Kein Wunder: Der britische "The Economist" zeigte die drei starken Europäer Starmer, Macron und Merz – neuerdrings E3 genannt – anlässlich ihrer Präsenz in Südafrika – alle lachend. In ihren eigenen Ländern haben alle drei massive Probleme, aber der Russenhass vereinigt sie – eine alte historische Realität: Wo Spaltung droht, hilft ein äußerer Feind. Nicht zuletzt deshalb ist Europa auch gar nicht daran interessiert, den Krieg in der Ukraine schnellstmöglich zu beenden. (Foto The Economist)

Kommentar | Die drei großen Europäer sollten nachdenken statt kläffen!

Nachdem US-Präsident Donald Trump, der den Krieg in der Ukraine so schnell als irgend möglich beenden möchte, seinen 28 Punkte umfassenden Friedensplan vorgelegt hatte, beeilten sich die Westeuropäer, besonders die sogenannten „großen Drei Europas“, Großbritannien, Frankreich und Deutschland (E3), einen Gegenentwurf vorzulegen, der im Wesentlichen eine Kritik am US-Plan darstellte und diesen in der Mehrzahl der Punkte abänderte (1). Allein schon dadurch demonstrierten die Westeuropäer erneut ihren Mangel an strategischer Eigenständigkeit und die fehlende Fähigkeit, die Geschicke des Kontinents aktiv mitzugestalten.

Damit vergaben sie eine günstige Gelegenheit, nicht zum ersten Mal, denn bereits die von Deutschland und Frankreich ganz wesentlich mitgestalteten Minsker Abkommen hatten schon in den Jahren 2014 und 2015 die wichtigsten Fragen im Ukraine-Konflikt ausgeblendet (2). Das war schon damals nicht geschehen, weil man diese Fragen nicht gesehen hätte, sondern weil man eher bereit war, die Ukraine in einen Krieg mit Russland schlittern zu lassen, als dem Kreml in wichtigen Fragen europäischer Sicherheit entgegenzukommen. 

 Worum geht es eigentlich? 

Aufgrund des Artikels über einen Nichtangriffspakt zwischen Russland, der Ukraine und der NATO ist bereits die Zielsetzung des europäischen Gegenentwurfs nicht ganz klar: Soll er einen russisch-ukrainischen Friedensplan darstellen oder einen Waffenstillstand zwischen Russland und der NATO? Letzteres wäre eine mehr als nur unglückliche Vermischung der Rollen im Ukraine-Konflikt, denn die USA sind einerseits NATO-Mitglied, sollen gemäß dem Willen der E3 gleichzeitig eine Art Vermittler- und Aufsichtsrolle zugewiesen erhalten und obendrein noch Sicherheitsgarantien geben. Das ist wohl noch nicht zu Ende gedacht. Immerhin ist die Tatsache, dass die E3, d.h. Großbritannien, Deutschland und Frankreich, von einem US-amerikanischen Plan ausgehen, der wohl auf Abmachungen zwischen Donald Trump und Wladimir Putin vom vergangenen August in Alaska beruht, ein Zeichen dafür, dass sie vom Ziel einer strategischen Niederlage Russlands und einer Zerlegung in Einzelteile Abstand genommen haben (3).

Wenig überraschend waren in den vergangenen Tagen Aussagen europäischer Spitzenpolitiker, dass die Erreichung eines Friedens zu dem von Donald Trump angestrebten Zeitpunkt, dem 27. November, völlig unmöglich sei (4). Vielleicht wissen die Europäer selbst, dass ihr Plan unausgereift ist, und glauben selbst immer noch, Russland stehe kurz vor dem Zusammenbruch. Aus einer Diskussion über den US-Friedensplan wird wohl ein langwieriges Feilschen um ein neues Dokument, während jeden Tag Menschen an der Front sterben. 

