem Weg: Das Containerschiff NYK Oceanus befindet sich auf seiner Reise von Rotterdam nach Singapur im Indischen Ozean.
Normalerweise fährt es durch den Suezkanal und das Rote Meer, aber viele Schifffahrtslinien bevorzugen jetzt die längere Route um das Kap: Die Piraterie vor Somalia und das Risiko von Angriffen der Houthis im Jemen im Zusammenhang mit dem Genozid in Gaza sind einfach zu gross.
Vessel Finder-Karte
Die NYK Oceanus kann das Äquivalent von 8.600 Containern transportieren. Drei ihrer Container auf dieser Reise sind mit 23.000 Metern Drahtseil gefüllt, die im letzten Jahr von den Seilbahnunternehmen in den Schweizer Bergen gespendet wurden.
Mein indonesischer Kollege Suntana wird die Fracht drei Tage nach Weihnachten im Hafen von Jakarta empfangen, mit der grosszügigen und rechtzeitigen Hilfe der indonesischen Regierung für den zollfreien Import.
Ein Teil davon wird er direkt nach Aceh in Nordsumatra bringen, das schon wieder von neuen Überschwemmungen getroffen wurde.
Schätze aus den Bergen
Diese wertvollen und völlig überdimensionierten Seile stammen von den Touristenorten Davos, Zermatt, Schilthorn, Sedrun, Lugano und Locarno – und schliesslich sogar St. Moritz: Hier hatte ich als Kind Hunderte von Nachmittagen mit Skifahren verbracht. Skifahren, Rennen, Springen – wie ich diese Freiheit in den Bergen genossen habe!
Wie oft bin ich in diesen Seilbahnen gefahren und habe zu den mächtigen Seilen über uns aufgeschaut, die uns sicher durch den eisigen Winterhimmel trugen. Ich hatte keine Ahnung, welche Rolle sie in meinem Leben spielen würden. Wie oft habe ich den Namen Garaventa auf dem Namensschild des Erbauers dieser und der meisten anderen Seilbahnen gelesen.
In den letzten acht Jahren war es genau diese Firma Garaventa, die mich gesammelte Drahtseile aus allen Ecken des Landes in ihrem Hauptsitz in der Zentralschweiz lagern liess, bis wir genug für eine Sendung zusammenhatten. Fredy von Moos, pensionierter Manager für Montage und Logistik des Unternehmens, kümmerte sich persönlich darum. Sie halfen auch, Exportdokumente vorzubereiten, alles in Container zu laden und zu versenden. Alles von Herzen.
Teillagerbestand Drahtseil, Schweiz
Mit 19 Jahren, nachdem ich Brückenbauer für die Armen geworden war, ging ich nie wieder Skifahren. Ich hatte gelernt, Freiheit und Bedürfnisse anders zu betrachten.
Freiheit muss gebaut werden. Für und mit den Menschen!
Die Frucht von alledem – so viele Brücken, so viele Leben, so viel Hoffnung. Allen, die geholfen haben, danke!
Brücken nach Ländern
P.S.: Es ist etwas mehr als sieben Monate her, seit das Guillain-Barré-Syndrom mich wieder gelähmt hat. Ich übe geduldig, und inzwischen mache ich 3.000 Schritte und schwimme 500 Meter täglich. Meine Arme und Hände verbessern sich langsam, und ich kann diese Notiz mit zwei Fingern tippen. Vor dreiundzwanzig Jahren dauerte meine Genesung zwei Jahre; diesmal müssen wir noch abwarten. Danke für alle guten Wünsche und Gedanken.
Ende des Berichts von Toni Rüttimann.
Viel dazu ist nicht zu sagen: Solche Menschen wie Toni Rüttimann brauchen wir! Die mit ihrem persönlichen Einsatz mithelfen, diese Welt ein bisschen friedlicher zu machen. Die Menschen zusammenzubringen – mit Brücken! Toni el Suizo hat es mit Brücken gemacht, über die man gehen und fahren kann, um damit Menschen zusammenzubringen. Jetzt brauchen wir auch Menschen, die „Herzensbrücken“ bauen: Verständnis für andere Völker, für andere Kulturen, für andere Formen des Zusammenlebens. Was politisch gegenwärtig abläuft, ist kein Brückenbau. Es bringt keine Menschen zusammen. Es schafft im Gegenteil Hass – vor allem auch beabsichtigten Hass. Es geht, leider, nur noch um die nackte Macht. (cm)





