
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (VII) – Von „Fencheltee-Diplomatie“ über „Glück“ zum „menschgewordenen Hitler-Stalin-Pakt“
Vokabelkritik ist zu Kriegszeiten das Gebot der Stunde. Ich veröffentliche in unregelmäßigen Abständen eine Sammlung teils lügenhafter Wörter oder Formulierungen, deren Sinn und Funktion es ist, unsere Gesellschaft möglichst geräuschlos in Richtung „Kriegstüchtigkeit“ umzukrempeln.
ein Zeichen setzen
Motto: Ein Zeichen muss nicht wirken – Hauptsache, es ist gesetzt. Das macht, regierungsamtliches Lob (und nicht selten Staatsknete) einheimsend, die vielfältig-woke Community gerne. Nur nicht für einen sofortigen Stop der Kampfhandlungen im Ukrainekrieg, gegen die irrwitzige Aufrüstung und die Umerziehung der gesamten Gesellschaft in Richtung „Kriegstüchtigkeit“! (vgl. „Gesicht zeigen“, „NGO“, „Vielfalt“)
Engagement
Nennt man es, wenn die eigene Seite oder eine befreundete Macht eine ‚militärische Spezialoperation‘ im Ausland (beispielsweise in Jugoslawien, in Afghanistan, im Irak, Libyen, Syrien oder im Iran) durchführt. Im anderen Falle ist das ein „völkerrechtswidriger Angriffskrieg“. (vgl. „Militärschlag“, „Mission“, „Rebellen“)
erhebliche Ausbildungs- und Ausrüstungslücken
Diagnostiziert der – „letzter Friedenssommer“ – Militärhysteriker (sorry: Militärhistoriker!) Sönke Neitzel der Bundeswehr. „Dieses Ziel“, gemeint ist eine einsatzbereite schwere Division, die die Bundesregierung der NATO bis 2027 melden soll, „wird trotz des Sondervermögens nicht erreicht werden.“ Da wird‘s allmählich eng, wenn Putin 2030, nein: 2029, nein: kommendes Jahr die Panzer gen Westen rollen lässt …
erlebbar
Neulich live im ZDF-Morgenmagazin aus der Pionierschule im Bayerischen Ingolstadt, wo laut Anmoderation „junge Soldatinnen und Soldaten für den Ernstfall ausgebildet“ werden. „Seit 2022 werden ukrainische Soldaten hier ausgebildet. Was macht das denn für Ihre Kolleginnen und Kollegen von der Bundeswehr, die hier mit Kollegen aus der Ukraine trainieren, die dann wieder in den Krieg müssen?“ fragt in Anwesenheit Ingolstädter Schüler der ZDF-Reporter den vermummten Oberstleutnant „Max“ im Tarnanzug und Sonnenbrille. „Das bringt zum einen den Krieg tatsächlich nahe. Das macht ihn erlebbarer. Nicht nur in Medien, im Internet, sondern tatsächlich in der Interaktion mit den ukrainischen Kameradinnen und Kameraden.“ – Und wenn alle so weiter machen, wird der Krieg spätestens „2030“ nicht nur „erlebbarer“, sondern auch erlebt. Vielleicht ja auch von den jungen Ingolstädtern, die diesmal noch als Schülerinnen und Schüler anwesend waren. Kameradinnen und Kameraden haben sie schon. In der Ukraine. Und Feindinnen und Feinde auch. In Russland. Und Politikerinnen und Politiker, die sie – wie einst Oberstleutnant „Max“ nach Afghanistan – dann ins Gefecht schicken werden.
Ertüchtigung
Klingt nach Turnvater Jahn – meint aber die militärische Aufrüstung von „Partnerstaaten“. Ein Euphemismus mit Tradition: Waffen für andere, solange sie „unsere Werte“ vertreten. Ein Begriff, der asymmetrische Kriege beschönigt.