Territoriale Fragen

Der europäische Plan klammert eine klare Definition des Status der umstrittenen Territorien aus und bietet lediglich „Verhandlungen von der Kontaktlinie aus“ an. Während es ein Stück weit nachvollziehbar ist, dass die E3 Selenskyj die bittere Pille der rechtsverbindlichen Abtretung von Territorien ersparen wollen, müssen sie sich fragen, inwieweit sie selbst zu diesem Dilemma mit beigetragen haben. 

Zusammen mit der Verpflichtung zur Waffenruhe und zum Verzicht der Ukraine auf einen Angriff auf Russland käme das Abkommen einer de facto-Anerkennung der Gebietsverluste gleich, aber nicht de jure. Im Kreml erinnert man sich sicherlich daran, dass auch die ansonsten so auf Völkerrecht pochende EU schwieg, als Aserbaidschan im Herbst 2020 mit einer offenen militärischen Aggression in Berg-Karabach die Republik Artsakh beseitigte, die seit 1994 bestanden hatte und ohne Zweifel ein stabilisiertes de facto-Regime darstelle, für welches das Gewaltverbot des Briand-Kellogg-Paktes und das Gewohnheitsrecht der Caroline-Kriterien ebenso galten, wie für allgemein anerkannte Staaten (5). Im Nachhinein muss es wohl als Fehler bezeichnet werden, dass nicht einmal Armenien die fast ausschließlich von ihren Landsleuten bewohnte Republik anerkannt hatte. Daran mag man in Moskau gedacht haben, als man vor der Wahl stand, weiterhin die Unabhängigkeit der selbsternannten Volksrepubliken von Donetsk und Lugansk anzuerkennen, oder sie nach russischer Lesart in die Russische Föderation zu integrieren bzw. zu annektieren, wie die EU es nennt. Der Verzicht auf eine Regelung des Rechtsstatus der zwischen Russland und der Ukraine umstrittenen Gebiete eröffnet die Möglichkeit, den Krieg jederzeit wieder aufzunehmen. Wer aber heute auf diese Streitfrage eingeht, führt nur eine Verhärtung der Fronten herbei und erschwert eine Lösung der territorialen Streitigkeiten. (Hervorhebung durch die Redaktion)

Vorbild Südtirol?

Zweifelsfrei hätte die EU-Diplomatie enorm gepunktet, wenn sie nach dem 24. Februar 2022 eine Rückkehr zu den Minsker Abkommen gefordert hätte, denn diese stellten den letzten völkerrechtlichen Zustand dar, der offiziell allgemein anerkannt wurde. Dass die Minsker Abkommen besonders aus US-amerikanischer Sicht einen schlechten Deal darstellten und dass die ukrainischen Regierungen der Präsidenten Petro Poroshenko und Wolodymyr Selenskyj ohne stillschweigende Duldung Washingtons deren Verletzung nicht hätten riskieren können, war Insidern schon nach 2015 klar (6). Dass auch die ukrainische Seite den Minsker Waffenstillstand praktisch täglich verletzte, berichtete die Sonderbeobachtungsmission SMM der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OSZE beinahe täglich. 

Immerhin war in den Minsker Abkommen klar festgehalten gewesen, dass die selbsternannten Volksrepubliken von Donetsk und Lugansk Teile des ukrainischen Staatsgebiets seien und auch bleiben sollten. Ausgeklammert wurde hingegen der Status der Krim und es hätte der ukrainischen Regierung freigestanden, diese Frage separat aufzugreifen.

