Blick ins aktuelle Wirtschaftsforum in St. Petersburg, wo die russischen Firmen selbstbewusst die russischen Namen und die russische Schreibweise verwenden. (Foto Stefano di Lorenzo)

Russland sucht seinen Platz in der globalen Wirtschaft

Russland ist ein äußerst reiches Land mit großem Potenzial. Dies ist sicherlich der stärkste und nachhaltigste Eindruck, den man vom Sankt Petersburger Internationalen Wirtschaftsforum gewinnt, das dieses Jahr zum 28. Mal stattfindet. Das Forum bietet nicht nur eine wichtige Plattform für die Welt der Großunternehmen in Russland, sondern bringt auch dieses Jahr wieder Vertreter der Geschäftswelt aus vielen Ländern zusammen. 

Vom 18. bis 21. Juni findet im Kongresszentrum „Expoforum“ in der Nähe des Flughafens von Sankt Petersburg eine der bedeutendsten Wirtschaftsereignisse in Russland statt. Seit Jahren ist diese Veranstaltung nicht nur eine Plattform, um Investitionen anzuziehen oder Verträge zu unterzeichnen, sondern auch eine Gelegenheit, die russische Sicht auf die Welt, die Wirtschaft und die Zukunft zu präsentieren. Der zentrale Schwerpunkt des Programms des Forums liegt auf Technologie und digitaler Transformation.

Russland ist ein Land von kontinentaler Größe, reich an natürlichen Ressourcen, mit einer hochgebildeten Bevölkerung und einer langen Geschichte der autonomen industriellen und technologischen Entwicklung. Aber es ist auch ein Land, das auf der Suche nach einem Gleichgewicht ist: zwischen wirtschaftlicher Souveränität und internationaler Zusammenarbeit, zwischen Zentralisierung und Entwicklung der Regionen, zwischen globalen Ambitionen und westlichen Sanktionen.

Ein reiches Land – aber mit viel Wachstumspotenzial noch

Der Eindruck, den man beim Besuch des Forums gewinnt, ist glanzvoll: der Luxus und die Raffinesse der ausgestellten Firmen, die extreme Eleganz der Kleidung der Leute, der Pavillons und der offiziellen Autos, die Anwesenheit von Unternehmern und Beamten des höchsten Ranges. Auf der anderen Seite bleibt jedoch das Paradox einer Macht mit globalen Ambitionen, die beim nominalen Pro-Kopf-BIP hinter Ländern wie Rumänien oder Bulgarien zurückbleibt.

„Aber das nominale BIP erzählt nicht die ganze Geschichte“, betont Vladimir, einer der Besucher, der für eine NGO arbeitet. „Man muss auch den Startpunkt eines Landes in Betracht ziehen. Die Wahrheit zeigt sich im Trend der Prozesse. Und der Trend der russischen Wirtschaft ist positiv.“ Das ist kein isolierter Optimismus. Tatsächlich ist die russische Wirtschaft trotz der westlichen Sanktionen — oder vielleicht gerade wegen ihnen — in den letzten drei Jahren robust gewachsen. Betrachtet man das gesamte russische BIP zu Kaufkraftparitäten, ist Russland die größte Volkswirtschaft Europas. 

Das russische Wirtschaftsmodell gewährleistet nach wie vor den Zugang zu lebensnotwendigen Gütern für erschwingliche Preise, auch in den Großstädten, wo die Lebenshaltungskosten im Vergleich zu anderen Weltstädten relativ niedrig bleiben. Allerdings bleibt die Kluft zwischen Moskau und Sankt Petersburg — hypermodernen, internationalen Schaufenstern — und dem „tiefen Russland” ausgeprägt. Für viele Russen repräsentieren diese beiden Metropolen nicht das reale Land, sondern eine Art Enklave des Wohlstands auf dem nationalen Gebiet.

Zwischen Ausgrenzung und alternativen Öffnungen

Die fast vollständige Abwesenheit europäischer Vertreter ist eine weitere Konstante, die mittlerweile nicht mehr überrascht. Nach dem Beginn der letzten Phase des Konflikts in der Ukraine im Jahr 2022 und der damit verbundenen Verschärfung der Sanktionen sind die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen praktisch eingefroren. Unter den wenigen europäischen Teilnehmern, die man hier trifft, herrscht ein weit verbreitetes Unbehagen gegenüber der westlichen Politik. 

Die Delegationen aus Asien, Afrika und Lateinamerika sind deutlich zahlreicher. Insgesamt nahmen im Jahr 2024 über 21.800 Menschen aus 139 Ländern und Gebieten am Forum teil. Dieses Jahr dürften die Zahlen ähnlich sein, wenn nicht sogar höher ausfallen. Mehr als 480 ausländische und über 3.300 russische Unternehmen werden erwartet. Aus russischer Sicht wird die Diversifizierung der Partner nicht als Notlösung, sondern als strategische und geopolitische Notwendigkeit angesehen. Die multipolare Welt ist keine Utopie, sondern ein Projekt, das gerade aufgebaut wird.

