Analyse | Der Krieg zweier Welten hat begonnen – Teil 2

Das grosse Spiel nicht aus den Augen verlieren: Der Hegemon kämpft um die Vorherrschaft gegen eine multipolare, aber heterogene Welt. In Teil 2 geht es um die Organisation, welche den Kollektiven Westen wirtschaftlich herausfordert: BRICS. – Zum Teil 1 siehe hier.

Einleitung

Im ersten dieser dreiteiligen Serie ging es um die Geschichte der großen Konflikte des 20. Jahrhunderts und um die (Charakter-)Eigenschaften und den Zustand des Kollektiven Westens. In diesem 2. Teil beschreiben wir jene Organisation, um die es hauptsächlich geht, wenn wir über die wirtschaftlichen Herausforderungen für den Kollektiven Westen sprechen: BRICS.

Dieser Blog setzt Schwerpunkte in der Auswahl seiner Themen und ein Schwerpunkt war immer BRICS. Wir erachten dieses Thema als dermaßen wichtig, dass wir am 18. November 2022 den ersten Artikel dieses Blogs BRICS widmeten: «Der unaufhaltbare Aufstieg des Ostens» und danach in vielen weiteren Artikeln BRICS behandelten und beleuchteten und es uns auch nicht nehmen ließen, am letztjährigen BRICS-Gipfel in Kazan teilzunehmen.

Ganz anders legten Medien im Westen ihre Schwerpunkte und verschliefen eine der größten geoökonomischen Entwicklungen, die wir als tektonische Verschiebung charakterisieren, komplett. Falls BRICS überhaupt erwähnt wurde, dann mit einer Herablassung und Hybris, die kaum zu beschreiben ist. Im 3. Teil dieser Serie wird ein Kapitel denn auch lauten: «Hybris trifft Nemesis». Diese Haltung des Westens, nicht nur bezüglich wirtschaftlichen, sondern auch militärischen Themen, hat die EU bereits zur geopolitischen Randfigur verkommen lassen und die von Trump in seinem Einzugsgebiet voranschreitende Machtkonsolidierung (Mexiko, Kanada, Panama, Naher Osten und Grönland) lässt erahnen, dass man das großmäulige Westeuropa beim Wort nimmt (?) und sich selbst überlassen wird.

Der Wissensstand bezüglich BRICS als Organisation ist im Westen, man findet kein anderes Adjektiv, pitoyable. Die Amerikaner haben vor ein paar Tagen einmal mehr den Oskar der Bildungsfreiheit gewonnen, als kein geringerer als Präsident Trump selbst, mit beinahe erfrischender Ignoranz, Spanien als BRICS-Mitglied sah.

Wir werden im 3. Teil noch mehrfach auf die Konsequenzen von Bildungsfreiheit zurückkommen und die sich anbahnenden Schwierigkeiten, die mit dieser Großproblematik verbunden sind, aufzeigen.

In der folgenden Übersicht zeigen wir vor allem Karten, Zahlen und Diagramme, welche selbsterklärend sind.

BRICS – der Kapitän des Globalen Südens

Beschleunigte Entwicklung aufgrund des Verhaltens der USA

In unseren zahlreichen Beiträgen über BRICS haben wir aufgezeigt, dass der beschleunigte Aufstieg von BRICS schlussendlich als eine Konsequenz der aggressiven Außenpolitik der USA zu sehen ist. Eine Politik, welche sich neben militärischer Aggression dadurch auszeichnete, dass die USA ihre Leitwährung US-Dollar einerseits verfallen lässt und andererseits als Waffe einsetzt, was 2022 darin gipfelte, dass der Westen die Währungsreserven der russischen Zentralbank einfror und jetzt stiehlt – wenigstens die Erträge daraus.

Neben SCO und anderen Organisationen im Globalen Süden ist BRICS aus wirtschaftlicher Sicht auf jeden Fall die gewichtigste Organisation, die es je gegeben hat. Die Zahlen, welche sich aus den gegenwärtigen Vollmitgliedern und Partnerstaaten ergeben, sind bereits jetzt sehr beeindruckend und überflügeln die G7 als Hauptorganisation des Kollektiven Westens bereits klar.

Neben den bereits aufgenommenen Mitgliedern und Partnern zeigt die große Liste der Länder, welche BRICS beitreten wollen, dass sich hier eine Gemeinschaft entwickelt, welche durchaus das Potential hat, wirtschaftlich die Welt zu dominieren. Es macht somit durchaus Sinn, mit Hilfe einiger Karten und Listen das Gewicht des wichtigsten Repräsentanten des Globalen Südens kurz zu beleuchten.

