Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (XVIII) – Diesmal: „coolste Ausschnitte“, „echt“, „eisiger Frieden“ und der „European Way of War“
Vokabelkritik ist zu Kriegszeiten das Gebot der Stunde. Ich veröffentliche in unregelmäßigen Abständen eine Sammlung teils verharmlosender, teils lügenhafter Wörter oder Formulierungen, deren Sinn und Funktion es ist, unsere Gesellschaft – uns alle – an das Undenkbare zu gewöhnen und möglichst geräuschlos in Richtung „Kriegstüchtigkeit“ umzukrempeln.
Beschaffungsbeschleunigungsgesetz
Wortungetüm der neuen Verwaltungssprache im Tarnfleck. Von der Bundesregierung im Juli 2025 eingeführt. O-Ton Boris Pistorius: „Die Bedrohungslage erlaubt keinen Aufschub. Wir können uns zu lange Vergabeverfahren und überbordende Bürokratie nicht mehr erlauben.“ – Heißt auf Deutsch: „Rückkehr zur Kriegswirtschaft“! Oder in den Worten von Ilja Rynkin: „Direktvergaben bis 100.000 Euro, keine europaweiten Ausschreibungen mehr, Verzicht auf Umweltstandards, wenn‘s ‚dringlich‘ ist – und wann ist es das nicht? Der militärisch-industrielle Komplex bekommt freie Bahn, während die Bevölkerung weiter mit CO2-Geboten und Heizvorschriften gegängelt wird. Diesel darf man nicht mehr fahren, aber dafür Drohnen jetzt schneller bauen.“
brutaler Mafiaboss
Ist laut Expertin – immerhin arbeitete sie nach eigenen Angaben „für fünf NATO-Generalsekretäre direkt“ – Stefanie Babst mal wieder der „Mörder & Killer“ (Agnes Stack-Zimmermann), Wladimir Putin. Dass dieser nebenbei auch noch ein „kleptokratisches Mafiaregime“ – ebenfalls eine Perle von Babst – betreibt, liegt in der Natur der Sache.
coolste Ausschnitte
„Auf sozialen Medien seien nur ‚die coolsten Ausschnitte‘ zu sehen.“ – Nein, hier ist nicht die Rede von üppigen Dekolletés à la Sophia Loreen, Anita Ekberg oder Brigitte Bardot. (Von Marilyn Monroe ganz zu schweigen.) Gemeint ist der Einsatz von deutschen Legionären an der Ukrainefront. Und deren Abenteuer auf der Suche nach einem sinnerfüllten Leben – dokumentiert auf Social Media. ‚Wizard‘ (Kampfname): „Es ist aber viel mehr dahinter. Es ist viel mehr Horror.“ Natürlich: Horrorvideos generieren bekanntlich die meisten Klicks!
CRINK
Flottes und zitierfähiges Akronym für China (C), Russland (R), Irak (I) und Nordkorea (NK). (Warum man dem ostasiatischen Staat gleich zwei Buchstaben zubilligte, ist nicht ganz klar. Vielleicht, damit das Kunstwort am Ende noch etwas im Halse knackt?) Griffige Formel für die „Neue Achse des Bösen“ – ihrerseits ein Produkt westlicher Politik, die über Jahrzehnte hinweg Russland geduldig in die Arme der CINK trieb. Vergleichen wir CRINK mit George W. Bushs Original-„Axis of Evil“ (Iran, Irak und Nordkorea) vom 29. Januar 2002: Statt drei sind es heute derer vier! Iran und Nordkorea haben sich gehalten, China und Russland – ein Come-Back des einstigen „Reich des Bösen“ – sind neu im Ensemble. Der Irak wurde zwischenzeitlich – von den USA – rausgekickt. Spielt jetzt in der „Achse des Guten“. (Bis zur nächsten Umbesetzung ist es ohnehin nur eine Frage der Weltlage.)
dämmrige Übergangszeit
Die bislang betörend schönste Formulierung, um uns einzureden, dass wir – wie es jetzt in tausend Variationen allerorten erklingt – „noch nicht im Krieg, aber auch nicht mehr (ganz) im Frieden“ leben. And the winner is: Der Poet in Uniform, Generalinspekteur Carsten Breuer! (Fast sehnt man sich danach, dass diese quälend lange Übergangszeit endlich ihrem Ende entgegen dämmert… Und wir gleich mit ihr!)