Wenn in einem künftigen Friedensvertrag zwischen Russland und der Ukraine der Status der vier umstrittenen Oblaste Donetsk, Lugansk, Kherson und Zaporozhie unerwähnt bliebe – was einem großen Erfolg der ukrainischen und der EU-Diplomatie gleichkäme –, dann müsste der Status der Bevölkerung der Krim und der vier strittigen Oblaste geklärt werden. Minimal müssten die Ukraine und die Europäer die dort ausgestellten Dokumente wie Pässe und andere anerkennen. Der Umstand, dass mehrere Millionen Menschen keinen Pass erwerben können, der in Westeuropa anerkannt wird, käme einer Bestrafung gleich, welche wohl die wenigsten verdient haben. Ein Manko des europäischen Friedensplans besteht sicherlich auch darin, dass von der Amnestie, welche im Minsker Maßnahmenpaket enthalten war, keine Rede mehr ist. Die zahlreichen Menschen, die in den von der russischen Armee eroberten Gebieten blieben, gelten in den Augen ukrainischer Nationalisten als Verräter und noch mehr jene, die als Polizeibeamte, Lehrer, Ärzte und dergleichen im staatlichen Dienst verblieben (7). Sie könnten auch in Zukunft eine Reise in die Ukraine nicht riskieren, was die Wiederherstellung der sozialen Beziehungen erschweren würde. Ukrainischen Nationalisten dürfte genau das vielleicht nicht ungelegen kommen. 

Überhaupt empfanden nationalistische Kreise in der Ukraine die Minsker Abkommen immer als inakzeptablen Eingriff in die inneren Angelegenheiten und in die Souveränität des Landes. Vorbild für „Minsk“ war ein Stück weit das Sonderstatut für das Trentino und das Südtirol in Italien gewesen, welches der deutschsprachigen Region in Italien umfangreiche Zuständigkeiten gewährt und die notwendigen finanziellen Regelungen beinhaltet (8). Es zeigt, wie weit Autonomieregelungen gehen können, die einem Zentralstaat zumutbar sind: Wenn die italienische Regierung 1972 das Sonderstatut für seine beiden deutschsprachigen Provinzen akzeptieren konnte, dann wäre Ähnliches auch für die ukrainische Regierung in Bezug auf die russischsprachigen Minderheiten im Osten zumutbar gewesen. 

Europa als Schutzmacht von Neonazis?

Der US-Friedensplan beinhaltet einen Punkt, der die Ukraine verpflichtete, die gesamte nazistische Ideologie abzulehnen und zu verbieten. In der EU-Fassung wurde dieser Punkt jedoch gestrichen und ersetzt durch die Bestimmung, dass die Ukraine die EU-Regeln zum Schutz sprachlicher Minderheiten übernehme. Das wirkt im Lichte der Diskriminierung der russischsprachigen Minderheiten in Estland, Lettland und Litauen nicht eben vertrauenswürdig (9).  

Die Erwähnung der nazistischen Ideologie im Vertrag würde implizit ein Eingeständnis bedeuten, dass Westeuropa im Krieg gegen Russland jahrelang ukrainische Neonazis als nützliche Idioten instrumentalisiert hat. Diese Peinlichkeit möchte man sich und der Ukraine ersparen, möglicherweise auch mit Rücksicht auf die baltischen Staaten, wo SS-Veteranen und Kollaborateure aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs heute wieder salonfähig sind (10). Die Entnazifizierung war ein explizit geäußertes Kriegsziel der Russen nach 2022 und in diesem Punkt wird Moskau wohl keine Zugeständnisse machen. Ob die nationalistische Rechte in der Ukraine das Zustandekommen eines Friedensvertrags überhaupt zulassen würde, muss aber als fraglich gelten. Das betrifft auch die persönliche Sicherheit von Wolodymyr Selenskyj. 

Dem Sanktionsreigen ein Ende!

Sowohl der Entwurf der Administration Trump als auch der Gegenvorschlag der E3 sprechen von einer Reintegration Russlands in die Weltwirtschaft, aber der europäische Plan bietet im Gegensatz zum amerikanischen keine konkreten Aussichten. Letzterer spricht nicht von einer Aufhebung der Sanktionen, sondern lediglich von einer Diskussion darüber. Den Ausgang dieser Diskussionen kann man sich leicht ausmalen und es stellt sich die Frage, weshalb Russland einem derartigen Gummi-Artikel überhaupt zustimmen soll. Ein Hindernis für das Zustandekommen eines Friedensabkommens muss das aber nicht darstellen, denn den USA steht es frei, die verhängten Sanktionen aufzuheben, selbst wenn diejenigen der EU in Kraft bleiben. Diese würden dann mit der Zeit Makulatur. 

