
Putin sagt „Ja, aber“ – mit gutem Grund …
(Red.) Die Worte von Antje Vollmer – siehe unseren letzten aktuellen Beitrag – sollten wirklich beherzt werden. Wir brauchen nichts dringender als wieder den Frieden! Doch die geopolitischen und kriegerischen Ereignisse überstürzen sich – und Friede kann nicht einfach auf Befehl aus den USA geschaffen werden. Ein jetziger kurzer Waffenstillstand wäre zwar vorteilhaft für die ukrainischen Truppen, aber für Russland – ausgerechnet in diesen bewegenden Tagen – inakzeptabel. Zu klar hat der Westen bei Minsk I und II mit falschen Versprechungen Russland über den Tisch gezogen. Siehe dazu unsere redaktionelle Anmerkung am Ende des hier folgenden aktuellen Berichts des deutschen Journalisten Ulrich Heyden aus Moskau. (cm)
In Sudscha, der Stadt im russischen Gebiet Kursk, die am 6. August 2024 von der ukrainischen Armee in einer Überraschungsaktion besetzt worden war, weht wieder die russische Trikolore.
Am Donnerstag, den 13. März, gab die russische Militärführung bekannt, dass die Stadt, die fast sieben Monate von ukrainischen Truppen besetzt war, befreit ist. Bereits am 12. März hatten russische Soldaten der 2. und 11. Luftlande-Sturmbrigade die russische Trikolore vor dem Verwaltungszentrum der Stadt gehisst.
Am 11. März hatte das US-Magazin Forbes berichtet, dass es einem Teil der ukrainischen Verbände gelungen sei, das Gebiet Kursk zu verlassen. So konnten diese Truppenteile einer Einkesselung durch russische Truppen entgehen. Zehntausend Soldaten – darunter vermutlich die 47. mechanisierte ukrainische Brigade – habe sich vor der Einkesselung in die Ukraine absetzen können, berichteten russische Medien.
In Sudscha lebten bis 2024 5000 Menschen
Sudscha hatte vor der Besetzung durch ukrainische Truppen 5000 Einwohner. Es war die größte Stadt, welche die ukrainische Armee im Sommer 2024 – für die russische Militärführung überraschend – erobern konnte. Ein großer Teil der Einwohner war während der ukrainischen Besetzung in von Russland kontrollierte Gebiete geflohen. Doch viele ältere Menschen waren während der ukrainischen Besatzung in der Stadt geblieben.
Russische Fernseh-Reporter berichteten am Donnerstag, wie schwer es gewesen sei, nach Sudscha zu kommen. Die Straßen seien verschlammt gewesen. Man habe über Felder fahren müssen. Am Himmel kreisten ukrainische Drohnen. Zum Glück lag Nebel über der Gegend. Nur deshalb hätten die Drohnen nicht angegriffen. Die Bilder, welche der russische Fernsehkanal Rossija 24 am Donnerstag aus der Stadt Sudscha zeigte, waren erschütternd. An den Straßen lagen Minen und tote ukrainische Soldaten. Überall stand zerschossenes ukrainisches Militärgerät und leere, beschädigte Mannschafts-Fahrzeuge herum. Vor der Stadt dröhnten Geschütze.
Reporter: „Russische Zivilisten, die flüchten wollten, wurden beschossen“
Der bekannte russische Fernseh-Reporter Jefgeni Poddubnyj fand mitten in einem Wohngebiet ein ukrainisches Lager mit Drohnen-Munition. Der Reporter, der mit Helm und in Militärkleidung unterwegs war, berichtete, mit den Drohnen seien bis zuletzt Zivilfahrzeuge, welche Sudscha verlassen wollten, beschossen worden. Poddubnyj berichtete, dass die Situation in der Stadt immer noch „heiß“ sei. Die ukrainische Armee schieße noch auf Sudscha, um ukrainischen Soldaten die Flucht zu ermöglichen.
