Wie man in Russland auf den neuen Friedensplan für die Ukraine reagiert hat
(Red.) Unser Korrespondent in Moskau, Stefano di Lorenzo, berichtet, wie der in den letzten Tagen durchgesickerte – oder auch absichtlich bekanntgemachte – 28-Punkte-Plan der USA und Russlands in Russland selber aufgenommen wurde. Noch ist man eher skeptisch, auch weil Europa noch keine Zustimmung signalisiert hat. – Siehe am Schluss des Beitrags die vollständige Übersetzung des 28-Punkte-Plans, soweit er schon bekannt ist. Interessant sind insbesondere auch die territorialen Abmachungen, siehe Punkt 21. (cm)
Es ist in diesem Jahr nicht das erste Mal, dass die Idee eines Friedensplans für die Ukraine auftaucht. Doch der jüngst veröffentlichte Entwurf, bekannt geworden am 20. November durch den ukrainischen Abgeordneten Oleksiy Hontscharenko, kann vielleicht als der bislang konkreteste gelten. Hontscharenko ließ über seine sozialen Kanäle wissen, dass es sich um eine vorläufige Version handele: „Es ist gut, dass es bereits eine Basis gibt. Jetzt müssen wir daran arbeiten und einige Punkte ändern, die für die Ukraine inakzeptabel sind, aber Frieden ist notwendig“, so der ukrainische Abgeordnete. Als ein Freund Russlands kann Hontscharenko kaum bezeichnet werden. Gleichzeitig berichten andere Quellen, dass der ukrainische Präsident Selenski den Plan bereits abgelehnt habe.
Die Verhandlungen zwischen den USA und Russland, die Anfang des Jahres begannen – mit der Ukraine und Europa eher als Störfaktoren – hatten bisher wenig greifbare Fortschritte gebracht. Auch dieses jüngste Vorhaben wird deswegen mit Vorsicht betrachtet. Kaum war der Entwurf des 28-Punkte-Abkommens geleakt, stellten westliche Politiker und Medien den Plan teilweise als ukrainische „Kapitulation“ dar und betonten, dass ein „gerechter Frieden“ notwendig sei, oder mit anderen Worten: die Zeit für Frieden sei noch nicht gekommen, die Ukraine müsse weiter kämpfen, Europa müsse die Ukraine unterstützen, alles andere sei Verrat an den demokratischen Werten.
Die russische Berichterstattung hingegen betrachtete das Dokument in erster Linie als technisches Paket mit strategischen Implikationen. Diskutiert wurden unter anderem Beschränkungen der ukrainischen Streitkräfte, die formelle Aufgabe eines NATO-Beitritts, Regelungen für die Krim und Teile des Donbass sowie Mechanismen für Sicherheitsgarantien und Finanzierungsmodelle für den Wiederaufbau. Dabei wurde oft hervorgehoben, dass es sich um Leaks in Medien und Telegram-Kanälen handelt, nicht um ein formelles diplomatisches Dokument. Der vermeintliche Plan wurde als de-facto-Verhandlungstisch verstanden, nicht als fertig ausgehandelter Vertrag.
Der Kreml reagierte offiziell vorsichtig. Dmitri Peskow, Sprecher des Präsidialamts, erklärte, dass Russland keinen offiziellen 28-Punkte-Vorschlag aus den USA erhalten habe. Peskow betonte, dass eine effektive Arbeit der russischen Streitkräfte dabei helfen werde, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj von der Notwendigkeit zu überzeugen, jetzt Verhandlungen zu führen. „Im Wesentlichen wird Selenskyj zu einer friedlichen Lösung des Konflikts gezwungen. Eine Fortsetzung ist für die Ukraine gefährlich. Das Regime muss eine verantwortungsvolle Entscheidung treffen, dies jetzt tun und Verantwortung übernehmen“, sagte der Sprecher des russischen Präsidenten.
Mit wem soll Russland verhandeln?
Am selben Tag des Leaks besuchte Präsident Wladimir Putin einen russischen Armeekommandoposten und bezeichnete in einem kurzen Briefing die ukrainische Führung als „kriminelle Gruppe“, die seit März 2024 die Macht „usurpiert“ habe (Selenskyj wurde im April 2019 gewählt und theoretisch hätte sein Amt im März 2024 enden müssen). Putin argumentierte, dass die ukrainische Führung Krieg aus privaten Interessen und nicht zur Verteidigung der Nation führe und Selenskyj seine Legitimität verloren habe.
Einige russische Kommentatoren hatten schon in der Vergangenheit argumentiert, dass ein Abkommen, das von Präsident Selenskyj unterzeichnet werden sollte, für den Kreml nicht unbedingt gültig wäre. In diesem Zusammenhang wurde diskutiert, dass etwa der Sprecher der Rada (das ukrainische Parlament) oder ein anderer Politiker ein akzeptablerer Partner für ein Friedensabkommen sein könnte.