diese „Friedensbewegung“
„Diese ‚Friedensbewegung‘ verdient den Namen nicht.“ Urteilte – die obligatorischen Anführungszeichen beim heiklen F-Wort sorgfältig gesetzt – die Frankfurter Rundschau am 14. September 2025 über die Berliner Friedensdemonstration vom Tage zuvor. (Vor viereinhalb Jahrzehnten, als die FR sich noch deutlich anders positionierte, sprach man von der „sogenannten Friedensbewegung“.) Vorhersehbare scharfsinnige Begründung: Sahra Wagenknecht – der laut CSU-Vorstandsmitglied Bernd Posselt „menschgewordene Hitler-Stalin-Pakt“ – und die Anderen hätten sich „vor Putins Karren“ spannen lassen. – Mit anderen Worten: „Note sechs. Ungenügend. Setzen!“
doppelter Epochenbruch
Die Begriffe überschlagen sich: Begann es fünf Tage nach dem russischen Überfall – aus heutiger Sicht noch vergleichsweise harmlos – mit Olaf Scholz‘ berühmt-berüchtiger „Zeitenwende“, so fühlte Bundespräsident Steinmeier sich schon zweieinhalb Monate später bemüßigt, diese zum „Epochenbruch“ zu steigern. Der nun aber seinerseits auch schon nicht mehr reicht. „Europa erlebt heute einen doppelten Epochenbruch: Am 24. Februar 2022 ist mit dem russischen Überfall auf die Ukraine der Angriffskrieg auf den europäischen Kontinent zurückgekehrt. Ein Angriff, der auch der europäischen Friedensordnung gilt. Und zeitgleich erleben wir, dass unsere Gewissheiten über die Tragfähigkeit der transatlantischen Sicherheitsarchitektur brüchig geworden sind.“ Verkündete am 19. Oktober 2025 wieder mal Frank-Walter Steinmeier, diesmal zusammen mit seinem österreichischen Amtskollegen Van der Bellen – also doppelt – in einer „Gemeinsamen Botschaft an die Europäerinnen und Europäer“. – Bitte beachten: Der „doppelte Epochenbruch“ hat nichts mit der „zweiten Zeitenwende“ zu tun! Auch nichts mit der „Zeitenwende 2.0“.
Drohnenwall
Der zeitgemäße, weil zeitengewendete ‚Limes‘ in der Luft „über der NATO-Ostflanke“. Ukrainische Entwicklungshilfe inclusive. – Klingt defensiv. Steht aber für automatisierte Luftraumüberwachung, Zielidentifikation, Präzisionsbekämpfung. Mit Schwarmintelligenz, Wärmebild und Künstlicher Intelligenz. Ein Wall, der nicht nur abschirmt, sondern auf Knopfdruck zuschlägt.
durchhaltefähig
„Wir müssen durchhaltefähig und aufwuchsfähig sein.“ Forderte, mal wieder, Boris Pistorius am 5. Juni 2024 im Bundestag. Genauer: „Bis 2029 kriegstüchtig.“ Dafür müsse der Truppe die bestmögliche Ausrüstung zur Verfügung gestellt werden – vom Kampfpanzer bis zur mobilen Feldküche. – „Durchhaltefähig“. Hieß früher: „bis zum letzten Blutstropfen“! Suggeriert, der spätestens 2029 gegen Russland geführte Krieg würde verlaufen wie damals bei Verdun und Stalingrad. Das könnte sich freilich als fataler Irrtum erweisen. Gegen russische atomare Präventiv- oder Vergeltungsschläge hilft nämlich auch keine mobile Feldküche mit veganer Vollwertkost aus der Gulaschkanone!