Poddubnyj wird in Russland als Held verehrt, denn er war im August 2024 im Gebiet Kursk bei einem Anschlag durch eine ukrainische Drohne, die auf sein Auto gesteuert wurde, nur knapp mit dem Leben davongekommen. Der Reporter überlebte den Anschlag mit schweren Brandverletzungen. Dass ausgerechnet Poddubnyj zu den Reportern gehörten, die am Donnerstag über die Befreiung von Sudscha berichteten, war für viele Russen eine Genugtuung. Denn dass es der ukrainischen Armee gelungen war, russisches Territorium fast sieben Monate lang zu besetzen, war für Russland und die russische Militärführung immer eine Schmach gewesen.
Geheimaktion „Potok“
Am Donnerstag gab es im russischen Fernsehen noch eine zweite Heldengeschichte, über die ausführlich berichtet wurde, die Geheimaktion „Potok“ (Strom). Im Rahmen der Aktion waren 800 Soldaten verschiedener russischer Einheiten durch ein 15 Kilometer langes Rohr mit einem Innendurchmesser von ca. 1,5 Meter, welches einmal dem Transport von Gas aus dem sibirischen Urengoi an die ukrainische Westgrenze bei Ushgorod gedient hatte, vorgerückt, um im Rücken der ukrainischen Soldaten in Sudscha einen Angriff zu starten. Die Aktion dauerte mehrere Tage. Am 9. März waren die russischen „Tunnel-Soldaten“ in einer Gas-Kontrollstation in Sudscha überraschend aus der Unterwelt aufgetaucht. Die Aktion leitete den Fall der Stadt und die Befreiung durch die russische Truppen ein.
Ein Anwohner: „Kein Insulin – viele Tote“
Das russische Fernsehen brachte am Donnerstag Kurz-Interviews mit Anwohnern von Sudscha, die während der Besetzung in der Stadt gelebt hatten. Ein bärtiger Mann mittleren Alters erzählte, die ukrainischen Soldaten hätten tagsüber gekämpft. Nachts seien sie mit Waffen durch die Wohnviertel gezogen und hätten in den Wohnungen Eigentum der Bürger beschlagnahmt. „Sie nahmen alles mit. Erst Computer, schließlich sogar Unterhosen.“
Ein Anwohner erzählte, die ukrainischen Soldaten hätten sich brutal verhalten und gleich zu Beginn der Besatzung willkürlich einen Zivilisten erschossen. Menschen, die Insulin brauchten, seien nicht versorgt worden. Sie seien gestorben. „Es war eine schreckliche Zeit. Ich bin so froh, dass ich sie sehe.“ Dann warf sich der Mann weinend in die Arme des Reporters.
Eine Frau mit roter Mütze, deren Hände voller Teig waren, stand in einer Küche und berichtete, wie sehr sie sich gefreut habe, als sie Soldaten mit der roten Armbinde sah, das Erkennungszeichen der russischen Armee. Gestern habe sie die russischen Soldaten mit Bortsch-Suppe und selbstgebackenem Brot verköstigt, erzählte die Frau, die in freudiger Stimmung war. „Heute backe ich schon wieder Brot.“ Die ukrainischen Soldaten hätten sich wie Wilde verhalten und mit ihren Maschinengewehren um sich geschossen. „Sie haben uns gesagt, wir seien keine Menschen,“ sagte die Frau.
Putin am Kampfgebiet
Der offenbar nahe Sieg über die ukrainischen Besatzer im Gebiet Kursk war für Wladimir Putin Anlass, am 12. März einem Stützpunkt der russischen Armee im Gebiet Kursk einen Besuch abzustatten. Putin saß in dem Stützpunkt in einem grünen Kampfanzug. Ihm gegenüber saßen Vertreter des russischen Generalstabs.
Der russische Präsident erklärte, man betrachte die ukrainischen Soldaten im Gebiete Kursk als „Terroristen“. Man müsse aber alle Kriegsgefangenen „human behandeln“. Ausländische Söldner – gemeint waren vermutlich Söldner aus Polen und anderen westlichen Ländern – würden aber nicht unter die Genfer Konvention für Kriegsgefangene von 1949 fallen, betonte der Präsident.