Russische Experten analysierten den 28-Punkte-Entwurf detailliert, prüften die operative Durchführbarkeit, die strategische Wirkung von Waffenbegrenzungen, die rechtliche Statusklärung von Gebieten sowie die technischen Details von Amnestien und Entschädigungen. Militärische Korrespondenten hatten seit Monaten schon bewertet, welche Obergrenzen für Truppen und Waffen die Fähigkeit Kiews, kritische Infrastruktur anzugreifen, tatsächlich neutralisieren könnten. Juristische Analysen beschäftigten sich mit der praktischen Umsetzbarkeit von Garantien, die finanzielle Kompensation und Stabilität sichern sollen.
Russische Falken haben in der Vergangenheit Skepsis oder Ablehnung gegenüber Kompromissen mit der Ukraine und der NATO, die Frontlinien einfrieren, ohne russische strategische Positionen dauerhaft zu sichern, geäußert. Sie betonten, dass ein solches Abkommen taktisch nachteilig wäre, wenn Russlands Position gefährdet bliebe, und forderten eine verbindliche Anerkennung territorialer Realitäten. Moderatere Stimmen lobten hingegen Teile des neuen Plans als Zeichen, dass die US-Diplomatie bereit sei, sich auf zentrale russische Forderungen einzulassen. Kirill Dmitrijew, Leiter des Russian Direct Investment Fund, der zusammen mit seinem US-Pendant an dem 28-Punkte-Plan gearbeitet haben soll, kommentierte, dass die US-Seite „wirklich Russlands Positionen angehört habe“.
Russische Medien wiesen darauf hin, dass Kiews Ablehnung bestimmter Punkte die Asymmetrie verdeutliche: Moskaus Ziele seien bereits im öffentlichen Text enthalten, während die Ukraine eine Take-it-or-leave-it-Position innehabe. In dieser Lesart diente der Leak selbst als strategisches Instrument: Er erzeugte öffentlichen Druck auf Kiew und prägte den Verhandlungsrahmen vor offiziellen Gesprächen.
Der russische Politikberater und Amerikanist Pawel Dubrawsky, zitiert in einem Bericht der russischen Online-Zeitung Lenta.ru, ist überzeugt, dass das Projekt persönlich von Donald Trump und vermutlich auch von Wladimir Putin abgestimmt und gebilligt wurde. Er äußerte außerdem die Vermutung, dass auch das Leak des Dokuments an die Presse kein Zufall gewesen sei. Ziel dieser kontrollierten Veröffentlichung könne seiner Ansicht nach zu demonstrieren gewesen sein, dass die USA bereit seien, selbst ohne Zustimmung Kiews mit Russland zu verhandeln. Gleichzeitig sei schwer vorherzusagen, wie die Ukraine in einer solchen Lage reagieren würde, und auch innerhalb der EU gebe es keine einheitliche Linie zu den amerikanischen Vermittlungsbemühungen. Trump habe jedoch vermutlich entschieden, dass der aktuelle Korruptionsskandal im Umfeld des ukrainischen Präsidenten Selenskyj ein idealer Moment für einen möglichen Deal sei.
Der russische Politikberater betonte, dass die Verständigungen zwischen Russland und den USA bislang nicht endgültig seien, beide Seiten im Vergleich zu früheren Initiativen jedoch deutlich größere Zugeständnisse machten. Zu den Hauptfaktoren, die Washington zu einer teilweisen Zustimmung zu russischen Bedingungen bewegt hätten, zählte er das anhaltende Vorrücken russischer Truppen, den Korruptionsskandal im Präsidentenbüro in Kiew und Selenskyjs mangelnde Kompromissbereitschaft. Besonders effektiv habe sich dabei ein „zweiter“, informeller diplomatischer Kanal erwiesen, der nicht über Außenministerien, sondern über Vertreter der jeweiligen Administration laufe. Trump scheine entschlossen, den gordischen Knoten nicht zu entwirren, sondern ihn zu durchschlagen, indem er die Ukraine zu einer Vereinbarung dränge.
Insgesamt betonten russische Medien Kontinuität statt Bruch. Selbst kritische Stimmen betrachteten den 28-Punkte-Plan als ein weiteres Kapitel in einer langen diplomatischen Sequenz. Moskaus rote Linien — Ablehnung der NATO-Mitgliedschaft, Anerkennung territorialer Gegebenheiten und Beschränkung ukrainischer Streitkräfte — waren seit Jahren bekannt, und der geleakte Plan wurde vor allem danach bewertet, ob diese Linien in umsetzbare Bedingungen übertragen werden könnten.