Nicht die Rede ist von den Sanktionen gegen Belarus, die teilweise ja auch mit dem Krieg begründet wurden. Die E3 verlangen folglich, dass Russland ohne Aussichten auf eine Aufhebung von Sanktionen auch noch seinen engsten Bündnispartner im Stich lassen soll. Das würde einen Keil zwischen Belarus und Russland treiben und wird wohl auch in Minsk Opposition erzeugen. 

Russland wieder zu den Gipfeltreffen der G7 einzuladen, die dann wieder zur G8 würden, wäre bestimmt ein erster Schritt zur Wiederaufnahme von Wirtschaftsbeziehungen. Die Frage ist, ob Russland im Lichte der steigenden Bedeutung der Staaten der BRICS+-Gruppe daran brennend interessiert sein muss. Russland könnte in diesem exklusiven Club zwar den Advokaten der BRICS+-Gruppe und des Globalen Südens generell spielen, aber die Bedeutung des Gremiums G7 insgesamt ist im Sinken begriffen. Schon eher relevant sind da die G20 (11). 

Habenichtse mit hohen Ansprüchen

Zu den Änderungen gegenüber der ursprünglichen US-Version gehört die Streichung der Zusicherung, dass die NATO sich nicht erweitern wird. Auf der anderen Seite erklärt die Allianz, die Ukraine habe auf absehbare Zeit keine Chance auf eine NATO-Mitgliedschaft. Russland wird sich in dieser zentralen Frage ganz bestimmt nicht von der Entscheidung der NATO-Regierungschefs abhängig machen wollen. Daneben stellt sich dann auch noch die Frage, was die EU-Mitgliedschaft, von welcher im Entwurf der E3 die Rede ist, in Fragen der Sicherheit bedeutet. Ersetzen dann die militärischen Verpflichtungen im EU-Rahmen die NATO-Mitgliedschaft? Der blockfreie Status der Ukraine war und ist eine der wichtigsten Forderungen Russlands und in dieser Frage wird Moskau wohl hart bleiben. Neutral bedeutet nicht wehrlos, wie uns die NATO-Narrative derzeit gerne weismachen wollen, denn im Fall einer russischen Aggression würden alle diesbezüglichen Verpflichtungen der Ukraine entfallen. Dann könnte die NATO der Ukraine militärisch zur Seite stehen und auch in Friedenszeiten hindert nichts die beiden Seiten, einen entsprechenden Schritt vorzubereiten. 

Russland wird auch argwöhnen, dass der Artikel über den Verzicht der dauerhaften Stationierung von Truppen unter NATO-Kommando dazu führen wird, dass die E3 unter nationalem Kommando Truppen in der Ukraine stationieren, die sie regelmäßig wieder ablösen, sodass de facto eine permanente Stationierung resultiert. 

Man mache sich keine Illusionen: Die Europäer sind nicht in der Lage, der Ukraine Sicherheitsgarantien zu geben, können nicht einmal eine Peacekeeping Operation in einer Pufferzone stemmen, welche im Gegenvorschlag der E3 ohnehin fehlt (12). Mit den Sicherheitsgarantien der USA möchte man auch die USA in Europa weiter festbinden, welche ihrerseits die Westeuropäer anstellen wollten, um Russland einzudämmen. Hier ist intern noch nicht alles durchgedacht. Mit der Aussicht auf Kompensation für die zu leistenden Sicherheitsgarantien sollen die USA für den Vorschlag der E3 geködert werden. Wer aber diese Kompensation erbringt, bleibt offen. 

Dazu kommt, dass die europäischen Habenichtse die USA und Russland zum Abschluss von Rüstungskontrollabkommen im Bereich der strategischen Waffen verpflichten wollen, welchen die USA aber generell skeptisch gegenüberstehen, weil sie sich in einem eventuell bevorstehenden Rüstungswettlauf mit China nicht die Hände binden lassen wollen (13). In diesem Punkt wird vielleicht sogar Opposition aus Washington kommen. 