Eine umfangreiche Agenda

Doch beim Sankt Petersburger Forum befasst man sich nicht nur mit der Wirtschaft. Es gibt eine ganze Reihe von Podien und Diskussionen. Das dicht gedrängte Programm umfasst auch politische, soziale, kulturelle und technologische Themen. Viele dieser Podiumsdiskussionen widmen sich den Beziehungen zwischen Russland und anderen Ländern wie Brasilien, einem Mitglied der BRICS-Staaten, Kasachstan, einem wichtigen Nachbarn Russlands, und Moldawien — einem Land, das sich der EU annähert, mit dem Moskau aber noch immer hofft, einen pragmatischen Dialog und Handelsbeziehungen wiederherstellen zu können.

Es mangelt auch nicht an ziemlich unerwarteten Besuchern. Eine davon ist Ksenia Sobtschak, die berühmte oppositionelle Journalistin, eine in Russland umstrittene, aber von der Macht noch tolerierte Persönlichkeit, die bei dem Forum anwesend ist. Ebenso wie Wladislaw Dawankow von der Partei „Novye Ljudy”, zu Deutsch „Neue Menschen”, der bei den Präsidentschaftswahlen 2024 den dritten Platz belegte und für den die russische Opposition im vergangenen Jahr zur Wahl aufgerufen hatte. Einen gewissen Pluralismus gibt es noch in Russland.

Auch der russische Präsident Wladimir Putin wird persönlich an dem Forum teilnehmen. Wie der stellvertretende Außenminister Aleksandr Pankin betonte, „findet das Forum seit 2006 unter der Schirmherrschaft und mit Beteiligung des Präsidenten der Russischen Föderation statt“.

Technologische Souveränität und industrieller Aufschwung

Eines der zentralen Themen des Forum dieses Jahr ist die sogenannte „technologische Souveränität”. Nach Jahren der Abhängigkeit von westlichen Technologien — und dem Schock der Sanktionen und der Flucht westlicher Unternehmen — investiert Russland massiv in die lokale Produktion von Halbleitern, Betriebssystemen, Industriesoftware und kritischen Technologien. Der Weg ist lang, aber die Richtung ist bereits festgelegt.

Die gleiche Logik gilt für die Industrie: Von Turbinen bis zu Automobilen, von Schwermaschinenbau bis zur Landwirtschaft liegt der Schwerpunkt auf dem, was im eigenen Land oder in Zusammenarbeit mit „befreundeten” Partnern hergestellt werden kann. Dies ist nicht nur eine pragmatische Antwort auf die vom Westen auferlegte Entkopplung, sondern auch eine ideologische Entscheidung: die Rückkehr zu einer „souveränen” Wirtschaft, die nicht anfällig für externe Schocks ist.

Ein schlummerndes Wachstumspotenzial

„Russland ist ein schlafender Riese”, sollen viele in der Vergangenheit gesagt haben. Mit einer Fläche von 17 Millionen Quadratkilometern, einer Bevölkerung von über 140 Millionen Menschen und kolossalen Energie-, Bergbau- und Wasserreserven könnte das Land theoretisch zu einer der treibenden Wirtschaftsmächte des 21. Jahrhunderts werden. Doch dieses Potenzial wird zum Teil noch durch eine Reihe struktureller Probleme verlangsamt: veraltete Infrastruktur in den Provinzen, übermäßige Bürokratie, Abwanderung junger Talente, Mangel an dynamischem Kapital und hohe Zinssätze.

Auch dies scheint jedoch Teil der Debatte zu sein, die auf dem Forum geführt wird. Es geht nicht mehr nur um Feierlichkeiten, sondern auch um die Reflexion über Probleme und den Versuch, neue Strategien zu entwickeln. Davon zeugt eine Vielzahl der Themen der Podiumsdiskussionen, die Teilnahme von Regionalgouverneuren und die wachsende Aufmerksamkeit für kleine und mittlere Unternehmen, innovative Landwirtschaft und Inlandstourismus.

Das Internationale Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg ist viel mehr als eine Wirtschaftsveranstaltung: Es ist ein Laboratorium für Ideen, Beziehungen und Positionierungen. Es ist der Ort, an dem Russland trotz aller Schwierigkeiten versucht, seine Rolle in der Welt neu zu definieren. Es ist auch eine Herausforderung an die westliche Wirtschaftsordnung, in der Hoffnung auf eine multipolare Zukunft, in der Moskau als einer der zentralen Pole zählen kann.

Die Welt bleibt gespalten, aber auf dem Forum herrscht ein gewisser Optimismus. Ein vorsichtiger Optimismus, aber dennoch vorhanden und beneidenswert. Ein Gefühl der Chance, trotz der Spannungen. Spürbar ist auch die Überzeugung, dass Russland, egal wie es ausgeht, auch dieses Mal wieder stärker als zuvor daraus hervorgehen wird. 

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