(Red.) Hier ist der vollständige Entwurf des 28-Punkte-Abkommens, soweit er schon bekannt ist:
1. Die Souveränität der Ukraine wird bestätigt.
2. Zwischen Russland, der Ukraine und Europa wird ein umfassendes Nichtangriffsabkommen geschlossen. Alle Unklarheiten der letzten 30 Jahre gelten als geklärt.
3. Es wird erwartet, dass Russland nicht in Nachbarländer einmarschiert und die NATO nicht weiter expandiert.
4. Es wird ein Dialog zwischen Russland und der NATO unter Vermittlung der USA stattfinden, um alle Sicherheitsfragen zu klären und Bedingungen für eine Deeskalation zu schaffen, um die globale Sicherheit zu gewährleisten und die Möglichkeiten für Zusammenarbeit und zukünftige wirtschaftliche Entwicklung zu verbessern.
5. Die Ukraine erhält verlässliche Sicherheitsgarantien.
6. Die Größe der ukrainischen Streitkräfte wird auf 600.000 Soldaten begrenzt.
7. Die Ukraine erklärt sich bereit, in ihrer Verfassung zu verankern, dass sie der NATO nicht beitreten wird, und die NATO erklärt sich bereit, in ihre Statuten eine Bestimmung aufzunehmen, dass die Ukraine auch in Zukunft nicht aufgenommen wird.
8. Die NATO erklärt sich bereit, keine Truppen in der Ukraine zu stationieren.
9. Europäische Kampfflugzeuge werden in Polen stationiert.
10. Die Garantie der USA:
– Die USA erhalten eine Entschädigung für die Garantie.
– Wenn die Ukraine in Russland einmarschiert, verliert sie die Garantie.
– Wenn Russland in die Ukraine einmarschiert, werden zusätzlich zu einer entschlossenen koordinierten militärischen Reaktion alle globalen Sanktionen wieder in Kraft gesetzt, die Anerkennung des neuen Territoriums und alle anderen Vorteile dieses Abkommens werden widerrufen.
– Wenn die Ukraine ohne Grund eine Rakete auf Moskau oder St. Petersburg abfeuert, wird die Sicherheitsgarantie als ungültig betrachtet.
11. Die Ukraine ist für eine EU-Mitgliedschaft qualifiziert und erhält während der Prüfung dieser Frage kurzfristig bevorzugten Zugang zum europäischen Markt.
12. Ein wirkungsvolles globales Maßnahmenpaket zum Wiederaufbau der Ukraine, das unter anderem Folgendes umfasst:
– Die Einrichtung eines Ukraine-Entwicklungsfonds zur Investition in schnell wachsende Branchen, darunter Technologie, Rechenzentren und künstliche Intelligenz.
– Die USA werden mit der Ukraine zusammenarbeiten, um gemeinsam die Gasinfrastruktur der Ukraine, einschließlich Pipelines und Speicheranlagen, wieder aufzubauen, zu entwickeln, zu modernisieren und zu betreiben.
– Gemeinsame Anstrengungen zur Sanierung kriegsgeschädigter Gebiete für die Wiederherstellung, den Wiederaufbau und die Modernisierung von Städten und Wohngebieten.
– Entwicklung der Infrastruktur.
– Gewinnung von Mineralien und natürlichen Ressourcen.
– Die Weltbank wird ein spezielles Finanzierungspaket entwickeln, um diese Bemühungen zu beschleunigen.
13. Russland wird wieder in die Weltwirtschaft integriert:
– Die Aufhebung der Sanktionen wird schrittweise und von Fall zu Fall diskutiert und vereinbart.
– Die USA werden ein langfristiges Wirtschaftskooperationsabkommen für die gegenseitige Entwicklung in den Bereichen Energie, natürliche Ressourcen, Infrastruktur, künstliche Intelligenz, Rechenzentren, Projekte zur Gewinnung von Seltenerdmetallen in der Arktis und andere für beide Seiten vorteilhafte Unternehmensmöglichkeiten abschließen.
– Russland wird eingeladen, wieder der G8 beizutreten.
14. Die eingefrorenen Gelder werden wie folgt verwendet:
– 100 Mrd. USD (76 Mrd. GBP) an eingefrorenen russischen Vermögenswerten werden in die von den USA geleiteten Bemühungen zum Wiederaufbau und zu Investitionen in der Ukraine investiert.