Ukraine statt Wehrpflicht

In ihrem Gegenentwurf sind die E3 bereit, die vorgeschlagene Obergrenze für die Streitkräfte der Ukraine von 600’000 auf 800’000 Mann in Friedenzeiten zu erhöhen. Mit einer stehenden Armee von 800’000 Mann ohne jegliche Beschränkungen im Bereich von Abstandwaffen und Seestreitkräften würde die Ukraine zur militärischen Supermacht auf dem europäischen Kontinent werden und hätte mehr Soldaten als vor 2022. Eine derart große Armee könnte die Ukraine in ihrem aktuellen Zustand wohl auch gar nicht finanzieren, sie müsste wohl auf die Hilfe Westeuropas zurückgreifen. Dass Frankreich schon in den Startlöchern steht, um sich ein möglichst großes Stück des absehbaren Geldflusses in die Ukraine zu sichern, zeigt der Verkauf der 100 französischen Kampfflugzeuge, den Macron mit Selenskyj vereinbart hat (14). Eine derart große Armee müsste in ein System von Rüstungskontrolle und vertrauensbildender Maßnahmen in der Region eingebunden sein. Man müsste sich dann auch noch fragen, weshalb eine derart große Armee überhaupt noch Sicherheitsgarantien einer auswärtigen Macht braucht. Russland würde gezwungen werden, das Gros seiner Landstreitkräfte an der Grenze zur Ukraine zu stationieren und damit entstünde eine Situation wie im Kalten Krieg an der deutsch-deutschen Grenze. Es kann weder im Interesse der EU noch der Ukraine liegen, dass Russland seine Sicherheit auf Dauer mit rein militärischen Mitteln gewährleistet.  (Hervorhebung durch die Redaktion)

Die E3 würden die Ukraine gerne zu einem Bollwerk machen, damit sie ihre Expeditions-Streitkräfte behalten und weiter als Trittbrett-Imperialisten auftreten können. Wenn aber der westeuropäische Steuerzahler murren sollte ob der Steuerlast, welche man ihm aufbürden möchte und ob der Milliarden, die man einem anerkanntermaßen hochkorrupten Regime zufließen lassen will, dann droht man ihm einfach mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht. Die entsprechende Diskussion, welche die deutsche Bundesregierung lanciert hat, dient wohl auch diesem Zweck. 

Nicht geleistete Denkarbeit – seit einem Jahrzehnt

Russland hat nun zwei Vorschläge vorliegen, von denen der US-amerikanische in mehreren Punkten besser ist und es wird auch US-Präsident Trump schmeicheln, wenn der Kreml mit dem US-Vorschlag weiterarbeiten will. Die E3 haben es verpasst, Russland in wesentlichen Fragen der Sicherheit entgegenzukommen, um ihrem ukrainischen Partner bessere Konditionen für einen Frieden zu verschaffen. Und sie müssten Donald Trump wohl noch einiges mehr anbieten, um ihn zu motivieren, zugunsten des E3-Vorschlags von seinem eigenen Abstand zu nehmen. 

Nicht einmal der US-Friedensplan beantwortet aber die beiden wesentlichen Fragen: Die erste ist, was wirklich die berechtigten Sicherheitsinteressen Russlands sind – die zwingend zu berücksichtigen sind, wenn man eine permanente Lage zwischen Krieg und Frieden vermeiden will – und wo die russischen Forderungen in ein Konzept der Sicherheit durch militärische Dominanz übergeht.  Bei der Beantwortung dieser Frage müsste der Westen in den Spiegel schauen, weil er dieses Prinzip, das grundsätzlich Sicherheit zuungunsten anderer gewährleistet, täglich selbst anwendet. Die zweite Frage bestünde darin, wie man ukrainischen Befürchtungen begegnet, dass Russland in ein paar Jahren den geringsten Streit mit der Ukraine nutzen könnte, um ein weiteres Mal 200 km Territorium zu besetzen, das ihm dann kaum wieder abzuringen ist. Schon der US-Vorschlag war zu wenig durchdacht und noch weniger ist es die europäische Antwort darauf.