Mitglieder

BRICS bestand ab 2009 aus Brasilien, Russland, Indien, China, ab 2011 stieß Südafrika dazu und im Januar 2024 kamen der Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Äthiopien dazu; im Januar 2025 stieß Indonesien dazu, das ab Oktober 2024 (Kazan) Partnerstatus hatte.

Copyright: voicefromRussia.com
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Das Bruttosozialprodukt zeigen wir kaufkraftbereinigt. Wenn Sie den US-Dollar als Massstab für das BIP verwenden, wird die wirtschaftliche Kraft eines Landes verfälscht: Falls man die finanzielle Schlagkraft realistisch messen möchte, spielt es eine große Rolle, ob z.B. ein Big Mac in US-Dollar an einem Ort doppelt so viel kostet wie anderswo. Der sogenannte Big Mac Index ist Grund genug, beim Vergleich von BIP-Zahlen die kaufkraftbereinigten Zahlen zu verwenden. Der Grund, warum westliche Medien die nicht bereinigten Zahlen verwenden, ist reines Marketing, um die Abwertung des US-Dollars zu verschleiern und ihn stärker erscheinen zu lassen, als er ist.

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Einordnung der Zahlen

Ölproduktion

Bei der Bewertung der Ölförderzahlen sollten die folgenden zusätzlichen Fakten berücksichtigt werden:

Erstens: Obwohl die USA mit einem Anteil von rund 18% an der Weltproduktion immer noch der größte Ölproduzent der Welt sind, verbrauchen sie mit einem Anteil von über 20% auch am meisten Öl. Somit sind die USA derzeit nicht einmal in der Lage, ihren eigenen Verbrauch zu decken. Dieser Umstand allein ist ein zwingender Grund für die USA, etwa Saudi-Arabien unter Druck zu setzen, um einen BRICS-Beitritt zu verhindern.

Zweitens: Die großen ölproduzierenden Mitglieder von BRICS haben einen großen Einfluss oder sogar die Kontrolle über die OPEC. Da BRICS dadurch auch die OPEC beherrscht und somit den Preis und die Verteilung eines großen Teils des Öls kontrolliert, kann von einer (indirekten) Monopolstellung von BRICS gesprochen werden.  

Drittens: Die Produktionskosten für US-Öl betragen ein Mehrfaches verglichen mit den Produktionskosten in BRICS-Staaten.

Diese Faktoren verstärken somit die Machtstellung von BRICS betreffend Öl noch weiter.

Erdgas

In Bezug auf Erdgas ist anzumerken, dass mit dem Beitritt des Irans zu BRICS die beiden größten Erdgasproduzenten der Welt gemeinsam Mitglieder von BRICS sind: Russland und der Iran.

Der größte Nicht-BRICS-Gasproduzent ist das (noch) mit den USA verbündete Katar. BRICS ist somit auch in Bezug auf Erdgas ein echtes Machtzentrum.

Gold

In Bezug auf Gold sollte kurz erwähnt werden, dass China und Russland die Nummer 1 bzw. 2 bei der weltweiten Goldproduktion sind. Ich erwähne Gold hier, weil die Chancen gut stehen, dass Gold irgendwann wieder eine wichtige Rolle in zukünftigen Geldsystemen spielen wird – dazu äußern wir uns im nächsten Artikel.

Weitere Zahlen

Gemäss Aussagen von Präsident Putin vom 18. Oktober 2024, welche wir in unserem Beitrag «Vier Tage bis zur Eröffnung von BRICS – zwei Termine des russischen Präsidenten an einem Tag» besprochen haben, sind weitere Zahlen zu BRICS von Bedeutung:

  • BRICS steht für 39 Prozent der Industrieproduktion der Welt, im Vergleich dazu die G7 nur noch für 31 Prozent.
  • BRICS erzeugt 44 Prozent der Weltweizenproduktion, die G7 lediglich 19 Prozent.
  • Bei Reis lauten die Zahlen: BRICS 54 Prozent, G7 2,4 Prozent.
  • Bei der Erzeugung wichtiger Rohstoffe sehen die Zahlen so aus: BRICS produziert 74 Prozent des Aluminiums, die G7 fünf Prozent. Bei Palladium lauten die Werte: 77 zu 7 zugunsten von BRICS.

BRICS-Partner

Offizielle Partnerstaaten, das heißt im Vorzimmer für eine Vollmitgliedschaft, befinden sich zurzeit Weißrussland, Bolivien, Kasachstan, Thailand, Kuba, Uganda, Malaysia und Usbekistan.