echt
„Also für uns ist immer am Wichtigsten – und das sage ich nicht in der Vergangenheitsform –, dass dieser Krieg echt ist! Dass das, was wir tun, um die Ukraine zu unterstützen, sich jeden Tag auf dem Gefechtsfeld praktisch auswirkt.“ Antwortete der ehemalige Leiter des „Sonderstab Ukraine“ und des „Planungs- und Führungsstabs im BMVG“, Generalmajor Christian Freuding auf die Frage, was ihn „in dieser Zeit am meisten bewegt oder beschäftigt“ habe. – Merke: Hauptsache, es ist „echt“! Und nicht etwa in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart. Zur Krönung auch noch mit „echten Feinden“… (vgl. „erlebbar“, „Freiheit“, „Glück“, „unglaublich erfüllende Aufgabe“, „Wille zum Kampf“, „Wir“)
eisiger Friede
„Der Gegner kenne keine Rast und Ruhezeiten“, warnte der frischgebackene neue Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Martin Jäger in seiner Antrittsrede am 13. Oktober 2025. (Als Ex-Botschafter in Kiew weiß er das.) Und dann wurde er genauer: „In Europa herrscht bestenfalls ein eisiger Friede.“ Wenige Sätze zuvor hatte er noch – hoch die Logik! – verkündet: „Wir stehen schon jetzt im Feuer!“ – Offenbar gilt für die sicherheitspolitische Lage dasselbe wie beim beliebten Dessert im Restaurant: Eis und Heiß auf einem Teller! (vgl. „Nachsteuerungsbedarf“)
entschlossenes Auftreten in der Welt
Fordert forsch für sein Land, die üblichen Keywords wie „Stärke und Geschlossenheit“ bemühend, Kanzler Merz. Dabei schaute er schon fast so ernst daher wie der berühmte „Philosoph der Entschlossenheit“ aus dem Schwarzwald. Und das bedeutet selbstverständlich… – Na? – Genau! Die Bundeswehr gleich mal zur „stärksten konventionellen Armee Europas“ zu machen! Darunter tut es der neue Eiserne Kanzler nicht. – „Entschlossenheit“ und „Geschlossenheit“. (Und die Reihen fest geschlossen…) (vgl. „Führungsrolle“)
Erhöhung der Sicherheit im besten Sinne
So verkaufte uns (Cum)-Ex-Kanzer Scholz im Juli 2024 die durch kein Bundestagsmandat legitimierte erneute Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland – und nur hier! Raketen, die sein Volk – über 83 Millionen Menschen – in Geiselhaft nehmen und im Krisen-, gar Kriegsfalle zur Zielscheibe russischer Präventiv- oder Vergeltungsschläge verwandeln. Securitas anno 2024!
erste Verteidigungslinie
Stellt – wie einst Afghanistan im „Kampf gegen den internationalen Terrorismus“ – heute die Ukraine für uns dar. Diesmal gegen den „feindlichen russischen Expansionismus“. Weshalb sie – von uns – notfalls zu Tode verteidigt wird! (Donald Trump sieht das allerdings etwas anders: Die erste Verteidigungslinie bilden für ihn – die Europäer! „They are the first line of defense.“ Plausible Begründung: „Because they are there.“)
ertüchtigen
Nicht nur, im Dienste der „Kriegstüchtigkeit“, Menschen, sondern jetzt – im Rahmen des ominösen „Operationsplan Deutschland“ – auch Dinge! In der Hauptstadt soll nun laut Berliner Zeitung geprüft werden, „ob U-Bahn-Stationen und Bahnhöfe zu Notunterkünften ertüchtigt werden.“ Auch bei der Verkehrsinfrastruktur: „Autobahnen und Brücken müssten ertüchtigt werden, um Panzertransporte zu ermöglichen.“ – Ziel der tüchtigen wie ertüchtigenden Aktivitäten: Die flächendeckende Militarisierung unserer Lebenswelt – möglichst ohne dass es (vorerst) auffällt!
Erzählung
Heißt jetzt auf Deutsch: „Narrativ“.
Eurobombe
Die. Neues – und ultimatives – Spielzeug der Eurofighter-Doppelpunkt-innen. Besonders gerne propagiert von ehemaligen Außenministern und alternden Streetfighting Men.
Eurofighterin
Agnes Strack-Zimmermann, dreifache „Oma“ und „streitbar in Europa“, zeigt nun „Courage“, via Eurofighter auf Seiten der tapferen Ukraine selbst ins Kampfgeschehen einzugreifen. Nachdem die beliebte Rüstungslobbyistin im August 2022 Kanzler Olaf Scholz „Ladehemmung“ vorgeworfen hatte, setzt sich der „Staatsmann unter den Frauen“ jetzt für Selenski und die FDP höchstpersönlich an den Steuerknüppel. Couragiertes Motto: „Wer immer die Hosen voll hat, wird nie kreativ sein.“ Ein kreatives Himmelfahrtskommando, zu dem man ihr (und uns) nur gratulieren kann!