Die Lösung der Frage nach dem NATO-Beitritt der Ukraine würde wohl das Tor öffnen zur Regelung anderer strittiger Fragen, wie eben auch der territorialen. Im Falle der für Russland so wichtigen Flottenstützpunkte auf der Krim wären Lösungen denkbar gewesen wie jene für die britischen Stützpunkte von Akrotiri und Dekelia oder die zahlreichen US-Stützpunkte außerhalb der USA (15). 

Die Lösung all dieser Fragen unter Wahrung der Interessen beider Länder hätte Monate, vielleicht Jahre gründlichen Nachdenkens und der Konsultationen mit dem „Feind“ verlangt. Bedauerlicherweise wurde diese Denkarbeit nicht geleistet. Es war im Vergleich dazu viel bequemer, russophobe Rhetorik zu praktizieren. Europa wird für seine Denkfaulheit bezahlen, nicht heute oder morgen, aber langfristig.

(Red.) Man beachte auch den Beitrag auf Globalbridge «Darum braucht die EU unbedingt den Feind Russland».

Anmerkungen: 

  1. Noch am Sonntagabend veröffentlichten verschiedene Medien einen europäischen Gegenvorschlag zum 28-Punkte-Entwurf eines US-Friedensplans; siehe „Vollständiger Text des europäischen Gegenvorschlags zum US-Friedensplan für die Ukraine“, bei Market Screener, am 23.11.2025 um 17:47 Uhr, online unter https://de.marketscreener.com/boerse-nachrichten/vollstaendiger-text-des-europaeischen-gegenvorschlags-zum-us-friedensplan-fuer-die-ukraine-ce7d5edcdb88ff21. Vgl. Nick Squires, Connor Stringer: Europe agrees to invite Putin back into G8, bei The Telegraph, 23.11.2025, 19:40 Uhr GMT, online unter https://www.telegraph.co.uk/world-news/2025/11/23/leaked-europe-rival-peace-plan-ukraine-full-russia-war/
  2. Zu den Minsker Abkommen siehe das Minsker Protokoll vom 05.09.2014, online unter https://www.osce.org/home/123257, das Minsker Memorandum vom 19.09.2014, online unter https://www.osce.org/files/f/documents/a/1/123807.pdf und das Minsker Maßnahmenpaket vom 12.02.2015, online unter https://www.osce.org/files/f/documents/5/b/140221.pdf; alle Originale in russischer Sprache. Das Minsker Maßnahmenpaket war Teil der Resolution 2202 des UN-Sicherheitsrats vom 17.02.2015. Wortlaut in deutscher Sprache unter https://www.un.org/depts/german/sr/sr_14-15/sr2202.pdf.
  3. Verweis Artikel „Analyse; Friedenstauben oder Höllenfeuer? bei Global Bridge, 12.08.2025, online unter https://globalbridge.ch/friedenstauben-oder-hoellenfeuer/
  4. Auch der deutsche Außenminister äußerte sich in diesem Sinn: “ +++ 23:13 Wadephul: Keine Hektik bei US-Plan für Ukraine +++“, bei ntv, 21.11.2025, online unter https://www.n-tv.de/politik/23-13-Wadephul-Keine-Hektik-bei-US-Plan-fuer-Ukraine-id30054285.html
  5. Der Briand-Kellogg-Pakt von 1928 lässt Staaten keine Wahlfreiheit zwischen friedlichen und gewaltsamen Methoden bei der Verfolgung selbst berechtigter nationaler Interessen mehr. Er entstand unter dem Eindruck der furchtbaren Opfer und Verheerungen des Ersten Weltkriegs. Namensgeben waren der damalige US-Außenminister Frank Billings Kellogg und der französische Außenminister Aristide Briand. Zum Briand-Kellogg-Pakt siehe „Briand-Kellogg-Pakt“ bei LeMo, Lebendiges Museum Online, 09.05.2025, online unter https://www.dhm.de/lemo/kapitel/weimarer-republik/aussenpolitik/briand-kellogg-pakt.html; englischer Text auf der Webseite der