Die Türkei, welche letztes Jahr viel Energie darauf verwandte, Vollmitglied zu werden, schaffte es in Kazan nicht einmal, Partner zu werden. Viele Medien gingen davon aus, dass die Türkei Partner würde. Die BRICS-Führung hatte grünes Licht für die Aufnahme von 13 Staaten als Partner gegeben, ohne ihre Namen zu nennen, da der Umfang ihrer Bereitschaft für eine Vollmitgliedschaft oder einen anderen BRICS-Status mit ihnen diskutiert werden musste.

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Türkei und Saudi-Arabien

Wir wiesen im Oktober darauf hin, dass im Internet kursierende Listen, auf welchen die Türkei auch als Partner aufschien, mit Vorsicht zu genießen seien. Wir waren bereits nach den Aussagen des russischen Präsidentenberaters Anton Kobyakov am 23. Oktober 2024 in Kazan skeptisch – und behielten recht. Die illoyale und pitoyable Rolle Präsident Erdogans in Syrien, das nichts weniger als ein Verrat am Iran, Russland, Syrien und auch an BRICS war, wird wohl eine Partnerschaft oder gar Mitgliedschaft der Türkei unter Erdogan mittel- bis langfristig verunmöglichen; wir schrieben darüber in «Das Imperium schlägt zurück».

Saudi-Arabien wurde bereits im Sommer 2023 als Vollmitglied eingeladen, hat aber bis heute seinen Beitritt nicht ratifiziert. Saudi-Arabien ist bezüglich Rohstoff Öl mit einer Produktion von knapp 13% der Weltproduktion einer der größten Produzenten der Welt und somit sehr interessant für BRICS, aber auch für den Kollektiven Westen.

Saudi-Arabien bzw. die Herrscherfamilie Saud ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein Verbündeter der USA, wobei sich dieses Verhältnis seit der Vereinbarung des «Petrodollars» im Jahre 1974 weiter verfestigte. Während der Biden-Administration litt das Verhältnis zu den USA massiv, gleichzeitig verfestigte sich die Zusammenarbeit mit China und Russland auf ein nie dagewesenes Niveau.

Das Problem, welches Saudi-Arabien jetzt hat, sind die gigantischen Investitionen, welche der Staat und Private vor allem in den USA und Grossbritannien getätigt haben. Allein die staatlichen Investments in den USA belaufen sich auf über USD 35 Milliarden und in Großbritannien sollen die Investitionen rund USD 75 Milliarden betragen. Aufgrund der geopolitischen Situation auf der Welt und der aggressiven Sanktionspolitik des Westens, sind saudische Bedenken, dass diese Investments im Falle eines BRICS-Beitritts beschlagnahmt werden könnten, auf jeden Fall berechtigt. Saudi-Arabien ist wichtig ist für BRICS. China hat die USA als größten Handelspartner Saudi-Arabien abgelöst.

Faisal F. Alibrahim, der Minister für Wirtschaft und Planung von Saudi-Arabien, äusserte am 12. Februar 2025 am World Governments Summit, dass das Königreich einen „rigorosen Prozess“ durchlaufe, um die Vor- und Nachteile eines Beitritts zum Block zu bewerten.

„Wie bei jeder multilateralen Plattform bewerten wir sorgfältig die Vorteile und Herausforderungen.“ FAISAL F. ALIBRAHIM, 12. FEBRUAR 2025

Zu berücksichtigen ist zudem, dass Mohammed bin Salman (MbS) zwar derzeit der designierte Thronfolger nach König Salman ist, aber innerhalb der saudischen Königsfamilie gibt es traditionell mehrere potenzielle Anwärter. Offiziell wurde MbS 2017 von König Salman zum Kronprinzen ernannt und er ersetzte damit seinen Cousin Mohammed bin Nayef, der vorher als Thronfolger vorgesehen war. Aber der definitive Sprung auf den Königsthron nach dem Tod von König Salman hängt nach saudischen Experten davon ab, dass er sich mit der saudischen Lobby in Washington gut stellt. Erst nach seiner Thronbesteigung wird man wissen, wieviel Spielraum er im Hinblick auf eine Kooperation mit BRICS haben wird.

Saudi-Arabien wird ein typisches Beispiel eines Spielballs der beiden Welten sein, einerseits aufgrund seiner geographischen Lage und andererseits aufgrund des gigantischen Ölvorkommens. Wir werden im 3. Teil darauf zurückkommen.

Interessenten

Die Liste jener Länder, welche Interesse an einem Beitritt haben bzw. Beitrittsgesuche eingereicht haben, ist unglaublich und beschreibt das Potential von BRICS in der Zukunft.