ethische Fragen im Voraus beantworten
Dieser anspruchsvollen Herausforderung stellt sich die Münchner Firma Helsing, indem sie unter anderem die „stör-immune und massenproduzierbare“ Kamikazedrohne HX-2 mit „integrierter künstlicher Intelligenz“ („AI-powered strike drone“) entwickelte und nun nach der erfolgten Fertigstellung der Resilience Factory (RF-1) in Süddeutschland 6.000 dieser Kampfdrohnen für die Ukraine produziert. Zuzüglich zur bereits laufenden Lieferung von 4.000. Dazu der Publizist Günther Burbach: „Die HX-2 funktioniert wie ein digitaler Raubvogel. Sie ortet, erkennt, entscheidet, tötet. Sie braucht keine permanente Steuerung. Kein Pilot sitzt mehr in einem Container in Ramstein. Die Maschine ist die Entscheidung. Der Tod wird delegiert, nicht mehr von Soldat zu Soldat, sondern von Mensch zu Algorithmus.“ Alles natürlich, wie die Helding-Homepage stolz vermeldet, „um unsere demokratischen Werte und offene Gesellschaft zu schützen. Ganz gleich, wo auf der Welt.“ (vgl. „autonom“, „in der schwersten Gewichtsklasse boxen“)
Fähigkeitslücke
„Endlich Schluss mit der Fähigkeitslücke? Die kleine Panzerflotte der Bundeswehr und der NATO im Osten soll wachsen“, kündigte die Frankfurter Rundschau am 6. Juli 2025 an. (Kleine Anmerkung: Der Münchner Merkur hatte zwei Tage zuvor in dem ansonsten identischen Artikel eines Karsten-Dirk Hinzmann statt „kleine“ „mickrige Panzerflotte“ geschrieben.) Denn jetzt will laut Wirtschaftsdienst Bloomberg Deutschland 25 Milliarden Euro investieren, um die NATO-Truppen an der Ostflanke mit bis zu 1.000 Kampf- und 2.500 Schützenpanzern verstärken. „Eine Investition“, so der hämische Kommentar des sozialliberalen Qualitätsblattes, „die Wladimir Putins Mütchen kühlen soll.“ („Mütchen“) Allerdings: „Zur Schließung der deutschen Fähigkeitslücken“ gäbe es laut Militärhistoriker Sönke Neitzel zwar Konzepte und marktverfügbare Systeme, entscheidend sei aber die Frage, „wann diese kampfbereit zur Verfügung stehen – und womöglich: Wer die bedienen soll.“ – Tja, wer? Hätten Sie eine Idee?
Fencheltee-Diplomatie
„Wie – meine Damen und Herren am Frühstückstisch – wenn nicht mit einem Militärschlag, sollte man den erwiesenermaßen nicht kompromissbereiten Iran sonst davon abhalten, in den Besitz einer Atombombe zu gelangen und Israel auszulöschen? Vielleicht beim Stuhlkreis mit Fencheltee?“ Jubelte Welt-Chefredakteur Jan Philipp Burgard am 23. Juni, nachdem Donald Trump im Iran die „Drecksarbeit“ für uns alle erledigt hatte. – Merke: Diplomatie ist nur noch eine Domäne schlaffer langhaariger Althippies in selbstgebatikten T-Shirts. (vgl. „Friedensforscher“, „Lumpenpazifisten“)
friedlichster Mann der Welt
Ist, man höre und staune, laut Meisterdenker Peter Sloterdijk, der französische Präsident Emmanuel Macron!
Führungsanspruch
Neuerdings sogar: „Führungsanspruch – auch wider Willen“. Im zivilen Diskurs: Zeichen von Reife und Selbstbewusstsein. In der Geopolitik jedoch oft verbunden mit militärischer Schlagkraft. Wer führt, muss auch führen können – und meint damit zunehmend Divisionen, nicht Debatten. Eine brandgefährliche Mischung mit deutscher Vergangenheit.
gesamtstaatliche Operationalisierung
„Es kommt auf gesamtstaatliche Operationalisierung an! Gesamtverteidigung ist zentraler Teil Integrierter Sicherheit. Somit müssen die zivile Verteidigung und die militärische Verteidigung, die in einem unauflösbaren Verhältnis zueinanderstehen, aufeinander abgestimmt im selben Tempo auf die Bedrohungslage ausgerichtet werden.“ (Und da ist der „Operationsplan Deutschland“ erst der Anfang.) Postuliert schon wieder die diskurstüchtige Bundesakademie für Sicherheitspolitik. – Technokratisches Tarnwort für die schleichende Militarisierung der gesamten Gesellschaft – von der Schulbehörde bis zum Stadtwerkeverbund. (vgl. „Grünbuch“, „Heimatfront und Frontlinie“)
Glück
Bedeutet – und um dies zu erkennen und zu würdigen, muss man wahrlich ein „anregender Philosoph“ sein –, endlich wieder einen Feind zu haben! Und nicht etwa irgendeinen… Auch diese atemberaubende Erkenntnis, nein: frohe Botschaft, verdanken wir Peter Sloterdijk, der kürzlich in der FAZ verlauten ließ: „Europa erlebt derzeit, historisch gesehen, etwas, das einem Glück gleicht. Wir haben wieder Feinde. Echte Feinde.“ Ja, Sie haben richtig gelesen: „Glück“ und „Echte Feinde“! Zum Glück haben wir dazu auch noch echte Philosophen… (vgl. „immer ein Feind“, „offen, öffentlich und offensiv“)
grauer Krieg
„Es ist kein Krieg mit Panzern, aber es ist ein grauer Krieg, ein hybrider Krieg, die erste Stufe eines unerklärten Krieges, den Putin gegen uns im Westen und damit auch gegen die NATO führt.“ Messerscharfe Conclusio des Regensburger Politikprofessors Stephan Bierling: „Wir sind schon im Krieg mit Russland.“ – Die frohe subkutane Botschaft: Man muss den Krieg gar nicht mehr herbeireden, er ist schon da!
