Bertold Brecht 1951 in Ostberlin (Foto Horst Sturm)

„Denn der Menschheit drohen Kriege …“ – oder: 80 Jahre Hiroshima

Ab und zu ist es doch hilfreich, sich mal an den Deutschunterricht der zehnten Klasse zu erinnern. Zumal damals noch Gedichte durchgenommen wurden. Auch noch solche, die heutige Schüler vielleicht gar nicht mehr lernen (dürfen).

„Denn der Menschheit drohen Kriege, 
gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, 
und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, 
wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, 
nicht die Hände zerschlagen werden.“ 

(Bertolt Brecht: „Das Gedächtnis der Menschheit“)

Darf man das noch zitieren?

Oder ist das schon „Aufruf zur Gewalt“, „Hate Speech“, am Ende gar „russischer Narrativ“? – 

Wer weiß …

Dabei ist es doch nur Kunst! Aus dem berühmten Gedicht „Das Gedächtnis der Menschheit“ von Bertolt Brecht. Vom Meister persönlich vorgetragen auf dem internationalen „Kongress der Völker für den Frieden“ von Künstlern und Intellektuellen im Dezember 1952 in Wien. Im Jahre sieben nach Hiroshima. (Ja, damals ‚interessierten‘ sich die Völker noch für sowas… Veranstalteten sogar Kongresse!)

Außerdem: Bereitet hier irgendjemand – am Ende sogar „in aller Öffentlichkeit“ – Kriege vor? Ich kenne keinen.

Ergo: Nein, liebe Politiker-Doppelpunkt-innen. Keine Angst, verehrte Journalist-Sternchen-innen: Ihre Hände bleiben selbstverständlich heile! Sie können sie bis an das friedliche Ende Ihrer Tage für alle möglichen (und unmöglichen) Tätigkeiten verwenden. 

Aber hören wir doch nochmal, weil‘s so schön war, alle zusammen das berühmte Gedicht:

Das Gedächtnis der Menschheit 
Bertolt Brecht 

Das Gedächtnis der Menschheit 
für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. 
Ihre Vorstellungsgabe für kommende 
Leiden ist fast noch geringer. 

Die Beschreibungen, 
die der New Yorker 
von den Gräueln der Atombombe erhielt, 
schreckten ihn anscheinend nur wenig. 
Der Hamburger ist noch umringt von den Ruinen,
und doch zögert er, 
die Hand gegen einen neuen Krieg zu erheben. 
Die weltweiten Schrecken der vierziger Jahre scheinen vergessen. 
Der Regen von gestern macht uns nicht nass sagen viele. 

Diese Abgestumpftheit ist es, 
die wir zu bekämpfen haben, 
ihr äußerster Grad ist der Tod. 
Allzu viele kommen uns schon heute vor wie Tote, 
wie Leute, die schon hinter sich haben, 
was sie vor sich haben, so wenig tun sie dagegen. 

Und doch wird nichts mich davon überzeugen, 
dass es aussichtslos ist, 
der Vernunft gegen ihre Feinde beizustehen. 
Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, 
damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! 
Lasst uns die Warnungen erneuern, 
und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind! 
Denn der Menschheit drohen Kriege, 
gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, 
und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, 
wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, 
nicht die Hände zerschlagen werden.

Und keine Sorge: Ist ja nur ein Gedicht!
(aus: Bertolt Brecht, Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 12: Gedichte 2. © Bertolt-Brecht-Erben/Suhrkamp Verlag 1988.)

Globalbridge unterstützen