Yale-Universität unter https://avalon.law.yale.edu/20th_century/kbpact.asp. Zu den Caroline-Kriterien, welche die Anwendung militärischer Gewalt regeln und mittlerweile als Völker Gewohnheitsrecht betrachtet werden dürfen, siehe „Der Traum von der gewaltsamen Öffnung des Gordischen Knotens“, bei Global Bridge, 30.07.2024, online unter https://globalbridge.ch/der-traum-von-der-gewaltsamen-oeffnung-des-gordischen-knotens/. In der völkerrechtlichen Diskussion ist das Recht einer nationalen Minderheit auf Sezession umstritten. Siehe hierzu Christian Müller: Zur Erinnerung: Die Menschen auf der Krim und im Donbass hatten das Recht, sich von Kiev loszusagen! Bei Global Bridge, 25.11.2025, online unter https://globalbridge.ch/zur-erinnerung-die-menschen-auf-der-krim-und-im-donbass-hatten-das-recht-sich-von-kiev-loszusagen/. Der Autor begründet seine Auffassung, weshalb er solches für rechtens hält.
  6. Der Verfasser wertete die Berichte der OSZE Sonderbeobachtungsmission in der Ukraine (Special Monitoring Mission to Ukraine), als deren Senior Planning Officer er zeitweise dients, ab Februar 2025 bis Herbst 2020 täglich systematisch aus und kam zur Erkenntnis, dass die ukrainischen Regierungstruppen in einem Umfang von schwankend 40 bis 60% für die Verletzungen des Minsker Waffenstillstands verantwortlich zeichneten. 
  7. Unrühmliche Bekanntheit erlangte in diesem Zusammenhang die Homepage der ukrainischen, nichtstaatlichen Organisation „Центр «Миротворець“, deutsch „Zentrum Friedensstifter, auf welcher angebliche Verräter an den Pranger gestellt wurden. „. Auch der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder kam auf deren „Fahndungsliste“. Siehe „Ukrainische Fahndungsliste; Soyeon Schröder-Kim in großer Sorge um den Altkanzler“, bei welt.de, 14.11.2018, online unter https://www.welt.de/politik/ausland/article183824632/Gerhard-Schroeder-Deshalb-steht-er-auf-der-Fahndungsliste-der-Ukraine.html. Die Homepage beschäftigte auch die deutsche Bundesregierung: „Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes verurteilte die Liste unterdessen entschieden. „Wir haben der ukrainischen Seite unsere Position schon in der Vergangenheit deutlich gemacht und wir haben darauf gedrungen, dass die ukrainische Regierung auf die Löschung dieser Webseite hinwirkt.“.
  8. Siehe Statuto speciale per il Trentino – Alto Adige, Sonderstatut für Trentino-Südtirol, Decreto del Presidente della Repubblica 31 agosto 1972, n. 670: Approvazione del testo unico delle leggi costituzionali concer nenti lo statuto speciale per il Trentino-Alto Adige. (In G.U. 20 novembre 1972, n. 301; in B.U. 21 novembre 1978, n. 59, suppl. ord.), Dekret des Präsidenten der Republik vom 31. August 1972, Nr. 670: Genehmigung des vereinheitlichten Textes der Verfassungsgesetze, die das Sonderstatut für Trentino-Südtirol betreffen. (Im GBl. vom 20. November 1972, Nr. 301; im ABl. vom 21. November 1978, Nr. 59, ord. Beibl.), in italienischer und deutscher Sprache, online unter https://www.region.tnst.it/content/download/34421/1348652/file/STATUTO_SONDERSTATUT.pdf