immer ein Feind
Wird, laut Johann Wadephul, Russland für uns und unsere europäische Sicherheit bleiben. Auch wenn der Ukrainekrieg irgendwann zuende sein wird. Mit dieser dankenswerten Klarstellung erweist sich der neue black-rote Spitzendiplomat als würdiger Nachfolger seiner Ampel-Vorgängerin, die ja Russland nicht nur „ruinieren“ wollte, sondern bereits „einen Krieg gegen Russland“ kämpfte. (Was auch philosophisch überhöht werden kann. Denn nach Peter Sloterdijk „gleicht dies einem Glück“!)
in der Gesellschaft ankommen
Soll nun endlich die „stärkste Friedensbewegung Deutschlands“, die Bundeswehr. Weshalb noch etwas nachgeholfen werden muss, um den Job des Tötens und Getötet-Werdens attraktiver zu machen: Imagekampagne, Karrierechancen, kostenloser Führerschein, Veteranentag… Bald aber wird es umgekehrt sein: Wenn die Gesellschaft – direkt oder indirekt – in der Bundeswehr angekommen ist! Via Wehrpflicht und postmodern-diversen Arbeitsdienst. (vgl. „Freiheitsdienst“, „Heimatfront und Frontlinie“)
in der schwersten Gewichtsklasse boxen
Macht, laut Angaben von Technikchef Johannes Schaback, die deutsche Firma Stark Defense, indem sie die „in der Ukraine bereits probeweise am Start befindliche“ Kampfdrohne Virtus (für Nicht-Lateiner: Tugend) – Reichweite: 100 Kilometer, fünf Kilogramm schwerer Gefechtskopf – produziert. Der tugendhafte Name der Kampfdrohne ist offensichtlich nicht zufällig gewählt. Denn: „Stark wurde mit dem Ziel gegründet, unsere demokratischen Werte zu verteidigen.“ (vgl. „autonom“)
Kampfkraft
Kriegszeiten sind, je länger sie dauern, Zeiten kumulativer Radikalisierung. Das gilt selbstverständlich auch für die Sprache. Worte, Begriffe, Formulierungen, die heute als anstößig gelten, haben sich morgen bereits abgenutzt und bedürfen spätestens übermorgen, weil harmlos geworden, der Steigerung. So jüngst geschehen mit der vor weniger als zwei Jahren noch skandalösen, bis dato in der Bundesrepublik unerhörten „Kriegstüchtigkeit“. Die muss nun ihrerseits bereits zur „Kampfkraft“ gesteigert werden: „Alle Maßnahmen müssen ein Hauptziel haben: das schnellstmögliche Erlangen von Kampfkraft bis 2029“, sagt der Chef des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, in einem Welt-Interview. Schnellstmöglich. Auch wenn es dabei „Wachstumsschmerzen“ geben sollte. (Und nun auch schon nicht mehr erst „2030“!)
Kriegskasse
Des Kreml natürlich. (Noch besser: „Putins Kriegskasse“.) Lautet hierzulande „Verteidigungsetat“.
menschgewordener Hitler-Stalin-Pakt
Etwas umständliche Umschreibung des CSU-Vorstandsmitglieds Bernd Posselt für die BSW-Chefin Sahra Wagenknecht.
Menschlichkeit
Für diese wird Agnes Strack-Zimmermann jetzt mit dem „Janusz-Korczak-Preis für Menschlichkeit“ ausgezeichnet. Die Laudatio hält George Orwell.
Mission
Euphemismus für einen bewaffneten Auslandseinsatz mit moralischem Tarnanstrich. Findet meist nicht vor der eigenen Haustür statt, aber stets im Namen höherer „Werte“: Demokratie, Freiheit oder wahlweise „Stabilität“. (vgl. „Engagement“, „Militärschlag“)
(wird fortgesetzt)
Die ersten sechs Folgen erschienen am 27. Mai, 1. Juni, 15. Juni, 21. Juni, 28. Juni und am 14. Juli