Acht Länder (Aserbaidschan, Bangladesch, Myanmar, Pakistan, Senegal, Sri Lanka, Syrien, Venezuela) haben formelle Beitrittsgesuche abgegeben. Weitere 33 Länder zeigen an einem Beitritt Interesse, wobei diese Zahl nicht in Stein gemeisselt ist. 

Copyright: voicefromRussia.com

Überwältigend

Fakten sprechen für sich. Die wirtschaftliche Übermacht von BRICS gegenüber dem Kollektiven Westen ist bereits heute beeindruckend und die Liste der Interessenten ist überwältigend.

Eine breite Öffentlichkeit im Westen ist sich dessen in keiner Weise bewusst, denn die westlichen Medien fahren eine richtiggehende Vogel-Strauß-Politik: Auf alle Länder des Globalen Südens wird herabgeschaut, man nennt sie abschätzig Drittweltländer oder Schwellenländer, um der Öffentlichkeit vorzugaukeln, dass diese Leute in Armut und Elend leben.

Ich fuhr letzten Sommer mit der Eisenbahn sowohl in China als auch in Deutschland. In China bewegte ich mich im kompletten Luxus mit 350 km/h zwischen modernsten Bahnhöfen auf die Minute genau. In Deutschland fuhr ich in einem Zug (ICE), der vorgibt, modern zu sein, zwischen verwahrlosten Bahnhöfen mit riesigen Verspätungen und der Wunschvorstellung, dass diese Züge, wenn sie denn könnten, 200 km/h führen. Dies war jedoch aufgrund der zahllosen Baustellen und der ebenso zahlreichen Strecken, die für diese Geschwindigkeiten noch gar nicht eingerichtet sind, nicht möglich.

Ironisch ausgedrückt, möglicherweise meinten die Medien im Westen, dass die Dritte Welt die moderne sei und die westliche Welt jene, die immer mehr ins Hintertreffen gerät.

Die Entwicklung um BRICS zeigt, dass die Welt an einem Punkt angekommen ist, wo die überwältigende wirtschaftliche Macht dieser Organisation bzw. ihrer Mitglieder nicht mehr zu verschweigen ist. Der Westen wird wohl bald ein neues Narrativ formen und einen Mythos der Gefahr erschaffen, welche von BRICS ausgehen soll. Obwohl BRICS für eine multipolare Welt steht und freien Handel zwischen allen – also glaubwürdig propagiert auch zwischen den Großen und den Kleinen –, werden wir sehr bald mit einem bedrohlichen Bild bedient werden. Die beiden führenden Mitglieder von BRICS – China und Russland – werden ja bereits jetzt als die neue Achse des Bösen bezeichnet.

Präsident Trump hat bereits realisiert, was BRICS für den Petrodollar und somit für die USA bedeutet. Er versucht es mit Zuckerbrot und Peitsche, indem er es einerseits Russland schmackhaft machen möchte, in die G7 (G8) zurückzukehren und andererseits BRICS bedroht. Das tut er nicht, weil er Putin oder Russland mag, diese Versuche sind rein opportunistisch zu deuten. Ich glaube jedoch nicht, dass Russland die G7 als attraktives Zuckerbrot betrachten wird, denn die Mitglieder sind – außer die USA – keine energiegeladene Länder, die interessant sind für Russland. Deutschland, das für Russland immer wichtig sein wird, kann man zu einem späteren Zeitpunkt auch bilateral wieder einbinden. 

Wir haben schon oft darauf hingewiesen, dass Russland langfristige Vereinbarungen sucht und diese auch einhält – ganz im Gegensatz zu den USA und dem gesamten Kollektiven Westen. Dazu verweise ich auf meinen Artikel »Loyalität – der Mörtel des Lebens und der Geopolitik«. Dass Russland sich gegen BRICS wendet, schließe ich kategorisch aus. Die BRICS-Staaten waren zu Russland während des Sanktionssturms loyal. Die Russen haben ein langes Gedächtnis.

Wir haben im ersten und diesem zweiten Teil der Serie die Ausgangslage beschrieben. Die nackten Zahlen weisen darauf hin, dass der kollektive Westen in einem wirtschaftlichen Wettbewerb gegen den Globalen Süden schlecht dasteht, etwa so wie die Briten gegenüber den Deutschen vor dem Ersten Weltkrieg im Wettbewerb über lange Zeit nicht hätten bestehen können.

Im kommenden 3. Teil dieser Serie lassen wir das große Spiel beginnen und zeigen einen möglichen Verlauf dieses Krieges der Welten auf.  

Zum Originalartikel auf «Voice from Russia».

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