Gründungsmitglied und letzte Pazifistin ihrer zum woken Militarismus konvertierten (heute olivgrünen) Partei: Antje Vollmer.

Der letzte Stachel im Fleische der Grünen – Vor zwei Jahren starb Antje Vollmer

Vor zwei Jahren, am 15. März 2023, starb nach langer Krankheit die vermutlich klügste Politikerin, die Nachkriegsdeutschland jemals hatte. Antje Vollmers Tod hinterließ eine Lücke, die noch immer schmerzt. Ihre aufrechte, mutige Stimme fehlt sehr.

Sie war das wandelnde schlechte Gewissen ihrer gewendeten Partei – der letzte Stachel im Fleische der Grünen. Und die klügste Politikerin, die diese Partei, möglicherweise das gesamte Nachkriegsdeutschland, jemals hatte. 

Die offene Wunde

Dass Antje Vollmer am Ende ihres Lebens ohnmächtig mitansehen musste, wie die von ihr mitgegründeten Grünen sämtliche friedensbewegten Grundsätze über Bord warfen und sich mit wehenden Fahnen ins Gefecht stürzten, das war ihre offene Wunde, die sie mit ins Grab genommen hat. 

„Meine ganz persönliche Niederlage wird mich die letzten Tage begleiten. Gerade die Grünen, meine Partei, hatte einmal alle Schlüssel in der Hand zu einer wirklich neuen Ordnung einer gerechteren Welt. Sie war durch glückliche Umstände dieser Botschaft viel näher als alle anderen Parteien. Wer die Welt retten wollte, musste ein festes Bündnis zwischen Friedens- und Umweltbewegung anstreben, das war eine klare historische Notwendigkeit, die wir lebten. Wir hatten dieses Zukunftsbündnis greifbar in den Händen. Was hat die heutigen Grünen verführt, all das aufzugeben für das bloße Ziel, mitzuspielen beim großen geopolitischen Machtpoker, und dabei ihre wertvollsten Wurzeln als lautstarke Antipazifisten verächtlich zu machen?“, schrieb sie bitter in ihrem ‚politischen Vermächtnis‘ mit dem denkbar unprätentiösen Titel „Was ich noch zu sagen hätte“, das die Berliner Zeitung knapp drei Wochen vor ihrem Tode am 15. März 2023 veröffentlichte.

Dass sie – von ihrer Partei völlig isoliert, wenn nicht geächtet – bis zum Schluss ihren Grundsätzen treu blieb, davon gibt es ein anrührendes Zeugnis des Schriftstellers Ingo Schulze, der uns in dem vor einem Jahr im Hamburger VSA-Verlag erschienenen kleinen Band „Den Krieg verlernen – Zum Vermächtnis einer Pazifistin“ folgende Szene überliefert: „Drei Monate vor ihrem Tod – sie war körperlich ausgezehrt und geschwächt, ihr Verstand aber war überaus klar und ihr Wille stärker denn je – rief sie noch, beide Fäuste erhoben: ‚Ich bin für alles, was sich gegen diesen Kriegswahnsinn auflehnt! Ich mache bei allem mit!‘“ (Und der Autor dieser Zeilen glaubt hier, eine starke Geistes-, genauer: Gemütsverwandtschaft zu erkennen.) 

Das geschändete Lebenswerk

In dieser machtlos-rebellischen Verzweifelung auf den letzten Lebensmetern, muss sie sich einem anderen Ausnahmepolitiker und -menschen nahe gefühlt haben, der ihr geistig verwandt war und ein halbes Jahr vor ihr unter ähnlich grausamen Umständen von uns ging: Michail Gorbatschow!

„Zweimal“, so schrieb Antje Vollmer im Mai 2021, „habe ich Michail Gorbatschow im vertrauten Kreis über seine eigene Bilanz dieser Zeit reden hören, das letzte Mal 2015 während eines letzten Treffens mit Egon Bahr. Bei seinen selten gewordenen öffentlichen Reden vor deutschen Medien war Gorbatschow immer noch gefasst, um Vertrauen und Verständnis werbend. Im kleinen Kreis aber brach es aus ihm heraus: Gemessen an seinem eigenen Einsatz für eine grundlegend veränderte Friedensordnung in Europa habe der Westen nichts gewagt, nichts riskiert. Er habe nur genommen und nichts gegeben. Das grenze an Verrat und habe Vertrauen, das in Jahrzehnten mühselig gewachsen sei, zerstört. Ohne dieses zerstörte Vertrauen sei Putin nicht zu erklären, ja, er sei das direkte Ergebnis dieses Prozesses.“

Fast ist man geneigt zu seufzen: Gut, dass sie wenigstens nicht mehr erleben musste, wie ‚ihre Partei‘ nun auch noch eine erneute Stationierung von Mittelstreckenraketen und Cruise Missiles in Deutschland beklatscht und massiv für die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern – die den Kreml pulverisieren und russische Atomwaffenlager in die Luft sprengen könnten – an die Ukraine Stimmung macht! (Gewundert hätte es sie vermutlich nicht mehr.)

„Sie hat sich dort hingewagt, wo es nichts zu gewinnen gab“

Man tut Antje Vollmer sicher nicht Unrecht, wenn man sie – eine höchst seltene Kombination! – als eine ‚realpolitisch geerdete Gesinnungsethikerin‘ bezeichnet.

„Sie hat sich dort hingewagt, wo es nichts zu gewinnen gab“, schrieb ihr Sohn Johann. „In den Dialog mit der Roten Armee Fraktion, um einen Ausweg aus dem Terror zu suchen. In den Austausch mit China und dem Dalai Lama in Tibet, um einen Lösungsansatz zu finden. Sie hat das gellende Pfeifkonzert auf dem Sudetendeutschentag ertragen, bis der Weg für die deutsch-tschechische Aussöhnung geebnet war. Und als der Pazifist in den vergangenen Jahren bereits zum Schimpfwort wurde, waren ihre Texte für die, die an diese Utopie noch glauben wollten, ein Halt.“

Mag sie auch kurzfristig nichts ‚gewonnen‘ haben, erfolglos war sie dennoch nicht. Dort, wo die Dinge völlig festgefahren schienen, eröffnete sie neue Denkräume, begann sie (anfangs gegen jede ‚Vernunft‘) Brücken zu bauen, über die – oft zeitverzögert und zaghaft zunächst – Menschen dann auch tatsächlich gingen: die ersten Schritte zur Versöhnung. 

Man sollte es nicht vergessen: Neben alldem war Antje Vollmer auch eine glänzende Essayistin! Es lohnt sich auch heute nicht allein aus inhaltlichen Gründen, ihre klugen Texte aufmerksam zu studieren. Sie sind nicht zuletzt ein ästhetischer Genuss. Die Quintessenz ihres ‚politischen Testaments‘ – erkennbar für die allernächste Ewigkeit in Stein gemeißelt – sollten wir auswendig lernen: 

„Wer die Welt wirklich retten will, diesen kostbaren einzigartigen wunderbaren Planeten, der muss den Hass und den Krieg gründlich verlernen. Wir haben nur diese eine Zukunftsoption.“ 

Es waren die letzten Worte, die sie veröffentlicht hat.

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