European Way of War
Offenbar das zeitengewendet kontinentale Pendant zum „American Way of Life“! Die uns aus sämtlichen Talkshows („Fünf Stühle, eine Meinung“) bekannten Experten Claudia Major und Christian Mölling fordern genau das: Europa macht sich endlich selbständig – auch im Krieg. Hoffen wir, dass am Ende nicht auch noch ein ganz spezifischer „European Way of Death“ herauskommt!
Fähigkeiten
Sollen den Feind „kampfunfähig“ machen. Begriffe im Vokabelarsenal: „Adaptions-“, „Anpassungs-“, „Aufwuchs-“, „Durchhalte-“, „Handlungs-“, „Sieg-“, „Wehr-“, „Verteidigungs-“, „Zweitschlagsfähigkeit“ – dazu „Fähigkeitsanalyse“, „Fähigkeitslücke“, „Fähigkeitsziele“, „Fähigkeitspakete“. – Übersetzung: „Aufrüstung“. Oder in den unmissverständlichen Worten des Sozialpsychologen Harald Welzer: „Fähigkeiten heißt: Du kannst damit besser Menschen töten, als wenn du diese Fähigkeiten nicht hast.“ (Die Steigerung der „Fähigkeit“ lautet – ganz unpathetisch – „Tüchtigkeit“!)
Fähigkeitspakete
„Wäre denn die Bundeswehr aktuell in der Lage, eine Brigade oder mehr in die Ukraine zu schicken?“ Stellte DLF-Redakteur Stefan Heinlein Ende August 2025 Oberst André Wüsting (Bundeswehrverband) die Gretchenfrage. – Antwort: „Ja, die Bundeswehr ist definitiv in der Lage, Fähigkeitspakete zu schicken!“ – Hausaufgabe für den aufmerksamen Leser: Bitte nochmal Stichwort „Fähigkeiten“ lesen und anschließend ‚eins plus eins‘ zusammenzählen! (vgl. „Abschreckung (II)“)
(wird fortgesetzt)
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (I) – „auf dem Hintergrund unserer Geschichte“, „Du willst immer nur mehr“, „Freiheitsdienst“ und „humane Kosten“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (II) – Heute: „militärisch all-in“, „Pazifismus-DNA“, „Resilienz“, „robust“ und „Russisch lernen“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (III) – „2030“, „feministische Außenpolitik“, „Gesicht zeigen“ und „kulturelle Umprogrammierung“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (IV) – „Figuren“, „lodernder Glutkern“, „Opfermut“, „rechtsoffen“ und „Realitätsverweigerung“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (V) – Von der „Suwalki-Lücke“ über „unsere Lebensweise“ zu „Woke und wehrhaft“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (VI) – Von der „Abrüstungsmentalität“ über „Body bags“ zur „Drecksarbeit“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (VII) – Von „Fencheltee-Diplomatie“ über „Glück“ zum „menschgewordenen Hitler-Stalin-Pakt“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (VIII) – „Nachhaltige Wehrhaftigkeit“, „NGOs“ und „Regelbasierte Armee“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (IX) – Von der „tektonischen Verschiebung“ über „weit in die Tiefe des russischen Raumes“ zum „weltpolitischen Beben“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (X) – “absolut mega“, „Bösewichte in Anführungszeichen“, „Daddy“ und „demokratische Krieger“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (XI) – Heute: „dienende Führung“, „Dünger“, „einen Gang hochschalten“, „Gamechanger“ und „Greening the armies“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (XII) – „Gesülze“, „Husarenstück“, „keine Faxen reißen“ und „kneifen“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (XIII) – Heute: „Kaltstart-Akte”, „Ladehemmung”, „Leben“ und „meinem Herzen folgen”.
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (XIV) – Diesmal dabei: „neues Gefühl“, „Oma Courage“, „Pearl-Harbor-Moment“ und „Placebo-Truppe“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (XV) – „Raubtier“, „rumpeln“, „Stachelschwein“ und „Sinnsuche“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (XVI) – „testen“, „unsere Lebensweise“, „verirren“ und „wertegeleitete Außenpolitik“
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (XVII) – Heute: „am Puls der Zeit“, „Baby“, „Baumarktdrohnen“ und „brutal, ich weiß“