Ich erinnere mich nicht, Putin jemals in einem Kampfanzug gesehen zu haben. Allerdings erinnere ich mich, dass Putin im März 2000 nach der Eroberung von Grosny durch die russische Armee als Co-Pilot in einem Kampfflugzeug in die Hauptstadt Tschetscheniens geflogen war. Frontbesuche nach militärischen Erfolgen haben eine starke symbolische Bedeutung. Sie sollen die Stärke der Armee, die Entschlossenheit der politischen Führung und Siegeszuversicht ausdrücken.
Putin: „Die Idee eines Waffenstillstands ist richtig“
Am Donnerstagabend nahm Wladimir Putin in Moskau auf einer Pressekonferenz, die er gemeinsam mit dem weißrussischen Präsidenten Aleksander Lukaschenko gab, zu dem Vorschlag der USA für einen 30 Tage dauernden Waffenstillstand Stellung. Der Präsident erklärte, „wir sind einverstanden mit dem Vorschlag, die militärischen Handlungen zu beenden.“ Weiter sagte er, „die Idee des Waffenstillstands ist richtig“, und „wir sind dafür, den Konflikt friedlich zu beenden“. „Vielleicht“ werde er mit Donald Trump darüber sprechen. Aber der Waffenstillstand müsse so vereinbart werden, „dass er zu einem dauerhaften Frieden und zur Beseitigung der Gründe der Krise führt.“
Was das Gebiet Kursk betrifft, so würde ein Waffenstillstand zum jetzigen Zeitpunkt bedeuten, dass die ukrainischen Soldaten, die sich noch in dem russischen Gebiet befinden – fünf Dörfer sind noch nicht von den Russen befreit worden – „das Gebiet ohne Kampf verlassen können. Wir sollen sie laufen lassen, nachdem sie massenhaft Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung begangen haben?“, fragte der Präsident.
Wofür würde die Ukraine einen 30-tägigen Waffenstillstand nutzen, fragte Putin, „um die Zwangsmobilisierung fortzusetzen und Nachschub zu beschaffen?” Wer solle den Waffenstillstand „an der 2000 Kilometer langen Front überwachen“? Und wer würde „garantieren, dass an dieser Front keine Kampfhandlungen stattfinden?“
Der russische Präsident erklärte, die Situation im Gebiet Kursk „zwinge die Ukraine, einem Waffenstillstand zuzustimmen. Die Gruppe, die in unser Gebiet eingebrochen ist, ist isoliert.“ Die russische Armee habe in dem Gebiet, wo sich noch ukrainische Soldaten aufhalten „die Feuerkontrolle“. Ukrainische Soldaten könnten nur in kleinen Gruppen von zwei, drei Soldaten versuchen, sich in die Ukraine durchzuschlagen. Wenn die ukrainischen Soldaten bald auch physisch an einer Rückkehr in die Ukraine gehindert werden, gebe es nur noch die Wahl zwischen Ergeben und Tod. „Vor diesem Hintergrund wäre es für die ukrainische Seite sehr gut, einen Waffenstillstand für wenigstens 30 Tage zu erreichen.“
Der Vorschlag, einen 30 Tage dauernden Waffenstillstand zu vereinbaren, kam aus Washington. Dieser Vorschlag war zwischen Vertretern der USA und der Ukraine im Dschidda beschlossen worden. Die US-Präsidialverwaltung hatte zudem erklärt, über den Waffenstillstand mit der russischen Seite sprechen zu wollen. Für den Abend des 13. März war in Moskau ein Treffen zwischen Putin und Trumps Sondergesandten Steve Witkoff geplant. Das Treffen sollte unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.
(Anmerkung der Redaktion: Russland hat guten Grund, dem Westen bei Zusicherungen für einen Waffenstillstand zu misstrauen. Im Falle der Waffenstillstandsvereinbarungen von Minsk I und II haben alle westlichen Beteiligten, Petro Poroschenko aus der Ukraine, Angela Merkel aus Deutchland und François Holland aus Frankreich, hinterher offiziell zugegeben, den damaligen Waffenstillstandsabkommen nur zugestimmt zu haben, um der Ukraine Zeit zu verschaffen, sich militärisch aufzurüsten. Die dort getroffenen Abmachungen einzuhalten, sei nie beabsichtigt gewesen. Siehe dazu den Bericht auf Globalbridge von Stefano di Lorenzo.)