– Die USA erhalten 50 % der Gewinne aus diesem Vorhaben. Europa wird weitere 100 Mrd. USD (76 Mrd. GBP) hinzufügen, um die für den Wiederaufbau der Ukraine verfügbaren Investitionsmittel zu erhöhen. Die eingefrorenen europäischen Gelder werden freigegeben. Der Rest der eingefrorenen russischen Gelder wird in ein separates US-russisches Investitionsvehikel investiert, das gemeinsame Projekte in bestimmten Bereichen durchführen wird. Dieser Fonds soll die Beziehungen stärken und gemeinsame Interessen fördern, um einen starken Anreiz zu schaffen, nicht in den Konflikt zurückzufallen.
15. Es wird eine gemeinsame amerikanisch-russische Arbeitsgruppe zu Sicherheitsfragen eingerichtet, um die Einhaltung aller Bestimmungen dieses Abkommens zu fördern und sicherzustellen.
16. Russland wird seine Politik der Nichtangriffspolitik gegenüber Europa und der Ukraine gesetzlich verankern.
17. Die USA und Russland werden sich darauf einigen, die Gültigkeit der Verträge über die Nichtverbreitung und Kontrolle von Kernwaffen, einschließlich des START-I-Vertrags, zu verlängern.
18. Die Ukraine erklärt sich bereit, gemäß dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen ein atomwaffenfreier Staat zu sein.
19. Das Kernkraftwerk Saporischschja wird unter der Aufsicht der IAEO in Betrieb genommen, und der erzeugte Strom wird zu gleichen Teilen zwischen Russland und der Ukraine aufgeteilt – 50:50.
20. Beide Länder verpflichten sich, in Schulen und in der Gesellschaft Bildungsprogramme durchzuführen, die darauf abzielen, das Verständnis und die Toleranz gegenüber anderen Kulturen zu fördern und Rassismus und Vorurteile zu beseitigen:
– Die Ukraine wird die EU-Vorschriften zur religiösen Toleranz und zum Schutz sprachlicher Minderheiten übernehmen.
– Beide Länder werden sich darauf einigen, alle diskriminierenden Maßnahmen abzuschaffen und die Rechte der ukrainischen und russischen Medien und Bildung zu garantieren.
– Alle nazistischen Ideologien und Aktivitäten müssen abgelehnt und verboten werden.
21. Gebiete:
– Die Krim, Luhansk und Donezk werden als de facto russisch anerkannt, auch von den USA.
– Cherson und Saporischschja werden entlang der Kontaktlinie eingefroren, was eine de facto Anerkennung entlang der Kontaktlinie bedeutet.
– Russland wird andere vereinbarte Gebiete, die es außerhalb der fünf Regionen kontrolliert, aufgeben.
– Die ukrainischen Streitkräfte werden sich aus dem Teil der Oblast Donezk zurückziehen, den sie derzeit kontrollieren, und diese Rückzugszone wird als neutrale entmilitarisierte Pufferzone betrachtet, die international als Gebiet der Russischen Föderation anerkannt ist. Russische Streitkräfte werden diese entmilitarisierte Zone nicht betreten.
22. Nach der Einigung über künftige territoriale Vereinbarungen verpflichten sich sowohl die Russische Föderation als auch die Ukraine, diese Vereinbarungen nicht mit Gewalt zu ändern. Im Falle eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung gelten keine Sicherheitsgarantien.
23. Russland wird die Ukraine nicht daran hindern, den Dnepr [Dnipro] für kommerzielle Aktivitäten zu nutzen, und es werden Vereinbarungen über den freien Transport von Getreide über das Schwarze Meer getroffen.
24. Es wird ein humanitärer Ausschuss eingerichtet, um offene Fragen zu klären:
– Alle verbleibenden Gefangenen und Leichen werden auf der Grundlage „alle gegen alle” ausgetauscht.
– Alle zivilen Häftlinge und Geiseln, einschließlich Kinder, werden zurückgegeben.
– Es wird ein Programm zur Familienzusammenführung durchgeführt.
– Es werden Maßnahmen ergriffen, um das Leid der Opfer des Konflikts zu lindern.
25. Die Ukraine wird in 100 Tagen Wahlen abhalten.
26. Alle an diesem Konflikt beteiligten Parteien erhalten vollständige Amnestie für ihre Handlungen während des Krieges und erklären sich bereit, in Zukunft keine Ansprüche geltend zu machen oder Beschwerden zu prüfen.
27. Diese Vereinbarung ist rechtsverbindlich. Ihre Umsetzung wird vom Friedensrat unter der Leitung von Präsident Donald J. Trump überwacht und garantiert. Bei Verstößen werden Sanktionen verhängt.
28. Sobald alle Parteien diesem Memorandum zugestimmt haben, tritt der Waffenstillstand in Kraft, sobald sich beide Seiten auf vereinbarte Punkte zurückgezogen haben, um mit der Umsetzung der Vereinbarung zu beginnen.