  9. Die EU hat bisher herzlich wenig getan, um die Rechte der russischen Minderheit in den baltischen Republiken zu schützen. Siehe Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags: Die russischen Minderheiten in den baltischen Staaten, Sachstand, WD 2 – 3000 – 02/17, 24.02.2017, online unter https://www.bundestag.de/resource/blob/502250/4a724aa7d34d30c84baed59a7046500f/wd-2-010-17-pdf-data.pdf. Von den zahlreichen Publikationen dazu: Aufstand der „Nichtbürger“ in Lettland, bei Deutschlandfunk Kultur, 25.04.2014, online unter https://www.deutschlandfunkkultur.de/baltikum-aufstand-der-nichtbuerger-in-lettland-100.html und „Nichtbürger“ in Estland und Lettland, Angst vor der russischen Minderheit, bei Spiegel Ausland, 03.10.2017, online unter https://www.spiegel.de/politik/ausland/estland-und-lettland-das-problem-mit-der-russischen-minderheit-a-1169422.html
  10. Der Verfasser erinnert sich bspw. Gut daran, dass die estnische Botschafterin in einer Sitzung des Ständigen Rats der OSZE einmal die estnischen Angehörigen der Waffe-SS im Zweiten Weltkrieg als „Freiheitskämpfer“ bezeichnete. Es sei ein Schönheitsfehler gewesen, dass sie in Schwarzer Uniform [d.h. der SS] gedient hätten. 
  11. Siehe „Das transatlantische Imperium ist längst tot“, Interview von Pascal Lottaz mit Kishore Mahbubani, bei Neutrality Studies, auf YouTube, 26.11.2025, online unter https://www.youtube.com/watch?v=a85RlaW-Klg.
  12. Siehe „Peacekeeping im Donbass: Ist Europa zum Frieden fähig?“, bei Global Bridge, 16.01.2024, online unter https://globalbridge.ch/peacekeeping-im-donbass-ist-europa-zum-frieden-faehig/.  
  13. Entsprechende Befürchtungen dürfte die Administration Trump 2019 bewogen haben, das Abkommen über nukleare Mittelstreckenwaffen INF zu kündigen, den gemäß diesem war es den USA verboten, socke Waffen in Dienst zu stellen, während dies China freistand und immer noch freisteht, weil es ja nicht Vertragspartei ist. Ähnlich dürfte es sich mit dem Vertrag über den offenen Himmel verhalten, welcher bspw. Russland das Recht gab, auch über den pazifischen Territorien der USA wie Hawaii Kontrollflüge durchzuführen, während es den USA nicht möglich war, solche Flüge über China durchzuführen. Washington argwöhnte, Russland würde die gewonnenen Erkenntnisse umgehend an Peking weitergeben. 
  14. Siehe Michel Rose, Alessandro Parodi: Ukraine signs deal to obtain 100 French-made Rafale warplanes, bei Reuters, 17.11.2025, online unter https://www.reuters.com/business/aerospace-defense/zelenskiy-france-seal-air-defence-warplane-deals-2025-11-17/
  15. Akrotiri und Dekelia sind zwei britische Militärbasen auf Zypern und stellen britisches Hoheitsgebiet – offiziell Sovereign Base Areas – dar, sind jedoch nicht hermetisch von ihrer Umgebung abgeschlossen und können eingeschränkt zivil genutzt werden. In einigen Staaten genießen die USA dauerhafte und alleinige Kontrolle über bestimmte Militärbasen, obwohl sie völkerrechtlich im Staatsgebiet des Partners liegen. Die US-Streitkräfte üben hier die vollständige Kontrolle über Zugang und Sicherheit aus, und auf dem Gelände gilt US-Militärrecht. Das gilt für einzelne US-Anlagen auf der japanischen Insel Okinawa und in Südkorea (z. B. Camp Humphreys als US-Hauptbasis), für bestimmte Luft- oder Marinestützpunkte am Persischen Golf, sowie für Frühwarn- oder Kommunikationsanlagen, Radarstationen und Abhörstationen.
Globalbridge unterstützen